Skip to content

Zeitsoldat – fristlose Entlassung wegen Kokainkonsums

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 L 4/22 – Urteil vom 25.10.2022

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 5. Kammer – vom 10. November 2021 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Zusammenfassung

Eine Soldatin wurde fristlos entlassen, nachdem sie zugegeben hatte, regelmäßig Kokain zu konsumieren. Obwohl ihre Vorgesetzten ihre guten Leistungen, ihr Geständnis und ihre Zusammenarbeit bei der Aufklärung des Vorfalls hervorhoben, entschied die Bundeswehr, dass ihr Verhalten gegen ihre Dienstpflichten verstieß und das Vertrauen in sie als Soldatin zerstörte. Die Bundeswehr argumentierte, dass der Drogenkonsum von Soldaten die Einsatzbereitschaft und die Sicherheit gefährden könne und dass es wichtig sei, mit dem Statusrecht gegen Drogenmissbrauch vorzugehen. Eine Ausnahme von der Entlassung wurde nicht gerechtfertigt, obwohl die Disziplinarvorgesetzten eine Warnung empfohlen hatten. [….]

Tatbestand

Die 1988 geborene Klägerin wendet sich gegen ihre fristlose Entlassung aus dem Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit.

Die Klägerin trat am … 2016 in die Bundeswehr ein und wurde am … 2016 in das Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit berufen. Zuletzt wurde sie als Stabsgefreite auf einem Dienstposten in der 1. Kompanie des Logistikbataillons … in B-Stadt verwendet. Das reguläre Ende ihrer Dienstzeit war auf den … 2028 bestimmt.

Am 20. September 2019 wurde in der Kaserne ein dienstliches Gespräch mit der Klägerin zum Thema Betäubungsmittelkonsum und zu den Möglichkeiten der Aufdeckung von Betäubungsmittelbesitz und -konsum bei Soldaten geführt. Ohne dass ein konkret gegen sie gerichteter Anfangsverdacht geäußert worden war, räumte die Klägerin ein, dass sie seit Mai 2019 in unregelmäßigen Abständen am Wochenende, seit August 2019 auch an Wochentagen – ausschließlich nach Dienstschluss – in der militärischen Unterkunft Kokain konsumiert habe. Wöchentlich habe sie bis zu einem Gramm Kokain verbraucht, wobei es auch Wochen gegeben habe, in denen kein Konsum stattgefunden habe. Dass sie mit der Einnahme des Rauschgifts begonnen habe, beruhe auf der im November 2018 vollzogenen Trennung von ihrem langjährigen Lebensgefährten und damit in Zusammenhang stehenden finanziellen Sorgen. Sie habe sich in einer depressiven Episode befunden. Der letzte Konsum sei am 19. September 2019 gegen 18 Uhr in einem Waschraum der Kaserne erfolgt. Bei der Durchsuchung ihrer Stube am 20. September 2019 übergab die Klägerin den ermittelnden Soldaten eine in ihrem privaten Rucksack aufbewahrte Restmenge an Kokain von weniger als 0,5 Gramm.

In schriftlichen Stellungnahmen vom 11. und 30. Oktober 2019 sprach sich der Kompaniechef, Major K., als nächster Disziplinarvorgesetzter unter anderem mit Hinweis auf das weit überdurchschnittliche Leistungsbild der Klägerin, ihre tadellose Dienstauffassung, ihre umfassende Geständigkeit, ihre uneingeschränkte Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung und ihr erkennbares Bemühen um Nachbewährung eindringlich gegen eine Entlassung der Klägerin aus. Die nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten, Oberstleutnant K. und Fregattenkapitän H., schlossen sich dieser Bewertung an und befürworteten mit Schreiben vom 14. Oktober bzw. 5. November 2019 ebenfalls „mit besonderem Nachdruck“, der Klägerin zur Pflichtenmahnung (neben etwaigen straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen) lediglich einen ausdrücklichen Hinweis auf die Möglichkeit der fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG zu erteilen. Für ein derartiges Vorgehen votierte mit Schreiben vom 25. November 2019 auch der Sozialdienst des Bundeswehr-Dienstleistungszentrums B-Stadt. Die Staatsanwaltschaft Stendal stellte das gegen die Klägerin eingeleitete betäubungsmittelrechtliche Strafverfahren nach § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags ein.

Mit am 28. Januar 2020 bekannt gegebenem Bescheid vom 21. Januar 2020 entließ die Beklagte die Klägerin nach Anhörung unter Berufung auf § 55 Abs. 5 SG mit Ablauf des Tags der Aushändigung der Verfügung aus dem Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit. Die Klägerin habe durch ihren mehrmonatigen Kokainkonsum nicht nur gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, sondern auch schwerwiegend insbesondere gegen ihre Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), ihre Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 SG), ihre allgemeine Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 SG) und ihre Pflicht zur Gesunderhaltung (§ 17a Abs. 1 SG) verstoßen und damit das in sie als Soldatin gesetzte Vertrauen grob missbraucht. Hierdurch habe sie eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeigeführt. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr werde erheblich beeinträchtigt, wenn sich unter den Soldaten, für die Vorgesetzten nur schwer erkennbar, der Konsum von Betäubungsmitteln ausbreite und zur Gewohnheit werde. Drogenkonsum könne zu unvorhersehbaren Verhaltensweisen und etwa beim Umgang mit Waffen, Fahrzeugen oder Maschinen zu einer zusätzlichen Gefahr für Leib und Leben führen. Zudem sei die körperliche und geistige Gesundheit wegen der Gefahr einer entstehenden Drogenabhängigkeit ernstlich gefährdet. Der Herabsetzung der Hemmschwelle zum Erwerb und Konsum von Betäubungsmitteln müsse daher auch mit den Mitteln des Statusrechts Einhalt geboten werden. Das Verhalten der Klägerin offenbare einen gravierenden Mangel an Rechts- und Pflichtbewusstsein sowie an Zuverlässigkeit. Es könne in den Streitkräften nicht geduldet werden. Der Drogenkonsum durch Soldaten sei ferner unvereinbar mit den Erwartungen der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr und jeden einzelnen Angehörigen der Streitkräfte. Das Ansehen der Bundeswehr verlange, dass Soldaten sich vollständig von Drogen fernhielten. Das Vertrauen in Gehorsam, Integrität und Zuverlässigkeit der Klägerin sei zerstört, was ihre dienstliche Einsetzbarkeit einschränke. Überdies ergebe sich eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung aus der dem Rauschgiftkonsum innewohnenden Nachahmungsgefahr. Bei einem Verbleiben der Klägerin im Dienst könne der Eindruck entstehen, dass der Betäubungsmittelmissbrauch vom Dienstherrn als Kavaliersdelikt angesehen und hingenommen werde. Die Dienstpflichtverletzung sei deshalb geeignet, einer allgemeinen Disziplinlosigkeit Vorschub zu leisten. Insoweit komme es nicht maßgeblich darauf an, dass der Kreis derjenigen, die von dem Betäubungsmittelkonsum der Klägerin wüssten, möglicherweise überschaubar sei. Zumindest den Vorgesetzten der Klägerin sei die Angelegenheit zur Kenntnis gelangt. Auch bei diesen Personen könne es zur Nachahmung kommen. Unabhängig davon sei allgemein eine Verzerrung der Wahrnehmung darüber zu befürchten, welcher Betäubungsmittelkonsum im Einzelfall dienstrechtlich als schwerwiegend oder als nicht oder weniger schwerwiegend zu qualifizieren sei. Früher oder später würde sich eine Verwaltungspraxis etablieren, die die Bundeswehr bei Betäubungsmittelmissbrauch gegenwärtig nicht dulde („rote Linie“). Verbleibe die Klägerin im Dienst, bestehe angesichts der Dauer ihres pflichtwidrigen Verhaltens schließlich auch die Gefahr, dass sie künftig mit weiteren Dienstpflichtverletzungen in Erscheinung trete. Gesichtspunkte, die es rechtfertigten, im Ermessenswege ausnahmsweise von einer Entlassung der Klägerin abzusehen, lägen auch unter Berücksichtigung der positiven Einschätzungen ihrer Disziplinarvorgesetzten nicht vor.

