Ein Handwerksbetrieb führte Putz- und Trockenbauarbeiten (Werkvertrag) am Haus durch und kassierte dafür 11.600 Euro Abschlagszahlungen. Wegen einer fehlenden Belehrung musste der Betrieb die volle Summe zurückzahlen, obwohl die Leistung erbracht war.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Wann macht ein Klick im Kopf den Werkvertrag auf der Baustelle ungültig?
- Was genau war passiert?
- Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
- Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?
- Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Habe ich ein Widerrufsrecht für Handwerkerleistungen, die auf meiner Baustelle begonnen wurden?
- Muss der Handwerker Abschlagszahlungen zurückzahlen, wenn ich den Werkvertrag widerrufe?
- Wie lange kann ich einen Werkvertrag widerrufen, wenn mir die Widerrufsbelehrung fehlt?
- Wann gilt ein Vertrag mit dem Handwerker als geschlossen, auch wenn keine Unterschrift vorliegt?
- Was muss ich als Handwerker beachten, um das Widerrufsrisiko auf der Baustelle zu vermeiden?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 29 U 38/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Datum: 23.05.2025
- Aktenzeichen: 29 U 38/24
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Verbraucherschutz, Widerrufsrecht, Werkvertragsrecht
- Das Problem: Eine Hauseigentümerin beauftragte einen Handwerker mit Bauarbeiten an ihrem Haus. Sie leistete Abschlagszahlungen, widerrief dann aber den Vertrag und forderte 11.600 Euro zurück. Der Handwerker lehnte die Rückzahlung ab, weil er ein Widerrufsrecht verneinte.
- Die Rechtsfrage: Gilt für einen Verbraucher ein gesetzliches Widerrufsrecht, wenn der Werkvertrag nicht im Büro des Handwerkers, sondern durch den Beginn der Arbeiten auf der Baustelle zustande kommt?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht stellte fest, dass der Vertrag auf dem Grundstück und bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien geschlossen wurde. Damit liegt ein Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen vor. Die Kundin hatte mangels korrekter Belehrung ein verlängertes Widerrufsrecht und bekommt die Abschlagszahlungen vollständig zurück.
- Die Bedeutung: Verbraucher, die Handwerker für Teilarbeiten am Haus beauftragen, haben ein Widerrufsrecht, wenn der Vertrag auf der Baustelle geschlossen wird. Wurde der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über dieses Recht belehrt, kann er den Vertrag auch lange Zeit später noch widerrufen.
Wann macht ein Klick im Kopf den Werkvertrag auf der Baustelle ungültig?
Ein Vertragsschluss ist mehr als nur eine Unterschrift unter einem Dokument. Manchmal entsteht er stillschweigend, mitten im Baustellenlärm. Doch was passiert, wenn dieser Moment an einem Ort stattfindet, der dem Verbraucher ein besonderes Schutzrecht einräumt? Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 23. Mai 2025 (Az.: 29 U 38/24) eine präzise Antwort auf diese Frage gefunden. Es zeigt, dass der entscheidende Moment für einen Vertragsschluss nicht immer in E-Mails oder Vertragsentwürfen zu finden ist, sondern im tatsächlichen Handeln der Beteiligten – mit weitreichenden finanziellen Folgen für einen Handwerksbetrieb, der Abschlagszahlungen in Höhe von 11.600 Euro zurückzahlen musste.
Was genau war passiert?

Eine Hauseigentümerin plante Umbau- und Erweiterungsarbeiten an ihrem Wohnhaus. Konkret ging es um Innenputz-, Maler- und Trockenbauarbeiten. Ihr Architekt holte dafür Angebote ein und wandte sich unter anderem an einen Handwerksbetrieb. Dieser legte am 12. Juli 2020 ein entsprechendes Angebot vor.
Der entscheidende Schriftverkehr folgte am 1. September 2020. An diesem Tag schickte der Architekt dem Handwerker im Namen der Bauherrin einen sogenannten Einheits-Bauvertrag per E-Mail. Dieses Dokument enthielt die Vertragsbedingungen und ein detailliertes Leistungsverzeichnis. Allerdings hatte die Bauherrin darin einige Positionen gestrichen. Noch wichtiger: Das für sie vorgesehene Unterschriftenfeld war leer. Auch der Handwerker unterschrieb das Dokument zunächst nicht.
