Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- OLG Hamm: Klage nach Baustellenunfall abgewiesen – Gericht sieht Eigenverschulden des Klägers als Hauptursache
- Hintergrund des Falls: Unfall in Baustelle bei Nebel
- Unfallhergang: Abbiegen trotz Sperrlinie und Pfeilbake in Baustelle
- Gerichtsurteil: Klare Missachtung der Verkehrsregeln durch Kläger
- Entscheidungsgründe des OLG Hamm: Missachtung von Verkehrszeichen und Fahrbahnmarkierungen
- Verkehrssicherungspflicht des Landes NRW: Gericht sieht keine Pflichtverletzung
- Beschilderungsplan irrelevant: Tatsächliche Absicherung vor Ort entscheidend
- Kein Anschein einer Abbiegespur: Abstand der Baken und Position des Hinweisschildes nicht irreführend
- Kosten des Verfahrens: Kläger trägt die Last der Berufung
- Bedeutung des Urteils für Betroffene: Eigenverantwortung im Straßenverkehr gestärkt
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: OLG Hamm
- Datum: 23.06.2023
- Aktenzeichen: I-11 U 37/22
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Schadensersatzrecht, Haftungsrecht, Verkehrsrecht
- Beteiligte Parteien:
- Kläger: Fordert Schadensersatzansprüche infolge eines Verkehrsunfalls am 00.09.2019 und beruft sich auf § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG.
- Land: Wird als Passivlegitimiert bewertet und kann nicht zur Zahlung von Schadensersatz herangezogen werden.
- Um was ging es?
- Sachverhalt: Ein Verkehrsunfall am 00.09.2019 führte zu Schadensfällen, woraufhin der Kläger Schadensersatzansprüche geltend machte.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob der Kläger gegenüber dem Land Schadensersatzansprüche aufgrund der angewendeten Anspruchsgrundlage überhaupt zustehen kann, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Land als passivlegitimiert erscheint und Teile der Verkehrssicherungspflicht an private Bauunternehmer übertragen wurden.
- Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung wird zurückgewiesen und die Entscheidung des Landgerichts, die Klage abzuweisen, bestätigt.
- Begründung: Die vorgebrachten Einwände des Klägers reichten nicht aus, um von einer Rechtsverletzung oder von Mängeln in den entscheidungserheblichen Feststellungen auszugehen. Die auf § 529 ZPO gestützten Feststellungen des Landgerichts wurden als vollständig und richtig bewertet.
- Folgen: Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen das Land. Zudem bleibt der bisherige Rechtsstatus hinsichtlich der Haftung und der Verkehrssicherungspflicht, insbesondere bei der Übertragung dieser Pflicht auf private Bauunternehmer, im Wesentlichen bestehen. Es besteht die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.
Der Fall vor Gericht
OLG Hamm: Klage nach Baustellenunfall abgewiesen – Gericht sieht Eigenverschulden des Klägers als Hauptursache

Das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) hat mit einem Beschluss vom 23. Juni 2023 die Berufung eines Klägers gegen ein Urteil des Landgerichts zurückgewiesen (Az.: I-11 U 37/22). Der Kläger forderte Schadensersatz vom beklagten Land nach einem Verkehrsunfall, der sich in einem Baustellenbereich ereignet hatte. Das Gericht bestätigte jedoch die Entscheidung der Vorinstanz und sah das Eigenverschulden des Klägers als Hauptursache für den Unfall.
Hintergrund des Falls: Unfall in Baustelle bei Nebel
Dem Urteil des OLG Hamm liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, der sich am 00. September 2019 in einem Baustellenbereich ereignete. Der Kläger befuhr eine Straße, als er nach eigenen Angaben aufgrund von Nebel ein Hinweisschild zur Autobahn (Richtzeichen 430) erkannte. Er wollte diesem Schild folgen und bog rechts ab, geriet dabei jedoch in den Baustellenbereich und verursachte einen Unfall.
Unfallhergang: Abbiegen trotz Sperrlinie und Pfeilbake in Baustelle
Laut Gericht missachtete der Kläger beim Abbiegen in den Baustellenbereich mehrere eindeutige Verkehrsregeln. Er überfuhr eine durchgezogene Linie (Zeichen 295), die das Überfahren oder Überfahrenlassen verbietet und Fahrbahnen voneinander trennt. Zudem missachtete er eine Pfeilbake, die Arbeitsstellen kennzeichnet und den Verkehr an der Baustelle vorbeileiten soll. Das Gericht betonte, dass Baken das Befahren der abgegrenzten Fläche ausdrücklich verbieten.
