LG Stuttgart, Az.: 4 S 40/17
Urteil vom 27.09.2017
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 5. Januar 2017, Az. 5 C 1461/16, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 362,07 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Auflösung eines Bausparvertrags.
Die Klägerin schloss im August 1998 mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Bausparvertrag. Diesem lagen die Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge, System LW, in der Fassung vom 10. März 1997 zugrunde. In deren § 6 Abs. 4 i. V. m. § 11a ist geregelt, dass sich die Gesamtverzinsung des Bausparguthabens rückbezogen auf den Vertragsbeginn von 2,25 % jährlich auf 4,75 % jährlich erhöht, wenn die Klägerin vor der ersten Auszahlung aus dem zugeteilten Bausparvertrag auf das Bauspardarlehen verzichtet sowie der Bausparvertrag im Zeitpunkt der Auszahlung sieben Jahre bestanden hat und zwei Bewertungsstichtage vor Zuteilung mindestens ein Guthaben von 50 % der Bausparsumme und einen Sparverdienst von dem Vierzigfachen des durch die Bausparsumme geteilten Bausparguthabens aufwies. Der Vertrag wurde zum 30. November 2005 zugeteilt. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 11. April 2016 zum 18. Oktober 2016. Die Klägerin verlangte die Feststellung, dass der Bausparvertrag über den 18. Oktober 2016 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbestehe. Im Übrigen wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass der erstmalige Eintritt der Zuteilungsreife nicht der vollständige Empfang des Darlehens sei. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Mit der rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klagabweisung weiter. Sie vertritt insbesondere weiterhin die Auffassung, dass in der erstmaligen Zuteilungsreife der vollständige Empfang des Darlehens liege. Es liege keine ausnahmsweise einschränkende Modifizierung des Vertragszwecks vor, da die Voraussetzungen für den Bonus bereits vor Zuteilung erfüllt gewesen sein müssten und eine Verlagerung des Zeitpunkts mithin schon denknotwendig nicht in Betracht komme.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 5. Januar 2017, Az.: 5 C 1461/16 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung als richtig. Sie ist insbesondere der Ansicht, es sei eine Ausnahme gegeben. Ihr sei der Vertrag auch als Geldanlage verkauft worden. Ferner habe sie einen vertraglichen Anspruch auf einen Zinsbonus, womit der Vertragszweck von vorneherein auch die Erlangung des Zinsbonus gewesen sei, so dass dieser Zweck erst mit Erlangung des Bonus erreicht und erst dann ein vollständiger Empfang des Darlehens anzunehmen sei.
Zum weiteren Vorbringen der Parteien im Einzelnen wird auf die vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig.
Zwar übersteigt entsprechend dem festgesetzten Streitwert entgegen § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- € nicht und hat das Amtsgericht die Berufung im Urteil auch nicht zugelassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Hat indes das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600,- € festgesetzt hat und deswegen von einem entsprechenden Wert der Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, hält aber das Berufungsgericht diesen Wert nicht für erreicht, so muss das Berufungsgericht, das insoweit nicht an die Streitwertfestsetzung des Erstgerichts gebunden ist, die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind, da die unterschiedliche Bewertung nicht zu Lasten der Parteien gehen darf (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2007, Az.: VIII ZR 340/06, abgedruckt in NJW 2008, 218).
Hier ist die Berufung zuzulassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Bei Erlass des vor der höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung ergangenen erstinstanzlichen Urteils wurde die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Bausparkasse gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F. kündigen kann, in der Rechtsprechung – und auch der Literatur – kontrovers diskutiert und unterschiedlich behandelt. Abgesehen davon wurde zudem überwiegend anders entschieden als im hier angegriffenen Urteil, nämlich ebenso wie in der nunmehr erfolgten Grundsatzentscheidung.