Trotz dieser fehlenden Formalien begann der Betrieb noch im September 2020 mit den Arbeiten auf der Baustelle. Die Bauherrin akzeptierte dies und leistete im Laufe der Zeit Abschlagszahlungen von insgesamt 11.600 Euro. Doch die Zusammenarbeit endete im Streit. Am 11. Dezember 2020 erklärte die Bauherrin, sie wolle den Vertrag beenden. Der Handwerker stellte daraufhin eine Schlussrechnung über fast 27.000 Euro und verklagte die Bauherrin in einem ersten Verfahren auf die Zahlung des Restbetrags – jedoch ohne Erfolg. Das Gericht wies seine Klage rechtskräftig ab, da die Bauherrin den Vertrag wirksam widerrufen habe.
Aufbauend auf diesem ersten Erfolg, drehte die Bauherrin den Spieß nun um. In dem hier beschriebenen zweiten Verfahren forderte sie die Rückzahlung ihrer bereits geleisteten 11.600 Euro. Das Landgericht Frankfurt wies ihre Klage zunächst ab. Es argumentierte, der Vertrag sei nicht auf der Baustelle, sondern durch die E-Mail der Bauherrin und den Arbeitsbeginn des Handwerkers an unterschiedlichen Orten zustande gekommen. Damit greife das besondere Widerrufsrecht nicht. Gegen diese Entscheidung legte die Bauherrin erfolgreich Berufung ein.
Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
Im Zentrum dieses Falles steht der Verbraucherschutz im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Die entscheidenden Normen sind speziell dafür geschaffen, Privatpersonen vor übereilten Entscheidungen zu schützen, die außerhalb einer typischen Einkaufssituation getroffen werden.
Das Herzstück ist das Widerrufsrecht für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gemäß § 312g Abs. 1 BGB. Es gibt Verbrauchern die Möglichkeit, sich innerhalb einer bestimmten Frist ohne Angabe von Gründen von einem Vertrag zu lösen. Ein Vertrag gilt dann als „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen“, wenn er beispielsweise direkt beim Verbraucher zu Hause oder auf einer Baustelle zustande kommt und beide Parteien gleichzeitig körperlich anwesend sind (§ 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB).
Damit dieses Recht greifen kann, müssen die Rollen klar sein: Auf der einen Seite ein Verbraucher (§ 13 BGB), also eine Privatperson, die den Vertrag nicht für ihre gewerbliche Tätigkeit schließt. Auf der anderen Seite ein Unternehmer (§ 14 BGB), der in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit handelt.
Eine weitere entscheidende Regel betrifft die Folgen einer fehlenden Aufklärung. Wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt, verlängert sich die übliche 14-tägige Widerrufsfrist erheblich. Gemäß § 356 Abs. 3 BGB erlischt das Widerrufsrecht dann spätestens erst nach zwölf Monaten und 14 Tagen.
Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?
Das Oberlandesgericht Frankfurt folgte der Argumentation der Bauherrin und verurteilte den Handwerksbetrieb zur vollständigen Rückzahlung der 11.600 Euro. Die Richter analysierten den genauen Hergang des Vertragsschlusses Schritt für Schritt und widerlegten dabei die Argumente des Handwerkers und der Vorinstanz.
Wann und wo kam der Vertrag wirklich zustande?
Das war die Kernfrage des Falles. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass weder das ursprüngliche Angebot des Handwerkers noch der per E-Mail versandte Vertragsentwurf der Bauherrin den Vertrag begründet hatten. Der entscheidende Moment war ein anderer: Der Vertrag kam erst zustande, als der Handwerker auf der Baustelle erschien und mit der Arbeit begann. Dieses Handeln wertete das Gericht als ein konkludentes, also durch schlüssiges Verhalten ausgedrücktes, neues Angebot an die anwesende Bauherrin. Indem die Bauherrin die Arbeiten auf ihrem Grundstück zuließ, nahm sie dieses Angebot an.