Gerichtsurteil: Klare Missachtung der Verkehrsregeln durch Kläger
Das OLG Hamm teilte die Auffassung des Landgerichts, dass der Unfall allein auf das Fehlverhalten des Klägers zurückzuführen sei. Die Richter sahen keine Anzeichen für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung seitens des beklagten Landes, die den Unfall (mit-)verursacht haben könnte. Sie betonten, dass die vorhandenen Verkehrseinrichtungen die Gefahr durch die Baustelle hinreichend erkennbar gemacht hätten.
Entscheidungsgründe des OLG Hamm: Missachtung von Verkehrszeichen und Fahrbahnmarkierungen
In der Urteilsbegründung verwies das OLG Hamm auf die klaren Verkehrsverstöße des Klägers. Das Gericht stellte fest, dass die durchgezogene Linie und die Pfeilbaken für jeden Verkehrsteilnehmer, auch bei Nebel, erkennbar gewesen sein müssten. Durch das Überfahren der durchgezogenen Linie und das Vorbeifahren an der Pfeilbake auf der falschen Seite habe der Kläger eindeutig gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen.
Verkehrssicherungspflicht des Landes NRW: Gericht sieht keine Pflichtverletzung
Das Gericht bestätigte zwar die grundsätzliche Verkehrssicherungspflicht des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen auch in Baustellenbereichen. Diese Pflicht beinhaltet die Sicherung von Gefahrenstellen im öffentlichen Verkehrsraum. Im vorliegenden Fall sahen die Richter diese Pflicht jedoch als nicht verletzt an. Die Baustelle sei durch die vorhandenen Verkehrszeichen und -einrichtungen ausreichend gesichert gewesen.
Beschilderungsplan irrelevant: Tatsächliche Absicherung vor Ort entscheidend
Ein Einwand des Klägers war, dass das Landgericht nicht geprüft habe, ob ein gültiger Beschilderungsplan für die Baustelle existierte und ob dieser den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach. Das OLG Hamm wies diesen Einwand jedoch zurück. Für die Beurteilung einer möglichen Verkehrssicherungspflichtverletzung sei es unerheblich, ob ein formeller Beschilderungsplan vorlag. Entscheidend sei die tatsächliche Absicherung der Unfallstelle vor Ort.
Kein Anschein einer Abbiegespur: Abstand der Baken und Position des Hinweisschildes nicht irreführend
Das Gericht widerlegte auch die Argumentation des Klägers, der möglicherweise den Eindruck gehabt haben könnte, dass vor dem Hinweisschild eine zusätzliche Abbiegespur eröffnet worden sei. Das OLG Hamm befand, dass weder der Abstand der Leitbaken noch der Standort des Hinweisschildes geeignet waren, einen solchen Eindruck zu erwecken. Die Anordnung der Verkehrszeichen und -einrichtungen war eindeutig und nicht irreführend.
Kosten des Verfahrens: Kläger trägt die Last der Berufung
Da das OLG Hamm die Berufung des Klägers als offensichtlich aussichtslos einstufte und zurückwies, muss der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens tragen. Dies bedeutet, dass er sowohl die Gerichtskosten als auch die Anwaltskosten beider Instanzen übernehmen muss. Das Gericht gab dem Kläger lediglich die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen, um weitere finanzielle Belastungen zu vermeiden.
Bedeutung des Urteils für Betroffene: Eigenverantwortung im Straßenverkehr gestärkt
Das Urteil des OLG Hamm unterstreicht die Eigenverantwortung jedes Verkehrsteilnehmers im Straßenverkehr, insbesondere in Baustellenbereichen. Auch wenn Baustellen oft mit unübersichtlichen oder veränderten Verkehrssituationen einhergehen, entbindet dies Autofahrer nicht von der Pflicht, die geltenden Verkehrsregeln und -zeichen strikt zu beachten. Das Gericht macht deutlich, dass die Missachtung von eindeutigen Fahrbahnmarkierungen wie durchgezogenen Linien und Warnbaken schwerwiegende Konsequenzen haben kann.
