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Willkürentscheidung – Abweichung von der herrschenden Meinung

BayObLG – Az.: 102 AR 151/21 – Beschluss vom 18.11.2021

Örtlich zuständig ist das Landgericht Nürnberg-Fürth.

Gründe

I.

Die im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth wohnhafte Klägerin macht mit ihrer zu diesem Gericht erhobenen Klage vom 19. Mai 2021 gegen die im Bezirk des Landgerichts Braunschweig ansässige Beklagte Ansprüche aus § 826 BGB, § 311 Abs. 3 i. V. m. § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sowie i. V. m. § 263 StGB auf Ersatz des Schadens geltend, der ihr aus einem im Jahr 2017 vorgenommenen Kauf eines Gebrauchtwagens von einem in Zossen im Bezirk des Landgerichts Potsdam ansässigen Händler entstanden sei.

Willkürentscheidung - Abweichung von der herrschenden Meinung
(Symbolfoto: Bartolomiej Pietrzyk/Shutterstock.com)

Zur Klagebegründung hat sie vorgetragen, dass in dem Fahrzeug ein Motor der Baureihe EA189 eingebaut sei, der von Manipulationen an der Motorsteuersoftware durch eine unzulässige Abschaltvorrichtung betroffen sei. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth ergebe sich aus § 32 ZPO. Nach dem – von der Klägerin in Auszügen zitierten – Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19 sei bei einem Anspruch aus § 826 BGB der Wohnsitz des Geschädigten als allgemeiner Sitz des Vermögens und somit Erfolgsort des § 826 BGB anzusehen.

Das Landgericht hat in seiner Eingangsverfügung vom 20. Juli 2021 unter Hinweis auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm auf Bedenken hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit hingewiesen. Der alleinige Umstand, dass die Klagepartei ihren Wohnsitz zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags im hiesigen Zuständigkeitsbereich gehabt habe, führe nicht automatisch zur Annahme der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Soweit sich der Ort der behaupteten Verletzungshandlung (Täuschung bei Vertragsschluss) außerhalb des hiesigen Gerichtsbezirks befinde, komme es für die Frage der örtlichen Zuständigkeit vielmehr darauf an, wo die Erfüllungshandlungen im Sinne des § 362 BGB vorgenommen worden seien. Beim Barkauf sei der Erfüllungsort der Ort, an dem das Bargeld weggegeben werde. Nach dem bisherigen Vortrag der Klägerin sei anzunehmen, dass sich der Erfolgsort in Zossen (Brandenburg) befinde, zumal Barzahlung bei Abholung vereinbart worden sei. Es ist eine Stellungnahmefrist von 4 Wochen gesetzt worden.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 21. Juli 2021, bei Gericht eingegangen am 22. Juli 2021, unter Hinweis auf einen Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20 den Ausführungen zur Zuständigkeit widersprochen.

Das angerufene Gericht sei gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, denn ein Gerichtsstand sei auch dort begründet, wo der Vermögensschaden eingetreten sei, was vorliegend am Wohnsitz der Klagepartei der Fall sei. Sie habe durch Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit ihr gesamtes Vermögen dem Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung ausgesetzt. Wo und wie der Kaufpreis bezahlt worden sei, sei dagegen nicht entscheidend, da die Begleichung des Kaufpreises den Schaden nur perpetuiert habe. Soweit das Gericht seiner Auffassung nicht folgen sollte, werde beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam zu verweisen.

Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 23. Juli 2021 hat sich das Landgericht Nürnberg-Fürth für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam verwiesen. Die Beklagte habe ihren allgemeinen Gerichtsstand in Braunschweig, nicht im hiesigen Zuständigkeitsbereich. Das Landgericht Nürnberg-Fürth wäre ferner zuständig, wenn der Kaufvertrag im hiesigen Zuständigkeitsbereich geschlossen worden wäre, was nicht der Fall sei. Der alleinige Umstand, dass die Klagepartei den Wohnsitz zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags im hiesigen Zuständigkeitsbereich gehabt habe, führe nicht automatisch zur Annahme der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Soweit sich der Ort der behaupteten Verletzungshandlung (Täuschung bei Vertragsschluss) außerhalb des hiesigen Gerichtsbezirks befinde, komme es für die Frage der örtlichen Zuständigkeit vielmehr darauf an, wo die Erfüllungshandlungen im Sinne des § 362 BGB vorgenommen worden seien (OLG Hamm, NJW-RR 2019, 186). Beim Barkauf sei der Erfüllungsort der Ort, an dem das Bargeld weggegeben werde (OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2019, 32 SA 29/19). Nach dem Vortrag der Klägerin sei anzunehmen, dass sich der Erfolgsort in Zossen (Ort der Barzahlung) befinde, nicht aber im hiesigen Zuständigkeitsbereich. Etwas anderes ergebe sich vorliegend auch nicht aus der klägerseits zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, da es dort um den Fall einer Überweisung, nicht jedoch um eine Barzahlung gegangen sei.

Das Landgericht Potsdam hat sich seinerseits mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 6. September 2021 für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Seine Zuständigkeit ergebe sich insbesondere nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth, da dieser grob rechtsfehlerhaft sei. Das Landgericht Nürnberg-Fürth sei nach § 32 ZPO örtlich zuständig, da der Schädigungserfolg der von der Klägerin geltend gemachten deliktischen Handlung am Belegenheitsort ihres Vermögens eingetreten sei, der regelmäßig am Wohnsitz zu verorten sei. Es sei nicht nur der Handlungsort, sondern auch der Erfolgsort maßgeblich. Hier sei der Vermögensschaden in Gestalt des täuschungsbedingt nicht gewollten Vertrags am Belegenheitsort des Vermögens eingetreten. Das Landgericht Nürnberg-Fürth vermenge insoweit die Frage des Zeitpunkts des Schadenseintritts in rechtlich nicht vertretbarer Weise mit dem Ort des Schadenseintritts. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Fahrzeugkäufer sein abstrakt gesamtes Vermögen bei einem Vertragsschluss bei sich habe. Darauf, ob der Kaufpreis in bar oder per Überweisung gezahlt werde, komme es nicht an. Die vom Landgericht Nürnberg-Fürth vorgenommene Gleichsetzung der schadensbegründenden Vermögensverfügung mit dem Eintritt des Vermögensschadens entbehre jeder zivilprozessualen Grundlage und sei damit willkürlich, wie das Brandenburgische Oberlandesgericht in einem vergleichbaren Fall festgestellt habe.

Die Parteien, denen mit Verfügung vom 10. September 2021 Gelegenheit zur Äußerung bis 15. Oktober 2021 gewährt worden ist, haben keine Stellungnahme mehr abgegeben.

II.

Auf die zulässige Vorlage ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth auszusprechen.

1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der (örtlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.

a) Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat sich nach Rechtshängigkeit der Streitsache durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 23. Juli 2021 für unzuständig erklärt, das Landgericht Potsdam durch Beschluss vom 6. September 2021. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35). Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht Potsdam den Parteien vor seiner Entscheidung kein rechtliches Gehör gewährt hat, denn es hat seine Entscheidung den Parteien zumindest nachträglich bekannt gemacht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20. August 2021, 102 AR 121/21 m. w. N.).

b) Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Oberlandesgerichte (Oberlandesgericht Nürnberg und Brandenburgisches Oberlandesgericht) gehören, so dass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.