Da dieser Vorgang – Angebot durch Arbeitsbeginn und Annahme durch Duldung – auf der Baustelle und bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit beider Parteien stattfand, waren die Voraussetzungen für einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag nach § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB erfüllt. Damit stand der Bauherrin grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu.
Warum zählte der E-Mail-Vertragsentwurf nicht als Angebot?
Der Handwerker hatte argumentiert, der Vertrag sei bereits durch den per E-Mail versandten Entwurf der Bauherrin zustande gekommen. Dem folgte das Gericht nicht. Die Richter stellten klar, dass dieser Entwurf kein rechtlich bindendes Angebot darstellte. Der Grund war offensichtlich: Das für die Bauherrin vorgesehene Unterschriftenfeld war leer. Für jeden Empfänger war damit klar erkennbar, dass die Absenderin sich hier noch nicht endgültig binden wollte. Ein nicht unterschriebenes Dokument mit vorgesehenem Unterschriftenfeld ist in der Regel nur eine Aufforderung, selbst ein Angebot abzugeben (Invitatio ad offerendum), aber kein bindender Antrag.
Selbst wenn man das ursprüngliche Angebot des Handwerkers als Grundlage nähme, hätte die Bauherrin dieses nicht einfach angenommen. Da sie im Leistungsverzeichnis Positionen gestrichen hatte, galt ihre Antwort rechtlich als Ablehnung des alten Angebots verbunden mit einem neuen Antrag (§ 150 Abs. 2 BGB). Ein Vertrag war also auch auf diesem Weg noch nicht entstanden.
Welche Rolle spielte der Architekt?
Der Handwerksbetrieb versuchte auch, die Rolle des Architekten zu seinen Gunsten zu nutzen. Dessen Einbindung in die Verhandlungen und Terminabstimmungen sollte den Verbraucherschutz angeblich ausschließen. Das Gericht wies dieses Argument entschieden zurück. Es stellte fest, dass der Architekt unstreitig keine rechtsgeschäftliche Vollmacht besaß, um Verträge für die Bauherrin abzuschließen. Er handelte lediglich als Bote oder Vermittler. Seine Handlungen konnten daher nicht der Bauherrin als eigene Willenserklärungen zugerechnet werden. Die Richter stellten zudem klar, dass der weitreichende Schutzzweck des Gesetzes nicht durch vage Kriterien wie die „Einbindung eines Architekten“ ausgehöhlt werden dürfe.
Warum war das späte Bestreiten des Handwerkers unzulässig?
Ein prozessualer Kniff des Handwerkers scheiterte ebenfalls. In der ersten Instanz war unstreitig geblieben, dass die Bauherrin bei Arbeitsbeginn auf der Baustelle anwesend war. Erst im Berufungsverfahren bestritt der Betrieb diese Tatsache plötzlich. Das ließen die Richter nicht zu. Nach der Zivilprozessordnung (§ 531 Abs. 2 ZPO) können neue Tatsachen in der Berufung nur in engen Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Da der Handwerker keinen Grund nennen konnte, warum er diesen Punkt nicht schon früher angesprochen hatte, wurde sein neues Vorbringen als verspätet und unzulässig zurückgewiesen. Die ursprüngliche Behauptung der Bauherrin galt somit als zugestanden.
Wieso war dies kein „Verbraucherbauvertrag“?
Das Gericht prüfte auch, ob spezielle Regelungen für Verbraucherbauverträge anwendbar wären, die andere Rechtsfolgen hätten. Ein Verbraucherbauvertrag im Sinne des § 650i BGB liegt jedoch nur vor, wenn es um den Bau eines völlig neuen Gebäudes oder um erhebliche Umbaumaßnahmen geht, die einem Neubau gleichkommen. Da es hier nur um einzelne Teilgewerke wie Innenputz, Maler- und Trockenbauarbeiten ging, waren diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Es galten daher die allgemeinen Vorschriften über außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge.