Verkehrsteilnehmer müssen sich darauf verlassen können, dass Verkehrszeichen und -einrichtungen ihre Berechtigung haben und befolgt werden müssen. Werden diese Regeln missachtet und es kommt zu einem Unfall, ist es schwierig, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Straßenbaulastträger durchzusetzen. Das Urteil stärkt somit die Eigenverantwortung der Autofahrer und mahnt zu erhöhter Aufmerksamkeit und Regelkonformität, besonders in unübersichtlichen Verkehrslagen wie Baustellen.
Für Betroffene von Verkehrsunfällen in Baustellen bedeutet dies, dass im Falle einer Klage auf Schadensersatz genau geprüft wird, ob ein Eigenverschulden des Unfallbeteiligten vorliegt. Können Gerichte eine klare Missachtung von Verkehrsregeln feststellen, wie im vorliegenden Fall, sind die Erfolgsaussichten einer Schadensersatzklage gering. Es zeigt sich, dass die ordnungsgemäße Absicherung einer Baustelle durch den Baulastträger zwar eine wichtige Pflicht ist, aber die primäre Verantwortung für ein unfallfreies Verhalten im Straßenverkehr weiterhin beim einzelnen Verkehrsteilnehmer liegt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Gericht bestätigt, dass ein Verkehrsteilnehmer keinen Schadensersatz erhält, wenn er durch eigenes Fehlverhalten in einen Baustellenbereich gerät und einen Unfall verursacht. Entscheidend ist, dass der Fahrer mehrere eindeutige Verkehrsregeln (Überfahren einer durchgezogenen Linie und falsche Umfahrung einer Pfeilbake) missachtet hat, die erkennbar waren, auch bei schlechter Sicht. Die Verkehrssicherungspflicht des Landes entfällt, wenn die Gefahrenstelle ausreichend gekennzeichnet war und der Unfall allein auf das Fehlverhalten des Verkehrsteilnehmers zurückzuführen ist.
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Eigenverantwortung im Straßenverkehr – Ihre rechtliche Position im Blick
In Situationen, in denen Unfälle auf Baustellen zu erheblichen finanziellen und persönlichen Belastungen führen, stellen sich oft Fragen zur eigenen Verantwortlichkeit. Die Komplexität von veränderten Verkehrsführungen und die klare Kennzeichnung von Gefahrenbereichen können Unsicherheiten hervorrufen, wenn es darum geht, inwieweit ein Unfall als Folge des eigenen Verhaltens gewertet wird.
Wir unterstützen Sie bei der objektiven Analyse Ihrer Situation und der Bewertung Ihrer Ansprüche. Dabei sorgen wir für eine präzise und verständliche Darstellung der relevanten Rechtsfragen, um Ihnen Klarheit über Ihre Rechte zu verschaffen. Lassen Sie sich von unserer sachlichen und zielgerichteten Beratung dabei unterstützen, die richtige Perspektive in unübersichtlichen Verkehrssituationen zu bewahren.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „Eigenverschulden“ bei einem Verkehrsunfall in einer Baustelle?
Eigenverschulden bei einem Verkehrsunfall in einer Baustelle bedeutet, dass Sie als Verkehrsteilnehmer durch Ihr eigenes Verhalten den Unfall verursacht oder zumindest mitverursacht haben. Dies ist besonders relevant, wenn Sie die besonderen Gefahren und Vorschriften im Baustellenbereich missachtet haben.
Rechtliche Grundlage
Die rechtliche Grundlage für das Eigenverschulden findet sich im § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dieser Paragraph regelt das Mitverschulden bei der Entstehung eines Schadens. Im Kontext eines Baustellenunfalls wird Ihr Verhalten daran gemessen, ob Sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet haben.
Beispiele für Eigenverschulden in Baustellen
Stellen Sie sich vor, Sie fahren durch eine Baustelle und ignorieren folgende Sicherheitsmaßnahmen:
- Missachtung von Geschwindigkeitsbegrenzungen
- Überfahren von Warnbaken oder Absperrungen
- Nichtbeachtung von Umleitungen oder Einbahnstraßenregelungen
- Unaufmerksames Fahren trotz deutlich sichtbarer Gefahrenhinweise
In solchen Fällen könnte Ihnen ein Eigenverschulden zugerechnet werden, wenn es zu einem Unfall kommt.
