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Wohngebäudeversicherung mit Rohbauversicherung

Oberlandesgericht Karlsruhe

Az: 12 U 167/09

Urteil vom 18.02.2010


I. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 08.07.2009 – 3 O 4/08 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert und neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 147.006,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 136.765,00 EUR seit 02.02.2008 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.356,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.368,92 EUR für die Zeit von 02.02.2008 bis 09.07.2008 und aus 2.356,68 EUR seit 10.07.2008 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten erster Instanz tragen die Klägerin 18 % und die Beklagte 82 %, von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 28 % und die Beklagte 72 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil jeweils vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Gebäudeversicherung im Zusammenhang mit einem Brandschaden an ihrem Rohbau in Anspruch.

Die Klägerin stellte unter dem 28.06.2006 mit Hilfe eines Versicherungsmaklers unter Verwendung eines Vordrucks einer von der Beklagten unabhängigen Maklerorganisation I-GmbH einen Antrag auf eine Wohngebäude- einschließlich Feuerrohbauversicherung für ein seitens der L N GmbH für sie zu errichtendes F. Das Grundstück der Klägerin ist mit einem Grundpfandrecht der Hypovereinsbank belastet. Die L GmbH wird von dem Ehemann der Klägerin geführt, der zugleich mit der Bauleitung betraut war. Hinsichtlich der Bauart wurde in dem Formularantrag von den vorgegebenen Möglichkeiten die Fertighausklasse 1 (FHG 1) ausgewählt. Das – vorliegend allerdings nicht verwendete – eigene Antragsformular der Beklagten unterscheidet dagegen nicht zwischen verschiedenen Fertighausklassen, sondern nur zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern (sog. BAK, vgl. K 4). Als erfüllte Bedingung gab die Klägerin an, das Gebäude solle zu mindestens 50 % Wohnzwecken dienen. Dem folgte der im Formular vorgedruckte Hinweis, dass der gewählte Tarif bei gewerblicher Nutzung von mehr als 50 % nicht gelte.

Unter dem 03.07.2006 stellte die Beklagte der Klägerin den Versicherungsschein unter Einbeziehung der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88) über einen gleitenden Neuwert von 14.300 M aus.

Am 07.09.2006 brannte der Rohbau der Klägerin nach der Durchführung von Dachdeckerarbeiten im Heißklebeverfahren durch einen Herrn H teilweise nieder. Die Klägerin meldete den Schaden bei der Beklagten am 08.09.2006 an. Nach Durchführung eines Ortstermins durch eine Mitarbeiterin der Beklagten am 11.09.2006 trat die Beklagte mit Schreiben vom 29.09.2006 vom Versicherungsvertrag zurück und erklärte gleichzeitig auch dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Begründet wurde dies zum Einen mit einer zum Antragsformular abweichenden Bauartklasse der gewählten Bauausführung sowie zum Anderen damit, dass die zur gewerblichen Nutzung vorgesehene Fläche mehr als 50 % der Gesamtfläche des Objekts ausmache. Es schloss sich umfangreicher Schriftwechsel zwischen den Parteien bzw. deren Prozessbevollmächtigten an. Das im Wege des von den Parteien sodann gewählten Sachverständigenverfahrens gem. § 22 VGB 88 erstellte Gutachten der Dipl.-Ing. B und Dr. A vom 26.07./31.07.2007 bezifferte den Brandschaden der Klägerin auf 124.165,00 EUR zzgl. Aufräum- und Schadensminderungskosten i.H.v. 11.600,00 EUR bzw. 1.000,00 EUR und ordnete das Haus der Klägerin in die Fertighausklasse FHG 2 ein.

