Oberlandesgericht Naumburg
Az: 2 U 77/13
Urteil vom 27.02.2014
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 5. Juni 2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil des Senats und das o.a. Urteil des Landgerichts sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht darauf erkannt, dass der Kläger gegen die Beklagte aus keinem Rechtsgrund einen Anspruch auf Schadenersatz hat, d.h. weder aus deliktischer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung) noch aus vertraglicher Haftung aus einem Vertrag der Beklagten mit anderen Mietern des Hauses J. Straße 10 mit Schutzwirkung zugunsten des Klägers. Selbst wenn eine fahrlässige Verletzung von Streupflichten durch die Beklagte zum Unfallzeitpunkt unterstellt wird, scheitert der Anspruch an einem überwiegenden, die allenfalls leichte Fahrlässigkeit der Pflichtverletzung der Beklagten verdrängenden Mitverschulden des Klägers.
I. Es kann offen bleiben, ob die Beklagte im Hinblick auf einen deliktischen Anspruch des Klägers passiv legitimiert ist; hieran könnten Zweifel bestehen.
1. Originärer Anspruchsgegner eines deliktischen Anspruchs wäre nicht die Beklagte. Der streitgegenständliche Sturz des Klägers am Morgen des 03.02.2011 ereignete sich – entgegen anfänglich missverständlichen Vorbringens des Klägers – unstreitig nicht auf einer öffentlichen Straße bzw. einem öffentlichen Weg, sondern auf dem Privatgelände des Mehrfamilienhauses J. Straße 10, dort auf dem (flach gestuften) Weg zwischen Hauseingangstür und Grundstücksgrenze. Die Verkehrssicherungspflicht für die von allen Mietern und Besuchern der Mieter genutzte „Verkehrs“einrichtung, den vorgenannten Weg, obliegt grundsätzlich dem Hauseigentümer bzw. Vermieter aus den Mietverträgen. Da hier ebenfalls unstreitig geblieben ist, dass der Vermieter die Räum- und Streupflichten des Winterdienstes in den Mietverträgen auf die Mietparteien als Gemeinschaft übertragen und selbst keine Regelungen zur Aufteilung der Pflichten getroffen hat, wäre der Winterdienst ohne weitere Vereinbarungen von der Gemeinschaft der Mietparteien i.S. von §§ 741 ff BGB zu gewährleisten gewesen. Obliegt aber mehreren Mietern eines Mehrfamilienhauses neben dem gemeinschaftlichen Nutzungsrecht auch die gemeinschaftliche Pflicht zur Durchführung des Winterdienstes und erleidet einer der Mieter auf dem nicht gestreuten bzw. sonst abgestumpften Privatweg auf dem Grundstück einen Unfall, so kommt ein Schadenersatzanspruch unter den Mitverpflichteten nicht in Betracht. Der Kläger wäre dann als geschädigter Mitverpflichteter aufgrund der ihm selbst (mit)obliegenden Sicherungspflicht nicht in den Schutzbereich der (daneben auch) den anderen Mietern obliegenden Verkehrssicherungspflicht einbezogen (vgl. BGH, Urteil v. 27.11.1984, VI ZR 49/83, VersR 1985, 243 für eine Wohnungseigentümergemeinschaft; OLG Hamm, Urteil v. 19.09.2001, 13 U 52/01, VersR 2002, 1299 für eine Anliegergemeinschaft einer privaten Straße).
2. Etwas Anderes würde nur dann gelten, wenn die Gemeinschaft der Mieter eine klare Aufgabenteilung vorgenommen hätte. Das hat in erster Instanz keine der Prozessparteien vorgetragen. Soweit das Landgericht aus den Angaben der Zeugin Z. auf eine entsprechende Aufteilung geschlossen und der Kläger einen entsprechenden Sachvortrag unter weiterem Beweisantritt mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 17.02.2014 gehalten hat, kommt es auf eine weitere Sachaufklärung für die hier zu treffende Entscheidung nicht an.
