Bank scheitert mit fristloser Kündigung von Darlehensvertrag
Die fristlose Kündigung eines Darlehensvertrags durch eine Bank stellt für den Darlehensnehmer eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Damit die Bank diesen Schritt rechtmäßig vornehmen kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam und der Darlehensnehmer kann sich dagegen wehren.
Eine solche außerordentliche Kündigung ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig. Entscheidend sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Die Frage, ob eine fristlose Darlehenskündigung durch eine Bank wirksam war, kann durchaus zu komplexen rechtlichen Auseinandersetzungen führen.
In der folgenden Urteilszusammenfassung wird ein konkreter Fall einer fristlosen Darlehensvertragskündigung durch eine Bank behandelt, bei dem das Gericht die Wirksamkeit der Kündigung überprüft hat.
Übersicht:
- Bank scheitert mit fristloser Kündigung von Darlehensvertrag
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ➜ Der Fall im Detail
- Unzulässige Zwangsvollstreckung und fristlose Kündigung im Fall einer gescheiterten Darlehensvereinbarung
- Die gerichtliche Entscheidung zur Unwirksamkeit der Kündigung
- Bedeutung der Darlehensverträge und der Eigentumsverhältnisse
- Rechtliche Bewertung der Bankhandlungen und ihre Folgen
- Vorläufige Vollstreckbarkeit und Sicherheitsleistung
- ✔ Häufige Fragen – FAQ
- Was sind die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung eines Darlehensvertrags durch eine Bank?
- Welche Rechte haben Darlehensnehmer bei einer fristlosen Kündigung ihres Darlehens?
- Wie kann ein Darlehensnehmer die Unwirksamkeit einer Kündigung nachweisen?
- Welche Rolle spielen die Vermögensverhältnisse bei der Bewertung einer Kündigung durch die Bank?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Das vorliegende Urteil
[Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 O 1/24 >>>]
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das Landgericht Heidelberg erklärte die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 12.09.2005 als unzulässig.
- Das Urteil besagt, dass die fristlose Kündigung der Darlehensverträge durch die Bank unwirksam ist.
- Die Bank kann die Zwangsversteigerung nicht durchführen, da die Errungenschaftsgemeinschaft zwischen den Eheleuten noch nicht aufgelöst ist.
- Die Klägerin hat nach der Trennung von ihrem Ehemann die Darlehensraten alleine getragen und regulär gezahlt.
- Das Gericht ordnete an, dass die Kosten des Rechtsstreits von der beklagten Bank getragen werden müssen.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags.
- Das Gericht stellt klar, dass bei der Kündigung der Darlehensverträge die tatsächliche Vermögenssituation der Klägerin zu berücksichtigen ist und nicht die Insolvenz des Mitdarlehensnehmers.
- Die Bank ist durch den bestehenden Grundstückswert von 435.000 EUR übersichert, was eine weitere Begründung für die Unwirksamkeit der Kündigung liefert.
- Das Urteil hebt die Bedeutung der güterrechtlichen Regelungen der Dominikanischen Republik hervor, die für die ehemaligen Eheleute gelten.
➜ Der Fall im Detail
Unzulässige Zwangsvollstreckung und fristlose Kündigung im Fall einer gescheiterten Darlehensvereinbarung
Der Fall dreht sich um die Klägerin und ihren damaligen Ehemann, die gemeinsam eine Immobilie erwarben und zur Finanzierung verschiedene Darlehensverträge mit einer Bank abschlossen.
Nach der Trennung des Paares und der darauf folgenden Insolvenz des Mannes kündigte die Bank die Darlehensverträge fristlos. Die Bank versuchte zudem, eine Zwangsvollstreckung durchzusetzen, was die Klägerin mit einer Vollstreckungsabwehrklage anfocht. Der Kern des rechtlichen Problems lag in der Frage, ob die Kündigung und die Vollstreckungsversuche der Bank rechtens waren, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin die Ratenzahlungen allein fortgeführt hatte.
Die gerichtliche Entscheidung zur Unwirksamkeit der Kündigung
Das Landgericht Heidelberg entschied, dass die fristlose Kündigung der Darlehensverträge durch die Bank unwirksam sei. Die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde wurde als unzulässig erklärt, da keine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse vorlag, die eine solche Kündigung rechtfertigen würde. Dies wurde dadurch begründet, dass die Klägerin nachweislich die Darlehensraten selbstständig und zuverlässig weitergezahlt hatte, auch nach der Trennung von ihrem Ehemann und dessen Insolvenz.
Bedeutung der Darlehensverträge und der Eigentumsverhältnisse
Die Entscheidung des Gerichts beruhte weiterhin auf der Komplexität der Eigentumsverhältnisse und der daraus resultierenden rechtlichen Verflechtungen. Die Immobilie war Bestandteil einer Errungenschaftsgemeinschaft nach dominikanischem Recht, welches für die Ehe der Klägerin galt. Dies hatte zur Folge, dass die Bank nicht einzelne Teile des Eigentums veräußern konnte, ohne die gesamte Gemeinschaft aufzulösen.
Rechtliche Bewertung der Bankhandlungen und ihre Folgen
Das Gericht wies darauf hin, dass die Bank durch die übersicherte Position bei der Kreditvergabe bereits hinreichend abgesichert war. Daher war die zusätzliche Sicherung durch die Zwangsvollstreckung nicht nur unnötig, sondern auch rechtlich nicht haltbar. Die Bank wurde zusätzlich verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit und Sicherheitsleistung
Trotz der Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung erklärte das Gericht das Urteil für vorläufig vollstreckbar, unter der Auflage einer Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Dies spiegelt die allgemeine Vorsicht des Gerichts wider, den Rechtsschutz der Beklagten zu wahren, während gleichzeitig die Rechte der Klägerin geschützt werden.
