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Zustandsstörerinanspruchnahme nach Aufgabe des Eigentums an Grundstück

Erbengemeinschaft muss für Rückbau denkmalgeschützten Fachwerkhauses aufkommen

In einem aktuellen Gerichtsurteil wurde eine Erbengemeinschaft zur Beseitigung eines denkmalgeschützten Fachwerkhauses verpflichtet, da die Aufgabe des Eigentums als sittenwidrig eingestuft wurde. Das Gebäude war in einem desolaten Zustand, und die Antragsteller hatten versucht, sich ihrer Verantwortung durch die Eigentumsaufgabe zu entziehen.

Direkt zum Urteil: Az.: 1 ME 31/22 springen.

Denkmalgeschütztes Fachwerkhaus in marodem Zustand

Das betroffene Fachwerkhaus wurde im Jahr 1988 als Baudenkmal eingetragen. Die Antragsteller sind Erben des 2010 verstorbenen früheren Eigentümers und sollten für die Beseitigung des Gebäudes in einem desolaten Zustand aufkommen. Die Antragsteller hatten versucht, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, indem sie das Eigentum an dem Grundstück aufgaben.

Eigentumsaufgabe als sittenwidrig eingestuft

Das Gericht entschied, dass die Eigentumsaufgabe sittenwidrig und daher gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Zum Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe waren die Antragsteller sich der maroden Zustände und der daraus resultierenden Gefahren bewusst, unternahmen jedoch keine Maßnahmen zur Instandsetzung des Gebäudes.

Erbengemeinschaft muss für Rückbau aufkommen

Das Gericht verpflichtete die Erbengemeinschaft zur Überprüfung des Daches und zur Beseitigung vorhandener Mängel. Die Antragsteller sind als Eigentümer verantwortlich und müssen nun für den Rückbau des Fachwerkhauses bis zur Oberkante des Kellers und den Verschluss des Kellers aufkommen.

Rechtliche Grundlage für Inanspruchnahme der Antragsteller

Die Antragsteller könnten selbst bei wirksamer Eigentumsaufgabe gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 NBauO in Verbindung mit § 56 Satz 4 NBauO und § 7 Abs. 3 NPOG in Anspruch genommen werden. Die Bauaufsichtsbehörde hat ihre Anordnungen an die verantwortlichen Personen zu richten, welche gemäß § 56 Satz 1 NBauO die Eigentümer sind. Nach § 7 Abs. 3 NPOG können Maßnahmen gegen die Person gerichtet werden, die das Eigentum aufgegeben hat, wenn von dieser herrenlosen Sache eine Gefahr ausgeht.

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Rückwirkung

Die Anwendung von § 56 Satz 4 NBauO in der Fassung vom 18. November 2020 auf die Eigentumsaufgabe im Jahr 2014 steht mit Verfassungsrecht in Einklang. Es handelt sich um eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung und nicht um eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, sofern sie den Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrt.


Das vorliegende Urteil

OVG Lüneburg – Az.: 1 ME 31/22 – Beschluss vom 03.05.2022

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen – 2. Kammer – vom 17. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Rückbauverfügung.

Die Verfügung bezieht sich auf ein Fachwerkwohnhaus in H.. Das Wohnhaus wurde im Jahr 1988 als Baudenkmal in das Verzeichnis der Kulturdenkmale nach dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz eingetragen. Im Jahr 1994 erwarb Herr I. A., ein Verwandter der Antragsteller, das Grundstück.

Dieser bat im Jahr 2006 beim Rechtsvorgänger des Antragsgegners, dem Landkreis Osterode am Harz, darum, den Denkmalschutz aufzuheben, damit das Gebäude abgebrochen werden könne. Daraufhin teilte ihm der Landkreis mit, ohne einen Nachweis der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit einer Instandsetzung sei eine Aufhebung nicht möglich.

Die Antragsteller sind Erben des 2010 verstorbenen I. A.. Deren Vater, zugleich der Testamentsvollstrecker, bat im November 2011 erfolglos um Prüfung, ob eine finanzielle Förderung oder ein Erwerb durch die öffentliche Hand in Betracht komme.

Der Antragsteller zu 1. wurde im November 2012 darauf hingewiesen, dass durch lose Teile des Daches Fußgänger gefährdet sein könnten und das Dach zu reparieren sei. Eine Stellungnahme erfolgte trotz Erkundigung über den Sachstand im März 2013 nicht.

