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Zahnarzt – Behandlungsablehnung eines Kindes

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 24.01.2007

Az: 13 A 2534/05.T

Vorinstanz: Verwaltungsgericht Köln, Az.: 36 K 7069/03.T


Die Berufung wird verworfen.

Die Beschuldigte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren wird auf 250,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.
Die am … O. 19 .. geborene Beschuldigte, die im Jahre 1989 die zahnärztliche Approbation erhielt, ist seit Juli 1990 als niedergelassene Zahnärztin im Kammerbereich der Antragstellerin tätig.

Am 5. April 2002 nahm die Beschuldigte den zahnärztlichen Notfalldienst wahr. Anlässlich dessen kam es zu dem Vorwurf des Herrn C. X. , die Beschuldigte habe die Behandlung seines 10-jährigen Sohnes a. ohne hinreichenden Grund abgelehnt.

Nachdem ein in diesem Zusammenhang eingeleitetes staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingestellt worden war, hat der Vorstand der Antragstellerin am 24. September 2003 nach vorheriger Anhörung der Beschuldigten beschlossen, gegen diese ein berufsgerichtliches Verfahren einzuleiten.

Auf Antrag der Antragstellerin vom 22. Oktober 2003 hat das Berufsgericht für Heilberufe durch Beschluss vom 17. Februar 2005 das berufsgerichtliche Verfahren gegen die Beschuldigte eröffnet. Ihr wird vorgeworfen,
„die ihr obliegende Verpflichtung, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihr im Zusammenhang mit ihrem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, verletzt zu haben, indem sie in der Nachtzeit vom 05. auf den 06. April 2002 in X1. eine Notfallbehandlung des Kindes a. X. ablehnte.

Verstoß gegen § 29 Abs. 1 HeilBerG in der Fassung vom 09. Mai 2000 in Verbindung mit §§ 1, 11 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein in der Fassung vom 19. April 1997, § 1 der Notfalldienstordnung der Zahnärztekammer Nordrhein in der Fassung vom 23. Juli 2001.“

In der Hauptverhandlung am 29. April 2005 hat das Berufsgericht für Heilberufe nach Vernehmung des Zeugen C. X. und unter Berücksichtigung der Einlassung der Beschuldigten im Wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt:

„Die Beschuldigte war am 05. April 2002, einem Freitag, zum zahnärztlichen Notdienst eingeteilt. In der Nacht vom 05. auf den 06. April 2002 rief Herr C. X. gegen 24.00 Uhr in der Praxis der Beschuldigten an und teilte mit, dass sein 10-jähriger Sohn a. (geboren am 30. August 1991) seit 22.00 Uhr über Zahnschmerzen klage. Die bereits durchgeführten elterlichen Maßnahmen wie Kühlen, Munddusche, Anwendung von Corti-Dynexan Gel und letztlich die Verabreichung von Paracetamol hätten nicht geholfen. Die Beschuldigte lehnte die von dem Vater des Kindes gewünschte sofortige Untersuchung bzw. Behandlung noch in der Nacht ab und empfahl dem Vater, die Behandlung seines Kindes auf den Folgetage, 10.00 Uhr, zu verschieben. Ca. eine Stunde später (gegen 1.00 Uhr Nachts) rief die Ehefrau Herrn X. bei der Beschuldigte an und verwies darauf, dass sich die Schmerzsituation bei dem Sohn verschlimmert habe. Die Beschuldigte lehnte dabei erneut eine sofortige Behandlung, d. h. noch zur Nachtzeit, ab.

Mit Schreiben vom 08. April 2002 führte Herr C. X. bei der Antragstellerin Beschwerde über die Beschuldigte. Er gab an, die Beschuldigte habe am 05. April 2002 auf seinen Anruf hin sofort eine Behandlung mit der Begründung abgelehnt, man könne ein 10-jähriges Kind um diese Zeit nicht behandeln. Dieses Argument habe die Beschuldigte gegenüber seiner Ehefrau bei dem zweiten Anruf gegen 1.00 Uhr nachts erneut geäußert. Die Beschuldigte habe ferner erklärt, der Notdienst beziehe sich nur auf die Zeit zwischen 16.00 bis 18.00 Uhr sowie 22.00 Uhr bis 24.00 Uhr; ansonsten gebe es lediglich eine telefonische Beratung, wobei die einzige Ausnahme hierzu ein lebensbedrohlicher Zustand sei. Da mit der Beschuldigten kein weiteres Vorankommen zu erwarten gewesen sei, hätte er, Herr X. sich entschieden, bei der Universitätsklinik E. anzurufen. Er und seine Ehefrau hätten am 10. April 2002 bei der Polizei Strafanzeige u. a. gegen die Beschuldigte erstattet. Die Eltern von a. nahmen am 06. April 2002 (frühmorgens) den „Zentralen Zahnärztlichen Notdienst“ in E. in Anspruch, wo ausweislich eines Arztberichtes vom gleichen Tage eine Zahnfleischentzündung am Zahn 65 als Folge eines eingebissenen Kornes (so die mündliche Erläuterung des behandelnden Arztes) festgestellt wurde.