Durch die detaillierte Betrachtung der individuellen Umstände und der sorgfältigen Abwägung der rechtlichen Aspekte lieferte das Gericht eine klare Entscheidung, die zeigt, wie entscheidend die vollständige Erfüllung der vertraglichen Pflichten durch einen Vertragspartner für die Rechtmäßigkeit von außerordentlichen Kündigungen ist.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was sind die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung eines Darlehensvertrags durch eine Bank?
Eine Bank darf einen Darlehensvertrag nur dann fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem Kreditinstitut unzumutbar macht, das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung durch den Darlehensgeber sind in § 490 BGB geregelt.
Ein wichtiger Kündigungsgrund liegt insbesondere dann vor, wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder einzutreten droht, durch welche die Rückzahlung des Darlehens gefährdet wird. Die Bank muss eine umfassende Prognose aufstellen, wonach das Risiko des Kreditausfalls als sehr wahrscheinlich eingestuft wird. Verfügt die Bank aber über ausreichende Sicherheiten, fehlt es an einer Kreditgefährdung und eine fristlose Kündigung ist nicht möglich.
Weitere wichtige Gründe können sein:
- Der Darlehensnehmer kommt seiner Verpflichtung zur Offenlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nach
- Wesentliche Angaben des Darlehensnehmers in den Kreditunterlagen sind nicht zutreffend
- Ohne Zustimmung der Bank erfolgt ein Eigentümerwechsel bei den beliehenen Grundstücken
- Der Darlehensnehmer kommt einer Aufforderung zur Nachbesicherung nicht nach
Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Vertragspflicht, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig, sofern nicht wegen der Besonderheiten des Einzelfalls eine sofortige Kündigung gerechtfertigt ist.
Die gesetzlichen Bestimmungen werden ergänzt durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Banken, die weitere Kündigungsgründe enthalten können, sofern sie den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Eine fristlose Kündigung darf aber nicht allein deshalb erfolgen, weil die Angaben des Kunden vor Vertragsschluss unvollständig waren oder die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, es sei denn der Kunde hat relevante Informationen vorsätzlich vorenthalten oder gefälscht.
Welche Rechte haben Darlehensnehmer bei einer fristlosen Kündigung ihres Darlehens?
Darlehensnehmer haben bei einer fristlosen Kündigung ihres Darlehens durch die Bank folgende Rechte und Möglichkeiten:
- Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen: Der Darlehensnehmer sollte zunächst prüfen, ob die Bank die gesetzlichen und vertraglichen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung erfüllt hat. Eine fristlose Kündigung ist nur zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der es der Bank unzumutbar macht, das Darlehen fortzusetzen. Liegt kein wichtiger Grund vor, ist die Kündigung unwirksam.
- Widerspruch gegen die Kündigung: Hält der Darlehensnehmer die Kündigung für unberechtigt, sollte er der Bank unverzüglich widersprechen und die Gründe darlegen. Der Widerspruch hindert die Bank zunächst an der Vollstreckung. Bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Kündigung sollte der Darlehensnehmer weiterhin seine vertraglichen Pflichten erfüllen, insbesondere Zins- und Tilgungsleistungen erbringen, um eine zusätzliche Eskalation zu vermeiden.
- Verhandlung mit der Bank: Auch wenn die Kündigung berechtigt sein sollte, kann der Darlehensnehmer versuchen, mit der Bank eine einvernehmliche Lösung zu finden, z.B. durch Stundung, Umschuldung oder Ratenzahlungsvereinbarung. Banken sind oft zu Zugeständnissen bereit, wenn der Darlehensnehmer glaubhaft darlegen kann, dass er die Verbindlichkeiten mittelfristig wieder bedienen kann.
- Rechtsschutz in Anspruch nehmen: Kommt keine Einigung zustande, bleibt dem Darlehensnehmer nur der Weg zu den Gerichten. Mit einer einstweiligen Verfügung kann er die Vollstreckung aus der Kündigung vorläufig stoppen. In einem Hauptsacheverfahren ist dann zu klären, ob die Kündigung rechtmäßig war. Obsiegt der Darlehensnehmer, lebt der Darlehensvertrag fort. Andernfalls kann die Bank die Rückzahlung des gesamten Darlehens verlangen.
- Besonderheiten bei Verbraucherdarlehen: Bei Verbraucherdarlehen ist eine formularmäßige Vereinbarung eines Kündigungsrechts der Bank unwirksam, wenn eine bestimmte Vertragslaufzeit vereinbart wurde oder die Kündigungsfrist weniger als 2 Monate beträgt. Die Bank darf den Vertrag auch nicht allein deshalb kündigen, weil die Angaben des Verbrauchers vor Vertragsschluss unvollständig waren oder die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, es sei denn der Verbraucher hat relevante Informationen vorsätzlich vorenthalten oder gefälscht.
Insgesamt haben Darlehensnehmer also durchaus Möglichkeiten, sich gegen eine fristlose Kündigung zu wehren. Entscheidend ist eine sorgfältige Prüfung der Kündigungsgründe und ein schnelles Handeln, um die eigenen Rechte zu wahren. Im Zweifel sollte anwaltlicher Rat eingeholt werden.
Wie kann ein Darlehensnehmer die Unwirksamkeit einer Kündigung nachweisen?
Ein Darlehensnehmer kann die Unwirksamkeit einer Kündigung seines Darlehens durch die Bank auf verschiedene Weise nachweisen:
- Nachweis, dass kein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt: Der Darlehensnehmer muss darlegen und beweisen, dass die von der Bank angeführten Gründe für eine fristlose Kündigung nicht vorliegen oder nicht ausreichend sind. Dazu kann er beispielsweise nachweisen, dass:
- Er entgegen der Behauptung der Bank nicht mit Zahlungen in Verzug ist, indem er die fristgerechte Zahlung der Raten durch Kontoauszüge oder Überweisungsbelege dokumentiert.