Am 22. Mai 2014 wurde ein von den Antragstellern erklärter Verzicht auf das Eigentum an dem Grundstück in das Grundbuch eingetragen.

Der Antragsteller zu 1. wurde im Mai 2017 vom Antragsgegner darüber informiert, dass durch herabstürzende Dachziegel das Eigentum eines Nachbarn beschädigt worden und das Dach instand zu setzen sei. Die Antragsteller verwiesen auf die ihrer Ansicht nach bestehende Herrenlosigkeit des Grundstücks.

Im Februar 2019 verpflichtete der Antragsgegner die Antragsteller als Erbengemeinschaft zur Überprüfung des Daches und zur Beseitigung vorhandener Mängel. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller Klage. Das gerichtliche Verfahren wurde nach Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt, nachdem das Gebäude zwischenzeitlich teilweise eingestürzt war.

Im November 2021 gab der Antragsgegner den Antragstellern Gelegenheit, sich zu einem geplanten Einschreiten aufgrund der Gefahr, dass Dach- und Wandteile des Gebäudes herabstürzen könnten, zu äußern. Zwischenzeitlich stellte das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege für den Fall eines Abrisses des Gebäudes die Durchführung eines Löschungsverfahrens in Aussicht. Die Antragsteller verwiesen demgegenüber darauf, dass sie seit 2014 nicht mehr Eigentümer seien. Zum Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe sei das Gebäude zwar in keinem guten Zustand gewesen. Eine Gefahr sei hiervon aber nicht ausgegangen.

Mit Bescheid vom 9. Dezember 2021 gab der Antragsgegner den Antragstellern den Rückbau des Fachwerkhauses bis zur Oberkante des Kellers und den Verschluss des Kellers auf, ordnete die sofortige Vollziehung dieser Regelungen an und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Befolgung eine Ersatzvornahme an, deren Kosten er mit voraussichtlich 30.000 € bezifferte. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller am 20. Dezember 2021 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Am gleichen Tag beantragten die Antragsteller die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. Februar 2022 wies das Verwaltungsgericht diesen Antrag zurück. Zur Begründung führte es aus, die Rückbauverfügung könne auf § 79 Abs. 3 Satz 1 NBauO gestützt werden. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner die auch im Übrigen rechtmäßige Verfügung an die Antragsteller gerichtet habe. Diese seien gemäß § 56 Satz 1 NBauO als Eigentümer verantwortlich. Ihr Eigentumsverzicht im Jahr 2014 sei sittenwidrig und daher gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Von einer Sittenwidrigkeit sei dann auszugehen, wenn zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Eigentumsaufgabe konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Derelinquent mit seiner Heranziehung rechnen müsse und er sich dieser Verpflichtung durch die Eigentumsaufgabe zulasten der Allgemeinheit entledigen wolle. Müsse er hingegen mit einer Heranziehung nicht rechnen, sei die Eigentumsaufgabe auch dann nicht sittenwidrig, wenn mit dieser (auch) der Zweck verfolgt werde, sich künftig entstehender Grundstückslasten auf Kosten der Allgemeinheit zu entledigen. Daran gemessen sei die Eigentumsaufgabe sittenwidrig und unwirksam. Den Antragstellern sei in dem Zeitpunkt, in dem sie sich zur Eigentumsaufgabe entschlossen hätten – mutmaßlich im Jahr 2014 – bewusst gewesen, dass sie mit einer behördlichen Inanspruchnahme rechnen mussten. Dieser hätten sie sich entziehen wollen. Seit dem Jahr 2005 sei ein erheblicher Renovierungsbedarf bekannt gewesen, sodass sich insbesondere der Dachstuhl zum Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe in einem desolaten Zustand befunden haben müsse. Die erhebliche Sanierungsbedürftigkeit sei den Antragstellern auch bekannt gewesen. Dies gehe aus dem Schreiben ihres Vaters, des Testamentsvollstreckers, aus November 2011 hervor. Spätestens seit Dachziegel ein Nachbargrundstück getroffen hätten und der Rechtsvorgänger des Antragsgegners im November 2012 und wiederholend im März 2013 dazu aufgefordert habe, den desolaten Zustand des Daches zu beheben, habe den Antragstellern klar sein müssen, dass von dem Gebäude eine Gefahr ausgehe, für deren Beseitigung sie als Eigentümer in Anspruch genommen werden sollten. Die Beseitigungsanordnung sei im Übrigen nicht ermessensfehlerhaft, da die geschätzten Kosten der Beseitigungsmaßnahme den voraussichtlichen Ertrag aus der Verwertung des Grundstücks nicht überschreiten würden.