2. Örtlich zuständig ist das Landgericht Nürnberg-Fürth. Dessen Verweisungsbeschluss entfaltet ausnahmsweise keine Bindungswirkung.

a) Bei dem von der Klägerin gemäß § 35 ZPO gewählten Landgericht Nürnberg-Fürth ist der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung aus § 32 ZPO eröffnet.

aa) Zur Begründung des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO ist es ausreichend, dass die Klagepartei schlüssig Tatsachen behauptet, die – ihre Richtigkeit unterstellt – bei zutreffender rechtlicher Würdigung die Tatbestandsmerkmale einer Deliktsnorm erfüllen (BGH, Urt. v. 5. Mai 2011, IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 Rn. 16; Urt. v. 29. Juni 2010, VI ZR 122/09, NJW-RR 2010, 1554 Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20,; Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20; Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 22 m. w. N.). Dies ist hier der Fall, soweit sich die Klage auf eine behauptete sittenwidrige Schädigung i. S. d. § 826 BGB stützt.

bb) Der Ort, an dem im Sinne des § 32 ZPO eine unerlaubte Handlung begangen ist (Begehungsort), ist sowohl dort, wo eine der Verletzungshandlungen begangen wurde (Handlungsort), als auch dort, wo in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort), sowie, wenn – wie vorliegend bei der Anspruchsgrundlage des § 826 BGB – der Schadenseintritt selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehört, der Ort des Schadenseintritts (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018, X ARZ 321/18, NJW-RR 2019, 238 Rn. 18; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20; BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19; Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 19; Toussaint in BeckOK ZPO, 42. Ed. Stand: 1. September 2021, § 32 Rn. 13; Bendtsen in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 32 Rn. 15). Bei mehreren Begehungsorten hat die Klagepartei grundsätzlich gemäß § 35 ZPO die Möglichkeit der Wahl zwischen den einzelnen Gerichtsständen (Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 21).

(1) Der behauptete Schaden im Sinne des § 826 BGB liegt bereits in der Belastung mit einer Verbindlichkeit durch den Abschluss des Kaufvertrags über den streitgegenständlichen Gebrauchtwagen, den die Klagepartei nach ihrem Vorbringen in Kenntnis des Vorliegens einer – hier unterstellten – unzulässigen Abschaltvorrichtung nicht getätigt hätte (vgl. BGH, Urt. v. 27. Juli 2021, VI ZR 151/20; Urt. v. 30. Juli 2020, VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 16; Urt. v. 30. Juli 2020, VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 21; Urt. v. 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44, 46 f.; Urt. v. 28. Oktober 2014, VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19; Urt. v. 19. November 2013, VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 28). Durch die „ungewollt“ eingegangene Verbindlichkeit hat sich die Klägerin mit ihrem ganzen Vermögen dem Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung ausgesetzt. Nach dessen Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort (vgl. BGH, Urt. v. 27. Juli 2021, VI ZR 151/20).

(2) Der Ort des Schadenseintritts liegt deshalb regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Geschädigten, wenn sich der Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes richtet (vgl. BGH NJW-RR 2019, 238 Rn. 18 – für Schäden aus verbotenen Kartellabsprachen; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19 m. w. N.). Um einen solchen Eingriff in das Vermögen als Ganzes handelt es sich, wenn der Schaden, wie hier, bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung liegt. Wo und wie der Kaufpreis in einem solchen Fall bezahlt wurde, ist dagegen nicht entscheidend, da die Begleichung der Entgeltforderung den bereits mit Vertragsschluss verwirklichten Schaden nur perpetuiert (vgl. BGH, Urt. v. 19. Oktober 2021, VI ZR 28/20, Rn. 24; Urt. v. 27. Juli 2021, VI ZR 151/20; OLG Rostock, Beschluss vom 28. September 2021, 1 UH 9/21; BayObLG, Beschluss vom 20. August 2021, 102 AR 121/21; Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20; Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19; KG, Beschluss vom 2. Juli 2020, 2 AR 1013/20, NJW-RR 2020, 1193 Rn. 10, 12; OLG München, Beschluss vom 11. März 2020, 34 AR 235/19, MDR 2020, 753; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19. Februar 2020, 1 AR 3/20 (SA Z), OLG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 22. Mai 2018, 9 AR 3/18, BeckRS 2018, 10638 Rn. 8 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Oktober 2017, 5 Sa 44/17, NJW-RR 2018, 573 Rn. 23 a. E.; alle in sog. Abgas-Fällen; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Juli 2007, 1 W 41/07, in einem Amtshaftungs-Fall; Toussaint in BeckOK ZPO, § 32 Rn. 12.4; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 32 Rn. 15 f.).