- Seine Vermögensverhältnisse sich nicht wesentlich verschlechtert haben, z.B. durch Vorlage aktueller Einkommensnachweise, Steuerbescheide etc.
- Die als Kreditsicherheit dienenden Gegenstände nicht an Wert verloren haben, ggf. durch aktuelle Wertgutachten.
- Nachweis von Verfahrensfehlern: Auch Fehler im Kündigungsverfahren können die Kündigung unwirksam machen. Der Darlehensnehmer sollte daher prüfen und ggf. nachweisen, dass:
- Die Kündigungserklärung ihm nicht wirksam zugegangen ist, weil die Bank den Zugang nicht beweisen kann.
- Die Bank ihn vor Ausspruch der Kündigung nicht abgemahnt und ihm keine Möglichkeit zur Abhilfe gegeben hat, obwohl dies nach Lage des Falls erforderlich gewesen wäre.
- Die Bank den Sachverhalt vor Kündigung nicht ausreichend aufgeklärt hat, obwohl dies zumutbar gewesen wäre.
- Einholung eines Privatgutachtens: Um die eigene Argumentation zu untermauern, kann der Darlehensnehmer ein Privatgutachten eines Sachverständigen einholen, das z.B. seine stabile finanzielle Situation oder den unveränderten Wert der Kreditsicherheiten bestätigt.
- Beweisantrag im Prozess: Kommt es zum Gerichtsverfahren über die Wirksamkeit der Kündigung, kann der Darlehensnehmer dort Beweisanträge stellen, z.B. auf Vernehmung von Zeugen oder Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Auch eine Parteianhörung nach § 141 ZPO kann sinnvoll sein.
Insgesamt obliegt die Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes zwar der Bank. Der Darlehensnehmer ist aber gut beraten, seinerseits substantiiert darzulegen und nach Möglichkeit zu beweisen, dass die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung nicht vorliegen. Je besser ihm dies gelingt, desto höher sind die Chancen einer erfolgreichen Anfechtung der Kündigung.
Welche Rolle spielen die Vermögensverhältnisse bei der Bewertung einer Kündigung durch die Bank?
Die Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers spielen eine zentrale Rolle bei der Bewertung, ob eine fristlose Kündigung durch die Bank gerechtfertigt ist:
Eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers ist ein wichtiger Kündigungsgrund für die Bank. Dabei muss die Bank die Vermögenslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Situation bei Kündigung vergleichen. Die Vermögensverhältnisse müssen sich objektiv und erheblich verschlechtert haben.
Zu den relevanten Vermögensverhältnissen zählt das gesamte, der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Darlehensnehmers. Die Verschlechterung muss so gravierend sein, dass die Rückzahlung des Darlehens gefährdet ist. Es reicht aus, wenn die Verschlechterung droht, sie muss noch nicht eingetreten sein. Die Bank muss eine Prognose treffen, dass selbst bei Verwertung aller Sicherheiten die Forderungen nicht vollständig befriedigt werden können.
Hat die Bank bereits bei Vertragsschluss Kenntnis von wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kunden, kann sie sich darauf später nicht mehr berufen. Die Kündigung erfordert dann eine Gesamtabwägung aller Umstände unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien.
Neben der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse kann auch eine Verschlechterung der Werthaltigkeit von gestellten Sicherheiten, insbesondere von beliehenen Immobilien, eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Auch hier muss die Verschlechterung so erheblich sein, dass die Rückzahlung gefährdet ist.
Insgesamt haben die Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers also eine Schlüsselrolle bei der Bewertung einer außerordentlichen Kündigung durch die Bank. Sie müssen sich wesentlich und nicht nur vorübergehend verschlechtern und die Rückzahlung konkret gefährden, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 490 BGB – Außerordentliches Kündigungsrecht: Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen, unter denen ein Darlehensgeber ein Darlehen außerordentlich kündigen darf, typischerweise bei wesentlicher Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse des Darlehensnehmers. Im vorliegenden Fall ist zentral, ob die Kündigung durch die Bank rechtens war, da keine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Klägerin vorlag.
- § 767 ZPO – Vollstreckungsabwehrklage: Diese Vorschrift ermöglicht es einem Schuldner, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung gerichtlich feststellen zu lassen. Die Klägerin nutzte dies, um die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde zu beanstanden.
- § 794 ZPO – Vollstreckbare Urkunde: Dieser Paragraph definiert, unter welchen Bedingungen eine Urkunde als vollstreckbar gilt. Die Bedeutung im Kontext des Falles ergibt sich aus der Frage, ob die vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde rechtlich einwandfrei zur Zwangsvollstreckung verwendet werden konnte.
- § 1192 BGB – Grundschuld: Dieser Paragraph beschreibt, wie eine Grundschuld zu behandeln ist. Die Bank nutzte eine Grundschuld auf das Grundstück der Klägerin als Sicherheit für die Darlehen, was im Kontext der Zwangsvollstreckung und der Kündigung der Darlehen relevant ist.
- Insolvenzordnung (InsO) – Insolvenzverfahren: Die Insolvenzordnung regelt die Verfahren bei Insolvenz eines Schuldners. Im vorliegenden Fall ist relevant, wie die Insolvenz des Mitdarlehensnehmers die Kündigung der Darlehensverträge beeinflusste und welche Rechte die Bank in diesem Kontext hatte.
- Artikel 14 GG – Eigentumsgarantie: Dieser Artikel schützt das Eigentum und könnte im Kontext der unzulässigen Zwangsvollstreckung und der damit verbundenen Eingriffe in das Eigentum der Klägerin eine Rolle spielen, insbesondere hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen der Bank.
