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Wirksamkeit Prozessvergleich – fehlende vormundschaftlicher Genehmigung durch Familiengericht

LG Fulda – Az.: 3 O 175/17 – Urteil vom 11.02.2020

1 Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit mit Vergleich 24.09.2019, geschlossen durch übereinstimmende Erklärungen der Prozessparteien vom 09.09.2019 und 17.09.2019, beendet ist.

2. Der Antrag auf Feststellung, dass der Rechtsstreit nicht durch den Vergleich am 24.09.2019 beendet worden sei, wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines zwischen ihnen und September 2019 geschlossenen Vergleichs.

Der zugrundeliegende Rechtsstreit, in welchen der Kläger Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall im Jahr 1996 gegen die Beklagte geltend macht, ist seit dem Dezember 2017 beim Landgericht Fulda anhängig gewesen. Gegenstand der klägerischen Forderungen waren insbesondere Verdienstausfallschäden des seit dem Unfall im Jahr 1996 pflegebedürftigen Klägers, dessen Ehefrau in der Folgezeit zur Betreuerin des Klägers bestellt wurde.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Fulda in dieser Angelegenheit vom 30.4.2019 legte der damalige Dezernent, Herr Richter am Landgericht … insbesondere dar, dass verschiedene Ansprüche des Klägers zwar prinzipiell denkbar seien, die erforderliche Beweisführung aber aufwändig bzw. kompliziert werden würde (Protokoll der mündlichen Hauptverhandlung vom 30.4.2019, Bl. 236 ff. der Akte).

Infolge der mündlichen Verhandlung kam es im weiteren Verlauf des Verfahrens zu Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien. Diese mündeten darin, dass dem Gericht durch die Parteien mit Schreiben vom 7.5.2019 (Bl. 240 f. der Akte) und vom 25.6.2019 (Bl. 256 f. der Akte) zwei inhaltlich nahezu identische Vergleichsanregungen präsentiert wurden.

Infolgedessen hat der zuständige Dezernent den Parteien mit Beschluss vom 3.7.2019 (Bl. 268 f. der Akte) einen Vergleichsvorschlag unterbreitet und für diesen den Parteien eine Annahmefrist bis zum 15. August 2019 gesetzt. In den Beschluss findet sich folgender Satz:

„Im Nachgang der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Fulda am 30.4.2019 fanden umfangreiche Vergleichshandlungen zwischen den Parteien statt, der entstand nunmehr durch das Gericht klarstellen zusammengefasst wurde.“

Mit Schreiben vom 17. Juli 2019 (Bl. 280 der Akte) erklärte die Beklagtenvertreterin die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlages.

Auf Bitten des Klägervertreters vom 13.8.2019 (Bl. 283 der Akte) wurde der Vergleichsvorschlag nochmals modifiziert und sodann durch den zuständigen Dezernenten mit Beschluss vom 5.9.2019 unter Berücksichtigung der angeregten Modifikation den Parteien unterbreitet.

Dieser modifizierte gerichtliche Vergleichsvorschlag wurde durch die Parteien mit Erklärung vom 9.9.2019 (Bl. 297 der Akte) und 17.9.2019 (Bl. 301 der Akte) angenommen. Das Zustandekommen des Vergleichs und die damit verbundene Beendigung des Verfahrens wurden schließlich durch Beschluss des Landgerichts Fulda vom 24.9.2019 festgestellt (Bl. 305f. der Akte).

Mit Schriftsatz vom 25.10.2019, am selben Tag beim Landgericht Fulda eingegangen, legte der damalige Klägervertreter „Beschwerde“ gegen den Beschluss des Landgerichts vom 24.9.2019 ein, soweit dabei festgestellt wurde, dass der Prozess durch Vergleichsabschluss beendet sei.

