BGH – Az.: XII ZB 200/20 – Beschluss vom 25.11.2020
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2020 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 wird der Beschluss des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. April 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 4.499 EUR
Gründe:
I.
Die Beklagte zu 1 wendet sich gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
Die Klägerin hat die Beklagte zu 1 auf Herausgabe von gemieteten Räumlichkeiten in Anspruch genommen und die Zahlung rückständiger Miete sowie von Nutzungsersatz begehrt. Zudem hat sie beantragt, die Beklagten zu 1 und 2 zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Nachdem die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich des Räumungs- und Herausgabeanspruchs einseitig für erledigt erklärt hatte, hat das Landgericht mit Urteil vom 3. Dezember 2019 festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in diesem Umfang in Bezug auf die Beklagte zu 1 erledigt hat. Darüber hinaus hat das Landgericht die Beklagte zu 1 antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin insgesamt 4.499,36 EUR nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen das ihr am 3. Dezember 2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte zu 1 fristgerecht Berufung eingelegt. Auf Antrag der Beklagten zu 1 hat das Oberlandesgericht die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 3. März 2020 verlängert.
Mit Verfügung vom 11. März 2020 hat das Oberlandesgericht die Beklagte zu 1 darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei, weshalb das Gericht beabsichtige, die Berufung zu verwerfen. Mit einem am 27. März 2020 eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 25. März 2020, dem eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten G. vom 25. März 2020 beigefügt war, hat die Beklagte zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und eine auf den 26. Februar 2020 datierte Berufungsbegründungschrift vorgelegt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 vorgetragen, dass er die Berufungsbegründung am 23. und 24. Februar 2020 diktiert habe und der Schriftsatz von der Rechtsanwaltsfachangestellten G. am 26. Februar 2020 nach Diktat geschrieben und ihm vor der Mittagspause des 26. Februar 2020 zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Nach Überprüfung habe er den Schriftsatz unterschrieben. Die Rechtsanwaltsfachangestellte G., die seit Jahren fehlerfrei für den Postausgang zuständig sei, habe den Schriftsatz vom 26. Februar 2020 nebst Anlagen einkuvertiert und ausreichend frankiert. Mit der übrigen Ausgangspost habe Frau G. diese Sendung nach Dienstschluss in den Briefkasten der Deutschen Post AG eingeworfen. Der Brief sei nicht in den postalischen Rücklauf geraten.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte zu 1 in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 – XII ZB 565/16 – FamRZ 2018, 841 Rn. 6 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet, weil die Beklagte zu 1 nicht dargelegt und glaubhaft gemacht habe, dass sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der verlängerten Berufungsbegründungfrist verhindert gewesen sei.
Die Schilderungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 sowie der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung seiner Kanzleimitarbeiterin genügten nicht für die Annahme, dass der Verlust des Berufungsbegründungsschriftsatzes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 eingetreten sei. Es fehle an einer lückenlosen Darstellung des Weges von der Unterzeichnung, dem Kuvertieren und Frankieren bis hin schließlich zur Aufgabe der Berufungsbegründungsschrift zur Post. Der Verbleib der fertiggestellten Postsendung bis zum Einwurf in den Postbriefkasten, der am Abend desselben Tages erfolgt sein solle, ergebe sich aus den Schilderungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 nicht und lasse sich auch den eidesstattlich versicherten Angaben seiner Kanzleimitarbeiterin nicht entnehmen. Die Mitarbeiterin habe lediglich angegeben, dass sie nach Dienstschluss um 18.00 Uhr die gesamte Ausgangspost des Tages in den Postbriefkasten am Hauptbahnhof eingeworfen habe. Ob die Postsendung mit der Berufungsbegründungsschrift sich darunter befunden habe, habe sie nicht bestätigt und könne auch nicht ohne weiteres angenommen werden, zumal Anfertigung und Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift noch vor der Mittagspause erfolgt sein sollten und bis zum Einwurf der Ausgangspost am Abend ein nicht unerheblicher Zeitraum gelegen habe. Ohne weiteren Vortrag zum zeitlichen Ablauf und zur Gestaltung einer erforderlichen Postausgangskontrolle lasse sich ein Verlust innerhalb des Verantwortungsbereichs des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 nicht ausschließen.