Die Beschuldigte ließ sich mit Schreiben vom 29. April 2002 gegenüber der Antragstellerin dahingehend ein, dass sie keineswegs generell eine Behandlung des Kindes abgelehnt habe. Sie sei nach den Schilderungen des Vaters von a. davon ausgegangen, dass es sich um eine unkomplizierte Zahnerkrankung eines 10- jährigen Kindes gehandelt habe. Sie habe zu einer symptomatischen und physikalischen Therapie (Schmerzmedikament; Spülen; Kühlen) in Verbindung mit der Beruhigung des Kindes und dem elterlichen Versuch, es zum Einschlafen zu bringen, geraten. Auf den Einwand des Vaters, diese Maßnahmen seien bereits ohne Erfolg durchgeführt worden, habe sie zu bedenken gegeben, dass eine mitternächtliche Schmerzbehandlung eine außergewöhnliche Situation für ein Kind darstelle und problematisch sei. Da der Junge erst seit 2 Stunden (22.00 Uhr) Schmerzen gehabe habe, habe durchaus die Möglichkeit bestanden, dass die medikamentöse analgetische Wirkung des von den Eltern verabreichten Schmerzmittels noch eintrete bzw. durch die nochmalige Verabreichung eines Schmerzmedikaments zum Erfolg führe. Werde dieser Zustand durch außergewöhnliche Ereignisse gestört, gerate das biologische System unter Stress. Dadurch würde eine Behandlungsbereitschaft des Kindes erheblich beeinträchtigt und es sei davon auszugehen, dass das Kind sich bei der unangenehmen schmerzhaften Behandlung nicht kooperativ verhalten würde. Nach Abwägung all dieser Umstände habe sie dem Vater geraten, die Behandlung auf den Folgetag, 10.00 Uhr, zu verschieben. Der Vater habe sich jedoch uneinsichtig gezeigt, auf einer sofortigen Behandlung noch in der Nacht bestanden und dann das Gespräch abrupt beendet, ohne dass sie ihre Ausführungen noch habe beenden können. Sie stelle nochmals klar, dass ihre ärztliche Therapie nach der dargestellten Abwägung (Risiko, Nutzen für das Kind) eben in der mündlichen Beratung des Vaters bestanden habe. Eine Ablehnung einer Behandlung habe nicht stattgefunden.

Das von der Staatsanwaltschaft eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde zunächst am 27. Mai 2002 eingestellt, weil – so die Angabe des Vaters von a. – der Täter nicht habe ermittelt werden können. Nachdem das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft X1. wieder aufgenommen worden war (AZ: 630 Js 917/02), wurde es mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 07. Mai 2003 eingestellt, da nach Auffassung der Staatsanwaltschaft weder eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323 c StGB noch eine Körperverletzung durch Unterlassen gem. §§ 223, 13 StGB vorgelegen habe. Die Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung scheitere schon daran, dass kein Unglücksfall vorgelegen habe. Ein Unglücksfall sei ein plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut mit sich bringe oder zu bringen drohe. Nachts auftretende Zahnschmerzen erfüllten dies Voraussetzungen jedoch nicht. Unabhängig von der Frage, ob ein Fall für den nächtlichen Notdienst vorgelegen habe, fehle es hinsichtlich einer etwaigen Körperverletzung durch Unterlassen am Vorsatz des Beschuldigten. Diese habe sich nämlich dahingehend eingelassen, sich durchaus telefonisch vergewissert zu haben, das keine offene Wunde oder ein Abzess vorgelegen habe. Darüber hinaus habe sie empfohlen, den schmerzenden Zahn des Kindes zu kühlen und gegebenenfalls Schmerzmittel zu verabreichen.