Das vorliegende Urteil
LG Heidelberg – Az.: 2 O 1/24 – Urteil vom 05.03.2024
1. Die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung der Urkunde der Notarin C. G., V., vom 12.09.2005, UR-Nr. (…), wird für unzulässig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht im Wege der Vollstreckungsabwehrklage die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde geltend.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 12. August 2005 (Anlage K 6) erwarben die Klägerin und ihr damaliger Ehemann (im Folgenden auch Mitdarlehensnehmer oder Insolvenzschuldner genannt) für einen Kaufpreis von 210.000 EUR von dem damaligen Wohnungseigentümer dessen Miteigentumsanteil von ½ an dem Grundstück Gemarkung (…), verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichneten Wohneinheit (Doppelhaushälfte), nebst dem Sondernutzungsrecht an der grün markierten Grundstücksfläche nebst Terrasse Nr. 2 und Pkw-Stellplatz Nr. 2 im Freien (im Folgenden: Grundstück). Sie wurden am 15. Oktober 2005 mit einem Anteil von jeweils ½ als Eigentümer des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Grundstück eingetragen (Grundbuchauszug vgl. Anlage K 7).
Zur Finanzierung des Kaufpreises schlossen die Klägerin und ihr damaliger Ehemann am 25.08. / 09.09.2005 einen Bausparvertrag über 50.000 EUR mit einer geplanten Zuteilung am 30. August 2015 (vgl. AHB 16).
Darüber hinaus schlossen sie mit der Beklagten folgende Darlehensverträge:
(1) (KfW-Förder-) Darlehensvertrag über 68.000 EUR vom 07. / 09.09.2005 (vgl. AHB 47 ff.) mit der Konto Nr. (…) (im Folgenden: Darlehen mit der End-Nr. -131)
(2) Darlehensvertrag über 85.000 EUR vom 25.08. / 09.09.2005 (vgl. AHB 23 ff. + AHB 28 ff.) mit der Konto Nr. (…) (im Folgenden: Darlehen mit der End-Nr. -661)
(3) Darlehensvertrag über 50.000 EUR vom 25.08. / 09.09.2005 (vgl. AHB 14 f. + AHB 17 ff.) mit der Konto Nr. (…) (im Folgenden: Darlehen mit der End-Nr. -670)
In Bezug auf den Darlehensvertrag mit der End-Nr. -131 vereinbarten die Vertragsparteien einen bis 30. September 2015 unveränderlichen Jahreszinssatz von 3,65 % (effektiver Jahreszinssatz: 3,7 %) sowie vierteljährliche Zins- und Tilgungsraten von 952,63 EUR.
In Bezug auf den Darlehensvertrag mit der End-Nr. -661 vereinbarten die Vertragsparteien einen bis 30. August 2015 unveränderlichen Jahreszinssatz von 3,90 % (effektiver Jahreszinssatz: 3,97 %) sowie monatliche Zins- und Tilgungsraten von 382,50 EUR.
In Bezug auf den Darlehensvertrag mit der End-Nr. -670 vereinbarten die Vertragsparteien einen bis 30. August 2015 unveränderlichen Jahreszinssatz von 4,15 % (effektiver Jahreszinssatz: 4,23 %), monatliche Zinszahlungen sowie eine Rückzahlung des Darlehens am 30. November 2018.
In sämtlichen Darlehensverträgen wurde als Sicherheit die Bestellung einer Grundschuld in Höhe von 203.000 EUR an dem o.g. Grundstück vereinbart.
Wegen der übrigen Vereinbarungen bezüglich der o.g. Darlehen wird auf den Inhalt der in Kopie vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
Mit Urkunde der Notarin C. G., V.,UR-Nr. (…), vom 12. September 2005 (Anlage K 2) bestellte der damaliger Eigentümer an dem o.g. Grundstück zu Gunsten der Beklagten eine Grundschuld über 203.000 EUR zuzüglich 18 % Zinsen. Zugleich unterwarfen sich der damalige Eigentümer sowie die Klägerin und ihr damaliger Ehemann wegen des Grundschuldkapitals nebst Zinsen und sonstiger Nebenleistung der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in das Grundstück. Wegen der Einzelheiten der notariellen Erklärungen wird auf den Inhalt der in Kopie vorgelegten Urkunde (Anlage K 2) Bezug genommen. Der Beklagten wurde in der Folgezeit eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt.
Nachdem sich die Klägerin und ihr damaliger Ehemann im November 2010 getrennt hatten (vgl. Scheidungsantrag Anlage K 4), wurde die Ehe zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann mit Urteil des Amtsgerichts Heidelberg – Familiengericht – vom 16. November 2022 (Anlage K 5) geschieden.
Bereits zuvor – nämlich im März 2022 – haben die Klägerin und ihr damaliger Ehemann einerseits und die Beklagte andererseits bezüglich der Darlehen mit den End-Nr. -661 und -670 Tilgungsänderungen vereinbart (vgl. AHB 22).
Nach der Scheidung der Ehe trafen die Vertragsparteien in Bezug auf die o.g. Darlehen folgende neue Regelungen:
(1) In Bezug auf den Darlehensvertrag mit der End-Nr. -131 trafen die Vertragsparteien am 10.08. / 15.09.2015 eine Vereinbarung über neue Vertragskonditionen („5. Besondere Vereinbarungen: Neuvereinbarung der Konditionen per 01.10.2015.“). Demnach vereinbarten sie einen neuen jährlichen, bis 30. September 2025 gebundenen Zinssatz von 1,75 % (effektiver Jahreszins: 1,76 %) sowie monatliche Zins- und Tilgungsraten ab 30. September 2015 in Höhe von 315 EUR (vgl. AHB 33 ff. und 39 ff.).
