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Zulässigkeit der öffentlichen Äußerung über ein länger zurückliegendes Fehlverhalten einer Person

LG Hamburg – Az.: 324 O 166/11 – Urteil vom 16.09.2011

I. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen,

1. zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen

„[…] Es ist ein typischer Betrug wie ihn U. M. […] schon im Studium versucht hat. Als er bei der Abschlussprüfung durchfiel, versuchte er über eine Chiffreanzeige einen Juristen zu finden, der ihm eine neue Abschlussarbeit schreiben sollte. Dummerweise meldete sich ein Mitglied der Prüfungskommission seiner Universität;

und/oder

2. den Kläger mit seinem früheren Namen „H.“ zu benennen.

wenn dies geschieht wie in dem Artikel vom 05. 04. 2010 mit der Überschrift „U. M. und die FAZ gemeinsam auf Hartz IV Hatz“ (www. d..de).

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 23.000,00 Euro vorläufig vollstreckbar.

Und beschließt: Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechtigung des Beklagten, Äußerungen über den Kläger auf seiner Website zu verbreiten.

Der Kläger ist Unternehmer. Sein Geburtsname ist H., er wurde jedoch vor Jahrzehnten von dem Ehepaar M. adoptiert, bei dem er nach dem Tode seiner Eltern aufwuchs.

Der Beklagte betreibt die Internetseite www. d..de. Auf dieser Seite ist seit dem 5. April 2011 ein Beitrag mit der Überschrift „U. M. und die FAZ gemeinsam auf Hartz IV Hatz“ (Anlage K 2) abrufbar. Hierin heißt es in Bezug auf den Kläger unter anderem:

„Ja, da haben sich am Ostersamstag die Richtigen gefunden. Die FAZ, die als billige Werbefläche für den neoliberalen Wahnsinn noch immer nicht begriffen hat, dass der von ihr so geliebte Raubtierkapitalismus tot ist und der doch ach so tolle Unternehmer U. M., mit dem anständige Leute wahrscheinlich kein Wort wechseln würden. Ziel ist es, dezent darauf hinzuweisen, dass die bösen Hartz IVler sogar zu faul sind ein paar Alten etwas vorzulesen, ihnen einen Apfel zu schälen oder mit ihnen spazieren zu gehen. […]

Es ist ein typischer Betrug, wie ihn U. M., der damals noch U. H. hieß schon im Studium versucht hat. Als er bei der Abschlussprüfung durchfiel, versuchte er über eine Chiffreanzeige einen Juristen zu finden, der ihm eine neue Abschlussarbeit schreiben sollte. Dummerweise meldete sich ein Mitglied der Prüfungskommission seiner Universität und die Geschichte mit dem Jurastudium war ein für alle mal erledigt.“

Den geschilderten Täuschungsversuch, der rund 30 Jahre zurückliegt, nimmt der Kläger nicht in Abrede.

Der Beklagte nimmt in dem Beitrag mit der Überschrift „U. M. und die FAZ gemeinsam auf Hartz IV Hatz“ Bezug auf einen Artikel mit der Überschrift „Pflegebranche sucht Hartz-IV-Empfänger“ (Anlage B 1), der am 3. April 2010 auf www.faz.net veröffentlicht wurde und auf welchen er auf seiner Website verlinkt. Jener Artikel befasst sich mit dem Pflegekräftemangel in der Pflegebranche. Kritisiert wird im Hinblick darauf sowohl die Motivation von Langzeitarbeitslosen, sich zu bewerben, als auch die Unterstützungsleistung der Arbeitsagenturen. In Bezug auf den Kläger heißt es in dem Artikel:

„Nach unseren Erkenntnissen gibt es unter den Millionen von Langzeitarbeitslosen etwa 300.000, die sofort in unseren Pflegeheimen anfangen könnten“, sagte der Pflegeheimbetreiber U. M. der F.A.Z. in B.. „Auf der anderen Seite sitzen mehr als 700.000 Leute in den Pflegeheimen, die nur darauf warten, dass jemand ihnen vorliest, einen Apfel schält, sie spazieren führt und sie so aus der Einsamkeit holt. Die Bundesagentur muss ihre Arbeitsämter endlich anweisen, geeignete Langzeitarbeitslose aus ihren Karteien herauszusuchen.“