Auswirkungen des Eigenverschuldens
Wird Ihnen ein Eigenverschulden nachgewiesen, kann dies erhebliche Folgen für Ihre Schadensersatzansprüche haben. Je nach Schwere Ihres Verschuldens kann Ihr Anspruch auf Schadensersatz gemindert werden oder sogar ganz entfallen. Bei der Bemessung wird das Verhältnis zwischen Ihrem Verschulden und möglichen Versäumnissen anderer Beteiligter (z.B. des Bauunternehmens) berücksichtigt.
Wenn Sie beispielsweise in einer Baustelle verunfallen, weil Sie ein deutlich sichtbares Warnschild missachtet haben, könnte ein Gericht entscheiden, dass Sie überwiegend selbst für den Schaden verantwortlich sind. In diesem Fall müssten Sie einen Großteil oder sogar den gesamten Schaden selbst tragen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass in Baustellen erhöhte Sorgfaltspflichten für alle Verkehrsteilnehmer gelten. Sie sind verpflichtet, besonders aufmerksam zu sein und Ihre Fahrweise den besonderen Umständen anzupassen. Ignorieren Sie diese Pflichten, kann dies schnell zu einem Eigenverschulden führen.
Wie wirkt sich Nebel oder schlechte Sicht auf die Beurteilung meines Eigenverschuldens aus?
Nebel oder schlechte Sicht erhöhen die Anforderungen an Ihr Fahrverhalten erheblich und können die Beurteilung eines möglichen Eigenverschuldens bei einem Unfall maßgeblich beeinflussen. Grundsätzlich gilt: Je schlechter die Sichtverhältnisse, desto höher Ihre Sorgfaltspflicht als Fahrer.
Anpassung der Geschwindigkeit
Bei Nebel oder eingeschränkter Sicht müssen Sie Ihre Geschwindigkeit deutlich reduzieren. Das sogenannte Sichtfahrgebot verpflichtet Sie, nur so schnell zu fahren, dass Sie innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten können. Wenn Sie beispielsweise bei dichtem Nebel mit 100 km/h auf der Autobahn fahren, obwohl Sie nur 50 Meter weit sehen können, wird Ihnen im Falle eines Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Eigenverschulden angelastet.
Beleuchtungsvorschriften
Stellen Sie sich vor, Sie fahren bei Nebel ohne eingeschaltetes Licht. In diesem Fall verstoßen Sie gegen die Beleuchtungsvorschriften und erhöhen damit das Unfallrisiko erheblich. Ein Verstoß gegen die Beleuchtungspflicht bei schlechter Sicht führt in der Regel zu einer Mithaftung oder sogar Alleinhaftung. Wenn Sie in einen Unfall verwickelt werden, wird Ihnen wahrscheinlich ein Eigenverschulden zugeschrieben, da Sie für andere Verkehrsteilnehmer schwerer zu erkennen waren.
Abstandsregelung
Bei schlechter Sicht gewinnt auch die Einhaltung des Sicherheitsabstands an Bedeutung. Wenn Sie bei Nebel zu dicht auffahren und es kommt zu einem Auffahrunfall, wird Ihnen in der Regel ein Eigenverschulden angelastet. Als Faustregel gilt: Der Abstand in Metern sollte mindestens der gefahrenen Geschwindigkeit in km/h entsprechen.
Erhöhte Aufmerksamkeit
Nebel oder schlechte Sicht erfordern von Ihnen eine erhöhte Aufmerksamkeit. Wenn Sie trotz der erschwerten Bedingungen abgelenkt sind, etwa durch die Bedienung des Radios oder des Navigationssystems, und es kommt zu einem Unfall, kann dies als Eigenverschulden gewertet werden. Sie müssen jederzeit bremsbereit sein und sich so vorausschauend wie möglich verhalten.