Die Beschuldigte macht im berufsgerichtlichen Verfahren geltend, dass eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Durchführung des Notfalldienstes am 05. bzw. 06. April 2002 nicht vorliege. Sie verweist auf ihre Stellungnahme gegenüber der Antragstellerin und macht geltend, dass bereits kein „Notfall“ vorgelegen habe. Nach den Schilderungen des Vaters des Patienten sei klar gewesen, dass ein Notfall im Sinne einer absoluten Indikation (Unfallverletzung im Zahn-, Mund- und Kieferbereich, Nachblutung nach zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen, eitrigen Entzündungen usw.) nicht vorgelegen habe. Nach den Schilderungen des Vaters von a. habe es sich um die unkomplizierte Zahnerkrankung eines 10-jährigen Kindes gehandelt, welche gerade keinen dringend behandlungsbedürftigen Notfall dargestellt habe. Da das Kind erst seit ca. 2 Stunden Schmerzen gehabt habe, sei es durchaus möglich gewesen, dass die Wirkung des angeblich durch die Eltern verabreichten Schmerzmittels noch eintreten werde.“

Das Berufsgericht für Heilberufe hat durch das angefochtene Urteil gegen die Beschuldigte wegen Verletzung ihrer Berufspflichten auf einen Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 3.000,00 EUR erkannt und zur Begründung ausgeführt: Die Beschuldigte habe die ihr obliegenden Berufspflichten dadurch verletzt, dass sie dem 10-jährigen Patienten a. X. im Rahmen des Notfalldienstes keine unverzügliche und persönliche Untersuchung angeboten habe. Es habe zumindest eine sog. „relative Indikation“ und damit ein Notfall vorgelegen. Da ihr die Eltern des Patienten hinreichend deutlich gemacht hätten, dass die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen wie Kühlen, Vornahme einer Munddusche und Verabreichen von Paracetamol bereits ohne Erfolg durchgeführt worden seien, habe es keineswegs ausgereicht, den Patienten bzw. dessen Eltern auf die Einnahme von Schmerzmitteln bzw. auf eine Behandlung am nächsten Morgen zu verweisen. Der Hinweis auf eine bei Kindern nachts vorherrschende Tiefschlafphase sei im konkreten Fall verfehlt gewesen, da der Patient bereits seit zwei Stunden starke Zahnschmerzen gehabt habe. Die Annahme der Beschuldigten, der Patient werde sich im Rahmen einer in der Nacht durchgeführten zahnärztlichen Behandlung nicht kooperativ verhalten, sei rein spekulativ gewesen und habe einer Grundlage entbehrt. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe für das Verhalten der Beschuldigten seien nicht ersichtlich. Bei der zu verhängenden Maßnahme sei nach Abwägung der zu Gunsten und zu Lasten der Beschuldigten sprechenden Umstände ein Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 3.000,00 EUR für ausreichend und erforderlich anzusehen, um ihr die Bedeutung ihrer Berufspflichten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des zahnärztlichen Notdienstes klar vor Augen zu führen.

Gegen das ihrem Beistand am 18. und ihr persönlich am 19. Mai 2005 zugestellte Urteil hat die Beschuldigte am 17. Juni 2005 Berufung eingelegt.

Zur Begründung der Berufung führt die Beschuldigte im Wesentlichen an: Ihr könne keine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden, weil kein Notfall gegeben gewesen sei. Nach den Hinweisen der Antragstellerin zum Verhalten während der Bereitschaftszeiten im Notdienst bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, die Frage des tatsächlichen Vorliegens eines Notfalls telefonisch zu beurteilen. Anhand der telefonischen Schilderungen der Symptome durch die Eltern des Patienten sei es ihr im vorliegenden Fall zweifelsfrei möglich gewesen, einen Notfall auszuschließen. Ihre Einschätzung habe sich auch im Nachhinein als zutreffend erwiesen. Der von dem Zeugen X. vorgelegte Arztbrief vom 6. April 2002 habe ihre aufgrund des Telefonats getroffene Einschätzung, dass eine unkomplizierte Milchzahnerkrankung eines Kindes vorliege, bestätigt, weil es sich bei der darin genannten Diagnose „Gingivitis 65“ um eine Zahnfleischentzündung am Zahn 65 in der leichtesten Form handele. Aus dem Kürzel „Pus-“ ergebe sich, dass der behandelnde Zahnarzt eine Vitalitätsprüfung durchgeführt habe und dass keine eitrige Entzündung vorgelegen habe. Die nach dem Arztbrief vorgenommene Behandlung mit Dontisolon entspreche genau der Therapie, die sie telefonisch vorgeschlagen habe. Angesichts dieser Umstände sei festzustellen, dass die durch sie erfolgte telefonische Diagnose identisch mit der klinischen Diagnose gewesen sei. Auch die von ihr vorgeschlagene Therapie sei richtig gewesen. Diese sei identisch mit der am 6. April 2002 vom behandelnden Zahnarzt vorgenommenen und sei auch ohne weiteres von den Eltern des Kindes selbst durchführbar gewesen.

