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Grundstückskaufvertrag – Sittenwidrigkeit

LG Lübeck – Az.: 3 O 234/22 – Urteil vom 07.12.2022

In dem Rechtsstreit hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2022 für Recht erkannt:

Die einstweilige Verfügung vom 20.09.2022 wird bestätigt.

Die Verfügungsbeklagten tragen die Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Tatbestand

Die Parteien streiten nach erfolgtem Widerspruch um die Aufrechterhaltung einer einstweiligen Verfügung.

Ursprüngliche Eigentümer des streitgegenständlichen Grundbesitzes in Lauenburg, ###, zur Größe von 2.980 m², eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Schwarzenbek von Lauenburg Blatt 3211 waren die Eheleute ### und ###, geb. ### zu je 1/2, die Eltern des Verfügungsklägers. In Abteilung II Nr. 1 des Grundbuches wurde am 24.09.2013 ein Versteigerungsvermerk (Az. 9 K 30/13 des Amtsgerichts Schwarzenbek) eingetragen. In Abteilung III kam es zudem 2014 und 2015 zur Eintragung mehrerer Sicherungshypotheken. Nach dem Tode des Miteigentümers ### wurde eine Nachlasspflegschaft (7 VI 519/14 in 7 VI 183/14 des AG Schwarzenbek) für seine unbekannten Erben eingerichtet. Vor diesem Hintergrund erwarb der Verfügungskläger durch notariellen Vertrag des Notars ### aus Büchen vom 05.10.2015 (UR-Nr. 396/2015) den vorbezeichneten Grundbesitz innerfamiliär zum Preis von 100.000,00 Euro. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm er einen endfälligen Kredit bei der ##### auf, für die eine Grundschuld über 100.000,00 Euro in Abteilung III Nr. 7 eingetragen wurde. Die Sicherungshypotheken und weitere Vorlasten sowie der Versteigerungsvermerk wurden vom Grundbuchamt im Zuge des Eigentumserwerbes des Verfügungsklägers gelöscht.

Grundstückskaufvertrag - Sittenwidrigkeit
(Symbolfoto: gan chaonan/Shutterstock.com)

Unter dem 12.08.2022 kündigte die ##### die Geschäftsbeziehung zum Verfügungskläger wegen aufgelaufener Zahlungsrückstände fristlos und stellte eine Hauptforderung von gut 101.000,00 Euro zzgl. Zinsen bis zum 29.08.2022 zur Rückzahlung fällig. Nach dem Kündigungsschreiben war die Grundschuld bereits zum 10.02.2023 gekündigt worden, zudem war ein Bausparvertrag über 100.000,00 Euro bei der LBS Schleswig-Holstein-Hamburg AG, der der Tilgung des durch die Grundschuld besicherten Kredites dienen sollte, (vermutlich schon 2015) an die ##### abgetreten worden.

Der Verfügungskläger traf am 26.08.2022 auf den Verfügungsbeklagten zu 2. und berichtete ihm im Laufe ihrer Unterhaltung von sich aus, dass er in wenigen Tagen gut 101.000,00 Euro zahlen soll, ihm das Geld aber nicht zur Verfügung stehe. Bei dieser Gelegenheit kam ins Gespräch, ob der Verfügungsbeklagte zu 2. das Grundstück in Lauenburg „übernehmen“ könnte. Dazu sah sich der Verfügungsbeklagte zu 2. jedoch allein nicht in der Lage. Vor diesem Hintergrund kam die Idee auf, den Verfügungsbeklagten zu 1. „ins Boot“ zu holen.

Bereits am 27.08.2022 kam es zu einem Folgetreffen, diesmal mit allen 3 Parteien, bei dem es zu einer Außenbesichtigung der Immobilie kam. Der Verfügungskläger überließ den Verfügungsbeklagten durch Duldung Unterlagen zu dem Grundstück, darunter den seinerzeitigen Grundstückskaufvertrag vor dem Notar ### im Entwurf. Der Verfügungsbeklagte zu 1. sprach den ihm geschäftlich bekannten Notar ### aus ### wegen der Erstellung eines Vertragsentwurfes an. Ein solcher wurde dem Verfügungskläger am 31.08.2022 per E-Mail zugeleitet. Zwischen den Parteien gab es in dieser Woche diverse Kontakte, unter anderem erinnerte der Verfügungsbeklagte zu 2. den Verfügungskläger per Whats-App-Sprachnachricht daran, sich mit der ##### in Verbindung zu setzen. Außerdem wurde die Frage thematisiert, wann das Anwesen geräumt werden kann, dies sollte auf Hinweis des Notars kurzfristiger erfolgen als zunächst angedacht.