Da der Handwerker die Bauherrin nie über ihr Widerrufsrecht belehrt hatte, lief die Widerrufsfrist nicht nur 14 Tage, sondern gemäß § 356 Abs. 3 BGB bis zu einem Jahr und 14 Tage. Der von der Bauherrin erklärte Widerruf war somit fristgerecht und wirksam. Die Folge: Der Vertrag wurde in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt. Nach § 357 Abs. 1 BGB musste der Betrieb die erhaltenen Zahlungen innerhalb von 14 Tagen zurückerstatten. Da er dies nicht tat, wurde er auch zur Zahlung von Verzugszinsen verurteilt.
Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie?
Das Urteil des OLG Frankfurt ist eine wichtige Erinnerung daran, dass der Verbraucherschutz im Handwerk ernst zu nehmen ist und formale Fehler weitreichende Konsequenzen haben können. Es verdeutlicht, dass der tatsächliche Vertragsschluss oft nicht im Schriftverkehr, sondern im Handeln vor Ort liegt.
Checkliste für Bauherren (Verbraucher)
- Achten Sie auf den Ort des Vertragsschlusses: Wenn Sie mit einem Handwerker bei sich zu Hause oder auf Ihrer Baustelle endgültige Vereinbarungen treffen, während dieser anwesend ist, steht Ihnen in der Regel ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu.
- Prüfen Sie die Widerrufsbelehrung: Jeder Unternehmer ist verpflichtet, Sie über dieses Recht schriftlich aufzuklären. Fehlt diese Belehrung oder ist sie fehlerhaft, verlängert sich Ihre Widerrufsfrist auf bis zu 12 Monate und 14 Tage.
- Dokumentieren Sie den Hergang: Halten Sie fest, wann und wo Absprachen getroffen wurden und wer anwesend war. Ein nicht unterschriebener Vertrag, den Sie per E-Mail versenden, ist in der Regel noch kein bindendes Angebot Ihrerseits.
- Handeln Sie bei Unzufriedenheit konsequent: Wenn Sie einen Vertrag widerrufen wollen, tun Sie dies schriftlich und nachweisbar (z. B. per Einschreiben). Ein wirksamer Widerruf verpflichtet den Handwerker zur Rückzahlung bereits geleisteter Beträge.
Checkliste für Handwerksbetriebe (Unternehmer)
- Klären Sie den Vertragsschluss exakt: Verlassen Sie sich nicht auf mündliche Zusagen oder den Beginn der Arbeiten. Sorgen Sie für einen schriftlich und von beiden Seiten unterzeichneten Vertrag, bevor Sie mit der Arbeit beginnen. Dies schafft Rechtssicherheit.
- Belehren Sie Ihre Kunden korrekt: Wenn die Möglichkeit besteht, dass der Vertrag außerhalb Ihrer Geschäftsräume (also z.B. auf der Baustelle) geschlossen wird, müssen Sie den Kunden zwingend und nachweisbar über sein Widerrufsrecht belehren. Verwenden Sie dafür ein rechtssicheres Muster.
- Unterscheiden Sie Auftragsbestätigung und Arbeitsbeginn: Ein Vertrag kann auch durch Ihr Handeln (Arbeitsbeginn) und die Duldung des Kunden zustande kommen. Wenn dies auf der Baustelle geschieht, ist es ein Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen mit allen Konsequenzen.
- Vorsicht bei fehlender Unterschrift: Erhalten Sie einen Vertragsentwurf vom Kunden zurück, der nicht unterschrieben ist, gehen Sie nicht automatisch von einem gültigen Vertrag aus. Fordern Sie eine rechtsgültige Unterschrift an, bevor Sie Material bestellen oder Personal einplanen.
Die Urteilslogik
Der Vertragsabschluss auf der Baustelle löst automatisch besondere Verbraucherschutzrechte aus, deren Missachtung zu weitreichenden finanziellen Verlusten führen kann.
- [Vertragsschluss durch konkludentes Handeln auf dem Grundstück]: Der Beginn der Arbeiten auf dem Grundstück des Verbrauchers stellt ein schlüssiges Angebot dar, welches die anwesende Partei durch bloße Duldung annimmt. Ein solcher Vertragsschluss gilt als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen und unterliegt dem zwingenden Widerrufsrecht.