Zur Diagnose „Z[ustand] n[ach] Kokainmissbrauch mit Entzug und qualifizierter Entwöhnung und nachgewiesener Abstinenz“ teilte die Oberstabsärztin V. mit truppenärztlicher Stellungnahme vom 23. Januar 2020 mit, seit der ersten truppenärztlichen Vorstellung der Klägerin im September 2019 seien alle unangekündigten Drogenscreenings negativ verblieben. Die Klägerin habe sich allzeit hochmotiviert, krankheitseinsichtig und sozial gut aufgefangen gezeigt. Aus truppenärztlicher Sicht werde „bei bisher beispielloser Therapieadhärenz und Kooperation“ seitens der Klägerin eine sehr gute Prognose gesehen und aufs Dringlichste die Beibehaltung des Soldatendienstverhältnisses auf Zeit im Rahmen einer Einzelfallentscheidung befürwortet.

Die gegen die Entlassungsverfügung eingelegte Beschwerde der Klägerin wies die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 2020 zurück. Ergänzend wurde unter anderem ausgeführt: Bei einem Konsum der „harten“ Droge Kokain sei mit schweren physischen und psychischen Folgen zu rechnen. So könne es selbst nach einem symptomfreien Intervall von mehreren Tagen zu einem Wiederaufflammen des Rausches kommen, unkontrollierte Reaktionen seien dann nicht auszuschließen. Es habe die Gefahr bestanden, dass die Klägerin auf ihrem Dienstposten in der 1. Kompanie des Logistikbataillons … unter Betäubungsmitteleinfluss beim Führen eines Dienstkraftfahrzeugs einen Unfall zum Schaden von Kameraden oder Zivilisten mit erheblichen Nachteilen auch für das Ansehen der Bundeswehr habe verursachen können. Wäre die Rauschgiftabhängigkeit der Klägerin nicht zufällig aufgedeckt worden, habe sie jederzeit im Rahmen von Übungsschießen oder Wachdiensten unter Kokaineinfluss Zugang zu Waffen haben können. Ein atypischer Fall, der eine vom Regelfall der fristlosen Entlassung trotz ernstlicher Gefährdung der militärischen Ordnung und des Ansehens der Bundeswehr abweichende Beurteilung erlaube, scheide in der Gesamtschau aus.

Mit ihrer am 24. April 2020 beim Verwaltungsgericht Halle erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, den Entlassungsbescheid der Beklagten vom 21. Januar 2020 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 25. März 2020 aufzuheben.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 10. November 2021 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Der angefochtene Bescheid sei materiell rechtswidrig. Es erscheine bereits fraglich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Entlassungsnorm des § 55 Abs. 5 SG erfüllt seien. Zwar habe die Klägerin schuldhaft ihre Dienstpflichten verletzt, indem sie nach ihren eigenen Einlassungen im Zeitraum von Mai bis September 2019, teilweise auch auf dem Dienstgelände, wenngleich außerhalb ihrer Dienstzeit, Kokain konsumiert habe. Mit dem Betäubungsmittelkonsum habe sie gegen ihre Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG), ihre Pflicht zur Gesunderhaltung (§ 17a Abs. 1 Satz 1 und 2 SG) sowie gegen ihre Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass sie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die ihr Dienst als Soldatin erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), verstoßen. Zweifelhaft sei jedoch, ob ein Verbleiben der Klägerin in ihrem Dienstverhältnis die militärische Ordnung ernstlich gefährden würde. Auch wenn ein sich in der Bundeswehr unkontrolliert verbreitender Konsum von Betäubungsmitteln eine solche Gefährdung herbeiführen und insoweit bereits der Einzelkonsum als Teilstück einer allgemeinen und schwer zu bekämpfenden Erscheinung disziplinlosen Verhaltens – etwa vor dem Hintergrund eines zu erwartenden Nachahmungseffekts – ausreichen könne, sei doch gleichwohl nicht ersichtlich, dass ein Verbleiben der Klägerin im Dienst die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erheblich vermindern und infolgedessen die Verteidigungsbereitschaft der Truppe in Frage stellen würde. Von Nachahmungseffekten lasse sich schon deshalb nicht ausgehen, weil die Klägerin das Kokain allein und unbeobachtet konsumiert habe und die Einnahme anderen Soldaten nicht bekannt gewesen sei. Im Hinblick auf die mit der Aufklärung und Bearbeitung des Fehlverhaltens der Klägerin befassten Personen werde die Beklagte „doch nicht ernsthaft annehmen, dass Stabsoffiziere, Sanitätsoffiziere oder ständig mit Suchtproblemen befasste Sozialarbeiter eines Bundeswehr-Dienstleistungszentrums in ihrer Persönlichkeit so wenig gefestigt sein sollen, dass sie die Kenntnis eines Betäubungsmittelkonsums durch die Klägerin als Mannschaftsdienstgrad zum Konsum von Kokain verleiten würde“. Dass sich die Kenntnis über den Kokainkonsum der Klägerin negativ auf das Verhalten und die innere Einstellung anderer Soldaten auswirken würde, sei danach nicht ersichtlich. Ebenfalls fraglich sei, ob ein Verbleiben der Klägerin im Dienstverhältnis das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährde „oder ob durch die streitbefangene Personalmaßnahme nicht vielmehr das Ansehen der Bundeswehr als fürsorglicher Arbeitgeber ernstlich gefährdet“ werde. Zwar möge – entsprechend früherer verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung – eine berechtigte Erwartung der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr als einer Wehrpflichtarmee auch dahin bestehen, dass ein Drogenkonsum, insbesondere der Berufs- und Zeitsoldaten, nicht stattzufinden habe. Dass ein solcher bei einem Verbleib der Klägerin im Dienstverhältnis zu befürchten sei, könne indes unter Berücksichtigung der Angaben ihrer Disziplinarvorgesetzten und behandelnden Ärzte nicht allein mit dem Verweis auf einen mehrmonatigen Kokainkonsum bejaht werden. Darum könne auch offenbleiben, ob sich die Betrachtung im Ausgangspunkt dadurch verändert habe, dass die Bundeswehr aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht zu einer Freiwilligenarmee geworden sei.

