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Zwilling – Fahrtenbuchauflage mangels Identifizierung


Verwaltungsgericht Düsseldorf

Az: 6 K 4161/13

Gerichtsbescheid vom 16.07.2014


Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 10. April 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


Tatbestand

Die Klägerin ist Halterin des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 0000.

Am 3. November 2012 um 0:50 Uhr überschritt der Fahrer dieses auf die Klägerin zugelassenen Kraftfahrzeuges auf der Bundesautobahn 00 am Autobahnkreuz L. -M. in Fahrtrichtung A 00 – L1. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um – nach Toleranzabzug – 29 km/h. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde mittels des Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts TRAFFIPAX TraffiStar S 330 gemessen und mit einem Frontfoto des Fahrers dokumentiert.

Mit Schreiben vom 12. November 2012 übersandte der Kreis X. als Ordnungswidrigkeitenbehörde (im Folgenden: OWi-Behörde) der Klägerin einen Zeugenfragebogen, legte das bei dem Vorfall am 3. November 2012 vom Fahrer des Pkw erstellte Lichtbild vor und bat um Auskunft über die Person des Fahrzeugführers binnen einer Woche nach Erhalt des Schreibens. Aus der Kopie des Zeugenfragebogens (Bl. 43 f. d. BA Heft 1) geht hervor, dass die Klägerin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte, unter dem 25. November 2012 den Zeugenfragebogen handschriftlich unterzeichnete und ihn an die OWi-Behörde zurücksandte, wo er laut Eingangsstempel am 28. November 2012 einging.

Die OWi-Behörde ersuchte sodann um Ermittlungshilfe bei der Stadt O. . Diese teilte der OWi-Behörde mit, dass es sich bei dem verantwortlichen Fahrzeugführer vermutlich um den Sohn der Klägerin, Herrn U. X1. H. , handele. Die OWi-Behörde forderte sodann Lichtbilder sowohl von ihm als auch von seinem eineiigen Zwilling, Herrn N. B. H. , an. Auf dem Ausdruck des Lichtbildes von N. H. ist ein Ausrufezeichen vermerkt (Bl. 55 d.BA Heft 1). Laut Gesprächsnotiz vom 3. Januar 2013 (Bl. 53 d. BA Heft 1) erfolgte am 2. Januar 2013 eine erneute Befragung der Klägerin (Halterin) durch Beamte des Ermittlungsdienstes der Stadt O. , bei der sich diese wiederum auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berief. Die Ermittlungen wurden eingestellt.

Mit Schreiben vom 28. März 2013 gab der Beklagte der Klägerin die Möglichkeit, sich zu der von ihr beabsichtigten Auferlegung eines Fahrtenbuchs zu äußern. Die Klägerin machte hiervon Gebrauch und trug im Wesentlichen vor, dass sie zu einer Mitwirkung an der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers grundsätzlich bereit gewesen, sie aber nicht zeitnah über den Rechtsverstoß informiert worden sei. Erschwerend komme hinzu, dass der Wagen regelmäßig von ihren beiden Söhnen genutzt werde, welche als eineiige Zwillingsbrüder anhand der überlassenen Fotos nicht zu unterscheiden seien.

Durch Ordnungsverfügung vom 10. April 2013, zugestellt am 13. April 2013, legte der Beklagte der Klägerin wegen des Vorfalls vom 3. November 2012 die Verpflichtung auf, für die Dauer von neun Monaten ab Unanfechtbarkeit der Verfügung ein Fahrtenbuch für das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 0000 sowie für Fahrzeuge zu führen, die diesem nachfolgen oder dieses ersetzen, drohte für den Fall, dass sie der Ordnungsverfügung nicht nachkommt, ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro an und setzte Kosten in Höhe von 92,60 Euro (89,60 Euro Verwaltungsgebühren zuzüglich 3,00 Euro Auslagen) fest.

