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Wiedereinsetzung – Vorkehrungen einer Privatperson bei längerer Abwesenheit

LG Osnabrück – Az.: 2 S 531/11 – Urteil vom 07.03.2012

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Meppen vom 28.11.2011 wird aufgehoben.

2. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Aschersleben vom 07.09.2011, 11-1472399-0-4, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

3. Die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Aschersleben vom 07.09.2011 wird gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 5.000,00 einstweilen eingestellt.

4. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Entscheidung über den Einspruch an das Amtsgericht Meppen zurückverwiesen.

5. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung des Amtsgerichtsvorbehalten.

Gründe

I.

Der Kläger erwirkte am 07.09.2011 den Erlass eines Vollstreckungsbescheids gegen den Beklagten, nachdem zuvor dem Beklagten am 23.08.2011 der Mahnbescheid durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt worden war. Der Vollstreckungsbescheid wurde dem Beklagten am 09.09.2011 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt.

Der Beklagte legte am 03.11.2011 durch seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Vollstreckungsbescheid Einspruch ein und beantragte, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren.

Der Beklagte hat hierzu geltend gemacht, dass er von Beruf Kapitän sei. Er habe sich vom 16.07.2011 bis 21.10.2011 für seinen Arbeitgeber, die Reederei Transeste Schifffahrt GmbH mit dem Seeschiff „Ulf Ritscher“ auf hoher See befunden. Erst nach seiner Rückkehr, am Samstag, den 22.10.2011 habe er den Vollstreckungsbescheid vorgefunden.

Das Amtsgericht Meppen hat mit Beschluss vom 28.11.2011 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Beklagte es unterlassen habe, für die Zeit seiner Abwesenheit dafür Sorge zu tragen, dass ihn Zustellungen erreichen. Hierzu sei der Beklagte aber verpflichtet gewesen.

Gegen den Beschluss hat der Beklagte am 08.12.2011 sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten war nach dem Meistbegünstigungsprinzip als Berufung auszulegen.

Das Amtsgericht Meppen hätte gem. § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Urteil und nicht durch Beschluss entscheiden müssen. Nach § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO sind auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags und auf die Anfechtung der Entscheidung die Vorschriften anzuwenden, die für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Dies gilt auch dann, wenn isoliert über das Wiedereinsetzungsgesuch entschieden wird (vgl. BGH MDR 2008, 161). Nach § 341 Abs. 2 ZPO ist über die Zulässigkeit des Einspruchs zwingend durch Urteil zu entscheiden und zwar auch dann, wenn eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht.

Die Berufung des Beklagten ist begründet.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgte fristgerecht, § 234 ZPO. Der Beklagte erhielt am 22.10.2011 davon Kenntnis, dass er die Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid versäumt hatte. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ging am 03.11.2011 beim Amtsgericht Aschersleben und damit innerhalb der Zweiwochenfrist ein.

Der Antrag ist auch begründet. Dem Beklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Beklagte war ohne sein Verschulden verhindert, die zweiwöchige Notfrist zur Einlegung des Einspruchs gegen den am 09.09.2011 zugestellten Vollstreckungsbescheid einzuhalten, § 233 ZPO.

Der Beklagte hat glaubhaft gemacht, dass er in der Zeit vom 16.07.2011 bis 22.10.2011 ortsabwesend war, so dass er weder von der Zustellung des Mahnbescheids noch von der Zustellung des Vollstreckungsbescheides Kenntnis erlangen konnte.

Es ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen, dass er für die Zeit seiner Abwesenheit keine Vorkehrungen getroffen hat, dass ihn gerichtliche Zustellungen erreichen.

Grundsätzlich hat kein Staatsbürger die Pflicht, für jede vorübergehende Abwesenheit von seiner ständigen Wohnung besondere Vorkehrungen zu treffen, damit gerichtliche Zustellungen ihn auch erreichen, denn der Betroffene darf damit rechnen, dass ihm bei Frist- oder Terminsversäumnissen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder anderweitig eine nachträgliche Möglichkeit zu rechtlichem Gehör gewährt wird (vgl. OLG Braunschweig, MDR 1997, 884; BGH NJW 1986, 2958; BVerfG NJW 1993, 847; BVerfG NJW 2007, 3486).

Die Abwesenheit des Beklagten über einen Zeitraum von drei Monaten war noch vorübergehend.

Es ist nicht definiert, ab welcher Abwesenheitsdauer eine „vorübergehende“ Abwesenheit nicht mehr angenommen werden kann. Berücksichtigt man jedoch, dass es sich um eine Abwesenheit von der „ständigen Wohnung“ handeln muss, ist nach Auffassung der Kammer die „vorübergehende Abwesenheit“ allenfalls dann überschritten, wenn man aufgrund der Abwesenheit unter objektiven Gesichtspunkten nicht mehr davon ausgehen kann, dass es sich um die „ständige Wohnung“ handelt. Für eine solche Annahme reicht eine Abwesenheit von drei Monaten aber nicht aus.

Es mag zweckmäßig sein, dass man bei einer Abwesenheit von drei Monaten eine Vertrauensperson damit beauftragt, die Post zu prüfen und sie ggf. bevollmächtigt, die notwendigen Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Pflichten des Abwesenden zu ergreifen. Wer dies unterlässt, handelt aber noch nicht vorwerfbar und schuldhaft im Hinblick auf die Versäumung von Fristen, mit denen er nicht zu rechnen brauchte (vgl. BGH NJW 1986, 2958).