Jedenfalls habe die Beklagte das ihr gesetzlich eröffnete Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Selbst wenn bei der Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG von einer intendierten Ermessensentscheidung ausgegangen werde, sei zwingend erforderlich, dass die Entlassungsbehörde sich des ihr in atypischen Fällen eingeräumten Ermessens bewusst gewesen sei und etwaige Besonderheiten zutreffend geprüft und verneint habe. Dem genüge die Entscheidung der Beklagten nicht. Zwar werde im Beschwerdebescheid ausgeführt, dass trotz der dienstlichen Leistungen der Klägerin und der Erklärungen ihrer Disziplinarvorgesetzten vorliegend kein atypischer Fall gegeben sei. Dabei habe die Beklagte aber zum einen mit dem Pauschalargument, der Konsum „harter“ Drogen durch Zeitsoldaten überschreite eine „rote Linie“, die durchweg positiven Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten der Klägerin übergangen, ohne sich mit ihnen inhaltlich auseinanderzusetzen. Zum anderen sei die Beklagte auch nicht auf die der Klägerin am 23. Januar 2020 truppenärztlich attestierte „beispiellose“ Therapieadhärenz sowie auf den dort wie auch bereits im ärztlichen Kurzbefund vom 15. Oktober 2019 prognostizierten Heilungsverlauf eingegangen. Die gebotene Einzelfallprüfung sei unterblieben. Die im Entlassungsverfahren durchzuführenden Anhörungen der Disziplinarvorgesetzten, der Truppenärzte und des Sozialdienstes seien kein Selbstzweck, sondern dienten dazu, der zuständigen Stelle die notwendigen Grundlagen für die Entscheidung zu verschaffen. Das führe umgekehrt zur Verpflichtung, sich diese Grundlagen auch zu vergegenwärtigen und zu verarbeiten. Das sei nicht geschehen. Vielmehr könnten die in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Erwägungen auf alle Fälle eines Drogenmissbrauchs angewandt werden. Eine solche Entscheidungspraxis mache die Anhörungen zu einer „reinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Angehörten“. In die gleiche Richtung wiesen auch die Klageerwiderung und das Beklagtenvorbringen in der mündlichen Verhandlung. Soweit sich die Beklagte im Verwaltungsprozess auf den Standpunkt gestellt habe, bei Betäubungsmittelkonsum sei stets die Entlassung auszusprechen, weil Soldaten danach in Zukunft nicht mehr oder nur noch sehr schwer einsetzbar seien, zeige sich auch darin der zu beanstandende Ermessensausfall.

Mit Beschluss vom 1. April 2022, der Beklagten am 12. April 2022 zugestellt, hat der Senat wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen. Die Beklagte hat die Berufung mit am 2. Mai 2022 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz gleichen Datums begründet. Sie macht unter anderem geltend:

Die Klägerin sei rechtmäßig entlassen worden. Es sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht zweifelhaft, dass ein Verbleiben der Klägerin in ihrem Dienstverhältnis die militärische Ordnung ernstlich gefährden würde. Durch den Konsum von Betäubungsmitteln und die damit einhergehende Suchtgefahr sei der Kernbereich der militärischen Ordnung betroffen. Daneben bestehe eine Nachahmungs- und Wiederholungsgefahr. Die militärische Ordnung entspreche der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, die grundsätzlich die Einhaltung und Beachtung von Befehlen sowie die individuelle Gesunderhaltung der Soldaten erfordere. Im Fall des Drogenkonsums werde die unmittelbare Einsatzbereitschaft eines Soldaten beeinträchtigt und daher der militärische Kernbereich verletzt. Eine Nachahmungsgefahr ergebe sich daraus, dass es sich bei einem solchem Verhalten um das typische Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zur Disziplinlosigkeit handele und deshalb ohne die fristlose Entlassung andere Soldaten zu einem ähnlichen Verhalten veranlasst würden. Auch der einmalige Konsum reize andere Soldaten zur Nachahmung und leiste so einer allgemeinen Disziplinlosigkeit Vorschub. Bei einem in der Truppe verbreiteten Betäubungsmittelkonsum sei die Einsatzbereitschaft der Soldaten erheblich vermindert und die militärische Ordnung folglich erheblich gefährdet. Dabei sei nicht entscheidend, dass der Drogenkonsum eines einzelnen Soldaten möglicherweise noch nicht die Einsatzfähigkeit der Truppe schwäche, sondern maßgeblich vielmehr die Gefahr, die der Verteidigungsbereitschaft jeder einzelnen Einheit und der Bundeswehr im Ganzen drohe, wenn vielfach von Soldaten Betäubungsmittel konsumiert würden, der Betäubungsmittelkonsum also um sich greife. Bei der Prüfung, ob das konkrete Fehlverhalten der Klägerin anderen Soldaten bekannt geworden sei, seien indes nicht nur die mit der Aufklärung und Bearbeitung befassten Vorgesetzten, Ärzte und Sozialarbeiter zu berücksichtigen. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei es naheliegend, dass die fristlose Entlassung der Klägerin und deren Hintergründe in ihrer Kaserne und bei ihren dortigen Kameraden nicht unbemerkt geblieben seien, zumal die Stube der Klägerin durchsucht worden sei. Auch dürften die bei der Durchsuchung eingesetzten Feldjäger und die außerhalb der Einheit mit der Bearbeitung der Angelegenheit befassten Personen nicht außer Acht gelassen werden. Angesichts dessen sei die Besorgnis gerechtfertigt, dass der Betäubungsmittelkonsum in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftreten und zur Nachahmung verleiten könne. Weiter sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die Klägerin habe über mehrere Monate Kokain konsumiert. Selbst ein einmaliger Betäubungsmittelkonsum könne eine Wiederholungsgefahr begründen. Dass sich die Klägerin einer Therapie unterzogen habe, stehe dem nicht entgegen. Ein drogenfreier Zeitraum von wenigen Monaten unter dem Druck einer drohenden Entlassung sei kein Beleg für eine dauerhafte Drogenabstinenz. Gerade die Erkenntnis, dass die Klägerin in schwierigen privaten Lebenssituationen auf Drogen zurückgreife, lasse ungeachtet einer guten ärztlichen Prognose befürchten, dass sie bei einer Wiederkehr derartiger Umstände rückfällig werde. Die Betäubungsmittelsucht sei eine chronische Krankheit, bei der Rückfälle nicht selten und bei „harten“ Drogen häufiger seien als bei „weichen“. Darüber hinaus führe ein Verbleiben der Klägerin im Dienst zu einem ernstlichen Ansehensverlust für die Bundeswehr. Das Handeln der Klägerin sei geeignet, bestehende Vorurteile gegen die Bundeswehr zu bestätigen, etwa dergestalt, dass dort Alkohol- und Betäubungsmittelabusus verbreitet seien.