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II.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde, auf deren fristgemäß vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.

1. Die Antragsteller widersprechen ihrer Verantwortlichkeit als Zustandsstörer bereits mit dem Argument, sie seien gar nicht Eigentümer des Grundstücks geworden. Dies setze gemäß § 873 BGB eine Einigung und eine Eintragung ins Grundbuch voraus, an der es hier fehle.

Damit lassen die Antragsteller außer Acht, dass § 873 Abs. 1 BGB bei einer Gesamtrechtsnachfolge als Erbe gemäß § 1922 Abs. 1 BGB nicht gilt. Im Erbfall geht das Eigentum kraft Gesetzes auf die Erben über. Das Grundbuch wird dadurch zwar unrichtig im Sinne des § 894 BGB, eine spätere Berichtigung des Grundbuchs ist aber nicht konstitutiv für den Rechtserwerb.

2. Ohne Erfolg vertreten die Antragsteller die Ansicht, das Eigentum wirksam aufgegeben zu haben.

Sie stellen den zutreffenden Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts nicht infrage, dass ein früherer Eigentümer, der das Eigentum aufgegeben hat, gemäß § 79 NBauO in Verbindung mit § 56 NBauO für die Beseitigung eines Bauwerks in Anspruch genommen werden kann, wenn die Eigentumsaufgabe sittenwidrig und damit gemäß § 138 BGB nichtig ist (vgl. Senatsbeschl. v. 29.6.2017 – 1 ME 70/17 -, NdsVBl 2018, 178 = juris Rn. 9 m.w.N. auch zur Rspr. des BVerwG). Sie stellen aber die Sittenwidrigkeit der Eigentumsaufgabe in Abrede. Die Antragsteller seien als Minderjährige Erben des I. A. geworden. Über den Nachlass sei am 23. März 2012 durch das zuständige Amtsgericht ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet worden. Dem Nachlassverwalter sei es aber nicht gelungen, das wertlose Grundstück zu veräußern. Nach Abschluss der Nachlassinsolvenz sei das Grundstück wieder an die Antragsteller zurückgefallen. Diese hätten unmittelbar nach Rückfall des Grundstücks die Eigentumsaufgabe gegenüber dem zuständigen Grundbuchamt erklärt, die dann am 22. Mai 2014 im Grundbuch eingetragen worden sei. Weder das Grundbuchamt noch der Antragsgegner hätten Einwände gegen diese Dereliktion erhoben oder seien dieser im Wege der Grundbuchbeschwerde entgegengetreten. Zum Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe sei das Grundstück sicherlich sanierungsbedürftig gewesen. Es sei allerdings keine Gefahr von dem Grundstück ausgegangen. Eine solche habe auch nicht erkennbar gedroht. Erstmals im Jahr 2019 hätten sie erfahren, dass ein Statiker festgestellt habe, dass sich am Dach Ziegel lösen würden.

Damit dringen die Antragsteller nicht durch. Zum Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe wussten die Antragsteller nicht nur um den desolaten Zustand des Gebäudes, sondern auch um die aus diesem Zustand resultierenden Gefahren. Bereits der Erblasser I. A. warnte seinerseits mit Schreiben vom 30. März 2006, dass das Gebäude einsturzgefährdet sei, sodass „hier auch Schäden an Personen und Werten der Nachbarn“ zu befürchten seien. In dem Schreiben des Vaters und Testamentsvollstreckers vom 30. November 2011, in dem er um Prüfung einer finanziellen Förderung oder einer Übernahme des Gebäudes durch die öffentliche Hand bat, bezeichnete dieser das Gebäude als „Ruine“. Ein so bezeichnetes Gebäude wird bereits für sich genommen in einer innerörtlichen Lage regelmäßig mit der Gefahr verbunden sein, dass es einstürzt und dabei benachbarte Gebäude beschädigt. Schließlich wussten die Antragsteller aufgrund der Schreiben des Antragsgegners vom 14. November 2012 und vom 20. März 2013, dass Passanten durch herabstürzende Dachteile Gefahren drohten. Da sie daraufhin nichts unternahmen, hatten sie keinen Anlass zur Annahme, dass sich diese Gefahrensituation von selbst bis zum Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe entschärft hatte. Im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug (Seite 10 BA).