Beachten Sie: Auch wenn die schlechten Sichtverhältnisse die Erkennbarkeit von Hindernissen erschweren, entbindet Sie dies nicht von Ihrer Verantwortung als Fahrer. Wenn Sie beispielsweise bei Nebel in eine Kreuzung einfahren, ohne sich zu vergewissern, dass die Fahrbahn frei ist, kann Ihnen ein Eigenverschulden zugeschrieben werden, selbst wenn der andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls einen Fehler gemacht hat.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Berufung
Die Berufung ist ein Rechtsmittel gegen Urteile der ersten Instanz, mit dem eine Überprüfung durch ein höheres Gericht erreicht werden kann. Sie ermöglicht eine neue Verhandlung, in der sowohl rechtliche als auch tatsächliche Aspekte nochmals geprüft werden. Geregelt ist die Berufung in den §§ 511-541 der Zivilprozessordnung (ZPO). Sie muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils eingelegt werden. Der Berufungskläger muss dabei konkrete Gründe angeben, warum er die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält.
Beispiel: Im vorliegenden Fall legte der Kläger Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein, die vom OLG Hamm jedoch zurückgewiesen wurde, da die erstinstanzliche Entscheidung als korrekt bewertet wurde.
Eigenverschulden
Eigenverschulden bezeichnet ein Verschulden des Geschädigten, das zur Entstehung oder Vergrößerung des eigenen Schadens beigetragen hat. Es ist in § 254 BGB geregelt und kann zu einer Minderung oder sogar zum vollständigen Ausschluss von Schadensersatzansprüchen führen. Das Gericht nimmt eine Abwägung vor, inwieweit der Schaden überwiegend vom Geschädigten oder vom Schädiger verursacht wurde. Bei der Beurteilung wird das Maß der Verursachung und des jeweiligen Verschuldens berücksichtigt.
Beispiel: Das Gericht sah das Eigenverschulden des Klägers als Hauptursache für den Unfall an, da er mehrere Verkehrsregeln missachtet hatte (Überfahren einer durchgezogenen Linie, falsche Umfahrung einer Pfeilbake), obwohl diese auch bei schlechter Sicht erkennbar waren.
Schadensersatz
Schadensersatz ist die rechtlich vorgesehene Kompensation für erlittene Nachteile, die ein Geschädigter vom Schädiger verlangen kann. Grundlage sind die §§ 249 ff. BGB. Voraussetzungen sind eine Pflichtverletzung, ein Verschulden, ein eingetretener Schaden und ein Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Der Schadensersatz kann als Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (Naturalrestitution) oder als Geldersatz erfolgen und umfasst sowohl materielle Schäden (Reparaturkosten, Verdienstausfall) als auch unter bestimmten Umständen immaterielle Schäden (Schmerzensgeld).
Beispiel: Der Kläger verlangte Schadensersatz vom Land für die Folgen eines Verkehrsunfalls im Baustellenbereich, was das Gericht jedoch aufgrund seines überwiegenden Eigenverschuldens ablehnte.
Passivlegitimiert
Passivlegitimation bedeutet, dass die beklagte Partei die rechtlich richtige Person oder Institution ist, gegen die ein Anspruch geltend gemacht werden kann. Sie ist eine materielle Voraussetzung für die Begründetheit einer Klage und ergibt sich aus der jeweiligen Anspruchsgrundlage. Fehlt die Passivlegitimation, wird die Klage als unbegründet abgewiesen, selbst wenn der Anspruch dem Grunde nach bestehen könnte. Dies ist von der Prozessführungsbefugnis zu unterscheiden, die das Recht beschreibt, einen Prozess im eigenen Namen zu führen.
Beispiel: Das beklagte Land wurde im Verfahren als passivlegitimiert bewertet, konnte aber dennoch nicht zur Zahlung von Schadensersatz herangezogen werden, da das Eigenverschulden des Klägers überwog.
Anspruchsgrundlage (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG)
Diese spezifische Rechtsgrundlage regelt die Amtshaftung – also die Haftung des Staates für Pflichtverletzungen seiner Beamten und Angestellten. § 839 BGB bestimmt, dass ein Beamter zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig eine Amtspflicht verletzt. Art. 34 GG überträgt diese Haftung vom Beamten auf den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht (Haftungsüberleitung). Die Regelung schützt Bürger vor Schäden durch fehlerhaftes Behördenhandeln.