Die Beklagte habe auch ihr Entlassungsermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Ermessen, beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung abzusehen, sei im Sinne einer „intendierten“ Entscheidung auf besondere (Ausnahme-) Fälle beschränkt, und zwar auf solche, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen habe bzw. habe einbeziehen können, weil sie beispielsweise den in Rede stehenden Fall als völlig atypisch prägten. Hiernach sei die zuständige Behörde generell nicht verpflichtet, in jedem Einzelfall in der Begründung der Entlassungsverfügung oder des Beschwerdebescheids (zusätzliche) Ermessenserwägungen ausdrücklich anzustellen. Ausreichend sei, wenn die Entlassungsbehörde auf das Gesetz verweise und sich auf die Feststellung beschränke, dass besondere Umstände des Einzelfalls, die eine andere Beurteilung nahelegen würden, nicht ersichtlich seien. Es genüge, dass sich die Behörde des in atypischen Fällen eingeräumten Ermessens bewusst gewesen sei und sie etwa bestehende Besonderheiten zutreffend geprüft und verneint habe. Diesem Maßstab sei die Beklagte im Streitfall gerecht geworden. Sie sei sich ihres Ermessensspielraums in atypischen Fällen bewusst gewesen. Da atypische Umstände jedoch nicht vorgelegen hätten, habe über bestehende Besonderheiten nicht entschieden werden müssen. In den angefochtenen Bescheiden sei dementsprechend zutreffend festgestellt worden, dass die Entscheidung im behördlichen Ermessen stehe und sich für zusätzliche Ermessenserwägungen keine wesentlichen entlastenden Aspekte ergeben hätten.

Aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Umständen (positive Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten und des Sozialarbeiters sowie ärztlich attestierte beispiellose Therapieadhärenz der Klägerin) sei keine einen Ausnahmefall prägende Atypik herzuleiten. Dass die Klägerin eine tadellose Dienstauffassung habe und überdurchschnittliche Leistungen zeige, sei unerheblich, weil die Klägerin nicht wegen mangelnder Eignung entlassen worden sei, sondern weil sie durch Dienstpflichtverletzungen die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr gefährdet habe. Dies könne durch eine tadellose Dienstauffassung oder ein überdurchschnittliches Leistungsbild nicht kompensiert werden. Im Übrigen seien die positiven Stellungnahmen des nächsten und nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten der Klägerin von der Beklagten schon im Ausgangsbescheid ausdrücklich berücksichtigt worden. Auch die Attestierung einer beispiellosen Therapieadhärenz durch die Truppenärztin begründe keinen atypischen Fall. Mit der Wiederherstellung ihrer Gesundheit sei die Klägerin lediglich einer soldatengesetzlichen Pflicht nachgekommen. Der Drogentherapie habe sich die Klägerin erst nach Ankündigung des Entlassungsverfahrens unterzogen. Die Beklagte habe das Attest der Truppenärztin nicht übergangen, sondern sich mit ihm im Beschwerdebescheid bei Prüfung des Tatbestandsmerkmals der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung auseinandergesetzt und sei dabei zu der Schlussfolgerung einer hohen Rückfall- und Wiederholungsgefahr gekommen. In der Stellungnahme des Sozialarbeiters des Bundeswehr-Dienstleistungszentrums seien gleichfalls keine (neuen) Gesichtspunkte dargestellt, die es rechtfertigten, einen atypischen Fall anzunehmen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 5. Kammer – vom 10. November 2021 – 5 A 196/20 HAL – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils, die Berufung zurückzuweisen.