Der Kläger behauptet, dass der Vergleichsschluss gerade nicht auf einen Vorschlag des Gerichts, sondern aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Parteien geschlossen worden sei. Im Beschluss vom 3.7.2019 habe das Gericht deutlich gemacht, dass es sich ausdrücklich nicht um einen eigenen Vergleichsvorschlag des Gerichts handele. Hierfür spreche auch, dass der erkennende Richter … erst am 3.7.2019 den vorliegenden Rechtsstreit von der Kammer als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen bekommen habe und noch unter anderem gemäß Beschluss des Landgerichts Fulda vom 13.6.2019 Herr Richter am Landgericht Dr. … zuständig gewesen sei. Aufgrund der kurzen und erst neuerlichen Zuständigkeit des erkennenden Richters sei deshalb im Ergebnis auch davon auszugehen, dass er bewusst keinen eigenen materiellen Vergleichsvorschlag des Gerichts die Parteien unterbreitet habe, da er im Ergebnis in das vorliegende Verfahren „noch gar nicht“ vollständig eingearbeitet gewesen sei.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der vorliegende Prozess noch nicht beendet sei, da es nach § 1822 Nr. 12 BGB noch der Genehmigung des Familiengerichts bedarf. Im vorliegenden Fall sei ein schriftlicher Vergleich nach § 278 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 ZPO geschlossen worden, der der Genehmigung durch das Familiengericht bedürfe. Im vorliegenden Falle genieße der Schutz des Mündels Vorrang vor dem Argument der Rechtssicherheit.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass der Vergleich vom 4. 20.9.2019 nicht wirksam geschlossen wurde und das Verfahren hierdurch nicht beendet wurde.

Die Beklagte beantragt,

1. den Antrag des Klägers zurückzuweisen,

2. festzustellen, dass das Verfahren durch den Vergleich vom führen 20 9. 2019 wirksam beendet worden ist.

Der Kläger beantragt hierauf hin, den Antrag zu 2. der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass es sich bei dem Vergleichsvorschlag des Gerichtes auch „materiellen“ Vergleichsvorschlag gehandelt habe. Im Unterschied zu einer durch die Parteien mitgeteilten außergerichtlichen Einigung, die lediglich durch das Gericht festgestellt wird, ohne dass das Gericht eine Einflussmöglichkeit hat, sei der Vergleich vorliegend erst durch das Gericht vorgeschlagen worden. Soweit der Vergleichsvorschlag auf Anregungen der Parteien beruhe, ändere sich nichts daran, dass es sich im Ergebnis um einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag handele.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass § 1822 Nr. 12 BGB eine Unterscheidung danach, ob es sich „materiell“ um einen Vergleichsvorschlag des Gerichtes handele, nicht vorsehe.

Zur Ergänzung des Sach-und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.1.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Antrag der Beklagten dagegen ist zulässig und begründet.

Der am 24.9.2019 festgestellte Vergleich bedurfte keiner Genehmigung mehr durch das Familiengericht. Zwar ist der Wert des Vergleichs deutlich höher als der in § 1822 Nr. 12 BGB dargestellte Vergleichswert von 3000 €; jedoch handelte es sich um einen Vergleich, der auf einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag beruhte, nämlich auf dem vom 5.9.2019.

Bereits der Vergleichsvorschlag vom 3.7.2019 stellte einen solchen gerichtlichen Vergleichsvorschlag dar. Entgegen der Annahme des Klägers war es dem damals tatsächlich neu in das Dezernat gekommenen erkennenden Richter möglich, nach Erhalt der Akte innerhalb eines Arbeitstages den Sach- und Streitstand der Akte bis zum damaligen Zeitpunkt zumindest so weit zu erfassen, als dass die bereits früher eingegangenen Anregungen der Parteien zum Vergleichsabschluss inhaltlich geprüft werden konnten. Insbesondere aufgrund der bereits damals bestehenden Verfahrensdauer von anderthalb Jahren und angesichts der durch den vorherigen Dezernenten Dr. … in der mündlichen Verhandlung vom 30.4.2019 skizzierten weiteren Probleme bei der Ermittlung des Sachverhalts und der damit verbundenen Beweisproblematiken erschien der von den Parteien ins Auge gefasste Vergleich, wenngleich in einzelnen Regelungen noch Klärungsbedarf bestand, in der Sache angemessen und interessengerecht. Vor diesem Hintergrund machte sich der erkennende Richter die durch die Parteien im Vorfeld dargestellten Erwägungen zu eigen und formulierte auf Grundlage dieser und eigener Erwägungen den Vergleichsvorschlag vom 3.7.2019.