Beispiel: Der Kläger berief sich auf diese Anspruchsgrundlage, weil er dem Land vorwarf, seiner Verkehrssicherungspflicht im Baustellenbereich nicht ausreichend nachgekommen zu sein und dadurch den Unfall mitverursacht zu haben.
Verkehrssicherungspflicht
Die Verkehrssicherungspflicht bezeichnet die rechtliche Verpflichtung, Gefahrenquellen so zu sichern, dass andere Personen nicht zu Schaden kommen. Sie basiert auf richterlicher Rechtsfortbildung zu § 823 Abs. 1 BGB. Wer einen Verkehr eröffnet oder eine Gefahrenlage schafft, muss die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen treffen. Der Umfang richtet sich nach der Art der Gefahr, der Verkehrserwartung und der Zumutbarkeit. Die Pflicht kann auf Dritte übertragen werden, wobei Auswahl- und Überwachungspflichten bestehen bleiben.
Beispiel: Bei Straßenbauarbeiten muss die zuständige Behörde durch Beschilderung, Absperrungen und Umleitungen sicherstellen, dass Verkehrsteilnehmer den Gefahrenbereich sicher passieren oder umfahren können.
§ 529 ZPO
§ 529 ZPO regelt den Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz und schränkt diesen gegenüber der ersten Instanz ein. Das Berufungsgericht muss grundsätzlich die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen übernehmen, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit bestehen. Neue Tatsachen dürfen nur berücksichtigt werden, wenn sie zulässigerweise vorgebracht wurden. Diese Vorschrift soll die Effizienz des Rechtswegs sichern und eine vollständige Neuverhandlung vermeiden.
Beispiel: Im vorliegenden Fall stützte das OLG Hamm seine Entscheidung auf § 529 ZPO und übernahm die Feststellungen des Landgerichts, da der Kläger keine überzeugenden Zweifel an deren Richtigkeit darlegen konnte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Artikel 34 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Diese Normen regeln die Staatshaftung. Wenn ein Beamter in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes(Amtshaftung)pflichtwidrig handelt und dadurch einem Dritten einen Schaden zufügt, so haftet der Staat bzw. die Körperschaft des öffentlichen Rechts für diesen Schaden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger versucht, Schadensersatzansprüche gegen das beklagte Land geltend zu machen, da er eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch eine Behörde des Landes im Zusammenhang mit einer Baustelle sieht.
- Verkehrssicherungspflicht: Diese Pflicht gebietet demjenigen, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schäden Dritter zu verhindern. Im Straßenverkehr betrifft dies die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht prüft, ob das beklagte Land als Träger der Straßenbaubehörde seine Verkehrssicherungspflicht im Bereich der Baustelle ausreichend erfüllt hat, insbesondere hinsichtlich der Erkennbarkeit der Gefahr und der Verkehrslenkung.
- § 522 Absatz 2 Zivilprozessordnung (ZPO): Diese Vorschrift erlaubt es dem Oberlandesgericht, eine Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es einstimmig der Meinung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung und Kostenersparnis. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG Hamm beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts durch Beschluss zurückzuweisen, da es keine Erfolgsaussichten für die Berufung sieht und die Entscheidung des Landgerichts bestätigt.
- Zeichen 295 Straßenverkehrsordnung (StVO) – Durchgezogene Linie: Eine durchgezogene Linie verbietet das Überfahren oder Überfahrenlassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder behindert wird. Sie dient der Trennung von Fahrstreifen und soll das Fahrverhalten ordnen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht bemängelt, dass der Kläger die durchgezogene Linie überfahren hat, was als Verkehrsverstoß gewertet wird und gegen die Annahme einer Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten spricht.
- Pfeilbake (Anlage 4 zu § 43 Absatz 3 StVO): Pfeilbaken kennzeichnen Arbeitsstellen und Fahrbahnen, die gesperrt sind oder an denen der Verkehr vorbeigeleitet wird. Sie leiten den Verkehr an der Arbeitsstelle vorbei und verbieten das Befahren der abgegrenzten Fläche. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger soll laut Gericht die Pfeilbake falsch passiert haben, indem er rechts an ihr vorbeigefahren ist, anstatt links, was ebenfalls einen Verkehrsverstoß darstellt und seine Eigenverantwortung für den Unfall unterstreicht.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: I-11 U 37/22 – Beschluss vom 23.06.2023
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