Das Verwaltungsgericht habe die Entlassungsverfügung zu Recht aufgehoben. Durch ein Verbleiben der Klägerin in ihrem Dienstverhältnis würden weder die militärische Ordnung noch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Eine Gefahr für die militärische Ordnung sei zu verneinen, denn Nachahmungen oder Wiederholungen seien nicht zu befürchten. In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht sei von Nachahmungseffekten bereits deshalb nicht auszugehen, weil die Klägerin das Kokain allein konsumiert habe und dies anderen Soldaten weder bekannt gewesen sei noch habe bekannt sein können. Lediglich zufällig sei wegen eines veränderten Schlafverhaltens der Klägerin die Mutmaßung eines Drogenkonsums aufgekommen. Dass sich etwa die Vorgesetzten der Klägerin oder die Ermittlungssoldaten der Feldjäger allgemein durch die Ermittlungsarbeit zur Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten hinreißen ließen, widerspreche der empirischen Wirklichkeit und dem konkreten Einzelfall. Es bestehe auch keine Wiederholungsgefahr. Eine sichere Gewähr für eine dauerhafte Drogenabstinenz könne es nicht geben und könne mithin auch nicht Voraussetzung für die Negierung einer Wiederholungsgefahr sein. Angesichts der positiven Einschätzungen der behandelnden Ärzte, des Sozialarbeiters und des Disziplinarvorgesetzten sowie des Umstands, dass die Klägerin seit der Offenbarung ihres Fehlverhaltens abstinent und rückfallfrei sei und unter keinem Suchtdruck stehe, sei eine solche Gefahr hier aber nicht gegeben. Ein Verbleiben der Klägerin im Dienst würde auch das Ansehen der Bundeswehr bei Bekanntwerden des Gesamtsachverhalts nicht ernstlich gefährden. Im Gegenteil könne gerade die entgegen fundierten dienstlichen und medizinischen Stellungnahmen verfügte Entlassung der Klägerin das Ansehen der Bundeswehr als fürsorglicher Arbeitgeber beeinträchtigen. Bei der Beurteilung einer Ansehensgefährdung seien nur Vorkommnisse in den Blick nehmen, die messbar zu einer öffentlichen Diskussion geführt und ein schlechtes Bild auf die Bundeswehr geworfen hätten. Da es in der Bundeswehr in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Skandale und Affären gegeben habe, fielen die Pflichtverletzungen der Klägerin nicht ins Gewicht und seien nicht geeignet, das Ansehen der Streitkräfte negativ zu beeinflussen. Dies gelte erst recht in Anbetracht der dienstlichen Leistungen, die die Klägerin vor und nach der Enthüllung ihres Drogenkonsums gezeigt habe. Die Entlassung werde von keinem der in Kenntnis gesetzten Soldaten nachvollzogen mit Ausnahme derjenigen der Entlassungsstelle, denen die Klägerin persönlich nicht bekannt sei.

Benötigen Sie Hilfe in einem ähnlichen Fall? Schildern Sie uns jetzt in unserem Kontaktformular Ihren Sachverhalt und fordern unsere Ersteinschätzung an.

Die Beklagte habe zudem ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil sie nicht beachtet habe, dass es sich um einen atypischen Fall handele. Eine atypische Besonderheit ergebe sich zunächst aus den – von der Beklagten bei ihrer Entscheidung übergangenen – fachlichen Stellungnahmen, die sich gegen die Entlassung aussprächen. Eine weitere außergewöhnliche Besonderheit liege darin, dass die Klägerin durch ihre freiwillige Aussage maßgeblich dazu beigetragen habe, den eigenen Betäubungsmittelkonsum aufzudecken. Zumindest sei der Klägerin zuzubilligen, dass sie aus freien Stücken Erhebliches zur Aufdeckung der Straftaten und zur Verteidigung der von § 55 Abs. 5 SG geschützten Rechtsgüter unternommen habe. Eine diesen Besonderheiten gerecht werdende Ermessensentscheidung habe die Beklagte nicht getroffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Januar 2020 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 25. März 2020 verfügte fristlose Entlassung der Klägerin rechtmäßig. Das Verwaltungsgericht hätte die Anfechtungsklage der Klägerin daher abweisen müssen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die fristlose Entlassung der Klägerin als Soldatin auf Zeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 5 SG in der zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Beschwerdebescheids geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl I S. 1626). Danach kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Tatbestandsmerkmale dieser Regelung sind erfüllt. Die Ermessensausübung der Beklagten ist nicht zu beanstanden.

a) Die Entlassungsermächtigung des § 55 Abs. 5 SG soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung nach dieser Vorschrift ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, juris Rn. 14, und vom 28. Juli 2011 – 2 C 28.10 -, juris Rn. 10, sowie Beschlüsse vom 16. August 2010 – 2 B 33.10 -, juris Rn. 6, und vom 28. Januar 2013 – 2 B 114.11 -, juris Rn. 8).

Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, juris Rn. 14 f., und vom 28. Juli 2011 – 2 C 28.10 -, juris Rn. 11, sowie Beschlüsse vom 16. August 2010 – 2 B 33.10 -, juris Rn. 7, und vom 28. Januar 2013 – 2 B 114.11 -, juris Rn. 9). Die Frage, ob das Verbleiben im Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde, ist nach dem Normzweck des § 55 Abs. 5 SG und dem darin verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anhand objektiver Kriterien zu beurteilen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2013, a. a. O. Rn. 13).

Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 28.10 -, juris Rn. 13, sowie Beschlüsse vom 16. August 2010 – 2 B 33.10 -, juris Rn. 8, und vom 28. Januar 2013 – 2 B 114.11 -, juris Rn. 10).

b) Der Konsum von Betäubungsmitteln (insbesondere) in der Kaserne stellt nach ständiger Rechtsprechung eine Dienstpflichtverletzung dar (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 1990 – 2 WD 25.90 -, juris Rn. 5 ff., vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, juris Rn. 12, vom 10. August 1994 – 2 WD 24.94 -, juris Rn. 2 ff., und vom 28. Juli 2011 – 2 C 28.10 -, juris Rn. 14, sowie Beschluss vom 15. März 2000 – 2 B 98.99 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 128;BayVGH, Beschluss vom 21. Februar 2020 – 6 CS 19.2403 -, juris Rn. 13). Ein solches Verhalten verletzt die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) im militärischen Kernbereich, weil es unmittelbar die Einsatzbereitschaft der Truppe gefährdet. Regelmäßig liegt darin auch ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht (§ 11 SG), wenn der Soldat – wie dies bei der Klägerin auch nach eigenen Angaben der Fall ist (vgl. Beiakte A, Bl. 56) – über das Verbot des unbefugten Besitzes und des Konsums von Betäubungsmitteln in militärischen Anlagen belehrt worden ist. Das Verbleiben eines Soldaten im Dienst, der in militärischen Unterkünften Betäubungsmittel konsumiert hat, stellt deshalb in der Regel eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung dar; es hätte negative Vorbildwirkung, die es der Bundeswehr erschweren würde, ihren Verteidigungsauftrag zu erfüllen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011, a. a. O. Rn. 14).Die militärische Ordnung ist nicht nur dann gefährdet, wenn die Ausrüstung nicht funktionstauglich ist, sondern auch, wenn wegen verminderter Einsatzbereitschaft der Soldaten die Verteidigungsbereitschaft der Truppe in Frage gestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, a. a. O. Rn. 13, 16, und Beschluss vom 15. März 2000, a. a. O. Rn. 7). Wenn Soldaten Rauschmittel zu sich nehmen, wird die Einsatzfähigkeit der Truppe erheblich beeinträchtigt. Dabei kommt es nicht allein darauf an, dass der Rauschmittelkonsum eines einzelnen Soldaten möglicherweise noch nicht die Einsatzfähigkeit der Truppe beeinträchtigt; vielmehr ist darauf abzuheben, dass die militärische Ordnung gefährdet ist, wenn der Rauschmittelkonsum um sich greift. Entscheidend ist die Gefahr, die der Verteidigungsbereitschaft jeder einzelnen Einheit und der Bundeswehr im Ganzen droht, wenn vielfach von Soldaten Rauschgift konsumiert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, a. a. O. Rn. 16, und Beschluss vom 15. März 2000, a. a. O.).