Die Klägerin hat am 2. Mai 2013 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt, ergänzend den Geschwindigkeitsverstoß in Frage stellt sowie vorträgt, dass eine Anhörung zum Verkehrsverstoß erst am 28. März 2013 erfolgt sei. Allein aufgrund des erheblichen Zeitablaufs zwischen Tatzeitpunkt und Anhörung sei sie an einer Mitwirkung an der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers gehindert gewesen. Ferner dürfte Verjährung eingetreten sein.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 10. April 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags trägt er im Wesentlichen vor, dass eine Anhörung der Klägerin zum Verkehrsverstoß am 3. November 2012 mit Schreiben vom 12. November 2012 und damit zeitnah erfolgt sei. Der verantwortliche Fahrzeugführer habe nicht ermittelt werden können, da sich die Klägerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe und auch weitere Ermittlungsmaßnahmen ohne Erfolg geblieben seien. Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage sei schließlich auch erforderlich, um bei Zwillingen ein Verwirrspiel für die Zukunft auszuschließen.

Die Beteiligten sind unter dem 25. April 2014 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.


Entscheidungsgründe

Das Gericht kann nach Anhörung gem. § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1, 2 VwGO. Für dieses Verfahren gelten die Vorschriften über Urteile entsprechend, § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die zulässige Klage hat Erfolg. Sie ist begründet.

Die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 10. April 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zugelassene Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO sind vorliegend nicht erfüllt.

Mit dem auf die Klägerin zugelassenen Fahrzeug ist nach Aktenlage zwar die im Tatbestand näher bezeichnete Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden. Damit war der objektive Tatbestand des § 24 StVG erfüllt.

Denn an der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung, welche mit Hilfe des Messgeräts Traffipax Traffistar S 330, einem allgemein anerkannten standardisierten Messverfahren, durchgeführt worden ist, bestehen keine begründeten Zweifel. Aufgrund des lediglich pauschalen Infragestellens des Verkehrsverstoßes sah sich die Kammer nicht veranlasst, nicht näher dargelegte, im konkreten Fall allenfalls theoretisch in Betracht kommende Fehlerquellen zu erörtern.

Vgl. zu den Anforderungen an eine etwaige Erörterung von Fehlerquellen OVG NRW, Beschluss vom 16. Juni 2010 – 8 B 594/10 -; Urteil vom 31. März 1995 – 25 A 2798/93 -, juris (= NJW 1995, 3335), im Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92 -, juris (= NJW 1993, 3081-3084); OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 1999 – 12 L 2087/99 -, juris (= DAR 1999, 424-245); Cierniak, Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen, in: ZfSch 2012, 664-680; Deutscher, Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr, in: VRR 2013, 7-11; Schrey, Der Umfang richterliche Kontrolle bei Entscheidungen über Geschwindigkeitsverstöße, in: NJW 2010, 2917-2921.

Die Feststellung des Fahrzeugführers war der zuständigen Bußgeldbehörde aber nicht unmöglich.

„Unmöglichkeit“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist anzunehmen, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter des Verkehrsverstoßes zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung beurteilt sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die in gleichliegenden Fällen erfahrungsgemäß Erfolg haben.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Oktober 1987 – 7 B 162.87 -, juris Rn. 4 (= NJW 1988, 1104); und vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 19. Dezember 2013 – 8 A 2345/13 -.

Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Halter möglichst umgehend – im Regelfall innerhalb von zwei Wochen – von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.

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Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 – VII C 77.74 -, juris Rn. 18 (= DÖV 1979, 408), sowie Beschluss vom 25. Juni 1987 – 7 B 139.87 -, juris Rn. 2 (= DAR 1987, 393); OVG NRW, Beschluss vom 19. Dezember 2013 – 8 A 2345/13 -.

Die Anhörung begründet für den Halter eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Radarfoto erkannten Fahrer benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, juris Rn. 25 (= NWVBl. 2006, 193); Beschluss vom 19. Dezember 2013 – 8 A 2345/13 -.

Macht der Halter keine Angaben zur Sache, sind die Gründe hierfür unerheblich. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt vor allem nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Dezember 2013 – 8 A 2345/13 -, vom 14. November 2013 – 8 A 1668/13 -, juris Rn. 14, vom 11. November 2013 – 8 B 1129/13 -, juris Rn. 12 ff., und vom 28. Oktober 2013 – 8 A 562/13 -, juris Rn. 12 ff.