II. Selbst wenn der Senat dieses Vorbringen als wahr unterstellte und weiter davon ausginge, dass die – vom Landgericht aus der Rückrechnung der für das Jahr 2012 bestehenden Regelung auf den Unfallzeitpunkt im Februar 2011 abgeleitete – Schlussfolgerung zutreffend wäre, dass am Unfalltag jedenfalls nicht der Kläger selbst zur Erbringung der Winterdienstleistungen verpflichtet gewesen wäre, sondern eine der Mietparteien, welche einen Hausmeistervertrag mit der Beklagten geschlossen hatten, läge zwar eine Pflichtverletzung der Beklagten unter bestimmten weiteren aufklärungsbedürftigen Umständen vor, jedoch allenfalls in Gestalt eines Unterlassens, welches als leicht fahrlässig begangene Pflichtverletzung zu bewerten wäre. Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:
1. Die tatsächliche Feststellung des Landgerichts, wonach sich der Sturz des Klägers zeitlich vor 7:00 Uhr ereignet hat, ist auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens des Klägers nicht zu beanstanden. Nach § 529 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts gebunden; seine Prüfungsdichte und -intensität der tatsächlichen Feststellungen ist auf eine Kontrolle beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen bestehen. Der Kläger hat mit seiner Berufung neue Tatsachen oder Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts schon nicht vorgetragen. Die Beweiserhebung des Landgerichts ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger eine inhaltliche Fehlerhaftigkeit des Beweisergebnisses geltend gemacht hat, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten, die Zweifel begründen könnten und insbesondere erwarten ließen, dass eine erneute Beweiserhebung durch den Senat mit einer gewissen, nicht notwendig überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu einem anderen Beweisergebnis führte. Die Annahme des Landgerichts, dass sich der Unfall des Klägers ereignete, als er seiner bereits gestürzten Ehefrau zu Hilfe gekommen und dass der Zeitpunkt dieses Geschehens vom Zeugen E. auf Grund der von ihm wahrgenommenen Gesprächsteile zwischen den Eheleuten K. mit der Eingrenzung „zwischen 6:45 und 6:50 Uhr“ zutreffend wiedergegeben worden sei, ist durchaus nachvollziehbar und korrespondiert mit den zumindest als wahrscheinlich anzusehenden Darlegungen der Beklagten zum weiteren zeitlichen Ablauf bis zur Untersuchung des Klägers in der Notfallambulanz. Dafür, dass der Senat im Fall einer erneuten Beweisaufnahme zur Überzeugung gelangen könnte, dass der Unfall des Klägers sich erst nach 7:00 Uhr ereignet habe, wofür der Kläger angesichts der ihm obliegenden Beweislast den Vollbeweis zu führen hätte, bestehen keine Anhaltspunkte.
2. Das Landgericht ist auch zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Winterdienstes grundsätzlich erst ab 7:00 Uhr bestand.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine ergänzende Auslegung des – hinsichtlich der Leistungspflichten nicht hinreichend bestimmten, jedoch bestimmbaren – Hausmeistervertrags zulässig und hier geboten ist und dazu führt, dass die Mieter im Zweifel alle ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflichten auf die Beklagte übertragen wollten und dass die Beklagte sich verpflichtete, diese Leistungen umfassend zu übernehmen.
b) Die der Beklagten – unterstellt – übertragene Verkehrssicherungspflicht umfasste grundsätzlich eine Räumung, Streuung oder sonstige Abstumpfung des Privatwegs bei Eisglätte ab 7:00 Uhr. Das Landgericht hat zutreffend die kommunale Satzung über den Winterdienst auf öffentlichen Straßen und Wegen zur Bestimmung des Beginns der Verkehrssicherungspflicht herangezogen. Zwar war diese Satzung schon deshalb nicht unmittelbar anwendbar, weil es hier um einen Privatweg ging. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht ist jedoch für den Beginn der Räum- und Streupflicht maßgeblich, ab welchem Zeitpunkt die Gefährdung einsetzt (vgl. Sprau in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, § 823 Rdn. 224, 227). Die Gefährdung setzt ein mit dem Einsetzen des gewöhnlichen Verkehrs, hier also mit dem Zeitpunkt der regelmäßigen Nutzung des Privatwegs durch die Mieter. In der Rechtsprechung ist mehrfach entschieden worden, dass regelmäßig eine Gewährleistung der Verkehrssicherheit ab 7:00 Uhr ausreichend ist (vgl. Nachweise bei Sprau, a.a.O., Rdn. 227). Insoweit kommt auch der o.a. kommunalen Satzung Bedeutung zu, weil ihr zu entnehmen ist, dass der Satzungsgeber in der konkreten Gemeinde vom Einsetzen des Berufsverkehrs wochentags ab 7:00 Uhr ausgeht.