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin dadurch, dass sie – wie aufgrund ihrer eigenen Einlassungen feststeht – im Zeitraum von Mai bis September 2019 Kokain und damit eine sog. harte Droge konsumiert hat, wobei der Konsum ab August 2019 auch in der Kaserne (jeweils nach Dienstschluss) stattfand, schuldhaft, und zwar vorsätzlich, Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich begangen. Das weitere Verbleiben der Klägerin in ihrem Dienstverhältnis als Soldatin auf Zeit hätte nach der auf den Zeitpunkt des Ergehens des Beschwerdebescheids vom 25. März 2020 zu beziehenden nachträglichen objektiven Prognose die militärische Ordnung in der Bundeswehr ernstlich gefährdet, weil bei einer Ausbreitung des Rauschgiftkonsums unter den Soldaten eine erhebliche Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft der Truppe droht. In einer solchen Verbreitung liegt eine ernst zu nehmende mögliche Folge im Sinne einer konkreten Gefahr (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, juris Rn. 18, wonach es eine allgemein bekannte Tatsache ist, „dass der Betäubungsmittelgebrauch trotz aller Verbotsvorschriften zur Ausbreitung tendiert“; s. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 137 m. w. N.). Der Befürchtung eines Schadens für die militärische Ordnung steht nicht entgegen, dass die Klägerin das Kokain in der militärischen Unterkunft nicht zusammen mit anderen, sondern allein sowie – wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist – unbeobachtet und unbemerkt eingenommen hat. Andere Soldaten in nicht überschaubarer Zahl würden von einem Verbleiben der Klägerin im Dienst trotz ihres wiederholten Betäubungsmittelkonsums (auch) in der Kaserne Kenntnis erlangen, womit sich die Besorgnis einer negativen Vorbildwirkung verbinden würde (vgl. zum „Öffentlichkeitsgrad“ bei einem von Dritten unbeobachteten Eigenkonsum VG Augsburg, Urteil vom 9. August 2018 – Au 2 K 18.286 -, juris Rn. 51). Es wäre ein Nachahmungseffekt zu erwarten und würde einer allgemeinen Disziplinlosigkeit Vorschub leisten, wenn der Kokainkonsum der Klägerin in der Bundeswehr lediglich disziplinarrechtlich und nicht auch mit dem Mittel der fristlosen Entlassung bekämpft werden würde. Der in den Bereich typischer und besonders schwer einzudämmender menschlicher Schwächen fallenden Versuchung, Rauschgift zu konsumieren, sei es in Form von „harten“ oder „weichen“ Drogen, sei es innerhalb oder außerhalb der Dienstzeiten und der militärischen Liegenschaften, würden Soldaten leichter nachgeben. Diese Gefahr wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass auch der Kompaniechef, Major K., in seiner sich gegen eine Entlassung der Klägerin aussprechenden Stellungnahme vom 11. Oktober 2019 auf „zahlreiche“ ihm bekannte „BtM-Fälle“ unter Soldaten und in seiner Stellungnahme vom 27. April 2022 darauf verwies, ihm sei bekannt gewesen, dass es im Jahr 2019 bereits in zwei anderen Kasernen Kokainmissbrauch gegeben habe. Auf die Frage, ob damit zu rechnen ist, dass die Klägerin aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur künftig erneut Rauschmittel zu sich nehmen wird, kommt es wegen der negativen Vorbildwirkung der Dienstpflichtverletzungen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, a. a. O. Rn. 19).

Soweit in der Rechtsprechung eine durch Dienstpflichtverletzungen verursachte ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung verneint worden ist „im Falle von Affekthandlungen bei geringer Vorbildfunktion des Soldaten“, „also in Fällen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und die Dienstpflichtverletzung nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zu Disziplinlosigkeit zu werten war“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 – 2 C 17.91 -, juris Rn. 15; OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 139 ff.), liegt ein derartiges Affektverhalten hier offenkundig nicht vor. Ebenso wenig sind die Dienstpflichtverletzungen der Klägerin im Hinblick auf ihr Gewicht und die ihnen innewohnende Nachahmungsgefahr mit dem einmaligen, zwar fahrlässigen, aber unbewussten Gebrauch eines Cannabis-Produkts durch einen Soldaten im privaten Umfeld vergleichbar (vgl. zu dieser Sachverhaltsgestaltung OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2017 – 1 A 1392/17 -, juris Rn. 5 ff.). Die Klägerin hat über einen Zeitraum von mehreren Monaten Kokain konsumiert und das von ihr erworbene Betäubungsmittel zum Zweck des späteren Konsums auch in die Kaserne mitgebracht. Umstände, die im vorliegenden Verfahren dazu führen könnten, den Drogenkonsum ausnahmsweise als die militärische Ordnung nicht ernstlich gefährdend anzusehen, sind nicht vorhanden.

Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, ist aus Sicht des Senats ergänzend anzumerken, dass der Behauptung des Verwaltungsgerichts, „anderen Soldaten, nicht einmal der Oberstabsgefreiten K., mit der sich die Klägerin eine Stube teilte und privat gut befreundet war“, sei der Drogenkonsum der Klägerin bekannt gewesen, entgegenzutreten ist. Ausweislich der Stellungnahme des Majors K. vom 27. April 2022 ging das von ihm mit der Klägerin geführte dienstliche Gespräch vom 20. September 2019 und damit die Aufdeckung der Dienstpflichtverletzungen der Klägerin gerade auf einen von der Oberstabsgefreiten K. gemeldeten Verdacht auf Betäubungsmittelkonsum und den insoweit mitgeteilten Verdachtsmomenten zurück („auffällig geänderter Schlaf-Wach-Rhythmus“, „stets hellwach und ,hibbelig´“, Trinken von „deutlich mehr Alkohol, ohne dass eine Ermüdung auftrat“, „über den Tag gehäuft auftretendes schniefendes Geräusch“). Die – offenbar spekulative – Aussage des Verwaltungsgerichts findet auch in den Verwaltungsvorgängen keine Stütze.

c) Darüber hinaus wäre durch das Verbleiben der Klägerin im Dienst auch eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr herbeigeführt worden.