Die Antragsteller verweisen auch zu Unrecht darauf, dass der Antragsgegner auf der Grundlage seiner Rechtsansicht, dass die Eigentumsaufgabe wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sei, bereits gegen die Eintragung der Dereliktion gemäß § 928 BGB ins Grundbuch mit der Grundbuchbeschwerde gemäß § 71 GBO hätte vorgehen müssen. Es ist bereits fraglich, ob der Antragsgegner als Behörde beschwerdebefugt im Sinne des § 71 GBO wäre. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bejaht ein Beschwerderecht von Behörden nur in eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 3.3.2009 – 2 W 168/08 -, Rpfleger 2009, 675 = juris Rn. 12; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.12.1980 – 3 W 161/80 -, OLGZ 1981, 139 = juris Rn. 19; Sternal in: Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 71 GBO, Rn. 85 m.w.N.). Der Einwand, die Eintragung sei wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig, wird zudem durch die Eintragung nicht abgeschnitten.

3. Unabhängig davon könnte der Antragsgegner selbst bei wirksamer Eigentumsaufgabe die Anordnung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 NBauO in Verbindung mit § 56 Satz 4 NBauO und § 7 Abs. 3 NPOG an die Antragsteller richten. Gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 NBauO hat die Bauaufsichtsbehörde ihre Anordnungen an die Personen zu richten, die nach den §§ 52 bis 56 NBauO verantwortlich sind. Gemäß § 56 Satz 1 NBauO sind die Eigentümer dafür verantwortlich, dass Anlagen und Grundstücke dem öffentlichen Baurecht entsprechen. Gemäß Satz 4 gilt § 7 Abs. 3 NPOG entsprechend. Nach § 7 Abs. 3 NPOG können Maßnahmen gegen diejenige Person gerichtet werden, die das Eigentum an einer Sache aufgegeben hat, wenn von dieser herrenlosen Sache eine Gefahr ausgeht. Die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Antragsteller liegen danach vor. Durch die Eigentumsaufgabe gemäß § 928 Abs. 1 BGB – ihre Wirksamkeit unterstellt – wäre das Grundstück herrenlos geworden. Da von dem Grundstück Gefahren ausgehen, könnte der Antragsgegner Maßnahmen gemäß § 79 Abs. 1 NBauO gegen die Antragsteller als ehemalige Eigentümer richten.

Die Vorschrift des § 7 Abs. 3 NPOG, auf die § 56 Satz 4 NBauO Bezug nimmt, ist von der Erwägung getragen, dass der Eigentümer, der in der Vergangenheit die Nutzungen aus dem Eigentum gezogen hat, die mit dem Eigentum einhergehenden Belastungen nicht auf die Allgemeinheit verlagern können soll. Zudem soll sie sicherstellen, dass nach einer Eigentumsaufgabe ein Verantwortlicher für das Grundstück greifbar ist (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage in anderen Ländern OVG NRW, Beschl. v. 3.3.2010 – 5 B 66/10 -, NJW 2010, 1988 = BauR 2010, 1072 = juris Rn. 6 zu § 18 Abs. 3 OBG NRW; HessVGH, Beschl. v. 8.5.2015 – 4 A 1862/13.Z -, NVwZ-RR 2015, 855 = juris Rn. 9; BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03 -, BVerwGE 122, 75 NVwZ 2004, 1505 = juris Rn. 22).

Einer Inanspruchnahme nach dieser Vorschrift stünde nicht entgegen, dass das Grundstückseigentum bereits vor Inkrafttreten des § 56 Satz 4 NBauO aufgegeben worden ist. Wie ausgeführt wurde die Eigentumsaufgabe am 22. Mai 2014 im Grundbuch eingetragen. § 56 Satz 4 NBauO wurde aber erst später, nämlich in seiner ursprünglichen Fassung durch Art. 1 Nr. 21 des Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung vom 12. September 2018 (Nds. GVBl. S. 190), in Kraft getreten gemäß Art. 2 am 1. Januar 2019, eingefügt. Die Vorschrift wurde sodann durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung sowie zur Erleichterung der Schaffung von Wohnraum vom 10. November 2020 (Nds. GVBl. S. 384), in Kraft getreten gemäß Art. 3 Satz 1 am 18. November 2020, noch einmal redaktionell angepasst. Die Anwendung § 56 Satz 4 NBauO in der Fassung vom 18. November 2020 auf die Eigentumsaufgabe im Jahr 2014 steht mit Verfassungsrecht in Einklang. Es handelt sich um eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung und nicht um eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet eine Rechtsnorm eine grundsätzlich unzulässige „echte“ Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Dagegen liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet („tatbestandliche Rückanknüpfung“, vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.3.2021 – 6 BN 2.20 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Eine in diesem Sinne unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Normgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Normzwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage das Gemeinwohlinteresse des Normgebers an der Rechtsänderung ausnahmsweise überwiegt. Für das Gewicht des Vertrauensschutzes kommt es auf die betroffenen, in der Regel grundrechtsgeschützten Rechtsgüter und die Intensität der Nachteile an. Danach anzunehmende Bedenken können gegebenenfalls durch Übergangsvorschriften ausgeräumt werden (NdsOVG, Urt. v. 23.9.2020 – 2 KN 378/19 -, juris Rn. 27 m.w.N.).