Die Beschuldigte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, dass eine Verletzung von Berufspflichten nicht vorliegt.

Die Antragstellerin beantragt,
die Berufung zu verwerfen.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und führt ergänzend an: Angesichts der Schilderung des Zeugen X. in dem mit der Beschuldigten geführten Telefongespräch habe diese zahnärztlicherseits keinesfalls zweifelsfrei ausschließen können, dass es sich um einen behandlungsbedürftigen Notfall gehandelt habe. Vielmehr sprächen die von den Eltern trotz durchgeführter Maßnahmen und Verabreichung von Paracetamol geschilderten Beschwerden ihres Sohnes zunächst einmal für das Vorliegen eines massiven und damit unverzüglich zu behandelnden entzündlichen Geschehens. Von daher wäre die Beschuldigte verpflichtet gewesen, durch persönliche Inaugenscheinnahme des Patienten in ihrer Praxis festzustellen, ob es sich um einen Notfall handele und welche Behandlung unter Umständen angezeigt sei.

Die Aufsichtsbehörde und deren Vertretung haben keine Stellungnahme abgegeben und keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Antragstellerin.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Berufsgericht für Heilberufe hat gegen die Beschuldigte zu Recht wegen eines Berufsvergehens auf einen Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 3.000,00 EUR erkannt.

Die Beschuldigte hat sich eines Berufsvergehens schuldig gemacht.

Sie hat gegen die sich aus § 29 Abs. 1 des Heilberufsgesetzes vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S. 403, berichtigt S. 650) – HeilBerG 2000 ? i.V.m. § 1 Abs. 1 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein vom 19. April 1997 (MBI. NRW. S. 790) in der Fassung der Änderung vom 12. Mai 2001 (MBI. NRW. S. 1215) – BO ZÄK NR 2001 – und § 1 der als Anlage 2 zu dieser Berufsordnung erlassenen Notfalldienstordnung ergebenden Berufspflichten verstoßen.

Nach § 29 Abs. 1 HeilBerG 2000 sind die Kammerangehörigen u. a. verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben. Dazu gehört nach §§ 30 Nr. 2 und 31 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG 2000 i.V.m. § 11 Abs. 1 und 3 BO ZÄK NR 2001 und § 1 der Notfalldienstordnung insbesondere auch die Pflicht für einen in eigener Praxis tätigen Zahnarzt, am Notfalldienst teilzunehmen und den Notfalldienst als Bereitschaftsdienst u.a. auch während der sprechstundenfreien Zeit wahrzunehmen. Nichts anderes ergibt sich aus § 8 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein vom 26. November 2005 (MBI. NRW. 2006 S. 150) und § 1 der als Anlage 2 zu dieser Berufsordnung erlassenen Notfalldienstordnung. Der sich aus diesen Bestimmungen ergebende Pflichtenkreis beschränkt sich aber nicht auf eine bloße Pflicht zur Teilnahme am Notfalldienst. Vielmehr obliegt es dem Zahnarzt auch, den Notfalldienst ordnungsgemäß wahrzunehmen.

Diese berufsrechtliche Pflicht hat die Beschuldigte dadurch verletzt, dass sie dem 10-jährigen Patienten a. X. im Rahmen der Ausübung des Notfalldienstes in der Nacht vom 5. auf den 6. April 2002 keine unverzügliche und persönliche Untersuchung angeboten hat. Dies hat das Berufsgericht für Heilberufe zutreffend festgestellt.