Unter dem Merkmal des Ansehens der Bundeswehr ist der „gute Ruf“ der Streitkräfte oder auch einzelner Truppenteile bei außenstehenden Personen oder der Öffentlichkeit zu verstehen. Ob das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet ist, ist nicht aus der Sicht der Bundeswehr, sondern aus der Sicht eines den betreffenden Lebensverhältnissen gegenüber aufgeschlossenen und objektiv wertenden Beobachters zu beurteilen. Maßgeblich ist, wie ein vernünftiger Betrachter das Verbleiben des Soldaten auf Zeit in seinem Dienstverhältnis im Hinblick auf das Ansehen der Bundeswehr bewerten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Februar 2021 – 2 C 29.20 -, juris Rn. 23 zu § 67 Abs. 5 SG; BayVGH, Urteil vom 17. März 2005 – 15 B 01.327 -, juris Rn. 33; NdsOVG, Beschluss vom 9. Juli 2021 – 5 ME 81/21 -, juris Rn. 26). Der „gute Ruf“ der Bundeswehr bezieht sich namentlich auch auf die Qualität der Ausbildung, die sittlich-moralische Integrität und die allgemeine Dienstauffassung ihrer Soldatinnen und Soldaten sowie die – an Recht und Gesetz gebundene – militärische Disziplin der Truppe (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 WD 5.07 -, juris Rn. 74). Eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Soldaten mit den berechtigten Erwartungen der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr unvereinbar, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit der Streitkräfte bei Bekanntwerden des Verhaltens also erschüttert wäre (vgl. OVG SH, Urteile vom 22. Juni 2015 – 2 LB 3/15 -, juris Rn. 35, und vom 19. Oktober 2015 – 2 LB 25/14 -, juris Rn. 35; NdsOVG, Beschluss vom 9. Juli 2021, a. a. O.).

Das Ansehen der Bundeswehr gebietet es, dass ein Soldat sich jeglichen, nicht nur eines regelmäßigen oder wiederholten Rauschgiftkonsums enthält (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 2000 – 2 B 98.99 -, juris Rn. 4). Der in und außerhalb der Kaserne Kokain konsumierende Soldat entspricht nicht dem Bild des pflichtgetreu handelnden Soldaten und weckt Zweifel an seiner Zuverlässigkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 2000, a. a. O.). Jede Art von Rauschgiftkonsum in den Streitkräften, erst recht aber die Einnahme der „harten“ Droge Kokain in der militärischen Unterkunft, ist mit den Erwartungen der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr unvereinbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 2000, a. a. O. Rn. 7; BayVGH, Beschluss vom 21. Februar 2020 – 6 CS 19.2403 -, juris Rn. 13). Das gravierende Fehlverhalten der Klägerin wird diesen Erwartungen nicht gerecht und ist geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit der Streitkräfte zu erschüttern.Dieses Vertrauen wäre irreparabel zerstört, wenn der Anschein entstünde, die Bundeswehr dulde in ihren Reihen den Genuss von Rauschmitteln und würde so mit dazu beitragen, dass bei der Bundeswehr Beschäftigte gerade dort unter Umständen erstmals mit verbotenen Drogen konfrontiert werden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. August 1999 – 12 A 2849/96 -, juris Rn. 38; BayVGH, Urteil vom 17. März 2005 – 15 B 01.327 -, juris Rn. 33). Würde die Bundeswehr nicht mit Entschiedenheit gegen jeden Betäubungsmittelmissbrauch einschreiten, würde das Fehlverhalten der Soldaten zu negativen Rückschlüssen auf die Qualität der Soldaten und der allgemeinen militärischen Disziplin in der Bundeswehr führen. Würde mit dieser Handlungsweise die Institution der Bundeswehr als solche getroffen, wäre ihr Ansehen ernsthaft gefährdet (vgl. BayVGH, Urteil vom 17. März 2005, a. a. O.). Eine solche drohende Ansehenseinbuße könnte durch die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen die Klägerin als milderes Mittel unterhalb der Entfernung aus dem Dienstverhältnis nicht wirksam abgewendet werden.

Soweit das Verwaltungsgericht – immerhin – für fraglich hält, ob nicht umgekehrt gerade durch die Entlassung der Klägerin statt durch ihr Verbleiben im Dienst das Ansehen der Bundeswehr bei Bekanntwerden aller Umstände („Betäubungsmittelkonsum ohne Schädigung von Dritten in einer emotionalen Ausnahmelage“) ernstlich gefährdet werde, hält der Senat dies – abgesehen davon, dass die Funktion der Bundeswehr als „fürsorglicher Arbeitgeber“ nur einen Teilaspekt ihres Rufs betrifft – für ausgeschlossen.

d) Der Ausgangsbescheid der Beklagten vom 21. Januar 2020 wurde der Klägerin, die am 1. April 2016 in die Bundeswehr eintrat, am 28. Januar 2020 bekanntgegeben. Da die Entlassung damit vor Ablauf der ersten vier Dienstjahre der Klägerin wirksam wurde (vgl. § 40 Abs. 6 SG), sind die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG erfüllt. Dass die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage von § 153a Abs. 1 StPO das Strafverfahren gegen die Klägerin wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG gegen Zahlung eines Geldbetrags von 600 € eingestellt hat, steht der Annahme einer (schwerwiegenden) Dienstpflichtverletzung wie auch der Verwirklichung der sonstigen gesetzlichen Anforderungen an die Entlassung nicht entgegen (vgl. BayVGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2020 – 6 CS 19.2403 -, juris Rn. 16, und vom 12. August 2020 – 6 CS 20.1540 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Beschluss vom 16. Oktober 2020 – 1 B 858/20 -, juris Rn. 30).

e) Entgegen der erstinstanzlichen Auffassung hat die Beklagte auch das ihr nach § 55 Abs. 5 SG eingeräumte Entlassungsermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Weder hat sie mit der angefochtenen Verfügung in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 25. März 2020 die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO). Da sie alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen waren, in ihre Entscheidungsfindung einbezogen hat, besteht das vom Verwaltungsgericht angenommene Abwägungsdefizit nicht.