Würde man demgegenüber die Frage des Verschuldens an den konkreten Zeitraum der Abwesenheit knüpfen, würde dies – jedenfalls in Zivilsachen – in der Konsequenz bedeuten, dass jeder, der bereits länger als 4 Wochen ortsabwesend ist, entsprechende besondere Vorkehrungen im Hinblick auf gerichtliche Zustellungen zu treffen hat und zwar unabhängig davon, ob solche wahrscheinlich zu erwarten sind oder nicht. Denn der kürzeste Zeitraum bis zu einem rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid beträgt knapp 5 Wochen (wie auch im vorliegenden Fall). Es würde jedoch die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Einzelnen überspannen und den ersten Zugang zum Gericht in nicht zu rechtfertigender Weise erschweren, wenn man auch in Fällen, in denen nicht mit gerichtlichen Zustellungen gerechnet werden muss, von Privatpersonen, die länger als 4 Wochen ortsabwesend sind, verlangt, besondere – ggf. auch kostenintensive – Vorkehrungen im Hinblick auf etwaige gerichtliche Zustellungen zu treffen, von denen nicht einmal feststeht, dass sie erfolgen werden. Denn das Treffen besonderer Vorkehrungen würde bspw. bei Personen, die alleinstehend sind und keine Vertrauensperson in ihrem näheren örtlichen Umfeld haben, bedeuten, dass sie einen Rechtsanwalt beauftragen müssten, damit dieser etwaige gerichtliche Zustellungen für sie prüft. Dies zu verlangen, würde jedoch eine erhebliche – auch finanzielle – Belastung für eine Privatperson bedeuten und den „ersten Zugang“ zum Gericht in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertiger Weise erschweren (vgl. BVerfG, NJW 1976, 1537; BVerfG NJW 1993, 847). Eine solche Belastung des Betroffenen würde auch in keinem angemessenen Verhältnis zu einer etwaigen Rechtsunsicherheit eines Gläubigers stehen, die dadurch bedingt sein kann, dass aufgrund der Möglichkeit der Wiedereinsetzung auch nach Ablauf der Einspruchsfrist für den Gläubiger nicht mit letzter Sicherheit feststeht, ob er einen rechtskräftigen Titel in Händen hält.

Es ist ferner zu berücksichtigen, dass bei Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid für den Betroffenen die Verwirklichung sowohl der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG als auch seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG davon abhängt, dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Dieses Rechtsinstitut dient damit unmittelbar der Gewährleistung verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzes. Deshalb dürfen bei der Anwendung und Auslegung der die Wiedereinsetzung regelnde § 233 ZPO die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, NJW 1976, 1537).

Der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Frage, ob Vorkehrungen zu treffen sind, sollte sich daher nicht in an der Dauer der Abwesenheit orientieren, sondern daran, ob mit Zustellungen zu rechnen ist (vgl. BGH a.a.O; OLG Braunschweig a.a.O.; BVerfG, NJW 1993, 847). Muss mit gerichtlichen Zustellungen gerechnet werden, ist es auch einer Privatperson zuzumuten, entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen.

Vorliegend musste der Beklagte jedoch nicht mit einer gerichtlichen Zustellung rechnen. Die Klägerin hatte dem Beklagten eine Rechnung über einen Betrag von € 4.200,70 übermittelt. Der Beklagte teilte darauf hin der Klägerin mit Email vom 08.04.2011 mit, dass er die von der Klägerin geltend gemachten Kosten nicht tragen werde. Hierauf forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 05.05.2011 unter Fristsetzung zum 15.05.2011 nochmals zur Zahlung auf. Weitere gerichtliche Schritte wurden in dem Schreiben nicht angedroht. Der Beklagte teilte daraufhin der Klägerin erneut – telefonisch – mit, dass der geltend gemachte Anspruch nicht bestehe.

Bis zur Abreise des Beklagten am 15.07.2011 erfolgten keine weiteren Schreiben oder Zahlungsaufforderungen der Klägerin.

Bei einer solchen Sachlage musste der Beklagte nicht damit rechnen, dass gerichtliche Schritte – die die Klägerin zuvor nicht einmal angekündigt hatte – von der Klägerin während seiner Urlaubsabwesenheit eingeleitet werden. Zum Zeitpunkt der Abreise des Beklagten im Juli 2011 war in keiner Weise für ihn zu erkennen, ob die Klägerin an ihrer Forderung festhält und dass gerichtliche Schritte der Klägerin kurz bevor stehen. Immerhin lagen zwischen dem Aufforderungsschreiben und der Abreise zwei Monate, in denen die Klägerin Gelegenheit gehabt hätte, ihre Forderung gerichtlich geltend zu machen. Zwar konnte der Beklagte umgekehrt auch nicht sicher davon ausgehen, dass die Klägerin ihre Forderung fallen gelassen hätte. Hieraus kann ihm jedoch kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. Ein Schuldner muss nicht erst positiv Kenntnis davon haben, dass ein Gläubiger eine Forderung nicht mehr geltend macht, um davon Abstand nehmen zu können, besondere Vorkehrungen für den Fall seiner Abwesenheit treffen zu müssen.

Die Entscheidung über die Kosten ist gem. § 238 Abs. 4 ZPO der Endentscheidung vorbehalten.

Gem. §§ 707, 719 ZPO war die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid einstweilen gegen Sicherheitsleistung einzustellen.

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