- [Die verlängerte Widerrufsfrist bei Belehrungsmängeln]: Versäumt der Unternehmer die korrekte und vollständige Belehrung des Verbrauchers über das Widerrufsrecht bei einem Außergeschäftsraum-Vertrag, verlängert sich die Frist automatisch auf maximal zwölf Monate und 14 Tage.
- [Bindungswille durch Unterschrift manifestieren]: Ein zur Unterschrift vorgesehener, aber ununterschriebener Vertragsentwurf signalisiert das Fehlen eines endgültigen Bindungswillens und kann rechtlich nur als Aufforderung zur Abgabe eines Angebots gewertet werden.
Verbraucherschutzgesetze gewährleisten, dass formale Mängel im Vertragsprozess weitreichende finanzielle Konsequenzen für den leistenden Unternehmer nach sich ziehen.
Benötigen Sie Hilfe?
Haben Sie einen Werkvertrag außerhalb von Geschäftsräumen wirksam widerrufen? Kontaktieren Sie uns für eine sachliche rechtliche Ersteinschätzung Ihres Anliegens.
Experten Kommentar
Viele Handwerker glauben, die Unterschrift sei das Wichtigste, aber dieses Urteil zeigt: Auf der Baustelle zählen Taten oft mehr als jedes Dokument. Das OLG Frankfurt zieht eine klare rote Linie: Wer beim Kunden anfängt, obwohl der Vertrag noch nicht final unterschrieben ist, hat die sofortige Pflicht, über das Widerrufsrecht zu belehren. Juristisch reicht die bloße Duldung der Arbeiten durch den Verbraucher auf dem eigenen Grundstück aus, um einen Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume anzunehmen. Vergisst der Betrieb diese Belehrung, riskiert er nicht nur den Werklohn, sondern die komplette Rückzahlung bereits erhaltener Abschlagsleistungen – eine teure Konsequenz der formalen Pflichtvergessenheit.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Habe ich ein Widerrufsrecht für Handwerkerleistungen, die auf meiner Baustelle begonnen wurden?
Ja, in der Regel steht Ihnen ein Widerrufsrecht zu, wenn der Vertrag auf Ihrer Baustelle zustande gekommen ist. Viele Verbraucher glauben, dass nur unterschriebene Verträge gelten. Juristisch entscheidend ist jedoch der Ort des Vertragsschlusses und das Verhalten der Parteien. Beginnt der Handwerker auf Ihrem Grundstück mit der Arbeit und dulden Sie dies, liegt ein Vertrag durch konkludentes Handeln vor.
Dieses Vorgehen erfüllt die Kriterien für einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag gemäß § 312b BGB. Der Handwerker macht durch den tatsächlichen Arbeitsbeginn ein Angebot. Ihre Hinnahme der Tätigkeit auf Ihrem Privatgrundstück wird als Annahme dieses Angebots gewertet. Dieser besondere Verbraucherschutz soll Sie vor übereilten Entscheidungen bewahren, die außerhalb des gewohnten Rahmens getroffen werden. Ab diesem Moment beginnt die gesetzliche 14-tägige Widerrufsfrist zu laufen.
Selbst wenn im Vorfeld E-Mail-Korrespondenz mit Vertragsentwürfen stattfand, kann der bindende Moment erst der Arbeitsbeginn sein. Gerichte stellen klar, dass ein nicht unterschriebener Entwurf meist nur eine unverbindliche Absichtserklärung darstellt. Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte diesen Standpunkt: Die Duldung der Arbeiten durch die anwesende Bauherrin auf der Baustelle war die entscheidende Annahmeerklärung. Die Widerrufsfrist startet demnach erst mit dem tatsächlichen Vertragsschluss vor Ort.
Rufen Sie alle Unterlagen wie Angebote, E-Mails und Bauprotokolle ab, um den exakten Tag des Arbeitsbeginns und Ihre gleichzeitige körperliche Anwesenheit festzustellen.
Muss der Handwerker Abschlagszahlungen zurückzahlen, wenn ich den Werkvertrag widerrufe?