Ein entsprechender Hinweis nach § 139 ZPO sei nicht geboten gewesen. Eine anwaltlich vertretene Partei sei nicht allgemein auf die nicht ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsantrags hinzuweisen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stelle, seien bekannt und müssten einem Rechtsanwalt geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trage, gebe dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären oder zu füllen seien, sondern erlaube den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt hätten.
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Im Ansatz zu Recht geht das Oberlandesgericht allerdings davon aus, dass in Fällen, in denen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener Schriftsatz sei auf dem Postweg abhanden gekommen, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann zu gewähren ist, wenn die Prozesspartei auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich seines Prozessbevollmächtigten eingetreten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 356/17 – FamRZ 2018, 447 Rn. 14 mwN; BGH Beschluss vom 28. April 2020 – VIII ZB 12/19 – NJW-RR 2020, 818 Rn. 15 mwN). Denn die Partei kann den Verlust des Schriftstücks auf dem Postweg regelmäßig nicht anders glaubhaft machen als durch die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post, die als letztes Stück des Übermittlungsgeschehens noch seiner Wahrnehmung zugänglich ist. Eine Glaubhaftmachung, wo und auf welche Weise es zum Verlust des Schriftstücks gekommen ist, ist hingegen nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 356/17 – FamRZ 2018, 447 Rn. 14 mwN). Die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen muss die Partei im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO vortragen und glaubhaft machen (BGH Beschluss vom 23. Januar 2019 – VII ZB 43/18 – NJW-RR 2019, 500 Rn. 11).
Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass es auf die organisatorische Sicherstellung einer wirksamen Ausgangskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 dann nicht ankäme, wenn – wie hier schon in der eidesstattlichen Versicherung vom 25. März 2020 – ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht worden wäre, dass die Berufungsbegründungsschrift tatsächlich am Abend des 26. Februar 2020 von der Kanzleimitarbeiterin zum Postversand gebracht worden ist. Denn in diesem Fall wäre eine unzureichende Gestaltung der Postausgangskontrolle für die Fristversäumung nicht ursächlich und eine Verzögerung im Bereich der Post, mit der nicht zu rechnen gewesen wäre, müssten sich die Beklagte zu 1 und ihr Prozessbevollmächtigter nicht zurechnen lassen (vgl. BGH Beschluss vom 11. Juli 2017 – VIII ZB 20/17 – Rn. 9 mwN).
bb) Soweit das Oberlandesgericht der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten G. keine hinreichende Glaubhaftmachung für Fertigung und Absendung einer Berufungsbegründungsschrift am 26. Februar 2020 entnommen hat, hält dies den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Die Entscheidung verstößt insoweit gegen die Verfahrensgrundrechte der Beklagten zu 1 auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör.
Die Entscheidung kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil das Oberlandesgericht der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten G. keinen Glauben geschenkt hat, ohne der Beklagten zu 1 Gelegenheit zu entsprechendem Beweisantritt zu geben. Will das Beschwerdegericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken, muss es den Antragsteller darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (Senatsbeschluss vom 24. Februar 2010 – XII ZB 129/09 – FamRZ 2010, 726 Rn. 10 mwN).
Unabhängig davon hätte das das Oberlandesgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der Kanzleiangestellten als Zeugin zu den darin genannten Tatsachen liegt (Senatsbeschluss vom 11. November 2009 – XII ZB 174/08 – FamRZ 2010, 122 f. mwN). Dann liefe die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne die vorherige Vernehmung der Zeugin auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus (Senatsbeschluss vom 24. Februar 2010 – XII ZB 129/09 – FamRZ 2010, 726 Rn. 11 mwN).
. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die Frage der Glaubhaftmachung einer im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO unverschuldeten Versäumung der Berufungsbegründungsfrist – gegebenenfalls unter Vernehmung der Kanzleiangestellten G. – neu zu prüfen haben.