Am Freitag, den 02.09.2022 kam es zu UR-Nr. 26/22 des Notars #### in ### zur Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages hinsichtlich des vorgenannten Grundbesitzes. Danach verpflichtete sich der Verfügungskläger, den Verfügungsbeklagten gegen Zahlung eines Kaufpreises von 102.000,00 Euro das lastenfreie Eigentum zu je 1/2 Anteil zu verschaffen. Ferner sollte er das Grundstück spätestens binnen drei Wochen ab Beurkundung, nicht jedoch vor Kaufpreisfälligkeit, vollständig räumen. Bei nicht vollständiger Räumung sollte für jeden angefangenen Monat eine Schadensersatzpauschale von 2.800,00 Euro anfallen. Der Notar sollte erforderliche Löschungsbewilligungen einholen. Wegen der Einzelheiten wird auf den notariellen Vertrag Bezug genommen. Eine Eigentumsübertragungsvormerkung ist am 06.09.2022 unter Nr. 3 in Abt. II des Grundbuches zugunsten der Verfügungsbeklagten eingetragen worden.

Ab dem 05.09.2022 versuchte der Verfügungskläger, sich aus verschiedenen Gründen von dem Vertrag zu lösen. Der Notar ### teilte mit Schriftsatz vom 05.09.2022 mit, dass er den von den Beteiligten beauftragen Vollzug des Kaufvertrages erst einstelle, sobald die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

Am 08.09.2022 beantragte der Verfügungskläger zu Protokoll der Rechtsantragstelle beim AG Schwarzenbek den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, dass die Verfügungsbeklagten seine Anfechtung des notariellen Vertrages vom 05.09.2022 anerkennen und der Rückabwicklung zustimmen. Er verwies darauf, nach den vertraglichen Regelungen verpflichtet zu sein, das Grundstück in 2 Wochen geräumt übergeben zu müssen. Dort lebe er mit seiner Ex-Freundin und 6 Kindern. Das Grundstück sei deutlich mehr wert als der vereinbarte Kaufpreis. Das AG Schwarzenbek verwies den Rechtsstreit nach Anhörung des Verfügungsklägers auf dessen Antrag, nunmehr von seinen Prozessbevollmächtigten umgestellt, mit Beschluss vom 19.09.2022 wegen sachlicher Unzuständigkeit an das LG Lübeck, wo das Verfahren am 20.09.2022 einging.

Die angerufene Kammer hat am 20.09.2022 wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung die angefochtene einstweilige Verfügung erlassen, durch die die Verfügungsbeklagten antragsgemäß kostenpflichtig verpflichtet wurden, der Aussetzung der Vollziehung des Grundstückskaufvertrages vom 02.09.2022 des Notars ### in ###zuzustimmen. Hiergegen haben die Verfügungsbeklagten eingehend am 10.10.2022 Widerspruch eingelegt.

Der Kläger behauptet, angesichts der Kündigung durch die #### in Panik und Existenzangst geraten zu sein. Er müsse aufgrund einer psychischen Erkrankung beruhigende Medikamente einnehmen. Der Verfügungsbeklagte zu 2. sei am 26.08.2022 wegen eines Autos zu ihm gekommen. Im Beurkundungstermin habe er erstmals vom Inhalt des notariellen Vertrages erfahren, den per E-Mail übersandten Entwurf habe er nicht öffnen können. Die Verfügungsbeklagten hätten ihn unter Druck gesetzt und zum Vertragsschluss gedrängt. Er habe erst nach dem Beurkundungstermin begriffen, was da eigentlich passiert ist und er alles verlieren würde. Im Termin selbst sei ihm das Handy von den Verfügungsbeklagten weggenommen und bis zum Ende des Termins nicht zurückgegeben worden, weil er die Steuer-ID nicht schnell genug vorgelesen habe. So habe er auf eingehende WhatsApp-Nachrichten nicht eingehen können, durch die er von Familienangehörigen davor gewarnt worden sei, beim Notar irgendetwas zu unterschreiben. Die Verfügungsbeklagten hätten noch gefragt, wer ### – seine Schwester – sei und sich über den Namen lustig gemacht, sie hätten von den eingehenden Nachrichten Kenntnis gehabt. Auch der Notar selbst habe betont, wie nett es doch von den Verfügungsbeklagten sei, ihm in einer solchen Notlage zu helfen. Darauf, dass er – der Verfügungskläger – ersichtlich nicht auf den Termin vorbereitet gewesen sei, sei der Notar in keiner Weise eingegangen.