Ja, wenn Sie den Werkvertrag wirksam widerrufen, muss der Handwerker alle geleisteten Abschlagszahlungen vollständig zurückerstatten. Der Widerruf wandelt das Vertragsverhältnis sofort in ein sogenanntes Rückgewährschuldverhältnis um. Dies verpflichtet den Unternehmer zur vollständigen Rückabwicklung aller bisher geleisteten Zahlungen an den Verbraucher.
Die Grundlage für diese klare Pflicht ist § 357 Abs. 1 BGB. Dieser Paragraf bestimmt, dass der Handwerker alle bis zum Widerruf erhaltenen Zahlungen spätestens innerhalb von 14 Tagen an Sie zurückzahlen muss. Er darf die erhaltenen Beträge nicht einfach einbehalten oder mit einer eventuell noch offenen Vergütungsforderung für bereits geleistete Arbeit verrechnen.
Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte dies in einem Fall, in dem ein Handwerksbetrieb 11.600 Euro zurückzahlen musste, weil der Kunde den Vertrag wirksam widerrufen hatte. Hält der Handwerker die gesetzliche Frist von 14 Tagen nicht ein, gerät er automatisch in Verzug. Infolgedessen schuldet er ab dem 15. Tag zusätzlich die Zahlung von Verzugszinsen.
Senden Sie dem Handwerker unverzüglich ein datiertes und nachweisbares Schreiben, in dem Sie die konkrete Rückzahlungssumme unter Berufung auf § 357 Abs. 1 BGB innerhalb der 14-tägigen Frist fordern.
Wie lange kann ich einen Werkvertrag widerrufen, wenn mir die Widerrufsbelehrung fehlt?
Wenn der Handwerker Sie nicht ordnungsgemäß über Ihr gesetzliches Widerrufsrecht aufgeklärt hat, verlängert sich die Widerrufsfrist drastisch. Statt der üblichen 14 Tage erlischt Ihr Widerrufsrecht spätestens nach zwölf Monaten und 14 Tagen, gerechnet ab dem eigentlichen Vertragsschluss. Diese erhebliche Verlängerung schützt Sie als Verbraucher vor übereilten Entscheidungen, insbesondere bei Verträgen, die außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurden.
Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass die 14-tägige Frist erst beginnt, wenn der Verbraucher die juristisch korrekte Widerrufsbelehrung erhalten hat. Bei einer vollständig fehlenden oder fehlerhaften Belehrung kann diese Frist daher nicht zu laufen beginnen. Der Gesetzgeber setzt nach § 356 Abs. 3 BGB dennoch eine absolute zeitliche Obergrenze, um irgendwann Rechtssicherheit für den Unternehmer herzustellen. Nach Ablauf dieses Jahres und 14 Tagen ist das Widerrufsrecht definitiv erloschen.
Dieses verlängerte Zeitfenster erlaubt es Ihnen, auch weit zurückliegende Verträge nachträglich zu beenden. Entscheidend ist, dass die Beweislast für den ordnungsgemäßen Erhalt der Belehrung immer beim Handwerksbetrieb liegt. Prüfen Sie alle E-Mails, Anhänge und Vertragsunterlagen akribisch; ein kurzer Hinweis oder eine fehlerhafte Formulierung sind oft nicht ausreichend. Der Widerruf gilt nur als wirksam, wenn Sie nachweisen können, dass keine rechtsgültige Belehrung über das Recht nach § 312g BGB vorlag.
Suchen Sie alle Vertragsunterlagen, E-Mails und Auftragsbestätigungen der letzten 13 Monate durch und verifizieren Sie, dass kein Dokument die Pflichtbelehrung über das Widerrufsrecht enthielt.
Wann gilt ein Vertrag mit dem Handwerker als geschlossen, auch wenn keine Unterschrift vorliegt?
Die Regel: Ein Werkvertrag kann bindend zustande kommen, selbst wenn kein einziges Dokument unterschrieben wurde. Entscheidend ist oft das tatsächliche Verhalten beider Parteien. Beginnt der Handwerker auf Ihrer Baustelle mit den Arbeiten und Sie dulden oder akzeptieren dies, gilt der Vertrag als geschlossen. Dieses konkludente Handeln ersetzt die fehlende Unterschrift und erzeugt die sofortige Vertragsbindung.
