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Zwangsräumung einer Wohnung trotz positivem Covid-Test?

LG Berlin – Az.: 51 T 152/22 – Beschluss vom 19.04.2022

Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 08.04.2022 – 31 M 397/22 – wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Gründe:

Die nach §§ 793, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Amtsgericht hat den Antrag des Schuldners vom 06.04.2022 auf Gewährung von Räumungsschutz im Ergebnis zutreffend als jedenfalls unbegründet zurückgewiesen. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung sowie des Nichtabhilfebeschlusses vom 19.04.2022 Bezug genommen.

Entgegen der erstinstanzlich vertretenen Auffassung wurde der Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz rechtzeitig gestellt. Nach § 765 a Abs. 3 ZPO ist der Antrag auf Gewährung von Räumungsschutz nach § 765 a Abs. 3 ZPO spätestens zwei Wochen vor dem angesetzten Räumungstermin zu stellen. Der Räumungstermin ist hier auf den 20.04.2022 bestimmt. Der Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz musste somit bis zum Ablauf des 06.04.2022 beim Vollstreckungsgericht eingehen (vgl. Zöller/Seibel ZPO 3. Aufl. Rz. 8 zu § 721 und Rz. 20 zu § 765 a ZPO m.w.N.), was vorliegend ausweislich des Transfervermerks zum Eingang von Schriftstücken per beA vom 06.04.2022 geschehen ist.

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Zutreffend hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass die bevorstehende Räumung keine sittenwidrige Härte i.S.v. § 765 a ZPO darstellt.

Nach dieser Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift genügen die normalerweise mit einer Zwangsräumung verbundenen Härten nicht. Vielmehr müssen ganz besondere Umstände, die mit der Art oder dem Zeitpunkt der Zwangsvollstreckungsmaßnahme zusammenhängen, hinzutreten. Anzuwenden ist § 765 a ZPO auch dann nur, wenn im Einzelfall die Maßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (BGH NJW 2005, 1859 m.w.N.; LG Lübeck Rechtspfleger 2004, 435).

Im Falle der Geltendmachung drohender Gesundheits- oder Lebensgefahr hat das Vollstreckungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765 a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu berücksichtigen. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall erheblich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und des Grundrechts des Schuldners aus Art. 1 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen. Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden ist, kann aber eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der Interessen des Betroffenen mit den – nach § 765 a Abs. 1 Satz 1 ZPO voll zu würdigenden – Schutzbedürfnissen des Gläubigers. Bei dieser Interessenabwägung ist zu beachten, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte, insbesondere den Schutz seines Eigentums nach Art. 14 S. 1 GG berufen kann. Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger wirksam zu seinem Recht zu verhelfen. Dem Gläubiger dürfen nicht die Aufgaben übergebürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Gesundheits- oder Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung begegnet werden kann. Nicht zuletzt ist aber auch der Gefährdete selbst gehalten, alles ihm zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Falle der Vollstreckung bestehen, zu verringern. Dazu kann gehören, fachliche Hilfe – ggf. auch durch einen stationären Klinikaufenthalt – in Anspruch zu nehmen, um die Gesundheits- oder Lebensgefahr auszuschließen oder zu verringern (BGH a.a.O.). Eine Gesundheits- oder Lebensgefahr begründet nicht als solche eine sittenwidrige Härte, sondern sie ist nur ein gewichtiger Umstand, der in die Abwägung der gegenläufigen Interessen einzubeziehen ist. Ferner sind das sonstige Verhalten des Schuldners in der Zwangsvollstreckung und – im Interesse des Gläubigers – die Dauer des bisherigen Verfahrens zu berücksichtigen (OLG Köln NJW 1993, 2248).

Es obliegt dem Schuldner, die tatsächlichen Voraussetzungen für den begehrten Räumungsschutz darzulegen. Der Schuldner muss die Gesundheitsgefährdung und den Kausalzusammenhang zwischen der anstehenden Zwangsräumung und seiner Gefährdung substantiiert darlegen und die hinreichende Wahrscheinlichkeit dieser Voraussetzung beweisen (LG Lübeck a.a.O.). Die behauptete Gefahr muss für das Vollstreckungsgericht anhand objektiv feststellbarer Merkmale mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können (OLG Köln a.a.O.). Dazu ist bei Gesundheits- oder Lebensgefahren in der Regel ein fachärztliches Attest notwendig, das aussagekräftig ist und für das Gericht nachvollziehbar macht, aufgrund welcher Zusammenhänge ein Risiko besteht, wie hoch die Gefahr von dessen Realisierung einzuschätzen ist und welche Schritte zur Risikoverringerung möglich sind und was der Betroffene bisher dazu unternommen hat.

Im vorliegenden Fall belegt das Attest vom 05.04.2022 schon keine durch die Räumung bedingten schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Schuldners. Weder beinhaltet es eine konkrete Diagnose, sondern bescheinigt dem Schuldner nur aufgrund psychischer Probleme nicht in der Lage zu sein eine neue Wohnung zu finden und zu einem Umzug in der Lage zu sein. Komkrete Angaben zur Art und Umfang der Gesundheitsgefährdung, zu deren Wahrscheinlichkeit im Fall der Räumung sowie zu möglichen Maßnahme, wie der Gefährdung zu begegnen sei, verhält sich das Attest nicht. Auch der positive Testnachweis auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger führt nicht zur Sittenwidrigkeit der Räumung, zumal die notwendige Isolation auch in einer anderen Unterkunft durchgeführt werden kann. Ebensowenig ist ersichtlich, dass wegen der Infektion z.B. eine Kontaktaufnahme mit dem Sozialamt per Telefon oder Email nicht möglich gewesen ist. Soweit der Antrag darauf gestützt wird, dass die bevorstehende Räumung negative Auswirkungen auf die Tochter des Schuldners haben könnte, reicht dies nicht aus, um von einer sittenwidrige unbillige Härte auszugehen. Der Schuldner trägt schon nicht vor, unter welchen psychischen Problemen die Tochter leiden soll. Der Umstand, dass ein Umzug mit dem Verlust des bisherigen Freundeskreises einhergehen kann, reicht jedenfalls für die Gewährung von Räumungsschutz nicht aus. Ärztliche Bescheinigungen für die Tochter fehlen ebenfalls.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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