(2) In Bezug auf den Darlehensvertrag mit der End-Nr. -661 schlossen die Vertragsparteien am 10.08. / 15.09.2015 eine Anschlusszinsvereinbarung (vgl. AHB 25 ff.). Demnach vereinbarten sie einen neuen jährlichen, bis 30. August 2025 gebundener Zinssatz von 1,75 % (effektiver Jahreszins: 1,76 %) sowie monatliche Zins- und Tilgungsraten ab 15. September 2015 in Höhe von 382,50 EUR.
(3) In Bezug auf den Darlehensvertrag mit der End-Nr. -670 schlossen die Vertragsparteien am 10.08. / 15.09.2015 eine Ergänzungsvereinbarung („5. Besondere Vereinbarungen: Dieser Darlehensvertrag ergänzt den Darlehensvertrag ausgestellt am 25.08.2005 wegen Änderung der Tilgungsform / Laufzeitverlängerung und ist gültig ab 01.09.2015.“). Demnach vereinbarten die Parteien einen neuen jährlichen, bis 30. August 2025 gebundenen Zinssatz von 1,75 % (effektiver Jahreszins: 1,76 %) sowie monatliche Zins- und Tilgungsraten ab 15. September 2015 in Höhe von 160 EUR (vgl. AHB 1 ff.).
Wegen des Inhalts der übrigen Vereinbarungen vom 10.08./15.09.2015 wird auf den Inhalt der in Kopie vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
Am 17. Mai 2019 wurde über das Vermögen des Mitdarlehensnehmers M. G. das Insolvenzverfahren eröffnet (vgl. Bl. 5), wovon die Beklagte zeitnah und innerhalb weniger Tage nach dem 17. Mai 2019 Kenntnis erlangte (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2024, dort S. 2 = Bl. 58). Der Vermerk über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mitdarlehensnehmers wurde am 28. Mai 2019 in das Grundbuch eingetragen (vgl. Replik vom 26. Januar 2024, dort S. 1 = Bl. 48).
Mit Schreiben vom 11. September 2019 (Anlage K 10) sprach die Beklagte der Klägerin gegenüber folgende Kündigung aus:
(…)
Am 16. März 2022 (Anlage K 8) stellte der Insolvenzverwalter über das Vermögen des M. G. (im Folgenden: Insolvenzverwalter) bei dem Amtsgericht Heidelberg – Vollstreckungsgericht – den Antrag auf Teilungsversteigerung des Miteigentumsanteils der Klägerin und des Insolvenzschuldners an dem o.g. Grundstück.
Das Amtsgericht Heidelberg – Familiengericht – erklärte die von dem Insolvenzverwalter betriebene Zwangsversteigerung mit Beschluss vom 8. November 2022 (Anlage K 9) für unzulässig. Bei Eheschließung seien die hiesige Klägerin und ihr Ehemann gemeinsam am engsten mit dem Recht der Dominikanischen Republik verbunden gewesen, so dass auf die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe ausschließlich das Recht der Dominikanischen Republik Anwendung finde. Deshalb sei davon auszugehen, dass die während der Ehe erworbene Immobilie als Gesamtgut in die Errungenschaftsgemeinschaft der Eheleute eingegangen sei. Die anderweitige Regelung im Kaufvertrag habe darauf keinen Einfluss, da es den Ehegatten nicht freistehe, abweichende Vereinbarungen zu treffen. Die Veräußerung eines einzelnen der Errungenschaftsgemeinschaft unterliegenden Gegenstands könne nicht durch Teilungsversteigerung erfolgen. Es soll verhindert werden, dass vor einer – hier bisher nicht erfolgten – Auseinandersetzung der Errungenschaftsgemeinschaft etwa das gemeinsam geschaffene Familienheim in fremde Hände gelange.
Bereits zuvor – nämlich mit Schreiben vom 31. März 2022 (Anlage K 11, AHK 45) – beantragte die Beklagte bei dem Amtsgericht Heidelberg die Zwangsversteigerung des Anteils des Mitdarlehensnehmers M. G. an dem o.g. Grundstück. Mit Schreiben vom 20. September 2022 (Anlage K 11, AHK 46) beantragte die Beklagte bei dem Amtsgericht Heidelberg außerdem die Zwangsversteigerung des Anteils der Klägerin an diesem Grundstück.
Mit Beschlüssen vom 6. April 2022 und 16. November 2022 ordnete das Amtsgericht Heidelberg – Vollstreckungsgericht – die Zwangsversteigerung der Miteigentumsanteile der Klägerin und des Mitdarlehensnehmers M. G. an dem o.g. Grundstück zu Gunsten der Beklagten an (vgl. Bl. 6) und bestimmte am 6. Dezember 2023 Termin zur Zwangsversteigerung für den 6. Februar 2024 an.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, die Kündigung der Darlehensverträge sei unwirksam. Durch die Insolvenz des Mitdarlehensnehmers sei keine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse oder eine erhebliche Vermögensgefährdung eingetreten. Denn sie habe bereits seit der Trennung (im Jahr 2010) sämtliche vereinbarten Darlehensraten selbst bezahlt. Bis zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie allein unter Berücksichtigung einer Sondertilgung innerhalb von acht Jahren insgesamt 60.000 EUR getilgt. Auch nach der Kündigung habe sie alle Darlehensraten vollständig und regelmäßig erbracht. Bei dieser Sachlage sei die Kündigung jedenfalls treuwidrig. Darüber hinaus sei die Beklagte unter Berücksichtigung des Grundstückswerts von 435.000 EUR übersichert. Im Übrigen sei die Errungenschaftsgemeinschaft mit ihrem geschiedenen Ehemann und Mitdarlehensnehmer noch nicht auseinandergesetzt, so dass die Beklagte nicht die Zwangsversteigerung betreiben könne.
Die Klägerin beantragt: Die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung der Urkunde der Notarin C. G., V., vom 12.09.2005, UR-Nr. (…), wird für unzulässig erklärt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, die Kündigung der Darlehensverträge sei wirksam, insbesondere sei sie nicht verspätet erklärt worden. Ferner liege eine wirksame Zwangsvollstreckungsunterwerfungserklärung der Klägerin vor. Aufgrund der wirksamen Kündigungen stehe ihr – der Beklagten – ausweislich der (als Anlage B 2 vorgelegten) Forderungsberechnungen (Stand 25.01.2024) insgesamt ein Betrag von 95.898,42 EUR zu (Vertrag mit der End-Nr. -670: 31.436,10 EUR; Vertrag mit der End-Nr. -131: 46.963,19 EUR; Vertrag mit der End-Nr. -661: 17.499,13 EUR). Dass die Klägerin und der Mitdarlehensnehmer eine Errungenschaftsgemeinschaft begründet hätten, werde bestritten. Dies hätten sie in dem notariellen Kaufvertrag nicht erklärt. Im Grundbuch sei die behauptete Errungenschaftsgemeinschaft nicht eingetragen. Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Heidelberg vom 8. November 2022 sei gegenüber ihr – der Beklagten – nicht bindend. Jedenfalls sei ein Zustimmungserfordernis des geschiedenen Ehemannes nach erfolgter Scheidung im Jahr 2012 entfallen, da Folgesachen nicht anhängig gemacht worden seien.
Auf Antrag der Klägerin wurde die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde der Notarin C. G., V., vom 12.09.2005, UR-Nr. (…), mit Beschluss vom 30. Januar 2024 (Bl. 63 ff.) ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2024 (Bl. 67 ff.) Bezug genommen. Die Beklagte hat mit Schriftsätzen vom 8. Februar 2024 (Bl. 77 ff.) und 29. Februar 2024 (Bl. 89 ff.) weiter vorgetragen, die Klägerin mit Schriftsatz vom 20. Februar 2024 (Bl. 84 ff.).
Soweit die Klägerin Rechtsanwalt (…) als Insolvenzverwalter über das Vermögen des M. G. den Streit verkündet hat, ist dieser dem Rechtsstreit nicht beigetreten.
Entscheidungsgründe
I.
Die gemäß § 767 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Vollstreckungsabwehrklage ist begründet. Denn die Kündigung vom 11. September 2019 (Anlage K 10) ist unwirksam, so dass die Darlehen mit den End-Nr. -131, -661 und -670 nicht zur Rückzahlung fällig sind. Deshalb stehen der Beklagten die in den vorgelegten Forderungsaufstellungen (Anlage B 2) dargelegten Beträge, wegen derer sie die Zwangsvollstreckung in den hälftigen Miteigentumsanteil der Klägerin an dem o.g. Grundstück betreibt, (derzeit) nicht zu. Mangels fälliger Forderungen ist die aus der vollstreckbaren Ausfertigung der Urkunde der Notarin C. G., V., vom 12. September 2005, Ur.-Nr. (…), gegen die Klägerin betriebene Zwangsvollstreckung unzulässig.
Bei dieser Sachlage kommt es auf die weiteren zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen nicht an. Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wegen des neuen, insoweit nicht nachgelassenen Sachvortrags der Klägerin im Schriftsatz vom 20. Februar 2024 unter Ziff. 1 (Bl. 84 – 86) besteht nicht.
Die Darlehensverträge mit den End-Nr. -131, -661 und -670 sind mit dem Schreiben vom 11. September 2019 (Anlage K 10) nicht wirksam gekündigt worden.
Eine gegenüber der Klägerin zu erklärende Kündigung der Darlehensverträge war – was die Beklagte auch nicht in Abrede stellt – trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mitdarlehensnehmers zur Beendigung der mit der Klägerin geschlossenen Darlehensverträge und zur Fälligstellung der Darlehen auch gegenüber ihr erforderlich.
Ferner lag im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mitdarlehensnehmers am 17. Mai 2019 gemäß Nr. 26 Abs. 2 a AGB 2018 (AHB 85) grundsätzlich ein außerordentlicher Kündigungsgrund vor. Denn bei mehreren Darlehensnehmern steht dem Darlehensgeber das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund unabhängig davon zu, bei welchem sich der Kündigungsgrund realisiert hat, d.h. es reicht aus, wenn er nur bei einem von mehreren vorliegt (vgl. nur Huber, Der gesamtschuldnerisch haftende Darlehensnehmer in Krise und Insolvenz, NZI 2019, 97, 101 m.w.N.).
Indes hat die Beklagte die außerordentliche fristlose Kündigung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erklärt, nachdem sie von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.
1. Nach § 314 Abs. 3 BGB kann der Berechtigte ein Dauerschuldverhältnis innerhalb einer angemessenen Frist fristlos aus wichtigem Grund kündigen, nachdem er von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass der andere Teil in angemessener Zeit Klarheit darüber erhalten soll, ob von einer Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird, und dass der Kündigungsberechtigte mit längerem Abwarten zu erkennen gibt, dass für ihn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses trotz des Vorliegens eines Grundes zur fristlosen Kündigung nicht unzumutbar ist (BGH, Urteil vom 25. November 2010 – Xa ZR 48/09, juris Rn. 28 m.w.N.). Wegen der Vielgestaltigkeit der Dauerschuldverhältnisse ist es ausgeschlossen, die Frist des § 314 Abs. 3 BGB für alle Verträge einheitlich zu bemessen. Bei Darlehensverträgen kann unter Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur fristlosen Kündigung des Handelsvertreters (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. Dezember 1993 – VIII ZR 157/92, juris Rn. 12 m.w.N.) ein zweimonatiges Zuwarten unter Umständen nicht mehr als eine angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der Folgen der fristlosen Kündigung angesehen werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. Juni 2001 – 9 U 153/00, juris Rn. 24).
Unabhängig von der Regelung des § 314 Abs. 3 BGB gebietet es auch Treu und Glauben, dass der zur Kündigung Berechtigte dem Vertragspartner alsbald und möglichst frühzeitig Klarheit darüber verschafft, ob er sein Kündigungsrecht ausüben wird oder nicht (BGH, Urteil vom 12. Mai 1978 – V ZR 199/75, juris Rn. 29 m.w.N.; Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. I, 4. Aufl., § 24, Rn. 46). Sobald die Bank Kenntnis von den zur Kündigung berechtigenden Umständen erlangt, muss sie ihr Kündigungsrecht in einer nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen Frist ausüben (BGH, Urteil vom 10. Januar 1980 – III ZR 108/78, juris Rn. 25 m.w.N.; Beschluss vom 12. Juli 1984 – III ZR 32/84, juris Rn. 2. m.w.N.; Bunte, a.a.O. m.w.N.), andernfalls kann die Kündigung rechtsmissbräuchlich sein (BGH, Beschluss vom 26. April 1983 – III ZR 186/82, juris Rn. 2; OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juni 2016 – 17 U 79/15, n.v.).
2. Nach diesen allgemeinen Maßstäben ist die von der Beklagten mit Schreiben vom 11. September 2015 ausgesprochene Kündigung der Darlehensverträge unabhängig davon, ob das Erfordernis der Erklärung der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist aus § 314 Abs. 3 BGB oder aus Treu und Glauben abgeleitet wird, unwirksam. Denn die Beklagte hat die Kündigung nicht innerhalb einer den Umständen des Einzelfalles angemessenen Frist erklärt.
a) Ausweislich der Angaben des Vertreters der Beklagten während der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024 hat die Beklagte „zeitnah und innerhalb weniger Tage nach der Eröffnung von dieser [gemeint: von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens] – also um den 17. Mai 2019 herum –“ Kenntnis erlangt. Bei Zugrundelegung dieses Sachvortrags ist davon auszugehen, dass die Beklagte (aller-)spätestens am Freitag, dem 24. Mai 2019 von der Insolvenzeröffnung Kenntnis erlangt hat.
Gegenteiliges macht die in Bezug auf den Tag der Kenntniserlangung zumindest darlegungsbelastete Beklagte nicht substantiiert geltend. Soweit die auf ihre Darlegungslast in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024 hingewiesene Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Februar 2024 vorträgt, es sei davon auszugehen, dass die Veröffentlichung des Insolvenzverfahrens „in jedem Falle Anfang Juni 2019“ erfolgt sei (Bl. 78), genügt sie insoweit ihrer Darlegungslast nicht. Der in diesem Zusammenhang weiter erhobene Sachvortrag, sie habe „über die zur Verfügung stehenden Interneteintragungen“ bisher nicht feststellen können, wann die Veröffentlichung tatsächlich erfolgt sei, ist unzureichend. Denn sie trägt weder vor, wann in ihren eigenen Unterlagen die Insolvenzeröffnung erstmals vermerkt wurde, noch (für den Fall, dass der Zeitpunkt der Kenntniserlangung in den Unterlagen nicht dokumentiert ist), dass sie insoweit die zuständigen Mitarbeiter befragt habe. Unabhängig davon ist aufgrund einer vor der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Internetrecherche auf der allgemein zugänglichen Internetseite „Insolvenzbekanntmachungen.de“ amtsbekannt, dass die Veröffentlichung am 17. Mai 2019 erfolgt ist.
b) Damit hat die Beklagte nach Kenntniserlangung (spätestens am 24. Mai 2019) mehr als dreieinhalb Monate bis zum Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung am 11. September 2019 zugewartet. Unter Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen hat die Beklagte die Kündigung damit nicht innerhalb einer den Umständen angemessenen Frist erklärt.
aa) Die jedenfalls im Hinblick auf die – lange – Dauer zwischen Kenntniserlangung von dem Kündigungsgrund und Kündigungserklärung zu den Gründen des Abwartens mit der Kündigung darlegungsbelastete Beklagte trägt insoweit mit Schriftsatz vom 8. Februar 2024 vor (vgl. Bl. 79 ff.), sie habe sich mit der Klägerin mit Schreiben vom 29. Juli 2019 (AHB 96 ff.) in Verbindung gesetzt und habe diese u.a. zur Prüfung einer eventuell möglichen Umschuldung des Darlehens um Übersendung einer ausgefüllten Selbstauskunft gebeten („Bevor wir die Darlehenskündigung aussprechen, wollen wir prüfen, ob unter Einhaltung der neuen Wohnkreditrichtlinie eine interne Umschuldung der Darlehen auf Sie möglich ist. Hierzu bitten wir das beiliegende Formular Selbstauskunft ausgefüllt, unterzeichnet und vervollständigt durch geeignete Nachweise an uns zu übersenden.“). Darüber hinaus habe sie der Klägerin ein persönliches Gespräch angeboten und bis spätestens 16. August 2019 um Terminsvereinbarung gebeten. Die Klägerin habe das übermittelte Formular für die Selbstauskunft am 1. August 2019 handschriftlich ergänzt und unterzeichnet (AHB 100 ff.). Das Formular sei „einige Tage später“ bei der Beklagten eingegangen und sodann in eine maschinell ausgedruckte Fassung übertragen worden (AHB 104 ff.). Unabhängig davon habe sich die Beklagte im Zusammenwirken mit dem Streitverkündeten bemüht, zu einer für die Klägerin günstigen Lösung zu kommen. Es hätten fernmündliche Unterredungen stattgefunden und es habe sich herausgestellt, dass ein Gespräch zwischen der Klägerin und dem Streitverkündeten Anfang August 2019 vereinbart gewesen sei. Deshalb habe die Beklagte bei dem Streitverkündeten per Mail am 7. August 2019 (AHB 107) nachgefragt, ob eine direkte Teilnahme seitens der Mitarbeiter der Beklagten an dem mit der Klägerin vereinbarten Gespräch als sinnvoll angesehen werden könne. Die Beklagte habe in der Folgezeit aber an keinem Gespräch zwischen der Klägerin und dem Insolvenzverwalter teilgenommen. Die Klägerin habe auch die Frist bis zum 16. August 2019 zur Vereinbarung eines Besprechungstermins bei der Beklagten unbeachtet gelassen. Sie habe sich bei der Beklagten weder fernmündlich noch schriftlich gemeldet. Aus Sicht der Beklagten habe die fehlende Reaktion der Klägerin bei gleichzeitigem Vorliegen einer negativen Bonität (Auskunft) es nicht zugelassen, die mit Schreiben vom 29. Juli 2019 angedrohte Darlehenskündigung nicht zu vollziehen.
bb) Unter Berücksichtigung dieses – zu Gunsten der Beklagten der Entscheidung zu Grunde zu legenden – Sachvortrags hat die Beklagte die außerordentliche fristlose Kündigung vom 11. September 2019 unter Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntniserlangung (24. Mai 2019) erklärt.
(1) Es ist schon nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung bis zur ersten Kontaktaufnahme mit der Klägerin am 29. Juli 2019 mehr als zwei Monate gewartet hat. Bereits durch dieses lange Zuwarten hat die Beklagte aus objektiver Sicht vor diesem Schreiben zu erkennen gegeben, dass für sie die Fortsetzung der Darlehensverträge trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des weiteren Darlehensnehmers nicht unzumutbar ist. Denn der Beklagten war nach dem unstreitig gebliebenen Sachvortrag der Klägerin (vgl. Replik, dort S. 5 = Bl. 52) spätestens seit dem Zeitpunkt der Änderungsvereinbarungen im August / September 2015 bekannt, dass die Klägerin lediglich Sozialleistungen bezieht. Ferner wusste die Beklagte, dass die Klägerin trotz dieses Umstandes seit der Trennung von dem weiteren Darlehensnehmer im Jahr 2010 in der Lage war, sämtliche fälligen Darlehensraten allein von dem bei der Beklagten nach der Trennung eröffneten Einzelkonto zu begleichen (vgl. unbestritten gebliebener Sachvortrag der Klägerin in der Replik, dort S. 4 = Bl. 51). Bei dieser Sachlage hat die Beklagte aus Sicht der Klägerin durch das lange Zuwarten bis Ende Juli 2019 mit einer ersten Kontaktaufnahme und Androhung einer Kündigung bereits vor dem Schreiben vom 29. Juli 2019 zum Ausdruck gebracht, dass für sie die Fortsetzung der Darlehensverträge zumutbar ist.
(2) Unabhängig davon hat die Beklagte jedenfalls dadurch, dass sie nach unverzüglicher Übersendung der mit Schreiben vom 29. Juli 2019 zur Prüfung einer „interne Umschuldung der Darlehen“ erbetenen Selbstauskunft der Klägerin Anfang August 2019 und nach Verstreichen der bis 16. August 2019 gesetzten Frist zur Kontaktaufnahme nicht unverzüglich entweder mitgeteilt hat, dass eine Umschuldung nicht möglich ist, oder sofort die für den Fall einer negativen Prüfung mit Schreiben vom 29. Juli 2019 in Aussicht gestellte Kündigung ausgesprochen hat, zu erkennen gegeben, dass für sie die Fortsetzung der Darlehensverträge trotz der Insolvenzeröffnung aus den o.g. Gründen (nämlich, dass die Klägerin die fälligen Darlehensraten seit Jahren trotz geringer Einkünfte vertragsgemäß alleine erbracht hat) zumutbar ist.
Es ist weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass und weshalb nach dem 16. August 2019 eine weitere – erforderliche – Aufklärung des Sachverhalts erfolgte oder dass und weshalb die Beklagte noch einmal weitere dreieinhalb Wochen zur Überlegung der Folgen der fristlosen Kündigung benötigte. Solche Umstände waren aus objektiver Sicht für die Klägerin jedenfalls nicht erkennbar.
Bei dieser Sachlage kann unter Abwägung der gegenseitigen Interessen das Zuwarten mit der außerordentlichen fristlosen Kündigung bis 11. September 2015 nicht mehr als eine den Umständen des Einzelfalls angemessene Zeitspanne angesehen werden, so dass die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam ist.
c) Nichts anderes gälte, wenn davon auszugehen wäre, dass die Beklagte von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mitdarlehensnehmers nicht (spätestens) am 24. Mai 2019 Kenntnis erlangt hätte, sondern erst Anfang Juni 2019. Auch in diesem Fall hätte die Beklagte unter Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen die Kündigung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erklärt. Zwar hätte die Beklagte dann nicht bereits vor dem 29. Juli 2019 zu erkennen gegeben, dass für sie die Fortsetzung der Darlehensverträge zumutbar ist. Indes hätte sie auch in diesem Fall unter Berücksichtigung der langen Zeitspanne bis zur ersten Kontaktaufnahme und der weiteren o.g. Umstände dadurch, dass sie unmittelbar nach dem 16. August 2019 weder die Darlehensverträge gekündigt noch der Klägerin mitgeteilt hat, dass eine Umschuldung nicht möglich sei, zu erkennen gegeben, dass für sie die Fortsetzung der Darlehensverträge trotz der Insolvenzeröffnung zumutbar ist. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 709 ZPO.