Mithin begründet vorliegend der Wohnsitz der Klägerin als Ort, an dem der behauptete Vermögensschaden eingetreten ist, die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth, das den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden hat (vgl. BGH, Urt. v. 7. Mai 2015, VII ZR 104/14, MDR 2015, 667 Rn. 30; Beschluss vom 10. Dezember 2002, X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173).

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(3) Zwar hat das Oberlandesgericht Hamm in den Jahren 2018/2019 in mehreren Entscheidungen – teils im Rahmen nicht tragender Ausführungen (obiter dicta) – die Ansicht vertreten, in Fällen des Kaufs eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei für die Frage des Gerichtsstands nach § 32 ZPO der Wohnsitz des Geschädigten nicht schon deshalb Erfolgsort der unerlaubten Handlung der Vermögensschädigung, weil sich dort dessen Vermögen befinde. Es sei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen und auf dieser Grundlage zu prüfen, wo die Verletzungshandlung vorgenommen und der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten sei (u. a. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2019, 32 SA 29/19; Beschluss vom 14. Dezember 2018, 32 SA 53/18; Beschluss vom 26. Oktober 2018, 32 SA 32/18, NJW-RR 2019, 186). Die daraus gezogene Schlussfolgerung des Oberlandesgerichts Hamm, es sei je nach den Modalitäten der Kaufpreiszahlung am Wohnsitz eines Käufers, der gegen den Hersteller des erworbenen abgasmanipulierten Fahrzeugs Ansprüche geltend mache, kein Gerichtsstand begründet, ist aber im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff., und 30. Juli 2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 ff., überholt (BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20). Mit diesen Entscheidungen ist höchstrichterlich geklärt, dass der Vermögensschaden im Sinne der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 826 BGB bereits im Vertragsabschluss, nicht erst in der Begleichung des Kaufpreises (vgl. BGHZ 225, 316 Rn. 44, 46 f.; BGH, Urt. v. 28. September 2021, VI ZR 29/20; Urt. v. 20. Juli 2021, VI ZR 575/20; Urt. v. 20. Juli 2021, VI ZR 533/20; Urt. v. 13. Juli 2021 – VI ZR 533/20) liegt. Die Annahme, bei einem Barkauf eines abgasmanipulierten Fahrzeugs sei nur am Ort der Erfüllungshandlung ein Gerichtsstand im Sinne des § 32 ZPO eröffnet, nicht aber am Wohnsitz des Käufers, an dem sich regelmäßig auch dessen Vermögen befindet, ist vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen nicht mehr haltbar. Es tritt vielmehr neben den Schadensort (am Belegenheitsort des Vermögens) zusätzlich ein Erfolgsort am Ort des Vertragsschlusses (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20. August 2021, 102 AR 121/21; Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20; KG, Beschluss vom 2. Juli 2020, 2 AR 1013/20, NJW-RR 2020, 1193, Rn. 10), der jedoch nur einen zusätzlichen Gerichtsstand nach Wahl der Klagepartei begründet.

b) Vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtsprechung erweist sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth nicht nur als rechtlich fehlerhaft, sondern als objektiv willkürlich. Ob er daneben auch deshalb keine Bindungswirkung entfaltet, weil das Landgericht die von ihm selbst am 20. Juli 2021 gesetzte vierwöchige Äußerungsfrist nicht abgewartet, sondern den Rechtsstreit bereits am 23. Juli 2021 unmittelbar nach Eingang einer Stellungnahme der Klagepartei verwiesen hat, kann dahinstehen.

aa) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung.

Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keinerlei Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).

Als willkürlich zu werten ist insbesondere, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, etwa weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder nicht zur Kenntnis nimmt (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011, NJW-RR 2011, 1364, Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 AR 23/20). Zwar ist eine Verweisung nicht stets als willkürlich anzusehen, wenn das verweisende Gericht sich mit einer seine Zuständigkeit begründenden Norm nicht befasst hat, etwa weil es die Vorschrift übersehen oder deren Anwendungsbereich unzutreffend beurteilt hat. Denn für die Bewertung als willkürlich genügt es nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11 m. w. N.). Solche liegen aber unter anderem dann vor, wenn sich eine Befassung mit dem Gerichtsstand nach den Umständen, insbesondere dem Parteivortrag dazu, derart aufdrängt, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann (vgl. BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11 u. 15; Beschluss vom 17. Mai 2011, X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 12). Selbst eine bloße Abweichung von einer höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung kann nicht schon allein aus diesem Grund als willkürlich in Sinne des § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO angesehen werden (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2002, X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498; Beschluss vom 10. Juni 2003, X ARZ 92/03; OLG Köln, Beschluss vom 21. April 2021, 8 AR 11/21, NJW-RR 2021, 642; OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. Juni 2016, 3 AR 5/16; OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2016, 32 SA 55/16), da eine Präjudizienbindung dem deutschen Recht grundsätzlich fremd ist. Auch insoweit bedarf es weiterer Umstände, die es rechtfertigen, den Verweisungsbeschluss als objektiv willkürlich zu qualifizieren, etwa wenn im Einzelfall festzustellen ist, dass das Gericht in missbräuchlicher Weise die Bindungswirkung des § 281 ZPO ausnutzt, um sich des Verfahrens unter allenfalls vordergründiger Auseinandersetzung mit der Frage der eigenen Zuständigkeit zu entledigen (vgl. OLG München, Beschluss vom 11. März 2020, 34 AR 235/19, MDR 2020, 753). Weicht das verweisende Gericht bei der Prüfung der eigenen Zuständigkeit von der höchstrichterlichen bzw. der weit überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung ab, auf die es von einer Partei hingewiesen wurde, und folgt ohne jede sachliche Auseinandersetzung einer Mindermeinung, so kann dies den Schluss auf eine rein ergebnisorientierte und damit schlechterdings nicht mehr nachvollziehbare und damit willkürliche Verweisung rechtfertigen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. Juni 2016, 3 AR 5/16; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2014, 32 SA 32/14).

bb) Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth als objektiv willkürlich zu werten.