Insbesondere ist das Berufsgericht für Heilberufe zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschuldigte das Vorliegen eines Notfalls annehmen musste. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Zeuge X. hatte der Beschuldigten bei einem Telefonanruf am 5. April 2002 gegen 24.00 Uhr geschildert, dass sein Sohn a. seit zwei Stunden über Zahnschmerzen klage und die bereits durchgeführten Maßnahmen wie Kühlen, die Vornahme einer Munddusche und die Anwendung von Corti-Dynexan-Gel sowie die Verabreichung von Paracetamol nicht zu einer Linderung der Beschwerden geführt hätten. Angesichts dieser Umstände musste die Beschuldigte davon ausgehen, dass eine Untersuchung und Behandlung des Patienten nicht auf den nächsten Tag verschoben werden konnte. Die telefonische Angabe des Zeugen X. , dass die bereits vorgenommenen Maßnahmen bei seinem Sohn nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt hätten, hätte der Beschuldigten insbesondere in Hinblick auf das Alter des Patienten und die angegebene Dauer der Schmerzen Anlass geben müssen, vom Vorliegen einer unverzüglichen Behandlungsbedürftigkeit auszugehen und den Patienten der geäußerten Bitte entsprechend noch in der Nacht persönlich in Augenschein zu nehmen.

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Dass – wie die Beschuldigte geltend macht – das Telefongespräch von Seiten des Zeugen X. emotional und zum Teil auch fordernd geführt worden ist, erklärt sich durch die Belastungssituation, in der sich dieser infolge der bei seinem Kind schon seit geraumer Zeit vorhandenen Schmerzen befand. Die Art der Gesprächsführung durch den Zeugen X. durfte für die Beschuldigte aber nicht relevant sein. Sie hatte vielmehr allein das Wohlergehen des unter Schmerzen leidenden Kindes in den Blick zu nehmen. Angesichts dessen und in Anbetracht der ihr von dem Zeugen X. geschilderten tatsächlichen Umstände, von dessen Vorliegen die Beschuldigte ausgehen musste, konnte sie sich aber nicht auf einen Verweis auf symptomatische Behandlungsmöglichkeiten beschränken. Sie musste sich vielmehr zur Vornahme einer persönlichen Untersuchung bereit erklären.

Ob die Mutter des Patienten in dem am 6. April 2002 um ca. 1.00 Uhr mit der Beschuldigten geführten Telefongespräch die Entwicklung der von ihrem Ehemann in dem zuvor geführten Telefonats geschilderten Schmerzen erwähnt hat, ist unerheblich. Schon aufgrund des ersten Telefongesprächs musste die Beschuldigte vom Vorliegen einer unverzüglichen Behandlungsbedürftigkeit ausgehen. Im Übrigen hätte für die Beschuldigte schon allein aufgrund der Tatsache, dass die Mutter des Patienten sich trotz der Nachtzeit zu einem erneuten Anruf veranlasst sah, klar sein müssen, dass es offensichtlich nicht zu einer wesentlichen Linderung der Schmerzen bei deren Sohn gekommen ist, was die Beschuldigte hätte zum Anlass nehmen müssen, eine persönliche Untersuchung anzubieten.

Ohne Erfolg beruft sich die Beschuldigte darauf, zu keinem Zeitpunkt eine Behandlung ausdrücklich abgelehnt zu haben. Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschuldigte, dass es unerheblich ist, ob die Ablehnung einer persönlichen Untersuchung ausdrücklich oder konkludent unter Hinweis auf symptomatische Behandlungsmöglichkeiten erklärt worden ist. Maßgeblich ist allein, dass der Zeuge X. das Verhalten der Beschuldigten dahingehend verstehen musste, dass diese nicht bereit war, seinen Sohn persönlich in Augenschein zu nehmen.

Ebenfalls nicht durchgreifend ist der Einwand der Beschuldigten, eine Behandlung während der Nachtzeit führe bei einem Kind zu einer besonderen psychische Belastung und es sei während dieser Zeit eine wenig kooperative Mitarbeit zu erwarten. Es mag zwar für ein Kind eine besondere Belastungssituation darstellen, wenn es sich während der Nachtzeit einer zahnärztlichen Behandlung unterziehen muss. Ebenso mag es sein, dass dieser Umstand sich auf die Bereitschaft des Kindes zur Mitarbeit negativ auswirkt. Dies rechtfertigt es aber nicht, bei der von dem Zeugen X. telefonisch geschilderten Situation eine persönliche Untersuchung von vorneherein abzulehnen. Die Beschuldigte wäre zumindest verpflichtet gewesen, eine persönliche Untersuchung anzubieten und nach dem Erscheinen des Patienten den Versuch einer Untersuchung zu unternehmen, zumal die Behandlungsbereitschaft eines Kindes nur im direkten Kontakt zu diesem eingeschätzt werden kann und fortdauernde Zahnschmerzen mindestens ebenso belastend sein können wie ein nächtlicher Zahnarztbesuch.