Gemessen daran ist die Anknüpfung an eine bereits vor Inkrafttreten der Norm erklärte Eigentumsaufgabe jedenfalls nicht grundsätzlich als unzulässig zu bewerten. Ein Vertrauen darauf, sich durch Eigentumsaufgabe aller mit dem Grundeigentum verbundenen Pflichten entledigen zu können, war bereits nach alter Rechtslage nicht in vollem Umfang gerechtfertigt. Ein Eigentümer, der auf das Eigentum an seinem Grundstück verzichtet, musste auch vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 56 Satz 4 NBauO nach der Eigentumsaufgabe mit einer Inanspruchnahme wegen des Zustands dieses Grundstücks gemäß § 1004 BGB durch private Dritte rechnen. In der zivilgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass sich der Eigentümer eine Haftung als Zustandsstörer gemäß § 1004 BGB nicht durch Verzicht auf sein Eigentum entziehen kann (BGH, Urt. v. 30.3.2007 – V ZR 179/06 -, NJW 2007, 2182 = juris Rn. 10; BGH, Urt. v. 4.2.2005 – V ZR 142/04 -, NJW 2005, 1366 = juris Rn. 6). Auf der Grundlage von § 7 Abs. 3 NPOG kam außerhalb des Anwendungsbereichs des § 79 Abs. 1, Abs. 3 NBauO bereits vor Einfügung des § 56 Satz 4 NBauO ein Einschreiten anderer Verwaltungsbehörden und der Polizei gemäß § 11 NPOG gegen ihn in Betracht. Eine Fortgeltung einer einmal begründeten gefahrenabwehrrechtlichen Verantwortlichkeit galt gemäß § 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG darüber hinaus unabhängig von Landesrecht nach Bundesrecht. Zudem wäre ein dennoch entstandenes Vertrauen eines Eigentümers darauf, dass er sich durch Dereliktion seiner Verantwortlichkeit entziehen und gleichzeitig die in der Vergangenheit gezogenen Nutzungen behalten könnte, angesichts des Art. 14 Abs. 2 GG, wonach Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, nicht schutzwürdig (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.11.1996 – 4 B 205.96 -, NVwZ 1997, 577 = juris Rn. 3). Besonderen Einzelfällen, etwa einer lang zurückliegenden Eigentumsaufgabe zu einem Zeitpunkt, in dem von dem Gebäude ausgehende Gefahren noch nicht erkennbar waren, kann und muss im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens gemäß § 79 NBauO Rechnung getragen werden.

4. Der Inanspruchnahme können die Antragsteller auch nicht entgegenhalten, dass sie nach Durchführung der ihnen auferlegten Beseitigungsanordnung an der Verwertung des geräumten Grundstücks gehindert wären. Wenn die Eigentumsaufgabe gemäß § 138 BGB nichtig wäre, träfe dieser Einwand bereits in der Sache nicht zu. Die Antragsteller wären dann immer noch Eigentümer des Grundstücks. Der anderslautende Grundbuchinhalt stünde – wie ausgeführt – nicht entgegen. Der Inhalt des Grundbuchs wäre unrichtig. Aber auch bei wirksamer Dereliktion könnten die Antragsteller gegen die Inanspruchnahme nicht die fehlende Möglichkeit einwenden, das Grundstück verwerten zu dürfen. Dieser Möglichkeit hätten sie sich aus eigenem Entschluss und jedenfalls im konkreten Fall aus Motiven begeben, die nicht schützenswert sind. Ob ein solcher Einwand generell geeignet sein kann, die Inanspruchnahme nach Dereliktion zumindest der Höhe nach zu begrenzen (so OVG NRW, Beschl. v. 3.3.2010 – 5 B 66/10 -, NJW 2010, 1988 = BauR 2010, 1072 = juris Rn. 13; ablehnend Sanden, NVwZ 2014, 1329, 1331 f.), bedarf deshalb in diesem Fall keiner Entscheidung.