Die Klägerin hat nicht in Abrede gestellt, dass ihr geplantes Haus der FHG 2 zuzuordnen sei und nicht wie im Formular des Maklers in FHG 1. Die Beklagte hätte den Vertrag aber auch bei zutreffender Einstufung abgeschlossen, da ihre eigenen Formulare lediglich zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern unterscheiden würden. Bei dem in Fertigbauweise zu errichtenden Haus handele es sich weder um das erste Gebäude dieser Art noch um ein neuartiges Konzept, vielmehr seien die Verwendung unbehandelten Holzes unter einer nicht brennbaren Verkleidung sowie eine Dämmung mit Hanf und Lehm in ökologischen Häusern üblich. Das Haus sei als Musterhaus konzipiert gewesen, dessen Obergeschoss zu Wohnzwecken habe vermietet werden und in dessen Erdgeschoss der Ehemann der Klägerin mit der L GmbH habe einziehen sollen. Ihr Ehemann habe den Dachdecker H in persönlicher Eigenschaft um einen Freundschaftsdienst gebeten. Zum Zeitpunkt des Brandes sei die Abnahme des Bauwerks bereits erfolgt gewesen. Durch den Brand seien der Klägerin die in dem Sachverständigengutachten B./Dr. A ausgewiesenen Schäden i.H.v. 124.165,00 EUR einschließlich eines Schadens an den nach dem Brand trocken gelagerten Fenstern i.H.v. 12.714,00 EUR entstanden, da diese mangels weiterer Behandlung, auf die seitens des Gutachters der Beklagten bei der Schadensbesichtigung nicht hingewiesen worden sei, unbrauchbar geworden seien, ferner Aufräumkosten und Kosten für Schadensminderungsmaßnahmen i.H.v. 11.600,00 EUR bzw. 1.000,00 EUR. Infolge der unberechtigten Zahlungsverweigerung der Beklagten seien der Klägerin weitere Schäden in Form der erhöhten Umsatzsteuer (6.452,97 EUR), allgemeiner Preissteigerung für Baumaterialien (4.000,00 EUR) sowie eines Mietausfalls (8.288,15 EUR) entstanden, ferner Sachverständigenkosten (6.712,67 EUR), weitere Schadensminderungskosten (750,00 EUR) sowie die Kosten für das im Zuge der Schadensabwicklung eingeschaltete Ingenieurbüro ihres Ehemannes (6.568,80 EUR).

Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 179.497,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 169.537,59 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.714,03 EUR (Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, bei dem Haus der Klägerin handele es sich um ein völlig neues Baukonzept aus hochbrennbaren Materialien, das bereits kein Fertighaus darstelle, allenfalls aber der Bauartklasse 3 zuzuordnen sei. Die Arbeiten zur Abdichtung der Dachgaube seien im Auftrag der L GmbH erfolgt und dieser daher zuzurechnen. Im Rahmen des Versicherungsantrags habe die Klägerin unzutreffende Angaben gemacht. Namentlich habe das Haus als Musterhaus nicht ständig bewohnt werden und angesichts der gewerblichen Nutzung zu über 50% auch nicht ausschließlich der Wohnnutzung dienen sollen, sowie es sich schließlich auch nicht um ein Fertighaus gehandelt habe. Nach ihren Annahmerichtlinien hätte die Beklagte den Antrag bei zutreffenden Angaben nicht annehmen dürfen. Auch sei der Klägerin nur ein Schaden i.H.v. 73.397,00 EUR entstanden. Kosten für Aufräumarbeiten und Schadensminimierung seien nicht angefallen. Eine Steigerung der Materialpreise sowie der Umsatzsteuer sei angesichts des mit der der Klägerin werkvertraglich ohnehin zur Neuherstellung verpflichteten L GmbH vereinbarten Pauschalpreises unerheblich. Auch sei mangels Mietvertrages ein Mietausfallschaden nicht eingetreten. Die Kosten für ihren Sachverständigen habe die Klägerin selbst zu tragen. Überdies liege eine erhebliche Unterversicherung vor, da der Bauwert 1914 nicht 14.300 M, sondern 21.638 M betragen habe. Zudem habe die Klägerin ihre Obliegenheiten verletzt, indem sie weder Ansprüche gegen den Dachdecker H, noch gegenüber der L GmbH verfolgt habe, in deren Auftrag der Dachdecker tätig geworden sei. Ohnehin sei die Klägerin aber aufgrund des Grundpfandrechts nicht aktivlegitimiert.