Auch die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht entbindet den Halter nicht von seiner Mitwirkungsobliegenheit. Der Halter eines Fahrzeugs kann nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren entweder als Betroffener im Sinne des § 55 OWiG sein „Schweigerecht“ (§ 46 OWiG i.V.m § 136 Abs. 1 StPO) oder als Zeuge ein Recht zur Aussage- oder Zeugnisverweigerung (§ 46 OWiG i.V.m § 136 Abs. 1 StPO) geltend gemacht hat. Ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitsverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. März 1986 – 7 B 40/86 -, juris Rn. 3 (= Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr 14); vom 17. Juli 1986 – 7 B 234.85 -, juris Rn. 6 (= NJW 1987, 143), vom 1. März 1994 – 11 B 130.93 – juris Rn. 4 (= VRS 88, 158), vom 22. Juni 1995 – 11 B 7.95 -, juris Rn. 2 ff. (= BayVBl. 1996, 156), und vom 11. August 1999 – 3 B 96.99 -, juris Rn. 3 (= NZV 2000, 385); vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Dezember 2013 – 8 A 2430/13 – mit weiteren ausführlichen Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung.

Besteht nach Anhörung des Fahrzeughalters zu dem mit dem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß kein erfolgsversprechender Ermittlungsansatz, ist die OWi-Behörde aus Opportunitätserwägungen und Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig und grundsätzlich nicht verpflichtet, Ermittlungsmaßnahmen anzustellen, die wahllos, zeitraubend und kaum Erfolg versprechend sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3.80 -, juris Rn. 7 (VRS 64, 466), sowie Beschlüsse vom 21. Oktober 1987 – 7 B 162.87 -, juris Rn. 4 f. (NJW 1988, 1104), und vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2013 – 8 A 1668/13 -, juris Rn. 8; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 31a StVZO Rn. 5.

Die OWi-Behörde ist aber auch bei Schweigen des Fahrzeughalters ausdrücklich nicht davon befreit, gezielte, Erfolg versprechende und wenig aufwendige Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen, wenn diese ausnahmsweise einmal auf der Hand liegen sollten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3/80 -, juris Rn. 7 a.E.: „[ … ] die Weigerung des Fahrzeughalters, Sachdienliches auszusagen, [zwingt … ] dann zu weiteren Ermittlungen der Polizei, wenn sich im Einzelfall besondere Beweisanzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrzeugführers hindeuten“); VG Oldenburg, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 7 B 2577/08 -, juris Rn. 21 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 10 S 722/07 -, juris (= ZfSch 2007, 595-597).

Hat die Behörde trotz des Schweigens des Halters Ermittlungen unternommen und haben diese Ermittlungsbemühungen zu Fortschritten bei der Aufklärung geführt, sodass sich nun gezielt gegen bestimmte Verdächtige gerichtete, Erfolg versprechende und wenig aufwendige weitere Maßnahmen innerhalb der Verjährungsfrist aufdrängen, darf die OWi-Behörde davor nicht die Augen verschließen, indem sie dennoch das Ordnungswidrigkeitenverfahren ohne Weiteres einstellt.

In Fällen, in denen trotz des Schweigens des Fahrzeughalters ausnahmsweise gute Chancen auf rechtzeitige Ermittlung des Fahrzeugführers mit geringem Aufwand bestehen, darf die OWi-Behörde das Ermittlungsverfahren nicht vorschnell einstellen. Dies wäre auch mit Sinn und Zweck des § 31a StVZO nicht vereinbar. Die Vorschrift soll nur dann, wenn ein Verkehrsverstoß wegen der Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers nicht geahndet werden konnte, sicherstellen, dass sich solches in Zukunft nicht mehr wiederholt. Ihr kommt eine präventive, keine strafende Funktion zu.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2012 – 8 A 162/12 -, amtl. Abdruck S. 5 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 31a StVZO Rn. 2.

Gemessen an diesen Maßstäben liegt ein für das negative Ermittlungsergebnis ursächliches Ermittlungsdefizit der Bußgeldbehörde vor.