M. betreibt als Vorstandsvorsitzender der M.- K. AG in Deutschland 61 stationäre Altenpflege-Einrichtungen mit knapp 9000 Betten und 60000 Mitarbeitern. Er will mindestens 500 Hartz-IV-Empfänger einstellen und ihnen bis zu 400 Euro im Monat zahlen. Bewährt sich ein Arbeitsloser, will M. ihm nach zwei Jahren eine feste Arbeitsstelle anbieten. Nach seiner Einschätzung könnte ein Drittel dieser Hartz-IV-Pflegehelfer dauerhaft in der Branche bleiben. […]

Die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung, Hartz-IV-Empfänger in die Pflege zu holen, haben nach Auffassung M.s nicht gefruchtet. „Wir haben keinen einzigen Hartz-IV-Empfänger bekommen. Als sogenannte Betreuungsassistenten, die es fast seit zwei Jahren gibt., haben sich immer nur normale Arbeitslose beworben“, berichtet er. […]

Auch M. hält die Freiwilligkeit für eine zwingende Voraussetzung für den Einsatz von Hartz-IV-Empfängern. Dennoch sieht er auch eine staatsbürgerliche Verpflichtung der Langzeitarbeitslosen, dem Staat, der sie finanziert, auf diese Weise etwas zurückzugeben. Aus seiner Sicht ist die Einstellung Langzeitarbeitsloser für alle Beteiligten ein gutes Geschäft. Er selbst sparte erheblich gegenüber der Anstellung einer regulären Hilfskraft, die bis zu 1800 Euro brutto verdient. Das Argument zählt, denn wie fast alle Pflegeanbieter – gemeinnützig, privat oder öffentlich – drücken ihn die steigenden Kosten noch mehr als der Personalmangel.“

Der Kläger mahnte den Beklagten unter dem 10. Januar 2011 ab und forderte ihn zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf (Anlage K 4). Der Beklagte wies dieses Begehren telefonisch zurück.

Der Kläger sieht in der angegriffenen Berichterstattung eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, weil über den Täuschungsversuch im Examen bereits in Anbetracht des Zeitablaufs nicht habe berichtet werden dürfen. Er habe zudem ein Recht auf Nennung allein des Namens, der seit Jahrzehnten als sein Geburtsname zu gelten habe.

Der Kläger beantragt, den Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,–; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu verbieten,

1. zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen

„[…] Es ist ein typischer Betrug wie ihn U. M. […] schon im Studium versucht hat. Als er bei der Abschlussprüfung durchfiel, versuchte er über eine Chiffreanzeige einen Juristen zu finden, der ihm eine neue Abschlussarbeit schreiben sollte. Dummerweise meldete sich ein Mitglied der Prüfungskommission seiner Universität;

und/oder

2. den Kläger mit seinem früheren Namen „H.“ zu benennen.

wenn dies geschieht wie in dem Artikel vom 05. 04. 2010 mit der Überschrift „U. M. und die FAZ gemeinsam auf Hartz IV Hatz“ (www. d..de).

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er meint, dass die Verbreitung der angegriffenen Äußerungen rechtmäßig erfolgt sei. Die Berichterstattung über den Täuschungsversuch sei – was der Antragsteller nicht in Abrede nimmt – wahr. In seinem Beitrag mit der Überschrift „U. M. und die FAZ gemeinsam auf Hartz IV Hatz“ mache er auf die Diskrepanz zwischen den dem Kläger in dem FAZ-Artikel zugeschriebenen Äußerungen und den tatsächlichen Anforderungen, die der Kläger in seinem Unternehmen an Hartz-IV-Empfänger stelle, aufmerksam. In diesem Zusammenhang bestehe ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Kenntnis der verbreiteten Tatsache, dass der Kläger nach einem Täuschungsversuch nicht erneut zum juristischen Staatsexamen zugelassen worden sei und dass er seinerzeit den Namen „H.“ getragen habe.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung von 1. Juli 2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1, Satz 2 BGB analog i.V.m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, denn die angegriffenen Äußerungen verletzen bei fortbestehender Wiederholungsgefahr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.

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1.)