Das Landgericht, auf dessen Feststellungen verwiesen wird, sofern sie mit den hier getroffenen nicht in Widerspruch stehen, hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens in Höhe eines Betrags von 100.626,41 EUR teilweise stattgegeben, der sich aus den notwendigen Herstellungskosten (90.384,49 EUR) und den nach den VGB 88 geschuldeten Zinsen (10.241,92 EUR) zusammensetzt. Die Beklagte sei weder wirksam vom Vertrag zurück getreten noch habe sie diesen erfolgreich angefochten. Die aktivlegitimierte Klägerin könne an notwendigen Kosten aber lediglich 90.384,49 EUR beanspruchen, da das zwischen den Parteien verbindliche Gutachten B/Dr. A einschließlich Aufräum- und Schadensminderungskosten zwar insgesamt 136.765,00 EUR errechnet habe, die Klägerin sich allerdings wegen Unterversicherung eine proportionale Kürzung des Entschädigungsbetrages gefallen lassen müsse. Abzustellen sei insoweit nicht auf den Versicherungswert des Rohbaus am Schadenstag (12.978 M), sondern auf denjenigen des Gebäudes im zu erwartenden Fertigstellungszustand, der nach dem eingeholten Gerichtsgutachten Prof. Dr. W 21.638 M betrage und damit deutlich über der Versicherungssumme von 14.300 M liege. Dies folge aus dem Willen der Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, andernfalls trüge die Beklagte während der Bauphase stets das volle Schadensrisiko. Alle weitergehenden Ansprüche hat das Landgericht zurück gewiesen. So könne die Klägerin entgangene gewerbliche Miete nicht verlangen, da dies vertraglich nicht vereinbart worden sei und ein denkbarer Anspruch aus Verzug nach §§ 280, 286 BGB jedenfalls daran scheitere, dass die Klägerin ein derartiges Mitverschulden treffe, welches einen etwaigen Anspruch in voller Höhe mindern würde. Die Klägerin habe es unterlassen, die L GmbH im Rahmen der werkvertraglichen Gewährleistung oder des allgemeinen Schadensersatzrechts auf rechtzeitige (Wieder-)Herstellung des Gebäudes, die nach dem Gerichtssachverständigen zum 01.12.2006 auch möglich gewesen wäre, in Anspruch zu nehmen. Der den Brand letztlich durch die Heißklebearbeiten verursachende Hr. H sei im Pflichtenkreis der L GmbH tätig geworden, sein Fehlverhalten sei der GmbH daher zuzurechnen. Aus denselben Erwägungen heraus könne die Klägerin auch keinen Ersatz für gestiegene Preise und Umsatzsteuer verlangen, sie habe die Wiederherstellung des Gebäudes nicht unverzüglich veranlasst. Für die Sachverständigen- und Ingenieurkosten fehle es an einer Grundlage.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wendet sich gegen die Kürzung wegen Unterversicherung und verfolgt daneben ihr Begehren nach Mietausfall, Baupreissteigerungen und Mehrkosten durch Umsatzsteuererhöhung weiter. Im Übrigen akzeptiert sie das landgerichtliche Urteil.