Die Klägerin ist zwar innerhalb der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Zweiwochenfrist für die Benachrichtigung des Fahrzeughalters – die weder ein formales Tatbestandskriterium des § 31a Abs. 1 StVZO, noch eine starre Grenze darstellt – durch Übersendung des Zeugenfragebogens vom 12. November 2012 sowie des Radarfotos angehört worden. Wenngleich der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen ist, wann der Zeugenfragebogen der Klägerin zugestellt worden ist, enthält sie aber eine Kopie des von der Klägerin unter dem 25. November 2012 unterzeichneten Zeugenfragebogens, aus welchem hervorgeht, dass sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Hieraus wird deutlich, dass die Klägerin zeitnah nach dem Verkehrsverstoß vom 3. November 2012 angehört worden ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin erst mit Anhörung zur beabsichtigten Fahrtenbuchauflage, also mit Schreiben vom 28. März 2013, über den Verkehrsverstoß vom 3. November 2012 in Kenntnis gesetzt worden ist, sind weder aus dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs – an dessen Richtigkeit und Vollständigkeit keine begründeten Zweifel bestehen – noch aus dem Vortrag der Klägerin ersichtlich. Unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Angaben zu den Personalien des Verantwortlichen machen und auch ansonsten nicht bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitwirken werde.

Ungeachtet dessen hat die OWi-Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht hinreichend Rechnung getragen. Sie hat nicht alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, um den Täter zu ermitteln.

Nach Aktenlage lag nach Abgleich der Passbilder mit dem Fahrerfoto für die OWi-Behörde Anfang Januar 2013 und damit ein Monat vor Ablauf der Verjährungsfrist auf der Hand, dass einer der Söhne der Klägerin das Fahrzeug geführt und den Verkehrsverstoß begangen haben musste. Wäre die Klägerin ihren Halterpflichten nachgekommen, hätte sie der OWi-Behörde auch keine weitergehenden Angaben zum Kreis der möglichen Fahrer machen können, als der OWi-Behörde ohnehin zur Verfügung stand; nämlich dass einer ihrer beiden Zwillingssöhne der Fahrer war. Da die OWi-Behörde diese Information bereits besaß, war die Berufung der Klägerin auf ihr Schweigerecht nicht mehr kausal für die Nichtermittelbarkeit des Fahrers. Die OWi-Behörde hätte gegen die Zwillingssöhne ermitteln müssen, gleichviel ob diese wegen der Halterangabe oder durch sonstige Ermittlungen in den Täterkreis gerückt waren. Der OWi-Behörde stand im Januar 2013 auch noch ausreichend Zeit zur Verfügung, um diesem erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz vor Eintritt der Verfolgungsverjährung (vgl. § 26 Abs. 3 Alt. 1 StVG) nachzugehen.

Es hätte an dieser Stelle zunächst nahe gelegen und wäre auch ohne großen Aufwand möglich gewesen, die Söhne persönlich anzuhören. Von einer solchen Anhörung hat die OWi-Behörde aber – anders als in dem von dem Beklagten zitierten Fall, welchem dem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 17. Januar 2013 (2 K 1957/12) zu Grunde lag – aus nicht näher dargelegten Gründen abgesehen. Dabei erschien eine solche Anhörung auch nicht völlig aussichtslos. Denn es ist nicht von vornherein anzunehmen, dass sich die Söhne der Klägerin nicht zum Tatvorwurf geäußert hätten.

Da unbekannt geblieben ist, wie die Zwillingssöhne sich eingelassen hätten, lässt sich nicht sagen, dass weitere Bemühungen zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers allein deshalb erfolglos gewesen wären, weil es sich bei den Verdächtigen um eineiige Zwillinge handelte. Es ist nicht zwingend auszuschließen, dass der Fahrer sich zu erkennen gegeben hätte.

Für die Zukunft gilt: Sollten die Ermittlungen zu einem Verkehrsverstoß ergeben, dass als Täter ein eineiiger Zwilling in Betracht kommt, und kann aufgrund des ähnlichen äußeren Erscheinungsbildes nicht allein mit Hilfe des Fahrerfotos festgestellt werden, welcher Zwilling gefahren ist, sind die Zwillinge zu dem Verkehrsverstoß anzuhören. Ist auch nach Anhörung der Zwillinge die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers unmöglich, kann die OWi-Behörde ihre Ermittlungen ohne Weiteres einstellen und der Beklagte eine Fahrtenbuchauflage erlassen.

Die – auf die §§ 55 ff. des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) gestützte – Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 Euro sowie die nach § 22 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz (VerwKostG) i.V.m. § 6a Abs. 3 Satz 1 StVG in der bis zum 14. August 2013 geltenden Fassung mitangefochtene Gebührenfestsetzung des Beklagten sind mangels rechtmäßiger Fahrtenbuchauflage ebenfalls rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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