3. Allerdings hat der Kläger zu Recht darauf verwiesen, dass unter besonderen Umständen die Verkehrssicherungspflicht bereits zeitlich vor ihrem regelmäßigen Beginn begründet sein kann. Ebenso, wie es in der Satzung vorgesehen ist, wird auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht davon ausgegangen, dass die Räum- und Streupflicht im Ausnahmefall zeitlich früher einsetzen kann, soweit außergewöhnliche, d.h. wetterbedingte Umstände vorliegen. Insoweit ist dem Verpflichteten jedoch eine angemessene Reaktionszeit auf unerwartete Ereignisse zuzubilligen.
Ob im vorliegenden Fall ausreichende Anhaltspunkte vorgelegen haben, welche die Beklagte dazu hätten veranlassen müssen, das Räumen oder Streuen des Privatwegs am 03.02.2011 vor 7:00 Uhr zu beginnen, ist derzeit nicht feststellbar. Selbst wenn der Senat jedoch auch insoweit zugunsten des Klägers annähme, dass ein solcher Ausnahmefall vorgelegen hätte und dies für die Beklagte auch erkennbar gewesen wäre, wäre ein Unterlassen des Winterdienstes vor 7:00 Uhr gleichwohl allenfalls als leicht fahrlässig verschuldet zu bewerten.
III. Dem – auf Grund mehrfacher Wahrunterstellungen angenommenen – leicht fahrlässigen Unterlassen der Abstumpfung des vereisten Privatwegs durch die Beklagte stand jedenfalls ein fahrlässiges Mitverschulden des Klägers gegenüber, welches im Rahmen der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der Verschuldensanteile dazu führt, dass die Beklagte für die Folgen des Sturzes des Klägers nicht einzustehen hat.
Der Kläger hat seinen Sturz fahrlässig mitverursacht, indem er den Privatweg ohne vorherige Prüfung der Begehbarkeit und ohne Vorkehrungen gegen eine Rutschgefahr betrat. Der Kläger kannte vor dem Betreten des Wegs am Morgen des 03.02.2011 sämtliche die Gefahrenlage begründenden Umstände. Er wusste, dass er selbst keinen Hausmeistervertrag mit der Beklagten über die regelmäßige Durchführung des Winterdienstes geschlossen hatte; er wusste nicht, wie viele Mieter dies getan hatten und welche Konsequenzen das für die tatsächliche Vornahme der Leistungen durch die Beklagte hatte. Denn den Hausmeisterverträgen, deren gleichlautenden Inhalt der Kläger unstreitig kannte, war zu entnehmen, dass die Beklagte zur Übernahme der Leistungen des Winterdienstes nur bereit war, wenn eine bestimmte Mindestanzahl der Mieter die Vertragsleistungen bezahlte. Über das tageszeitliche Einsetzen des Winterdienstes war ausdrücklich nichts festgelegt worden. Der Kläger wusste zudem nach eigenem Bekunden in seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht und entsprechend dem Berufungsvorbringen, dass jedenfalls im gesamten Monat Januar 2011 sowie in den ersten Tagen des Februar 2011 bis zum Unfalltag kein Winterdienst durchgeführt worden war. Er konnte am 03.02.2011 schließlich unschwer erkennen, dass bis zu seinem Betreten des Privatwegs ein Winterdienst (wiederum) nicht stattgefunden hatte, weil weder Streugut noch sonstige Spuren der Bearbeitung der Oberfläche des Weges zu sehen waren. Hierfür waren nach den Erkenntnissen aus der Beweiserhebung des Landgerichts die Beleuchtungsverhältnisse ausreichend. Angesichts dieser Kenntnisse musste er unabhängig davon, ob er auch die vorhandene Eisglätte des Weges durch bloße Inaugenscheinnahme hätte erkennen können, die Verkehrssicherheit des Wegs selbst prüfen und ggf. Vorkehrungen gegen bestehende Eisglätte treffen. Dies hat er nicht getan. Nach seiner eigenen Darstellung betrat er den Weg sogar mit einem geschulterten Fahrrad, unstreitig jedoch ungebremsten Schrittes aus dem Haus heraus in Richtung Grundstücksgrenze. Das hierin liegende Verschulden in eigenen Angelegenheiten verdrängt das allenfalls leicht fahrlässige Verschulden der Beklagten.
IV. Soweit zu Lasten der Beklagten auch gegenüber dem Kläger Verkehrssicherungspflichten aus dem Hausmeistervertrag mit einer der Mietvertragsparteien bestanden haben, ergibt sich hieraus aus den vorgenannten Gründen jedenfalls keine weiter gehende Haftung als aus deliktischen Anspruchsgrundlagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO in der seit dem 28.10.2011 geltenden Fassung.
Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.