Die Klägerin meint, das Landgericht habe die Entschädigung zu Unrecht wegen Unterversicherung gekürzt, sondern hätte als Vergleichswert auf den Rohbauwert zum Zeitpunkt des Schadensfalles abstellen müssen. Die abweichende Auffassung des Landgerichts widerspreche dem eindeutigen Wortlaut der Versicherungsbedingungen hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes für die Wertberechnung (§ 56 VVG a.F. und § 16 Nr. 1 VGB 88) und stelle somit eine unzulässige Vertragsauslegung „contra legem“ dar. Der beim Landgericht zunächst mit dem Verfahren befasste Einzelrichter habe denn auch eine abweichende – zutreffende – Auffassung vertreten. Was den Mietentgang sowie die erhöhten Kosten anbelange, so habe das Landgericht verkannt, dass die L GmbH unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu einer Wiederherstellung des beschädigten Gebäudes verpflichtet gewesen sei, weder aus Gewährleistung noch nach allgemeinem Schadensersatzrecht. Die Vergütungsgefahr sei zum Brandzeitpunkt wegen Teilabnahme des Rohbaus einschließlich des Daches bereits auf die Klägerin übergegangen gewesen. Das Verhalten des Herrn H sei der L GmbH nicht zuzurechnen, da dieser die Heißklebearbeiten als reinen Freundschaftsdienst für die Klägerin und nicht im Rahmen eines von der L GmbH erteilten Auftrages ausgeführt habe. Es habe sich auch nicht um eine gemeinschaftliche Arbeitsausführung H/L GmbH gehandelt, die L GmbH habe nach dem Bauvertrag mit der Klägerin lediglich die Hartdacheindeckung geschuldet, wozu die Bitumen-Heißklebearbeiten durch Herrn H als Weichdacharbeiten nicht zählten. Für den Schaden der Klägerin sei allein die mutwillig verzögerte Schadensregulierung durch die Beklagte verantwortlich.

Die Klägerin beantragt nunmehr (II 27),

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. an die Klägerin 165.747,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 155.505,82 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. an die Klägerin 2.594,91 EUR (Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.09.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie wendet sich ausdrücklich nicht gegen die zu ihrem Nachteil getroffenen Feststellungen des Landgerichts (II 81). Zutreffend habe das Landgericht Unterversicherung angenommen und dabei ohne Widerspruch gegen den Wortlaut der Versicherungsbedingungen auf den ortsüblichen Neubauwert des Gebäudes im zu erwartenden Fertigstellungszustand abgestellt, der deutlich über der vereinbarten Versicherungssumme liege. Andernfalls wäre ein Versicherungsnehmer in der streitgegenständlichen Situation anfangs erheblich überversichert und es hinge allein vom Zeitpunkt des Schadensfalles und damit vom Zufall ab, ob dann Über- oder Unterversicherung anzunehmen sei. Die Rohbauversicherung stelle einen bloßen Annex zur Gebäudeversicherung dar und müsse daher ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Prämie und Gefahrtragung aufweisen. Das Vorbringen der Klägerin zu angeblichen Teilabnahmen des Rohbaus sei unsubstantiiert und werde überdies bestritten. Der die Heißklebearbeiten ausführende Herr H sei Erfüllungsgehilfe der L GmbH gewesen, die bauvertraglich die gesamten Rohbauarbeiten einschließlich Wärmedämmung im Dach und kompletter Dacheindeckung geschuldet habe, wozu auch die schadenauslösenden Heißklebearbeiten gezählt hätten. Diese seien zwingender Bestandteil der von der L GmbH geschuldeten Dachdeckerarbeiten gewesen, die von der Klägerin vorgenommene Abgrenzung sei gekünstelt. Zu Recht habe das Landgericht ein verdrängendes Mitverschulden der Klägerin angenommen, zudem würden die angeblichen Preissteigerungen und Umsatzsteuererhöhungen auch der Höhe nach bestritten.

Wegen des Parteivortrags im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist überwiegend begründet.