Der Vertragsschluss erfordert juristisch lediglich übereinstimmende Willenserklärungen in Form von Angebot und Annahme. War der vorherige Schriftverkehr, etwa über E-Mails oder Entwürfe, unklar oder unverbindlich, kann das Erscheinen des Handwerkers und der Start der Arbeiten auf Ihrem Privatgrundstück als neues Angebot an Sie gewertet werden. Ihre bewusste oder unbewusste Duldung dieser Tätigkeit dient dann als Annahme dieses neuen Angebots.
Nehmen wir an: Sie senden dem Handwerker einen Vertragsentwurf ohne Ihre Unterschrift zurück, weil Sie sich Bedenkzeit sichern wollten. Dieser Entwurf stellt in der Regel nur eine unverbindliche Aufforderung an den Handwerker dar, seinerseits ein Angebot abzugeben. Beginnt der Betrieb trotzdem unerwartet mit den Aushubarbeiten, wertet ein Gericht diesen Arbeitsbeginn als neues Angebot. Weil Sie nicht sofort protestieren und die Baustelle räumen lassen, haben Sie das Angebot durch Duldung angenommen und sind vertraglich gebunden.
Wenn Sie noch keinen bindenden Vertrag wünschen, müssen Sie den Arbeitsbeginn des Handwerkers auf Ihrem Grundstück sofort und unmissverständlich unterbinden.
Was muss ich als Handwerker beachten, um das Widerrufsrisiko auf der Baustelle zu vermeiden?
Um Forderungsausfälle und die Rückzahlung geleisteter Abschlagszahlungen zu verhindern, müssen Handwerksbetriebe den Ort des Vertragsschlusses genau steuern. Nur wenn Sie den Vertrag in Ihren Geschäftsräumen abschließen, vermeiden Sie das Widerrufsrisiko vollständig. Erfolgt der Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume, benötigen Sie zwingend einen beidseitig unterzeichneten Vertrag und eine juristisch korrekte Widerrufsbelehrung.
Die Regel: Ein Vertrag gilt juristisch oft erst dann als geschlossen, wenn Ihre Mitarbeiter auf der Baustelle erscheinen und der Kunde die Arbeiten duldet. Gerichte werten dies als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, wodurch das gesetzliche Widerrufsrecht ausgelöst wird. Implementieren Sie deshalb einen strikten Prozess: Sichern Sie immer einen schriftlichen, von beiden Seiten unterzeichneten Vertrag, bevor Material bestellt oder mit der Tätigkeit begonnen wird. Dies verhindert, dass Ihr Arbeitsbeginn selbst zum Vertragsangebot wird.
Sollte der Vertragsschluss dennoch auf der Baustelle stattfinden, ist die nachweisbare Aushändigung der Widerrufsbelehrung unabdingbar. Fehlt diese Pflichtbelehrung, verlängert sich die Frist, in der der Kunde widerrufen kann, von 14 Tagen auf bis zu 1 Jahr und 14 Tage. Die finanzielle Gefahr zeigte das OLG Frankfurt, als ein Betrieb 11.600 Euro Abschlagszahlungen zurückzahlen musste. Gehen Sie außerdem bei nicht unterschriebenen Entwürfen des Kunden nicht automatisch von einem gültigen Auftrag aus.
Stellen Sie sicher, dass kein Mitarbeiter mit den Arbeiten beginnt, bevor die digitale oder physische Bestätigung des Kunden über den Erhalt der Widerrufsbelehrung vorliegt.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag
Ein Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag liegt immer dann vor, wenn Verbraucher und Unternehmer den Vertrag bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit an einem Ort schließen, der nicht zu den gewerblichen Räumen des Unternehmers zählt, beispielsweise auf einer Baustelle. Dieses Schutzrecht soll Privatpersonen davor bewahren, unter dem Eindruck einer unerwarteten Verkaufssituation vorschnell zuzustimmen, weshalb das Gesetz hier ein besonderes Widerrufsrecht einräumt.
