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Zweite Fristverlängerung ist durch Gericht zu gewähren wenn der Gegner eingewilligt hat

BGH – Az.: VIa ZB 15/22 – Beschluss vom 30.01.2023

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2023 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 5a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 18. Juli 2022 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert beträgt bis 13.000 Euro.

Zusammenfassung

Der Kläger wendet sich gegen die Abweisung seiner Klage auf Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines Dieselfahrzeugs. Wegen der hohen Arbeitsbelastung seiner Anwälte beantragte er eine Fristverlängerung für die Einlegung seiner Berufung, die ihm auch gewährt wurde. Als er jedoch eine weitere Fristverlängerung beantragte, wurde diese abgelehnt, so dass er die Frist versäumte. Daraufhin beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte Berufung gegen die Abweisung seiner Klage ein. Das Berufungsgericht lehnte seinen Antrag mit der Begründung ab, er hätte die Verlängerung vor Ablauf der Frist konkret begründen müssen. Die höhere Instanz entschied jedoch, dass der Kläger die Fristüberschreitung nicht verursacht hatte und seine Anwälte darauf vertrauen konnten, dass ihrem Antrag auf Fristverlängerung stattgegeben würde. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt, und die Abweisung seiner Klage ist daher ungültig.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.

Dieselmotor
(Symbolfoto: Lightspruch/Shutterstock.com)

Er begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit Dieselmotor. Gegen das ihm am 9. März 2022 zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts hat der Kläger fristgemäß Berufung eingelegt. Wegen großer Arbeitsbelastung hat er vor Fristablauf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 9. Juni 2022 beantragt. Dem hat das Berufungsgericht am 27. April 2022 mit dem Hinweis „Eine weitere Verlängerung ist nicht zu erwarten“ entsprochen.

Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2022 hat der Kläger beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um weitere sechs Wochen zu verlängern. Dabei haben seine Prozessbevollmächtigten anwaltlich versichert, sie seien wegen großer Arbeitsbelastung nicht zur fristgemäßen Bearbeitung in der Lage und die Beklagte habe der weiteren Fristverlängerung zugestimmt. Das Berufungsgericht hat die weitere Verlängerung mit Verfügung vom 9. Juni 2022 abgelehnt.

Am 10. Juni 2022 hat der Kläger die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat er ausgeführt, seine Prozessbevollmächtigten hätten, da das Einverständnis der Gegenseite vorgelegen habe, erwarten können, dass dem weiteren Fristverlängerungsantrag stattgegeben werde.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldlos versäumt, da sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müsse, nicht mit der Bewilligung der zweiten Fristverlängerung habe rechnen können. Dem habe schon der Hinweis in der am 27. April 2022 gewährten Fristverlängerung entgegengestanden, dass mit einer weiteren Fristverlängerung nicht gerechnet werden könne. Dementsprechend habe es dem Kläger oblegen, konkrete Gründe, die einer fristgerechten Berufungsbegründung entgegenstanden, so rechtzeitig mitzuteilen, dass er sich durch Nachfragen über die Entscheidung über die beantragte Fristverlängerung „hätte informieren müssen“. Er habe jedoch lediglich erneut auf eine Überlastung hingewiesen. Das Fristverlängerungsgesuch sei so spät bei dem Berufungsgericht eingegangen, dass er mit einer Entscheidung vor Fristablauf nicht habe rechnen können. Eine Nachfrage sei der Akte nicht zu entnehmen.

b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Der Kläger war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert, § 233 ZPO. Er durfte darauf vertrauen, dass sein rechtzeitig gestellter Antrag, die bis zum 9. Juni 2022 verlängerte Berufungsbegründungsfrist erneut zu verlängern, nicht abgelehnt würde. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger hätte vor dem Hintergrund eines früheren Hinweises, mit einer weiteren Fristverlängerung sei nicht zu rechnen, über die Mitteilung der Einwilligung der Beklagten hinaus erhebliche Gründe für die erneute Fristverlängerung darlegen müssen, ist unzutreffend. Sie überspannt die sich aus § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebenden Anforderungen an einen bewilligungsfähigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.