1. Zutreffend hat das Landgericht seinen Überlegungen zunächst den von den Gutachtern B und Dr. A in ihrem vorgerichtlichen Gutachten vom 26.07./31.07.2007 (K 6) errechneten Reparaturaufwand in Höhe von 124.165,00 EUR einschließlich des Ersatzes der nicht mehr brauchbaren Fenster zugrunde gelegt und diesem Betrag die Aufräum- und Schadensminderungskosten von 11.600,00 EUR und 1.000,00 EUR hinzu gerechnet. Auch der Gerichtssachverständige Prof. Dr. W hat diese Berechnung für plausibel erachtet. Den sich somit ergebenden Gesamtbetrag von 136.765,00 EUR ziehen die Parteien im Berufungsverfahren auch nicht mehr in Zweifel.

Das Landgericht hat allerdings zu Unrecht den Anspruch der Klägerin wegen Unterversicherung gekürzt. Hierfür bieten weder der Versicherungsvertrag noch die zugehörigen Bedingungen eine tragfähige Grundlage. Zur Unterversicherung bestimmt § 16 Nr. 1 der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88):

„Ist die Versicherungssumme niedriger als der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls (Unterversicherung), so wird nur der Teil des nach § 15 Nr. 1 bis 3 ermittelten Betrages ersetzt, der sich zu dem ganzen Betrag verhält wie die Versicherungssumme zu dem Versicherungswert.“

Dieser Vorschrift kann nicht entnommen werden, dass unter Versicherungswert etwas anderes zu verstehen ist, als der tatsächliche Wert (hier: Neuwert) des (Teil-) Gebäudes unmittelbar vor dem Schadensfall.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen des Versicherers im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Dieser Charakter der Versicherungsbedingungen bestimmt die bei ihrer Auslegung anzuwendenden Maßstäbe; er hindert es, sie „gesetzesähnlich“ auszulegen. Vielmehr sind – nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss (BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte. Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, hat bei der Auslegung – wie auch sonst bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen – außer Betracht zu bleiben; versicherungswirtschaftliche Überlegungen können allenfalls insoweit Berücksichtigung finden, wie sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer unmittelbar erschließen (BGH NJW-RR 2000, 1341).

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Der Versicherungsnehmer wird, wenn er sich über die Gefahr einer Unterversicherung und deren Folgen anhand der Versicherungsbedingungen unterrichten will, Aufklärung lediglich in § 16 Nr. 1 VGB 88 finden. Dort wird er erkennen, dass keine Unterscheidung zwischen der Versicherung eines fertigen Gebäudes und der eines Rohbaus vorgenommen wird. Er wird ferner erkennen, dass der Unterversicherungseinwand an zwei Werte anknüpft, nämlich an die Versicherungssumme und an den Versicherungswert. Dabei ist der erste Wert ersichtlich ein vereinbarter. Der zweite Wert ist dagegen aus seiner Sicht ein tatsächlicher, der auf einen bestimmten Zustand unmittelbar vor dem Versicherungsfall beruht. Anhaltspunkte dafür, dass dies bei der Rohbauversicherung anders sein soll, ergeben sich für ihn nicht. Der Umstand, dass er zu Beginn der Rohbauphase „überversichert“ ist, wird ihn, sollte er sich dies verdeutlichen, nicht belasten, da er für diesen Zeitraum ohnehin keine Prämie zahlt. Da ihm während dieser Zeit im Schadensfall auch nicht die Versicherungssumme als Entschädigung zusteht, sondern der ortsübliche Neubauwert seines unfertigen Gebäudes, wird er auch nicht annehmen, dass vorrangige Interessen des Versicherers ein abweichendes Verständnis gebieten. Dass er noch während der Rohbauphase in die Gefahr einer Unterversicherung geraten kann, wird sich für ihn nicht anders darstellen als die Gefahr einer Unterversicherung des fertig gestellten Gebäudes. Dass unter Versicherungswert in der Rohbauversicherung etwas anderes verstanden werden sollte, als in der Wohngebäudeversicherung, erschließt sich deshalb für ihn auch hieraus nicht.