Beispiel: Im aktuellen Fall urteilte das OLG Frankfurt, dass der Vertrag durch den Arbeitsbeginn auf dem Grundstück der Bauherrin als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen galt, wodurch das 14-tägige Widerrufsrecht ausgelöst wurde.
Invitatio ad offerendum
Juristen bezeichnen eine Invitatio ad offerendum (wörtlich: Einladung zur Abgabe eines Angebots) als eine unverbindliche Aufforderung an eine andere Partei, ihrerseits einen rechtlich bindenden Antrag zu stellen. Sie dient der Abgrenzung von einem echten Antrag und zeigt, dass der Absender sich noch nicht endgültig binden möchte, was ihm eine rechtliche Rückfallposition sichert.
Beispiel: Der Handwerker konnte nicht argumentieren, der per E-Mail versandte, nicht unterschriebene Entwurf der Bauherrin sei ein Angebot gewesen; er stellte lediglich eine unverbindliche Invitatio ad offerendum dar.
Konkludentes Handeln
Konkludentes Handeln beschreibt die Situation, in der eine Willenserklärung nicht ausdrücklich mündlich oder schriftlich erfolgt, sondern durch das schlüssige Verhalten der Beteiligten einen Vertrag zustande bringt. Dieses juristische Prinzip ermöglicht es, dass auch im Alltag gebräuchliche, stillschweigende Vereinbarungen rechtswirksam sind, solange das Verhalten klar auf einen Vertragswillen schließen lässt.
Beispiel: Das Gericht wertete den Arbeitsbeginn des Handwerkers auf der Baustelle und die Duldung dieser Tätigkeit durch die Bauherrin als konkludentes Handeln, welches den Werkvertrag gültig begründete.
Neues Vorbringen im Berufungsverfahren
Als Neues Vorbringen im Berufungsverfahren gilt die Einführung neuer Tatsachen oder Beweismittel in der zweiten Instanz, die bereits im ersten Verfahren hätten vorgebracht werden können. Nach § 531 Abs. 2 ZPO lässt das Gericht dies nur in engen Ausnahmefällen zu, da das Gesetz die Prozessökonomie und die Konzentration des Sachvortrags auf die erste Instanz fördern soll.
Beispiel: Das späte Bestreiten der Anwesenheit der Bauherrin durch den Handwerker wurde vom OLG Frankfurt als unzulässiges Neues Vorbringen im Berufungsverfahren zurückgewiesen, da der Handwerker keine ausreichende Entschuldigung für die Verspätung liefern konnte.
Rückgewährschuldverhältnis
Ein Rückgewährschuldverhältnis entsteht unmittelbar nach einem wirksamen Widerruf und verpflichtet beide Vertragsparteien, die bereits erhaltenen Leistungen zurückzugeben, wodurch der Vertrag rückabgewickelt wird. Der Zweck dieser gesetzlichen Folge (geregelt in § 357 BGB) ist die vollständige Wiederherstellung des Zustands, als wäre der Vertrag nie geschlossen worden.
Beispiel: Nach dem wirksamen Widerruf der Bauherrin musste der Handwerksbetrieb gemäß dem Rückgewährschuldverhältnis die erhaltenen Abschlagszahlungen von 11.600 Euro innerhalb von 14 Tagen zurückzahlen.
Verbraucherbauvertrag
Ein Verbraucherbauvertrag ist ein spezieller Werkvertrag, der den Bau eines neuen Gebäudes oder einen erheblichen Umbau regelt, der in seiner Komplexität einem Neubau gleichkommt. Für diesen Vertragstypus gelten gesonderte Schutzvorschriften (§ 650i BGB), die Bauherren beispielsweise ein Recht auf detaillierte Baubeschreibungen und feste Fertigstellungsfristen einräumen.
Beispiel: Da es im vorliegenden Fall lediglich um einzelne Teilgewerke wie Innenputz-, Maler- und Trockenbauarbeiten ging, waren die strengeren Anforderungen an einen Verbraucherbauvertrag nicht erfüllt.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 29 U 38/24 – Urteil vom 23.05.2025
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