Die Kammer hat bereits im Jahr 2005 in einem von dem hiesigen Kläger geführten Rechtsstreit (324 O 411/05 (Verfügungsverfahren), 324 O 630/05 (Hauptsacheverfahren)) hinsichtlich einer der Äußerung des Klageantrags zu Ziffer 1. vergleichbaren Äußerung ausgeführt:

„Der Antragsteller hat einen Anspruch darauf, nicht weiter öffentlich mit seinem Fehlverhalten anlässlich seiner juristischen Staatsprüfung konfrontiert zu werden. Eine Person, die in der Vergangenheit ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, muss es jedenfalls nach Ablauf einer gewissen Zeit nur dann dulden, dass über ihr Verhalten erneut oder gar erstmals berichtet wird, wenn an der aktuellen Verbreitung dieses Umstands ein berechtigtes öffentliches Interesse besteht. Dass ein solches berechtigtes öffentliches Interesse bestünde, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Selbst dann, wenn man der Antragsgegnerin darin folgen wollte, dass der Antragsteller dadurch, dass er darauf hinweise, Rechtswissenschaften studiert zu haben, öffentlich den unzutreffenden Eindruck zu erwecke, dass er die Ausbildung zum Volljuristen vollständig durchlaufen und erfolgreich abgeschlossen habe, und dass dies ein berechtigtes öffentliches Interesse daran begründe, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass der Antragsteller sein Staatsexamen nicht bestanden habe, könnte dies alles kein berechtigtes öffentliches Interesse daran begründen, die angegriffene Äußerung zu verbreiten. Denn die Antragstellerin könnte sich in diesem Fall auf die Mitteilung des Umstandes beschränken, dass der Antragsteller seine juristische Ausbildung nicht abgeschlossen habe. Die das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers besonders verletzende Wiedergabe der Einzelheiten, unter denen seine Prüfung gescheitert ist, könnte auch in diesem Fall unterbleiben, ohne dass das Mitteilungs- oder Informationsinteresse beeinträchtig wäre. Ein weiter gehendes öffentliches Interesse an der Person des Antragstellers, das die Verbreitung der angegriffenen Äußerung rechtfertigen könnte, bestand im Zeitpunkt der angegriffenen Veröffentlichung nicht und besteht auch im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Ob dies zu der Zeit, als der Antragsteller sich um ein öffentliches Amt beworben hat, anders gewesen sein mag, braucht hier nicht entschieden zu werden, da auch diese Aktivität des Antragstellers wieder so lange zurück liegt, dass sie ein aktuelles öffentliches Interesse an der Verbreitung der angegriffenen Äußerung nicht zu begründen vermag.

So verhält es sich auch hier. Der Umstand, dass der Kläger sich gegenüber der FAZ über die – seiner Meinung nach mangelnde – Motivation von Langzeitarbeitslosen, sich für Pflegedienste zu bewerben, geäußert hat, ist nicht geeignet, eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit einem von ihm im Jahr 1984 begangenen Täuschungsversuch in seinem juristischen Examen zu liefern. Die Auseinandersetzung mit dem Pflegekräftemangel und der Frage, ob Hartz-IV-Empfänger als Pflegekräfte eingesetzt werden sollten, bietet keinen Anlass, ein jahrzehntelang zurückliegendes Fehlverhalten, das nicht einmal einen Straftatbestand erfüllt, zu erörtern; an der aktuellen Verbreitung dieses Umstands besteht kein berechtigtes öffentliches Interesse.

2.)

Auch an der Nennung des Geburtsnamens „H.“ des Klägers, den dieser bereits vor Jahrzehnten im Wege der Adoption abgelegt hat, besteht kein öffentliches Interesse; seine Nennung stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar.

Zwar wird der Name des Klägers nicht negiert. Es wird nicht behauptet, dass er derzeit „H.“ heiße. Ein öffentliches Interesse an dem Umstand für sich genommen, dass der Kläger vor Jahrzehnten „H.“ hieß, ist nicht ersichtlich. Allenfalls wäre ein solches Interesse aus Authentizitätsgründen im Zusammenhang mit dem Täuschungsversuch des Klägers im ersten juristischen Staatsexamen denkbar, da er den Täuschungsversuch unter diesem Namen beging. Da – wie bereits unter Ziffer 1) ausgeführt – indes auch insoweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers überwiegt und die Berichterstattung rechtswidrig war, vermag sich auch insoweit kein überwiegendes Berichterstattungsinteresse zu ergeben.

3.)

Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund der rechtswidrigen Erstbegehung vermutet. Umstände, bei deren Vorliegen eine einmal begründete Wiederholungsgefahr entfiele, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, insbesondere hat der Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerungen keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgeben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 ZPO.

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