Damit steht der Klägerin der oben dargestellte Gesamtbetrag in Höhe von 136.765,00 EUR ungekürzt zu. Der Anspruch auf die beantragten Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Hinzu kommen die vom Landgericht zu Recht zugesprochenen und von der Beklagten auch nicht mehr angegriffenen Entschädigungszinsen ab Anzeige des Schadens (08.09.2006), die ihre Grundlage in § 23 Nr. 2 VGB 88 haben und deren Höhe mit 10.241,92 EUR unstreitig ist.

2. Mietausfall

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht diesen Anspruch der Klägerin abgesprochen. In der Tat kann ein solcher Anspruch nicht aus dem Versicherungsvertrag folgen, da die Parteien einen Ersatzanspruch für den Ausfall gewerblicher Miete, um den es vorliegend geht, nicht besonders vereinbart haben (vgl. § 3 Nr. 2 VGB 88). Somit bleibt nur ein Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Pflichtverletzung durch unberechtigten Rücktritt vom Versicherungsvertrag bzw. unberechtigte Anfechtung desselben durch die Beklagte. Analog der Rechtsprechung des BGH zur unberechtigten und schuldhaften Kündigung eines Mietvertrages durch den Vermieter mit Schadensfolgen für den Mieter (vgl. BGH NJW 1988, 1268) könnte man zwar eine objektive Pflichtverletzung der Beklagten vorliegend darin sehen, dass diese vorgerichtlich ihre Leistungspflicht dem Grunde nach mit dem Argument eines wirksamen Rücktritts bzw. einer wirksamen Anfechtung abgelehnt hat, was sich später jedoch als Fehleinschätzung erwiesen hat. Ein solches „Recht auf Irrtum“ ändert an der Pflichtwidrigkeit nichts (vgl. BGH NJW 2009, 1262). Allerdings würde sich dieses Verhalten nicht als schuldhaft darstellen (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Fahrlässig handelt der vermeintliche Anspruchsinhaber nämlich nicht schon dann, wenn er nicht erkennt, dass sein Begehren in der Sache nicht berechtigt ist. Die Berechtigung seines Gestaltungsrechts kann sicher nur in einem Rechtsstreit geklärt werden. Dessen Ergebnis vorauszusehen kann vom vermeintlichen Anspruchsinhaber im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreits nicht verlangt werden. Das würde ihn in diesem Stadium der Auseinandersetzung überfordern und ihm die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren (BGH NJW 2009 a.a.O.). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) entspricht er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vielmehr schon dann, wenn er prüft, ob die Vertragsstörung auf eine Ursache zurückzuführen ist, die dem eigenen Verantwortungsbereich zuzuordnen, der eigene Rechtsstandpunkt mithin plausibel ist (vgl. BGH a.a.O.; NJW 2008, 1147). Mit dieser Plausibilitätskontrolle hat es sein Bewenden. Bleibt dabei ungewiss, ob tatsächlich eine Pflichtverletzung der anderen Vertragspartei vorliegt, darf ihr Gegenüber die sich aus einer Pflichtverletzung ergebenden Rechte geltend machen, ohne Schadensersatzpflichten wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung befürchten zu müssen, auch wenn sich sein Verlangen im Ergebnis als unberechtigt herausstellt (BGH a.a.O.).

