Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Verkehrsunfall zwischen Linksabbieger und Motorradfahrer: Haftungsfragen geklärt
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche besonderen Sorgfaltspflichten hat ein Linksabbieger im Straßenverkehr?
- Was bedeutet der Anscheinsbeweis bei Unfällen mit Linksabbiegern?
- Wie wirken sich eingeschränkte Sichtverhältnisse auf die Haftung des Linksabbiegers aus?
- Welche Beweise sind nach einem Unfall beim Linksabbiegen besonders wichtig?
- Wann liegt beim Linksabbiegen eine unklare Verkehrslage vor?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Saarbrücken
- Datum: 10.11.2023
- Aktenzeichen: 13 S 33/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren in einem Schadensersatzprozess wegen Verkehrsunfall
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Die Fahrerin eines PKW, die Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend macht. Sie argumentiert, dass der Beklagte zu 2) die Zeugin in einer unübersichtlichen Verkehrssituation rechts überholt hat und daher für den Unfall verantwortlich sei.
- Beklagter Motorradfahrer: Fahrer des Motorrads, das mit dem Fahrzeug der Klägerin kollidierte. Er argumentiert, dass die Klägerin den entgegenkommenden Verkehr nicht beachtet habe und er gezwungen war, eine Vollbremsung durchzuführen.
- Haftpflichtversicherer des Motorradfahrers: Versicherung des Motorrads des Beklagten zu 2), die für den Unfallschaden als Gesamtschuldner in Anspruch genommen wird.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin wollte mit ihrem PKW nach links abbiegen, während der Beklagte zu 2) mit seinem Motorrad rechts an einem haltenden Fahrzeug vorbeifuhr und versuchte, eine Kollision mit der Klägerin zu vermeiden. Daraufhin kam es zu einem Unfall.
- Kern des Rechtsstreits: Ob der Beklagte zu 2) die alleinige Verantwortung für den Unfall trägt oder ob die Klägerin durch Missachtung der Sorgfaltspflichten beim Linksabbiegen gemäß § 9 Abs. 3 StVO mitverantwortlich ist.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Das Amtsgerichtsurteil bleibt bestehen, welches die Alleinige Haftung der Klägerin für den Unfall feststellt.
- Begründung: Der Beweis des ersten Anscheins spricht für einen Verstoß der Klägerin gegen ihre Sorgfaltspflicht, da sie den entgegenkommenden Verkehr nicht hat vorbeifahren lassen. Der Anscheinsbeweis wurde nicht erschüttert, da keine ausreichenden Beweise für ein Fehlverhalten des Beklagten zu 2) vorlagen.
- Folgen: Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar und die Revision wurde nicht zugelassen.
Verkehrsunfall zwischen Linksabbieger und Motorradfahrer: Haftungsfragen geklärt
Ein Verkehrsunfall zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Motorradfahrer wirft oft komplexe rechtliche Fragen auf. In solchen Fällen kommt es entscheidend auf die Verkehrsteilnehmer sowie deren Einhaltung von Verkehrsregeln an. Das Fahrverhalten der Beteiligten, insbesondere das Beachten von Sicherheitsabständen und das richtige Einschätzen der Verkehrssituation, können über die Haftung entscheiden. Oft stehen Schadensersatzforderungen im Raum, die die Verantwortung des Hauptverursachers sowie mögliche Mitverschuldensanteile der anderen Beteiligten betreffen.
Um die rechtlichen Aspekte solcher Unfälle angemessen zu beleuchten, ist eine detaillierte Unfallanalyse notwendig. Ein solcher Fall kann beispielhaft zeigen, wie Gerichte entscheiden und welche Kriterien dabei zur Anwendung kommen.
Der Fall vor Gericht
Grundsätzliche Haftung des Linksabbiegers bei Kollision mit Motorrad

Bei einem Verkehrsunfall in Saarbrücken kollidierte eine PKW-Fahrerin beim Linksabbiegen auf einen Firmenparkplatz mit einem Motorradfahrer, der zuvor an einem wartenden Fahrzeug rechts vorbeigefahren war. Das Landgericht Saarbrücken bestätigte nun das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts und wies die Berufung der PKW-Fahrerin zurück.
Unfallhergang und Sichtverhältnisse beim Abbiegevorgang
Die PKW-Fahrerin wollte nach links auf einen privaten Firmenparkplatz abbiegen. Auf der Gegenfahrbahn stand ein Fahrzeug, das ebenfalls nach links abbiegen wollte. Der Motorradfahrer fuhr rechts an diesem wartenden Fahrzeug vorbei. Als die PKW-Fahrerin ihren Abbiegevorgang noch nicht beendet hatte und sich größtenteils auf der Gegenfahrbahn befand, kam es zur Kollision. Der Motorradfahrer stürzte nach einer Vollbremsung und rutschte in das abbiegende Fahrzeug.
Rechtliche Bewertung der Wartepflicht
Das Gericht stellte klar: Wer links abbiegt, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Kommt es während des Abbiegens zu einem Zusammenstoß, spricht der erste Anschein für ein Verschulden des Abbiegenden. Dies gilt besonders, wenn – wie hier – die Sicht durch ein wartendes Fahrzeug eingeschränkt ist. In solchen Fällen muss sich der Abbiegende besonders vorsichtig in den Kreuzungsbereich hineintasten.
Prüfung möglicher Mitschuld des Motorradfahrers
Eine Mitschuld des Motorradfahrers konnte nicht nachgewiesen werden. Weder fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit, noch verließ er beim Vorbeifahren die Fahrbahn. Auch lag keine Unklare Verkehrslage vor, die einen Überholverzicht erfordert hätte. Der Motorradfahrer durfte darauf vertrauen, dass sein Vorrecht als geradeaus Fahrender beachtet wird.
Haftungsverteilung und Urteilsbegründung
Das Gericht wies die Berufung der PKW-Fahrerin zurück und bestätigte deren alleinige Haftung. Ausschlaggebend war ihr Verstoß gegen die Wartepflicht beim Linksabbiegen, verschärft durch die eingeschränkte Sicht. Die von ihr zu tragende Erhöhte Betriebsgefahr beim Linksabbiegen wurde durch die erschwerten Sichtverhältnisse noch verstärkt. Die PKW-Fahrerin muss sämtliche Unfallkosten tragen.
Die Schlüsselerkenntnisse
„Bei einem Zusammenstoß während des Linksabbiegens spricht zunächst alles für ein Verschulden des Abbiegenden. Dieser Anscheinsbeweis kann nur widerlegt werden, wenn der Vorfahrtsberechtigte bei Abbiegebeginn nicht sichtbar oder sehr weit entfernt war – etwa weil er mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr oder regelwidrig rechts überholte. Sichthindernisse beim Abbiegen entlasten den Abbiegenden dagegen nicht, sondern erhöhen sogar seine Sorgfaltspflicht.“
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie als Linksabbieger in einen Unfall verwickelt werden, müssen Sie beweisen können, dass der andere Verkehrsteilnehmer sich grob verkehrswidrig verhalten hat, um nicht für den Schaden haften zu müssen. Dabei reicht es nicht aus, dass Sie wegen parkender Autos oder anderer Hindernisse die Gegenspur nicht einsehen konnten – in solchen Fällen müssen Sie besonders vorsichtig sein und notfalls warten. Nur wenn Sie nachweisen können, dass der andere z.B. deutlich zu schnell fuhr oder regelwidrig überholte, haben Sie Chancen, einer Haftung zu entgehen. Im Zweifelsfall gilt: Lieber einmal mehr warten als vorschnell abbiegen.
Unfall beim Linksabbiegen? Gerade in Situationen mit eingeschränkter Sicht ist die Rechtslage komplex. Wir helfen Ihnen, Ihre Rechte zu wahren und die Haftungsfrage zu klären. Oftmals sind die Details entscheidend, um den Sachverhalt zu Ihren Gunsten zu wenden. Sprechen Sie mit uns – gemeinsam entwickeln wir die optimale Strategie für Ihr Anliegen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche besonderen Sorgfaltspflichten hat ein Linksabbieger im Straßenverkehr?
Nach § 9 StVO müssen Linksabbieger ihre Abbiegeabsicht rechtzeitig und deutlich durch Setzen des Blinkers ankündigen.
Grundlegende Sorgfaltspflichten
Vor dem Linksabbiegen besteht eine doppelte Rückschaupflicht: Zunächst muss vor dem Einordnen und nochmals unmittelbar vor dem Abbiegevorgang der rückwärtige Verkehr beobachtet werden. Diese Pflicht gilt auch beim Abbiegen in Hofeinfahrten.
Der Linksabbieger muss sich rechtzeitig zur Fahrbahnmitte hin einordnen und dabei besonders auf Fußgänger und Radfahrer achten, auch wenn diese keine Vorfahrt haben. Ein Schulterblick ist dabei unerlässlich, da sich andere Verkehrsteilnehmer häufig im toten Winkel befinden können.
Wartepflichten
Entgegenkommende Fahrzeuge haben grundsätzlich Vorrang. Die Wartepflicht beginnt bereits dann, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug so nah herangekommen ist, dass es durch das Abbiegen gefährdet oder wesentlich behindert würde.
Bei zwei entgegenkommenden Linksabbiegern müssen diese voreinander abbiegen, außer wenn die Verkehrslage oder Kreuzungsgestaltung etwas anderes erfordert.
Besondere Beobachtungspflichten
Die Sorgfaltspflicht erstreckt sich auf den gesamten Kreuzungsbereich. Wenn die Sicht eingeschränkt ist, muss die Sorgfalt entsprechend erhöht werden.
Die Missachtung des Vorfahrtsrechts durch einen Linksabbieger gilt als besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß. Bei einem Unfall spricht der erste Anschein für ein Verschulden des Linksabbiegers. Die Haftung liegt dann häufig bei 60-70% zu seinen Lasten.
Was bedeutet der Anscheinsbeweis bei Unfällen mit Linksabbiegern?
Der Anscheinsbeweis bei Unfällen mit Linksabbiegern bedeutet, dass zunächst von einem Verschulden des Linksabbiegers ausgegangen wird, wenn es im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang zu einer Kollision kommt.
Grundlagen des Anscheinsbeweises
Der Anscheinsbeweis stützt sich auf die gesetzliche Sorgfaltspflicht des Linksabbiegers nach § 9 Abs. 1 StVO. Diese verpflichtet den Abbiegenden zu einer doppelten Rückschaupflicht – einmal beim Einordnen und ein weiteres Mal unmittelbar vor dem Abbiegevorgang.
Praktische Auswirkungen
Wenn Sie als Linksabbieger in einen Unfall verwickelt werden, müssen Sie damit rechnen, dass die Gerichte von Ihrer überwiegenden Verantwortung ausgehen. Die Haftungsquote liegt dabei häufig zwischen 60% und 70% zu Ihren Lasten.
Widerlegung des Anscheinsbeweises
Sie können den Anscheinsbeweis auf zwei Wegen entkräften:
Der erste Weg besteht darin, einen atypischen Geschehensablauf nachzuweisen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Unfallgegner:
- mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit fuhr
- bei unklarer Verkehrslage überholt hat
- eine Fahrzeugkolonne überholt hat
Der zweite Weg liegt im Nachweis, dass Sie alle Sorgfaltspflichten erfüllt haben. Dazu gehört:
- rechtzeitiges und deutliches Blinken
- korrektes Einordnen
- gewissenhafte Durchführung der doppelten Rückschau
Ein besonderer Fall liegt vor, wenn die Sicht durch andere Verkehrsteilnehmer verdeckt ist. In solchen Situationen müssen Sie sich besonders vorsichtig in den Kreuzungsbereich hineintasten. Ein bloßes Vertrauen darauf, dass kein Gegenverkehr kommt, reicht nicht aus.
Wie wirken sich eingeschränkte Sichtverhältnisse auf die Haftung des Linksabbiegers aus?
Eingeschränkte Sichtverhältnisse erhöhen die Sorgfaltspflicht des Linksabbiegers erheblich und können zu einer verschärften Haftung führen. Wenn Sie als Linksabbieger mit einer Sichtbehinderung konfrontiert sind, müssen Sie Besondere Vorsicht walten lassen.
Erhöhte Sorgfaltspflicht bei Sichtbehinderung
Bei eingeschränkter Sicht auf den Gegenverkehr, etwa durch andere Fahrzeuge oder Witterungsbedingungen, trifft Sie als Linksabbieger eine besondere Sorgfaltspflicht. Das Landgericht Saarbrücken hat in einem Urteil klargestellt, dass Sie sich in solchen Situationen nur langsam in den Kreuzungsbereich hineintasten dürfen. Sie dürfen keinesfalls darauf vertrauen, dass kein Gegenverkehr vorhanden ist, nur weil Sie ihn nicht sehen können.
Auswirkungen auf die Haftungsverteilung
Missachten Sie diese erhöhte Sorgfaltspflicht und es kommt zu einem Unfall, kann dies zu Ihrer alleinigen Haftung führen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat in einem Fall entschieden, dass der Linksabbieger bei Sichtbehinderung durch ein entgegenkommendes, ebenfalls abbiegendes Fahrzeug, die volle Verantwortung für den Unfall trägt. Die Sichtbehinderung entlastet Sie also nicht, sondern verschärft Ihre Pflichten.
Praktische Konsequenzen für Linksabbieger
In der Praxis bedeutet dies für Sie: Wenn Ihre Sicht eingeschränkt ist, müssen Sie Ihr Abbiegemanöver mit äußerster Vorsicht durchführen. Tasten Sie sich langsam vor und vergewissern Sie sich mehrfach, dass die Fahrbahn frei ist. Bedenken Sie, dass der Gegenverkehr, insbesondere Motorradfahrer, möglicherweise schneller als erwartet auftauchen kann. Im Zweifelsfall sollten Sie lieber warten, bis Sie eine klare Sicht haben.
Rechtliche Grundlagen
Die rechtliche Basis für diese verschärfte Haftung findet sich in § 9 Abs. 1 StVO. Dieser Paragraph verpflichtet Linksabbieger, ihre Abbiegeabsicht rechtzeitig anzukündigen und eine doppelte Rückschau durchzuführen. Bei eingeschränkter Sicht interpretieren Gerichte diese Pflicht besonders streng. Der sogenannte Anscheinsbeweis spricht bei Unfällen während des Linksabbiegens zunächst für ein Verschulden des Abbiegers. Bei Sichtbehinderungen wird dieser Anscheinsbeweis noch schwerer zu widerlegen sein.
Beachten Sie: Eingeschränkte Sichtverhältnisse entbinden Sie nicht von Ihrer Sorgfaltspflicht, sondern erhöhen diese. Als Linksabbieger tragen Sie eine besondere Verantwortung für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer.
Welche Beweise sind nach einem Unfall beim Linksabbiegen besonders wichtig?
Nach einem Unfall beim Linksabbiegen sind Fotos und Videos die wichtigsten Beweismittel. Dokumentieren Sie umgehend die Unfallstelle aus verschiedenen Perspektiven, einschließlich der Fahrzeugpositionen, Schäden, Bremsspuren und Straßenverhältnisse. Diese visuellen Beweise können entscheidend sein, um den Unfallhergang zu rekonstruieren.
Zeugenaussagen und Kontaktdaten
Sammeln Sie die Kontaktdaten unbeteiligter Zeugen und bitten Sie diese, ihre Beobachtungen kurz schriftlich festzuhalten. Neutrale Zeugenaussagen haben vor Gericht besonderes Gewicht und können maßgeblich zur Klärung der Schuldfrage beitragen.
Polizeibericht und Unfallskizze
Rufen Sie die Polizei zur Unfallstelle. Der offizielle Polizeibericht und die Unfallskizze sind wichtige Dokumente, die den Unfallhergang aus neutraler Sicht festhalten. Diese Unterlagen können bei der späteren Schadensregulierung oder in einem Gerichtsverfahren von großer Bedeutung sein.
Medizinische Dokumentation
Wenn Sie beim Unfall verletzt wurden, lassen Sie sich umgehend ärztlich untersuchen. Die medizinische Dokumentation Ihrer Verletzungen ist ein wichtiger Beweis für eventuelle Schadensersatzansprüche. Bewahren Sie alle Arztberichte, Röntgenaufnahmen und Rechnungen sorgfältig auf.
Technische Beweise
Bei komplexeren Unfällen kann ein Kfz-Sachverständigengutachten erforderlich sein. Ein Gutachter kann technische Aspekte wie Aufprallwinkel, Geschwindigkeiten und Reaktionszeiten analysieren. Diese technischen Beweise können entscheidend sein, um die Unfallursache und das Verschulden zu klären.
Wenn Sie diese Beweise sorgfältig sammeln und dokumentieren, verbessern Sie Ihre Position bei der Schadensregulierung erheblich. Denken Sie daran: Als Linksabbieger trifft Sie eine besondere Sorgfaltspflicht, und oft spricht der erste Anschein gegen Sie. Umso wichtiger ist es, alle verfügbaren Beweise zu sichern, um Ihre Sicht des Unfallhergangs zu untermauern.
Wann liegt beim Linksabbiegen eine unklare Verkehrslage vor?
Eine unklare Verkehrslage beim Linksabbiegen liegt vor, wenn sich die Situation für andere Verkehrsteilnehmer nicht eindeutig einschätzen lässt. Dies ist besonders relevant für Überholmanöver, da § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Überholen bei unklarer Verkehrslage verbietet.
Merkmale einer unklaren Verkehrslage
Folgende Umstände können eine unklare Verkehrslage begründen:
- Verhalten des vorausfahrenden Fahrzeugs: Wenn das vorausfahrende Fahrzeug seine Geschwindigkeit verringert, nach links ausschert oder ein unkalkulierbares Fahrverhalten zeigt.
- Örtliche Gegebenheiten: Unübersichtliche Streckenabschnitte, Einmündungen oder Grundstückszufahrten können die Situation unklar machen.
- Witterungs- und Sichtverhältnisse: Schlechte Sicht durch Regen, Nebel oder Dunkelheit erschwert die Einschätzung der Verkehrslage.
- Fahrverhalten in einer Kolonne: Wenn Sie sich in einer Fahrzeugkolonne befinden, müssen Sie besonders vorsichtig sein. Das Ausscheren eines Fahrzeugs zum Linksabbiegen ist hier wahrscheinlicher.
Rechtliche Folgen einer unklaren Verkehrslage
Wenn Sie als Überholender trotz unklarer Verkehrslage überholen, kann dies zu einer Mithaftung bei einem Unfall führen. Der Linksabbieger kann in solchen Fällen argumentieren, dass das Überholmanöver unrechtmäßig war.
Für Sie als Linksabbieger bedeutet eine unklare Verkehrslage jedoch keine Entbindung von Ihren Sorgfaltspflichten. Sie müssen weiterhin:
- Rechtzeitig blinken
- Sich zur Fahrbahnmitte einordnen
- Zweimal nach hinten schauen (doppelte Rückschaupflicht)
Praktische Beispiele
Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf einer Landstraße und möchten nach links in eine Hofeinfahrt abbiegen. Wenn Sie vorher deutlich langsamer werden, ohne zu blinken, könnte dies für nachfolgende Fahrzeuge eine unklare Verkehrslage darstellen.
In einem anderen Szenario fahren Sie in einer Kolonne und bemerken, dass das Fahrzeug vor Ihnen langsamer wird. Hier wäre ein Überholmanöver riskant, da das vorausfahrende Fahrzeug möglicherweise abbiegen möchte.
Beachten Sie: Die Beurteilung, ob eine unklare Verkehrslage vorliegt, hängt stark vom Einzelfall ab. Im Zweifelsfall ist es ratsam, von einem Überholmanöver abzusehen und besondere Vorsicht walten zu lassen.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Erster Anschein
Der erste Anschein (Prima-Facie-Beweis) ist eine rechtliche Vermutung, die auf typische Geschehensabläufe und Erfahrungssätze zurückgreift. Bei Verkehrsunfällen mit Linksabbiegern spricht der erste Anschein für ein Verschulden des abbiegenden Fahrzeugs. Diese Vermutung kann nur durch den Nachweis eines atypischen Geschehensablaufs widerlegt werden. Gesetzlich verankert ist dieses Beweisprinzip in § 292 ZPO. Beispiel: Wenn ein Linksabbieger mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert, wird zunächst von seinem Verschulden ausgegangen.
Unklare Verkehrslage
Eine Verkehrssituation, die für einen aufmerksamen Verkehrsteilnehmer nicht eindeutig zu überblicken und einzuschätzen ist. Sie erfordert besondere Vorsicht und kann ein Überholverbot nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO begründen. Dies gilt besonders an Kreuzungen, Einmündungen oder bei eingeschränkter Sicht. Beispiel: Ein Fahrzeug blinkt links, man kann aber nicht erkennen, ob es in eine Einfahrt oder erst später abbiegen will.
Wartepflicht
Eine gesetzliche Verpflichtung nach § 9 Abs. 3 StVO, beim Linksabbiegen den Gegenverkehr passieren zu lassen. Der Abbiegende muss warten, bis die Fahrbahn frei ist und er ohne Gefährdung anderer abbiegen kann. Bei Verstoß gegen die Wartepflicht drohen Bußgelder und bei Unfällen die volle Haftung. Beispiel: Ein Linksabbieger muss warten, bis alle entgegenkommenden Fahrzeuge vorbeigefahren sind.
Alleinige Haftung
Die vollständige rechtliche Verantwortung einer Person für einen Schaden, ohne dass andere Beteiligte einen Teil der Haftung tragen müssen. Sie basiert auf § 823 BGB und führt dazu, dass der Verursacher sämtliche Schäden ersetzen muss. Die alleinige Haftung tritt besonders bei eindeutigen Verstößen gegen Verkehrsregeln ein. Beispiel: Ein Unfallverursacher muss alle Reparaturkosten und Folgeschäden alleine tragen.
Erhöhte Betriebsgefahr
Das besondere Risiko, das von einem Kraftfahrzeug in bestimmten Verkehrssituationen ausgeht. Die Haftung richtet sich nach § 7 StVG und wird durch gefährliche Fahrmanöver wie Linksabbiegen zusätzlich verstärkt. Sie besteht unabhängig vom Verschulden des Fahrers. Beispiel: Beim Linksabbiegen an unübersichtlichen Stellen steigt die Betriebsgefahr deutlich an.
Besondere Vorsicht
Eine über die normale Sorgfaltspflicht hinausgehende Verhaltensanforderung in risikoreichen Verkehrssituationen, basierend auf § 1 StVO. Sie verlangt erhöhte Aufmerksamkeit und defensives Fahrverhalten. Beispiel: Bei eingeschränkter Sicht muss sich ein Linksabbieger besonders langsam und vorsichtig in den Kreuzungsbereich hineintasten.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO (Straßenverkehrsordnung): Wer abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Ein Verstoß gegen diese Regel spricht in der Regel für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Abbiegers. Der Fall zeigt, dass die Klägerin den entgegenkommenden Motorradfahrer nicht passieren ließ, bevor sie ihren Abbiegevorgang begann. Die Kollision im Einmündungsbereich deutet darauf hin, dass der Abbiegevorgang noch nicht abgeschlossen war, was die Pflichtverletzung bekräftigt.
- Beweis des ersten Anscheins: Dieser Grundsatz wird häufig bei Verkehrsunfällen angewandt, um typische Geschehensabläufe zu unterstellen. Beim Linksabbiegen spricht der erste Anschein für ein Verschulden des Abbiegenden. Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin den Anscheinsbeweis nicht erschüttern, da weder überhöhte Geschwindigkeit des Motorradfahrers noch eine Sichtbehinderung eine ausreichende Grundlage für eine Entlastung boten.
- §§ 7, 17 StVG (Straßenverkehrsgesetz): Bei der Haftungsverteilung wird die gegenseitige Verursachung und das Verschulden der Beteiligten berücksichtigt. Im Verhältnis von Fahrzeughaltern untereinander kommt es auf die Schadensverursachung an. Das Gericht hat hier die Alleinhaftung der Klägerin festgestellt, da ihr ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht zur Last gelegt wurde und dem Motorradfahrer kein Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte.
- § 3 Abs. 1 StVO (Geschwindigkeitsanpassung): Fahrzeugführer müssen ihre Geschwindigkeit an die Verkehrsverhältnisse anpassen. Ein Verstoß liegt vor, wenn ein Fahrer mit unangemessener Geschwindigkeit fährt, was hier seitens des Beklagten zu 2) von der Klägerin behauptet, aber nicht bewiesen wurde. Das Gericht konnte keine Hinweise auf überhöhte Geschwindigkeit feststellen, weshalb dieser Punkt nicht zu Lasten des Motorradfahrers gewertet wurde.
- § 5 StVO (Überholen): Rechts überholen ist grundsätzlich nur in bestimmten Ausnahmen erlaubt. Die Klägerin behauptete, der Motorradfahrer habe rechts an einem Fahrzeug vorbeigezogen, das seinerseits abbiegen wollte. Dies wurde als unzureichend substantiiert zurückgewiesen, da keine konkreten Beweise für das angebliche rechtswidrige Überholen des Motorradfahrers vorgelegt wurden.
Das vorliegende Urteil
LG Saarbrücken – Az.: 13 S 33/23 – Urteil vom 10.11.2023
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