5. Der Beseitigungsanordnung stehen darüber hinaus keine denkmalschutzrechtlichen Hindernisse entgegen. Zwar weisen die Antragsteller im Ansatz zu Recht darauf hin, dass es sich bei dem Abriss des Gebäudes um eine gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 NDSchG genehmigungspflichtige Maßnahme handelt. Die Genehmigung ist aber hier durch den Antragsgegner, der zugleich gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 NDSchG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Satz 1 NDSchG die Aufgaben der unteren Denkmalschutzbehörde wahrnimmt, konkludent erteilt worden. Eine Löschung des Denkmals aus dem Verzeichnis der Kulturdenkmale ist nicht notwendig, da weder eine erfolgte Eintragung in das Verzeichnis der Kulturdenkmale gemäß § 4 NDSchG die Denkmaleigenschaft konstitutiv begründet noch die Löschung aus dem Verzeichnis diese entfallen lässt.

6. Die Antragsteller können ihre Haftung für die Kosten der Ersatzvornahme auch nicht gemäß §§ 1989, 1990 BGB beschränken. Bei der durch den Verwaltungsakt festgesetzten Verpflichtung handelt es sich nicht um eine Nachlassverbindlichkeit. Die Handlungspflicht aus Zustandshaftung entsteht, ähnlich wie die an das Grundeigentum anknüpfenden Abgabenschulden, erst nach dem Erbfall und ist daher weniger einer Nachlassverbindlichkeit, also einer Schuld des Erblassers oder einer Schuld anlässlich des Erbfalls, z.B. einem Pflichtteilsanspruch oder Vermächtnis, als einer Nachlasserbenschuld vergleichbar (vgl. Senatsurt. v. 26.2.2014 – 1 LB 100/09 -, BauR 2014, 1444 = BRS 82 Nr. 204 = juris Rn. 55).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  • Denkmalschutzrecht:  Das betroffene Fachwerkhaus wurde im Jahr 1988 als Baudenkmal eingetragen. Damit unterliegt es dem Denkmalschutzrecht, welches besondere Anforderungen und Pflichten für den Eigentümer vorsieht. Die Antragsteller als Erben des verstorbenen Eigentümers haben die Verantwortung für den Erhalt und die Instandhaltung des denkmalgeschützten Gebäudes. In diesem Fall hat das Gericht die Erbengemeinschaft zur Beseitigung des denkmalgeschützten Fachwerkhauses verpflichtet, weil es in einem maroden Zustand war und die Eigentümer ihrer Verantwortung nicht nachgekommen sind.
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Das Gericht hat die Eigentumsaufgabe der Antragsteller als sittenwidrig und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig eingestuft. Diese Entscheidung basiert darauf, dass die Antragsteller sich der maroden Zustände des Gebäudes und der daraus resultierenden Gefahren bewusst waren, jedoch keine Maßnahmen zur Instandsetzung ergriffen haben. Durch die Nichtigkeit der Eigentumsaufgabe bleiben die Antragsteller rechtlich als Eigentümer des Grundstücks und des Fachwerkhauses verantwortlich.
  • Bauordnungsrecht: Das Urteil bezieht sich auch auf verschiedene Regelungen aus dem Bauordnungsrecht, insbesondere auf die Vorschriften der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) und des Niedersächsischen Polizeigesetzes (NPOG). Gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 NBauO in Verbindung mit § 56 Satz 4 NBauO und § 7 Abs. 3 NPOG könnten die Antragsteller in Anspruch genommen werden, selbst wenn die Eigentumsaufgabe wirksam wäre. Diese Regelungen stellen sicher, dass die Bauaufsichtsbehörde ihre Anordnungen an die verantwortlichen Personen richten kann, um Gefahren abzuwehren, die von einem maroden Gebäude ausgehen.

Zudem wurde die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Rückwirkung von § 56 Satz 4 NBauO in der Fassung vom 18. November 2020 auf die Eigentumsaufgabe im Jahr 2014 geprüft. Dabei wurde festgestellt, dass es sich um eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung handelt, die den Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrt.

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