Die Beklagte hat bereits in erster Instanz auf die Umstände hingewiesen, die sie zum Rücktritt bzw. der Anfechtung bewogen haben. Demnach hat sie sogleich nach Eingang der Schadensmeldung (08.09.2006) einen zeitnahen Ortstermin durch eine Mitarbeiterin veranlasst, der am 11.09.2006 auch stattgefunden hat (B 4a). Nach den dabei getroffenen Feststellungen hatte die Beklagte Grund zu der Annahme, die Klägerin habe im Versicherungsantrag unzutreffende Angaben sowohl zum Nutzungszweck des Objektes (zu niedrig angegebener Anteil an gewerblicher Nutzung) als auch zu dessen Einstufung in die richtige Bauart /-klasse gemacht, was in der Tat zumindest einen Rücktritt nach §§ 16, 20, 21 VVG a.F. hätte stützen können. Die Beklagte hat nicht nur in ihrem Rücktrittsschreiben vom 29.09.2006, sondern im Rahmen des sich anschließenden umfangreichen Schriftwechsels (B 4d – 4l) in mehreren nachfolgenden Schreiben stets ihren rechtlichen Standpunkt dargelegt und erläutert. Sachfremde Erwägungen sind all diesen Schreiben nicht zu entnehmen. Es erscheint nachvollziehbar, dass die Beklagte unter den gegebenen Umständen an die Berechtigung zum Rücktritt glaubte. Ein schuldhaftes Verhalten kann dann aber nicht angenommen werden, weshalb ein Anspruch auf Mietentgang ausscheidet.

Zudem tragen die Ausführungen des Landgerichts zum überwiegenden – und einen Anspruch ausschließenden – Mitverschulden der Klägerin. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass ausweislich des vorgelegten Bauvertrags Vertragsgegenstand die Herstellung des Gebäudes ohne Innenausbau, Elektro- und Sanitärinstallation war, wozu nach dem Verständnis des Vertragsinhalts auch die Dacharbeiten in ihrer Gesamtheit zu zählen sind.

3. Preis- und Mehrwertsteuererhöhungen

Hierauf hat die Klägerin – unterstellt ihr wären entsprechende Mehrkosten tatsächlich in behaupteter Höhe entstanden – keinen Anspruch. Nach § 15 Nr. 2 Satz 1 VGB 88 umfasst die Entschädigung zwar auch die notwendigen Mehrkosten infolge Preissteigerungen zwischen Eintritt des Versicherungsfalles und der Wiederherstellung. Veranlasst der Versicherungsnehmer die Wiederherstellung allerdings nicht unverzüglich, so werden die Mehrkosten nur in dem Umfang ersetzt, in dem sie auch bei unverzüglicher Wiederherstellung entstanden wären (§ 15 Nr. 2 Satz 2 VGB 88). Unstreitig hat die Klägerin die Wiederherstellung des beschädigten Rohbaus nicht unverzüglich veranlasst. Dass ihr dies aus tatsächlichen Gründen, etwa mangels Liquidität o.ä., nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre, behauptet sie selbst nicht. Ihr Hinweis darauf, sie habe im Hinblick auf das zögerliche Regulierungsverhalten der Beklagten eine Zwischenfinanzierung vornehmen müssen, zeigt im Gegenteil, dass die Klägerin offenbar zu solch einer Zwischenfinanzierung wirtschaftlich in der Lage war und es ihr gerade nicht mangels Liquidität unmöglich gewesen wäre, den Wiederaufbau in Auftrag zu geben. Ob der dabei entstehende Mehraufwand an Finanzierungskosten möglicherweise erstattungsfähig wäre, bedarf keiner Entscheidung, da ein solcher nicht Gegenstand der Klage ist. Die Klägerin stellt darauf ab, dass weder die L GmbH noch Herr H ihr gegenüber rechtlich zu einer solchen Wiederherstellung verpflichtet gewesen seien. Dies ist jedoch im Rahmen von § 15 Nr. 2 VGB 88 unerheblich, dessen Satz 2 letztlich an den Grundgedanken der allgemeinen Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers aus § 62 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. anknüpft. Dass die verzögerte Wiederherstellung unvermeidlich gewesen wäre (vgl. Prölss/Martin a.a.O. § 52 Rn. 19), behauptet die Klägerin nicht, ebenso wenig, dass die nunmehr geltend gemachten Mehrkosten auch bei unverzüglicher Wiederherstellung entstanden wären.

Ergänzend kann mit dem angefochtenen Urteil darauf abgestellt werden, dass die Klägerin ihren Wiederherstellungsanspruch unverzüglich gegenüber ihrem Auftragnehmer hätte geltend machen können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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