Bei den sog. „Abgasfällen“ handelt es sich um Massenverfahren, mit denen die Landgerichte in sehr großer Zahl befasst sind. Die Problematik des Gerichtsstands nach § 32 ZPO bei einer nicht am Sitz der beklagten Partei erhobenen Klage ist deshalb ein den Eingangsgerichten geläufiges prozessuales Thema, zu dem wegen einer überproportional hohen Zahl an Verweisungsentscheidungen mittlerweile zahlreiche Entscheidungen vorliegen. Die Klagepartei hat sich bereits in der Klageschrift zur Darlegung der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Wohnsitzgerichts auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 18. Juli 2019 (1 AR 23/19) gestützt und diese auszugweise wiedergegeben. In den zitierten Passagen sind ober- und höchstrichterliche Entscheidungen sowie Kommentarliteratur zu der Bestimmung des für die Zuständigkeit nach § 32 ZPO maßgeblichen Erfolgs- bzw. Schadensorts im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB genannt. Demnach stellt schon die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit den Vermögensschaden dar, weswegen der Ort, an dem in das Vermögen als geschütztes Rechtsgut eingegriffen wird, regelmäßig am Wohnsitz des Geschädigten liegt. Auch in den sog. „Abgasfällen“ liegt der Vermögensschaden gemäß § 826 BGB bereits in der Belastung des Geschädigten mit einer ungewollten Verbindlichkeit, wie der Bundesgerichtshof in seinen grundlegenden Entscheidungen aufgezeigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 30. Juli 2020, VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 21; Urt. v. 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44, 46 f.) Auf den Hinweis des Landgerichts zur fehlenden örtlichen Zuständigkeit hat die Klägerin einen weiteren Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25. Juni 2020 (1 AR 57/20) zitiert, in dem nochmals eingehend unter Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung dargelegt und begründet worden ist, weswegen in den sog. „Abgasfällen“ die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Geschädigten nach § 32 ZPO zu bejahen ist und es auf die Art und den Ort der den Schaden nur perpetuierenden Kaufpreiszahlung nicht ankommt.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat sich im Verweisungsbeschluss weder mit der Argumentation der Klagepartei noch mit der von ihr angeführten Rechtsprechung und Kommentarliteratur inhaltlich auseinandergesetzt. Die Begründung des Beschlusses erschöpft sich in der Heranziehung zweier Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm, die vor den grundlegenden Urteilen des Bundesgerichtshofs zu den sog. „Abgasfällen“ ergangen sind. Weder hat es dargelegt, weshalb es den Schaden nicht schon im Vertragsschluss und der damit einhergehenden Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit sieht, was zwangsläufig nach § 32 ZPO zu einem Schadensort im eigenen Gerichtsbezirk geführt hätte, noch enthält der Beschluss sonstige Erwägungen, weswegen das Gericht einer anderen Rechtsauffassung folgt und damit von der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bzw. der Oberlandesgerichte abweicht. Auch das vom Landgericht in Bezug genommene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Oktober 2010, XI ZR 394/08 stützt nicht dessen Annahme, es fehle die eigene örtliche Zuständigkeit. In der Entscheidung hat der Bundesgerichtshof eine (internationale) Zuständigkeit an einem Erfolgsort (Belastung eines Kontos) bejaht, was jedoch nur den Rückschluss zulässt, dass dort ein Gerichtsstand gegeben ist. Maßgeblich ist jedoch nicht, ob andere Gerichte für die erhobene Klage zuständig sein könnten, sondern ob die eigene Zuständigkeit zu verneinen ist. Eine Aussage dahingehend, dass am Wohnort des vorsätzlich sittenwidrig Geschädigten kein Gerichtsstand für eine Klage eröffnet sein könnte, enthält die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2010 nicht. Abgesehen davon erachtet der Bundesgerichtshof in der fraglichen Entscheidung für den – hier nicht einschlägigen – Art. 5 Nr. 3 EuGVVO einen Erfolgsort am Wohnsitz des Klägers sehr wohl als möglich (BGH, Urt. v. 12. Oktober 2010, XI ZR 394/08). Soweit das Landgericht ausführt, im Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25. Juni 2020 sei es nicht um einen Barkauf gegangen, damit ergebe sich daraus nichts anderes, ignoriert es die Tatsache, dass im zitierten Beschluss dargelegt und begründet wird, weswegen Ort und Art der Kaufpreiszahlung irrelevant sind. Das Landgericht setzt sich damit mit seiner Rechtsauffassung in direkten Widerspruch, ohne sich mit der gegenteiligen obergerichtlichen Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Auch die zwischenzeitlich ergangenen, allgemein bekannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu den sog. „Abgasfällen“, in denen die Frage des Vermögensschadens nach § 826 BGB abgehandelt wird, blendet das Landgericht vollständig aus. Ersichtlich hat sich das Landgericht damit einseitig und ergebnisorientiert ohne ernsthafte Befassung mit der von der Klagepartei aufgezeigten aktuellen Rechtsprechung und Literatur zwei älteren, vereinzelt gebliebenen Entscheidungen eines Oberlandesgerichts angeschlossen, um die eigene Zuständigkeit verneinen zu können. Dies rechtfertigt im konkreten Einzelfall den Schluss auf objektive Willkür.

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