Selbst wenn aber zu diesem Zeitpunkt noch keine inhaltliche Auseinandersetzung des Dezernenten mit den Anregungen der Parteien hätte stattfinden können, so wäre dies für den weiteren Verfahrensgang dennoch unerheblich gewesen. Denn § 1822 Nr. 12 BGB unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht zwischen einem formellen und einem materiellen Vergleichsvorschlag. Entscheidend ist, dass der Vergleichsvorschlag durch das erkennende Gericht den Parteien zur Annahme oder Ablehnung unterbreitet wurde.

Des Weiteren erfolgte auf den Vergleichsvorschlag vom 3.7.2019 kein Vergleichsabschluss; vielmehr legte der Klägervertreter eine Modifikation des entsprechenden Vorschlages an, welche durch das Gericht im Vergleichsvorschlag vom 5.9.2019 aufgegriffen wurde, da die angeführte Modifikation als sachdienlich und interessengerecht erachtet wurde. Mithin kann aber zum Zeitpunkt des 5.9.2019 die mangelnde Einarbeitung des Dezernenten in den Sach- und Streitstand erst recht nicht mehr angeführt werden.

Der Schutzfunktion des §§ 1822 Nr. 12 BGB wurde jedenfalls Genüge getan. Der Vergleichsvorschlag des Gerichtes folgte auf einer – mehrfachen – Befassung des erkennenden Richters mit dem Sach-und Streitstand, wie er sich nach Lage der Akten darstellte. Auf Grundlage des bis dato erfolgten Parteivorbringens konnte eine wie auch immer geartete unangemessene Benachteiligung des Klägers jedenfalls nicht festgestellt werden. Dabei muss der erkennende Richter nicht etwa alle theoretisch denkbaren, zusätzlichen und gegebenenfalls nicht geltend gemachten Ansprüche in Betracht ziehen, sondern er muss – dem zivilrechtlichen Beibringungsgrundsatz genügend-das bis dahin erfolgte Parteivorbringen zugrunde legen. Dies gab keinen Anlass zur Besorgnis, dass dem Kläger durch den Vergleichsabschluss erhebliche Nachteile entstehen könnten. Vor diesem Hintergrund aber wurde dem Gedanken des §§ 1822 Nr. 12 BGB, dem Betreuten eine gerichtliche Überprüfung der Lage angedeihen zu lassen, genüge getan. Allein aus der Tatsache heraus, dass das Gericht dabei Anregungen der Parteien mit aufgegriffen hat, kann jedenfalls nicht von einer mangelhaften gerichtlichen inhaltlichen Überprüfung ausgegangen werden. Es ist in der rechtlichen Praxis anerkannt und gelebte Praxis, sich die Vorarbeit anderer Beteiligter oder deren Ausführungen zu eigen zu machen, ohne dass hieraus die Besorgnis resultieren würde, dass es sich materiell gar nicht um ihre „eigenen“ Gedanken handeln würde-wie dies übrigens auch in der vorliegenden Angelegenheit vom derzeitigen Klägervertreter mit Schreiben vom 4.11.2019 (Bl. 321 der Akte), aber auch auf Ebene des Bundestages in Bezug auf durch einzelne Abgeordnete eingebrachte Gesetzesinitiativen gehandhabt wird, die sich die Bundesregierung im parlamentarischen Ablauf zu eigen macht.

Vor diesem Hintergrund war der Antrag des Klägers auf Feststellung, dass der Rechtsstreit nicht durch den Vergleich vom 24. 9. 2019 erledigt sei, zurückzuweisen und im gleichen Maße dem Feststellungsantrag der Beklagten, dass der Prozess durch vorgenannten Vergleich seine Erledigung gefunden habe, zu entsprechen.

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