Soweit das Verwaltungsgericht beanstandet, die Beklagte habe es versäumt, sich mit den im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten der Klägerin inhaltlich auseinanderzusetzen, ist den streitgegenständlichen Bescheiden unmittelbar zu entnehmen, dass die Beklagte die besagten Stellungnahmen sowohl zur Kenntnis genommen als auch sich mit den darin formulierten Einwänden und Argumenten im Einzelnen befasst hat. Es ist nicht ersichtlich (und auch vom Verwaltungsgericht nicht näher konkretisiert worden), welche für die Betätigung des Entlassungsermessens – nach Prüfung und Bejahung des Bestehens einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung und des Ansehens der Bundeswehr unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – relevanten Tatsachen und Gesichtspunkte aus den Äußerungen der Disziplinarvorgesetzten dabei unberücksichtigt geblieben oder fehlgewichtet worden sein sollen. Wenn die Beklagte das ihr gesetzlich eingeräumte Ermessen dahingehend als „rote Linie“ generalisiert hat, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG aufgrund des Konsums „harter“ Drogen werde als Rechtsfolge in aller Regel die fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit verfügt, hat sie sich damit weder von vornherein der Würdigung des Einzelfalls und seiner etwaigen Besonderheiten verschlossen noch den Rahmen des Gesetzeszwecks verlassen. Allein der Umstand, dass die Disziplinarvorgesetzten der Klägerin sich übereinstimmend und nachdrücklich gegen ihre Entlassung ausgesprochen haben, macht die von der Beklagten angestellten Erwägungen und Bewertungen nicht ermessenswidrig, selbst wenn diese Überlegungen – wie das Verwaltungsgericht kritisiert – „auf alle Fälle eines Drogenmissbrauchs angewandt werden [können]“.

Der vom Verwaltungsgericht weiter geforderten Auseinandersetzung mit den ärztlichen Berichten vom 15. Oktober 2019 und 23. Januar 2020, in denen der Klägerin eine „beispiellose“ Therapieadhärenz und Kooperation sowie eine gute bzw. sehr gute Heilungsprognose bescheinigt wurden, bedurfte es auf Ermessensebene nicht. Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die truppenärztliche Stellungnahme vom 23. Januar 2020 eine Gefährdung der militärischen Ordnung bei einem Verbleiben der Klägerin im Dienst unter anderem wegen einer Wiederholungsgefahr angenommen, weil es ernsthaft möglich erscheine, dass die Klägerin trotz guter medizinischer Prognose rückfällig werde. Unabhängig hiervon hat die Beklagte die Entlassung der Klägerin zutreffend aber auch auf eine Gefährdung der militärischen Ordnung wegen einer Nachahmungsgefahr bzw. negativen Vorbildwirkung sowie auf eine Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr gestützt. Eine fehlende Wiederholungsgefahr würde diese weiteren Gründe und Zwecke nicht in Frage stellen und könnte daher keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Entlassungsentscheidung haben. Ebenso wenig musste die Beklagte nach der Zielrichtung des § 55 Abs. 5 SG in ihren Ermessenserwägungen darauf eingehen, dass die Leistungen der Klägerin von ihren Vorgesetzten als weit überdurchschnittlich und ihre Dienstauffassung als tadellos eingestuft worden waren, zumal eine untadelhafte Dienstauffassung ohnehin von jedem Soldaten zu erwarten ist.

Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe freiwillig an der Aufklärung des gegen sie entstandenen Verdachts mitgewirkt, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass das Bekanntwerden ihres Drogenkonsums – wie bereits erwähnt – nicht auf einer Selbstanzeige „aus freien Stücken“ beruhte, sondern entscheidend darauf zurückging, dass die Oberstabsgefreite K. eine entsprechende Meldung gemacht und Major K. am 20. September 2019 das Gespräch mit ihr gesucht hatte. Hat die Klägerin daraufhin wahrheitsgemäße Aussagen gemacht, ist sie lediglich ihrer Dienstpflicht aus § 13 Abs. 1 SG nachgekommen. Hierauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen.

Eine Ermessensfehlerhaftigkeit der Entlassung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin mit einer Dienstzeit von knapp drei Jahren und 10 Monaten im Entlassungszeitpunkt „noch gerade so“ vom zeitlichen Anwendungsbereich des § 55 Abs. 5 SG erfasst wird. Zum einen nimmt das Gesetz mit der Begrenzung der Entlassungsmöglichkeit auf den Zeitraum der ersten vier Dienstjahre selbst die maßgebliche Grenzziehung vor, womit naturgemäß – ähnlich wie bei Stichtagsregelungen – gewisse Härten verbunden sein können. Die Ausschöpfung dieser Frist durch die Bundeswehr bedarf hiervon ausgehend regelmäßig keiner besonderen Erwägungen; dies gilt insbesondere dann, wenn die Pflichtverletzung erst kurz oder unmittelbar vor Ablauf der Dienstzeit erfolgt bzw. entdeckt worden ist (vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 148). Zum anderen und vor allem entfällt bei Dienstpflichtverletzungen, von denen – wie hier – eine negative Vorbildwirkung ausgeht, diese nicht durch das reguläre Ausscheiden des Soldaten aus dem Dienst, sondern kann nur durch eine disziplinarische oder anderweitige Reaktion des Dienstherrn beseitigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 28.10 -, juris, Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 150). Vor diesem Hintergrund ist auch im vorliegenden Fall eine Unverhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs nicht erkennbar.

Ob bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG das behördliche Ermessen generell in Richtung auf eine Entlassung des Soldaten hin „intendiert“ ist (so etwa OVG NRW, Urteil vom 29. August 2012 – 1 A 2084/07 -, juris Rn. 57, 143; OVG SH, Urteil vom 19. Oktober 2015 – 2 LB 25/14 -, juris Rn. 42 f.; BayVGH, Beschluss vom 21. April 2020 – 6 ZB 20.342 -, juris Rn. 16; NdsOVG, Beschluss vom 9. Juli 2021 – 5 ME 81/21 -, juris Rn. 41; vgl. indes den zwischen den Begriffen „kann“ und „soll“ auf der Rechtsfolgenseite differenzierenden Wortlaut der Entlassungsregelungen in § 55 Abs. 4 Satz 1 und 2 SG), kann vorliegend auf sich beruhen. In den angefochtenen Bescheiden haben die nach dem hier maßgeblichen Sachverhalt gebotenen Ermessenserwägungen der Beklagten ausreichenden Niederschlag gefunden.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 125 Abs. 2 Satz 4, § 132 Abs. 2 VwGO).

BESCHLUSS

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Wertstufe bis 16.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 40, 47, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos