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Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen – Übertragung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Az: 6 Sa 1215/09

Urteil vom 02.10.2009


1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29.04.2009 – 39 Ca 8839/08 – wird zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil insoweit geändert, wie die Beklagte zur Zahlung von mehr als 3.706,29 € brutto nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die Klage auch insoweit abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben bei einem Streitwert von 29.435,98 € die Klägerin zu 87,41 % und die Beklagte zu 12,59 % zu tragen, während die Kosten der Berufungsinstanz bei einem Streitwert von 6.309,31 € der Klägerin allein auferlegt werden.

4. Die Revision wird insoweit zugelassen, wie die Klage hinsichtlich des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen abgewiesen worden ist.

Tatbestand

Die am … 1946 geborene Klägerin ist schwerbehindert. Sie stand seit dem 01. Juni 1994 als Sozialarbeiterin in den Diensten der Beklagten. Auf ihr Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ( Abl. Bl. 49 und 50 d. A. ) der BAT-O mit Stand 31. Dezember 2002 Anwendung. Das Monatsgehalt der Klägerin belief sich zuletzt auf 2.974,13 € brutto.

In der Zeit vom 05. Juli 2006 bis 26. September 2007 und vom 01. Oktober 2007 bis 26. Mai 2008 war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 23. Juli 2007 ( Abl. Bl. 36 d. A. ) hatte sie der Beklagten mitgeteilt, schon lange krank zu sein, da sie ausgebrannt sei. Durch ein mit „Kündigung“ überschriebenes Schreiben vom 12. April 2008 ( Abl. Bl. 12 d. A. ) teilte die Klägerin der Beklagten mit, wegen einer Knieoperation weiterhin arbeitsunfähig zu sein. Da ihr die Beklagte keinen behindertengerechten Arbeitsplatz einrichten könne, werde sie ihr Arbeitsverhältnis am 30. April 2008 beenden. Einen der Klägerin daraufhin von der Beklagten übersandten Entwurf eines Aufhebungsvertrages ( Abl. Bl. 23 d. A. ) unterzeichnete die Klägerin nicht.

Gemäß einer Bescheinigung vom 29. Juli 2008 ( Abl. Bl. 48 d. A. ) bezieht die Klägerin seit 01. Juni 2008 Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Durch Schreiben ihres späteren Prozessbevollmächtigten vom 25. Juli 2008 ( Abl. Bl. 35 d. A. ) ließ sie „das … bestehende Arbeitsverhältnis“ zum 31. Juli 2008 kündigen.

Nach Abweisung weitergehender Ansprüche durch Teilurteil vom 10. September 2008 mit einem Streitwert von 19.420,38 € richtet sich das Begehren der Klägerin zuletzt noch auf Abgeltung von je 35 Urlaubstagen für 2007 und 2008 in Höhe von insgesamt 10.015,60 € brutto.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte durch Schlussurteil verurteilt, an die Klägerin 4.576,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen, und das weitergehende Zahlungsbegehren abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe für 33,33 Urlaubstage aus 2007 und 2008 ein Abgeltungsanspruch zu. Dieser setze sich aus dem jährlichen Mindesturlaub von vier Wochen und fünf Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zusammen, wobei sich für 2008 nur ein anteiliger Anspruch ergebe, weil die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung vom 12. April 2008 zum 30. April 2008 gelöst habe. Weitergehende vertragliche Urlaubsansprüche seien nicht abzugelten, weil der arbeitsvertraglich in Bezug genommene BAT-O eine eigenständige Verfallregelung enthalte, die Erfüllbarkeit und damit Arbeitsfähigkeit des Arbeitsnehmers voraussetze. Eine solche Erfüllbarkeit sei nicht ersichtlich, weil die Klägerin unstreitig bis 26. Mai 2008 und wieder ab 01. Juni 2008 arbeitsunfähig gewesen sei, was den Anschein durchgehender Arbeitsunfähigkeit begründet habe, zumal die Klägerin an den drei Tagen zwischen dem 26. Mai und 01. Juni 2008 keine Arbeitsleistung erbracht und keine Angaben zu den ihren Erkrankungen zugrunde liegenden Krankheitsbildern gemacht habe.

Gegen dieses ihr am 22. Mai 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Juni 2009 eingelegte und begründete Berufung der Klägerin. Sie meint, mit ihrem Schreiben vom 12. April 2008 lediglich eine künftige Beendigungserklärung in Aussicht gestellt zu haben. Dies habe die Beklagte auch so verstanden, weil diese ihr sonst nicht einen Aufhebungsvertrag angeboten hätte. Wäre den Parteien bei der arbeitsvertraglichen Gestaltung der Urlaubsansprüche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bekannt gewesen, hätten sie für diese eine entsprechende Regelung getroffen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie weitere 5.439,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09. August 2008 zu zahlen.

Die Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und im Wege der Anschlussberufung,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage hinsichtlich eines Betrages abzuweisen, der 3.706,29 Euro übersteige.

Sie tritt den Angriffen der Berufung entgegen und meint, der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen unterliege den bisher geltenden Regeln zum Verfall von Urlaubsansprüchen, weil er nicht von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfasst werde. Zumindest bestehe insoweit Vertrauensschutz, weil der Vorlagebeschluss zum Europäischen Gerichtshof nur den gesetzlichen Mindesturlaub betroffen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung ist unbegründet.

1.1 Die Klägerin kann für 2007 und 2008 lediglich Abgeltung von insgesamt 27 Urlaubstagen gem. § 7 Abs. 4 BUrlG verlangen.

1.1.1 Während der Klägerin für 2007 der volle Jahresurlaub von 24 Werk- bzw. umgerechnet 20 Arbeitstagen gem. § 3 Abs. 1 BUrlG zusteht, hat sie für 2008 lediglich Anspruch auf Teilurlaub im Umfang von 4/12 des Jahresurlaubs gem. § 5 Abs. 1 lit. c BUrlG. Sie ist durch Eigenkündigung vom 12. April 2008 in der ersten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, wie das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung dargelegt hat ( § 69 Abs. 2 ArbGG ).

1.1.1.1 Das mit „Kündigung“ überschriebene Schreiben der Klägerin vom 12. April 2008 war gem. § 133 BGB vom objektiven Empfängerhorizont aus nicht als bloße Ankündigung einer Kündigungserklärung zu verstehen, wofür es überhaupt keinen Grund gegeben hätte. Die Formulierung, das Arbeitsverhältnis am 30. April 2008 zu beenden, ließ sich ohne weiteres dahin verstehen, dass dies das Enddatum des aus gesundheitlichen Gründen ohnehin nicht mehr durchführbaren Arbeitsverhältnisses hatte sein sollen.

1.1.1.2 Das Ergebnis normativer Auslegung hatte nicht hinter einem davon abweichenden übereinstimmenden Willen der Parteien zurückzutreten, der auch bei einseitigen Rechtsgeschäften Vorrang genießt ( dazu BAG Urteil vom 28.08.2003 – 2 AZR 377/02 – BAGE 107, 221 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 134 zu B I 4 d bb der Gründe ). Dass die Beklagte der Klägerin auf deren Schreiben vom 12. April 2008 den Entwurf eines Aufhebungsvertrages zum Ende dieses Monats übersandt hat, ließ nicht zwingend darauf schließen, dass sie das Schreiben nicht als Kündigung verstanden hatte. Dies ist von ihr auch unter Hinweis darauf in Abrede gestellt worden, davon ausgegangen zu sein, die Kündigung wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist annehmen zu müssen.

1.1.1.3 Dass die Klägerin mit ihrer Kündigung die ihrer Beschäftigungszeit entsprechende Frist des § 53 Abs. 2 BAT-O von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres nicht gewahrt und auch das Angebot der Beklagten zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht angenommen hat, änderte nichts daran, dass ihr Arbeitsverhältnis am 30. April 2008 geendet hat. Ebenso wie die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer ohne Drängen des Arbeitgebers schriftlich abgegebenen fristlosen Eigenkündigung regelmäßig treuwidrig ist ( dazu BAG, Urteil vom 12.03.2009 – 2 AZR 894/07 – NZA 2009, 840 R 18 ), ist es einem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben versagt, sich auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zu berufen, was die Klägerin zudem noch nicht einmal getan hat.

1.1.2 Der über den gesetzlichen Urlaub von 24 Werktagen bzw. umgerechnet 20 Arbeitstagen gem. § 3 Abs. 1 BUrlG hinausgehende arbeitsvertragliche Urlaub für die Jahre 2007 und 2008 ist erloschen, weil die Klägerin bis zum 30. April 2008 bzw. 2009 arbeitsunfähig krank war und ihren Urlaub auch nicht in der jeweiligen Folgezeit bis zum 30. Juni 2008 bzw. 2009 angetreten hat. Dies ergab sich aus der eigenständigen Regelung des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen § 47 Abs. 7 BAT-O, wie das Arbeitsgericht ebenfalls zutreffen näher dargelegt hat ( § 69 Abs. 2 ArbGG ). Für eine ergänzende Vertragsauslegung gem. § 157 BGB im Sinne der Vorstellung der Klägerin war damit schon von vornherein kein Raum. Den Ausführungen des Arbeitsgerichts zu ihrer durchgehenden und fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit ist die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung nicht entgegengetreten.

1.2 Die 4/12 Jahresurlaub für 2008 ergaben ( 20 : 12 x 4 = ) 6,68 Tage, die gem. § 5 Abs. 2 BUrlG auf sieben Tage aufzurunden waren. Zusammen mit den 20 Tagen aus 2007 errechnete sich daraus ein als Urlaubsabgeltung zu zahlender Betrag von ( 2.974,13 x 3 : 13 : 5 x 27 = ) 3.706,29 brutto.

2. Die Anschlussberufung ist begründet.

2.1 Der Klägerin steht für 2007 und 2008 kein Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zu. Ihre Ansprüche auf Gewährung in Natur bzw. Abgeltung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind vielmehr entsprechend § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG erloschen, weil die Klägerin bis zum Ablauf der Übertragungszeiträume arbeitsunfähig krank gewesen ist und damit eine Urlaubsgewährung bzw. eine an ihre Stelle tretende Abgeltung nicht möglich war. Denn auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen sind die Regelungen für den gesetzlichen Mindesturlaub entsprechend anwendbar ( BAG, Urteil vom 26.06.1986 – 8 AZR 266/84 – BAGE 52, 258 = AP SchwbG § 4 Nr. 6 zu I 2a der Gründe ), und der Abgeltungsanspruch unterliegt ebenso der Befristung wie der Urlaubsanspruch, an dessen Stelle er gem. § 7 Abs. 4 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses getreten ist ( BAG, Urteil vom 19.01.1993 – 9 AZR 8/92 – AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 63 zu 2 der Gründe ).

2.2 Daran hat sich durch das Urteil des EuGH vom 20.01.2009 ( Rs. C-350/06 – AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 1 ) nichts geändert. Danach soll zwar Art. 7 Abs. 1 RiL 2003/88/EG dahin auszulegen sein, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraumes oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer seinen Anspruch wegen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht ausüben konnte, was das Bundesarbeitsgericht veranlasst hat, seine gegenteilige Rechtsprechung unter gemeinschaftskonformer Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG insoweit aufzugeben ( Urteil vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – AP BUrlG § 7 Nr. 39 R 47 ff. ). Die dabei vorgenommene Überlagerung der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers beschränkt sich jedoch auf den von der Richtlinie garantierten Mindesturlaub. Dagegen besteht keine Veranlassung, den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen im Falle fortdauernder Arbeitsunfähigkeit derselben europarechtlich begründeten Ausnahme zu unterwerfen ( a.A. LAG Düsseldorf, Urteil vom 02.02.2009 – 12 Sa 486/06 – NZA-RR 2009, 242 zu B III 3 der Gründe; Rummel AuR 2009, 160, 163 ). Dass auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen die Vorschriften des BUrlG entsprechend angewandt werden, zwingt nicht dazu, eine europarechtlich bedingte Ausnahme über die Reichweite der europarechtlichen Regelung hinaus auf davon nicht erfasste Fälle des materiellen Rechts auszudehnen.

Zumindest erscheint es geboten, insoweit Vertrauensschutz bis zu einer entsprechenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu gewähren, weil sich die zur Entscheidung des EuGH führende Vorlage des LAG Düsseldorf ( Beschluss vom 02.08.2006 – 12 Sa 486/06 – NZA-RR 2006, 628 ) auf den gesetzlichen Mindesturlaub beschränkt hatte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage der Behandlung des Zusatzurlaubes für schwerbehinderte Menschen im Falle andauernder Arbeitsunfähigkeit zuzulassen.

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