aa) Allerdings ist der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 – VII ZB 14/96, NJW 1996, 3155; Beschluss vom 21. Februar 2000 – II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947; Beschluss vom 9. Juli 2009 – VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8, jeweils mwN). Anders als das Berufungsgericht meint, ist bei Einwilligung des Gegners allerdings auch das Vertrauen in eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist geschützt. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung um weitere sieben Tage zu verlängern, darf der Berufungskläger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, dass dem Antrag stattgegeben werde (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009, aaO, Rn. 10; Beschluss vom 1. Juli 2013 – VI ZB 18/12, NJW 2013, 3181 Rn. 10).

bb) Daran gemessen konnten die Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf vertrauen, dass ihrem zweiten Fristverlängerungsantrag – jedenfalls teilweise – gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO stattgegeben werde. Aus dem Umstand, dass im Streitfall eine Verlängerung um weitere sechs Wochen beantragt wurde, folgt schon deshalb nichts anderes, weil dem Kläger, der die Berufungsbegründung einen Tag nach Fristablauf eingereicht hat, eine teilweise Stattgabe seines Verlängerungsantrags für sieben Tage genügt hätte, um die Frist zu wahren (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2015 – VII ZB 62/14, NJW 2015, 1966 Rn. 12 mwN). Die Einwilligung der Beklagten zu der beantragten Fristverlängerung lag vor. Auf erhebliche Gründe für die Fristverlängerung im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kam es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf dessen Mutmaßungen, die Einreichung der Berufungsbegründung bereits am Folgetag zeige, dass keine Überlastung vorgelegen habe. Der vorangegangene Hinweis, mit einer weiteren Verlängerung sei nicht zu rechnen, stand dem Vertrauen der Prozessbevollmächtigten des Klägers in die Fristverlängerung nicht entgegen. Das Berufungsgericht verkennt, dass ein solcher Hinweis das Gericht nicht davon entbindet, die in § 520 Abs. 2 ZPO angelegte Differenzierung danach, ob der Gegner eingewilligt hat oder nicht, und die vom Gesetzgeber beabsichtigte (BT-Drucks. 14/4722 S. 95) vereinfachte Verlängerungsmöglichkeit bei erteilter Einwilligung zu beachten (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BGH, Beschluss vom 1. August 2001 – VIII ZB 24/01, NJW 2001, 3552).

cc) Anders als das Berufungsgericht meint, gereicht es dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO auch nicht zum Verschulden, dass sein Prozessbevollmächtigter den zweiten Fristverlängerungsantrag erst am Tag des Fristablaufs gestellt und vor Fristablauf keine Nachfrage über die Bescheidung seines Antrags bei dem Berufungsgericht gehalten hat. Eine Partei ist grundsätzlich berechtigt, eine Frist bis zum letzten Tag auszuschöpfen (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 – VI ZB 5/17, NJW-RR 2018, 958 Rn. 11 mwN). Der Fristverlängerungsantrag muss nicht so rechtzeitig gestellt werden, dass vor Fristablauf noch mit einer Entscheidung gerechnet werden könnte. Die Begründungsfrist kann auch nach ihrem Ablauf verlängert werden, wenn dies vor Fristablauf beantragt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1982 – GSZ 1/81, BGHZ 83, 217, 219, 221). Für eine Rückfrage, ob dem Antrag stattgegeben wurde, besteht kein erkennbarer Anlass, wenn der Anwalt – wie im Streitfall – mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 – VI ZB 65/06, NJW-RR 2008, 367 Rn. 9; Beschluss vom 5. Juni 2012 – VI ZB 16/12, NJW 2012, 2522 Rn. 10; Beschluss vom 26. Januar 2017 – IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 12).

c) Die in dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Verwerfung der Berufung ist gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 – VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 13 mwN).

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