2. Die Berufung ist auch begründet. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte hat den Bausparvertrag zum 18. Oktober 2016 wirksam gekündigt.
a) Auf den Bausparvertrag ist Darlehensrecht anzuwenden; unabhängig von der rechtlichen Konstruktion besteht sowohl in der Ansparphase als auch in der Darlehensphase zwischen den Vertragsparteien ein Darlehensverhältnis, wobei der Bausparer in der Ansparphase der Darlehensgeber und die Bausparkasse die Darlehensnehmerin ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2017, Az.: XI ZR 185/16, abgedruckt in NJW 2017, 1378).
b) Die auf den streitgegenständlichen Vertrag in zeitlicher Hinsicht anzuwendende Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB in der vom 1. Januar 2002 bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.; nunmehr nahezu wortgleich § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB) ist auch auf das Einlagengeschäft von Bausparkassen anzuwenden und unterliegt insoweit keiner teleologischen Reduktion; dieses ordentliche Kündigungsrecht steht auch einer Bausparkasse zu (vgl. ausführlich BGH a. a. O.).
c) Die Voraussetzungen des Kündigungsrechts aus § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F. sind erfüllt.
aa) Das der Beklagten gewährte Darlehen weist einen festen Zinssatz auf, weil bereits bei Vertragsschluss der Guthabenzins für die Dauer der Ansparphase von 2,25 % pro Jahr fest vereinbart wurde.
bb) Nach dem vollständigen Empfang des Darlehens waren bei der Kündigung im April 2016 zehn Jahre abgelaufen, da jener mit erstmaliger Zuteilungsreife am 30. November 2005 vorlag.
aaa) Ein vollständiger Empfang des Darlehens im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F. ist bei Bausparverträgen im Regelfall im Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife des Bauspardarlehens anzunehmen, da der Bausparer dann der Bausparkasse durch die Zahlung der Regelsparbeiträge einschließlich der Gutschrift von Zinserträgen vereinbarungsgemäß ein Darlehen vollständig gewährt und seine entsprechende vertragliche Verpflichtung erfüllt hat (vgl. BGH a. a. O.). Etwas anderes gilt zwar dann, wenn nach den vertraglichen Vereinbarungen der Bausparer z. B. im Falle eines (zeitlich begrenzten) Verzichts auf das zugeteilte Bauspardarlehen und nach Ablauf einer bestimmten Treuezeit einen (Zins-)Bonus erhält, da in einem solchen Fall der Vertragszweck von den Vertragsparteien dahingehend modifiziert ist, dass er erst mit Erlangung des Bonus erreicht ist, so dass auch erst zu diesem Zeitpunkt ein vollständiger Empfang des Darlehens im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F. anzunehmen ist (vgl. BGH a. a. O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor.
bbb) Der Verzicht auf das Darlehen, bei dem die Klägerin nach §§ 6 Abs. 4, 11a der in den streitgegenständlichen Vertrag einbezogenen Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge einen Bonus erhält, ist gegebenenfalls kein zeitlich begrenzter Verzicht für eine bestimmte Treuezeit, sondern ein dauerhafter Verzicht. Insbesondere hatte die Klägerin im Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife der Bausparkasse das Darlehen vollständig gewährt und nicht etwa ihre Leistung (entgeltlich gegen Zahlung des Bonus) dadurch weiter hinausgeschoben, dass sie der Beklagten für eine bestimmte weitere Treuezeit zeitlich begrenzt die Möglichkeit gab, das Kapital weiter zu nutzen. Ein – wie hier – dauerhafter Verzicht schiebt die vollständige Gewährung des Darlehens nicht hinaus. Der Vertragszweck war daher mit der erstmaligen Zuteilungsreife des Bauspardarlehens erreicht.
cc) Die sechsmonatige Kündigungsfrist wurde gewahrt.
dd) Es kann dahinstehen, ob der Klägerin der Vertrag auch als Geldanlage verkauft wurde. Die Anpreisung eines Bausparvertrages als Geldanlage alternativ zur Inanspruchnahme des Bauspardarlehens bedeutet nicht, dass das – ohnehin unabdingbare – Kündigungsrecht der Beklagten gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F. ausgeschlossen ist (vgl. BGH a. a. O. zur Anpreisung als Altersvorsorge).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
4. Die Revision ist nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.