Ohne Erfolg beruft sich die Beschuldigte auf die von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. Januar 2004 vorgelegte „Wissenschaftliche Stellungnahme“ der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde – DGZMK (Stand 11/94) zu der Frage, welche therapeutischen Maßnahmen im zahnärztlichen Notdienst indiziert sind. Auf der Grundlage dieser Stellungnahme lag zwar keine absolute Indikation vor, die eine unmittelbare zahnärztliche Behandlung erforderlich macht, sondern lediglich eine relative Indikation, zu denen alle vom Zahnsystem ausgehenden Erkrankungen mit dem Symptom „Zahnschmerzen“ zu zählen sind, die alle keine Notfälle im Sinne eines lebensbedrohlichen Zustands darstellen. Zwar sieht diese Stellungnahme in Fällen einer relativen Indikation vor, dass die Behandlung im zahnärztlichen Notdienst nur in Maßnahmen der Schmerzausschaltung bestehen sollte. Andererseits heißt es in dieser Stellungnahme aber auch, dass die Sorgfaltspflicht eines Zahnarztes regelmäßig eine Untersuchung eines Patienten, der sich nachts oder am Wochenende hilfesuchend an ihn wende, erforderlich mache und nur in Ausnahmefällen an die Stelle der Untersuchung und Behandlung eine persönliche telefonische Beratung mit entsprechenden therapeutischen Anweisungen treten könne. Vom Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls konnte die Beschuldigte schon deshalb nicht ausgehen, weil die von ihr telefonisch gegebenen Anweisungen zu einer symptomatischen und physikalischen Therapie wie Schmerzmittelgabe, Kühlen und Spülen verbunden mit einer Beruhigung des Kindes nach den Bekundungen des anrufenden Vaters zuvor bereits erfolglos durchgeführt worden waren.

Der Verweis der Beschuldigten auf die Ausführungen der Bezirksstelle C1. – M. Kreisstelle X1. – der Antragstellerin aus Oktober 2003 zur Durchführung des Notfalldienstes rechtfertigt keine andere Sichtweise. Dort wird zwar ausgeführt, es könne auch telefonisch abgeklärt werden, ob ein Notfall gegeben sei. Gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, dass der Zahnarzt für den Fall, dass – wie vorliegend – ein Notfall nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, zu einer persönlichen Inaugenscheinnahme des Patienten verpflichtet ist.

Die Beschuldigte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Angaben in dem von dem Zeugen X. vorgelegten Arztbrief vom 6. April 2004 hätten ihre Einschätzung, dass kein Notfall vorliege, bestätigt. Für die Frage, ob anlässlich des Notdienstes eine unverzügliche und persönliche Untersuchung durch den Zahnarzt anzubieten ist, kommt es allein darauf an, wie sich die Situation für den Zahnarzt zu dem Zeitpunkt darstellt, zu dem ein Behandlungsgesuch an ihn herangetragen wird. Vorliegend bedeutet dies, dass allein die Angaben des Zeugen X. in dem mit der Beschuldigten geführten Telefongespräch maßgeblich sind. Nach diesen hätte die Beschuldigte – wie bereits dargestellt – das Vorliegen eines behandlungsbedürftigen Notfalls bejahen müssen. Ob sich im Nachhinein ergeben hat, dass tatsächlich die Voraussetzungen für die Annahme eines Notfalls nicht vorgelegen haben, ist deshalb unerheblich Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe für das Verhalten der Beschuldigten sind auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Die gegen die Beschuldigte ausgesprochenen Maßnahmen sind nicht zu beanstanden. Sowohl die Art der Maßnahmen als auch die Höhe der verhängten Geldbuße tragen den maßgeblichen be- und entlastenden Umständen hinreichend Rechnung. Das Berufungsvorbringen der Beschuldigten bedingt keine andere Wertung. Die Tatsache, dass die Beschuldigte bislang berufsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, ist vom Berufsgericht für Heilberufe ausdrücklich in di~ Abwägung der be- und entlastenden Umstände eingestellt worden und rechtfertigt insbesondere mit Blick darauf, dass die berufsrechtliche Verfehlung eine Kernpflicht der zahnärztlichen Tätigkeit betrifft, keine Herabsetzung der Geldbuße.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 107 und 108 HeilBerG 2000 in der Fassung der Änderung durch Gesetz vom 1. März 2005 (GV. NRW. S. 148).

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