Der Grundstückskaufvertrag sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Das mit einem Mehrfamilienhaus und einer Halle bebaute Grundstück habe einen Verkehrswert von mindestens 419.000,00 Euro, nach Auskunft eines weiteren eingeschalteten Maklers sogar von 580.000,00 Euro, was durch Vorlage der schriftlichen Auskünfte belegt werde. Zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe deshalb ein krasses Missverhältnis, nach der Rechtsprechung des BGH ergebe sich daraus eine Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung.

Den Verfügungsbeklagten sei bekannt gewesen, dass er kurzfristig rund 100.000,00 Euro benötigte, um Schulden bei der ##### zu begleichen. Die Veräußerung mit der kurzen Räumungsfrist habe zudem zur Folge, dass 8 Personen ihre Wohnung verlieren und auf der Straße landen. Obwohl mündlich eine Räumungsfrist von zwei Monaten vereinbart war, wurden lediglich drei Wochen in den notariellen Vertrag aufgenommen.

Ferner sei ein Scheingeschäft beurkundet worden, weil als Kaufpreis zunächst der Betrag von 112.000,00 Euro abgesprochen worden sei, von denen 10.000,00 Euro in Raten gezahlt werden sollten, davon 2.500,00 Euro nach Beurkundung in bar. Dieser Betrag sei ihm nach der Beurkundung tatsächlich in einem türkischen Gastronomiebetrieb in ### übergeben worden. Am Tag der Beurkundung habe er wegen weiterer Verbindlichkeiten abgesprochen, dass er insgesamt 15.000,00 Euro zusätzlich brauche, die weiteren 5.000,00 Euro seien ihm aber erst für nächstes Jahr zugesagt worden.

Vorsorglich werde der Grundstückskaufvertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 1. Alt BGB angefochten. Er sei über den Wert seiner Immobilie getäuscht worden, damit die Verfügungsbeklagten diese unter Wert erwerben können. Insoweit habe er bereits Strafanzeige bei der Polizei gestellt. In der vorgelegten Einschätzung der Frau ### habe sich beim Datum ein Schreibfehler eingeschlichen, dieses müsse korrekt 17.10.2022 lauten. Er habe bei den Verhandlungen mit den Verfügungsbeklagten und auch beim Notar den Verkehrswert seines Grundstückes nicht gekannt.

Der Verfügungskläger beantragt, die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Verfügungsbeklagten beantragen, die einstweilige Verfügung vom 20.09.2022 aufzuheben und den zugrunde liegenden Antrag zurückzuweisen.

Sie behaupten, dass es die abweichende Kaufpreisvereinbarung nicht gegeben habe. Auch sei dem Verfügungskläger das Handy nicht in Gegenwart des Notars weggenommen worden. Druck auf den Verfügungskläger habe man nicht ausgeübt. Allerdings habe der Verfügungskläger sich um Aufgaben, die er erledigen sollte, nicht zeitnah gekümmert. Aus diesem Grunde gebe es die Sprachnachrichten, mit denen er daran erinnert worden sei, was er noch tun müsse. Soweit der Verfügungskläger meine, er habe den Grundstückskaufvertrag wirksam angefochten, sei dies nicht zutreffend. Anfechtungsgründe gebe es nicht, Vertragsreue sei kein Anfechtungsgrund.

Von Panik und Existenzangst sei dem Verfügungskläger nichts anzumerken gewesen, er habe vielmehr an der Vorbereitung des Grundstückskaufvertrages aktiv mitgewirkt und insoweit geordnete Unterlagen übergeben, die er zuvor herausgesucht hatte.

Hinsichtlich der behaupteten Sittenwidrigkeit des Vertrages meinen sie, dass es am subjektiven Element fehle. So habe der Verfügungskläger am 27.08.2022 bei der Besichtigung auch seinen Kaufvertrag von 2015 übergeben, aus dem sich der damalige Kaufpreis von 100.000,00 Euro ergeben habe. Wie sich aus dem Datum „19.10.2020“ in der Anlage ASt 11 ergebe, sei dem Verfügungskläger der Wert seiner Immobilie bekannt gewesen. Bei der Kaufpreisfindung sei zwar der aktuelle finanzielle Bedarf maßgeblich gewesen, zugleich aber auch der beklagenswerte Zustand der Immobilie. Man habe dem Verfügungskläger die erbetene finanzielle Hilfe zukommen lassen wollen, eine verwerfliche Gesinnung sei darin nicht erkennbar.

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Mehr hätten sie auch nicht aufbringen können. Es sei nicht verboten, günstige Geschäfte zu tätigen.

Letztlich fehle es an einem Verfügungsgrund. So habe der Notar zugesagt, die Abwicklung des Vertrages einzustellen, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Sie – die Verfügungsbeklagten – seien bislang nicht aufgefordert worden, einer solchen Einstellung zuzustimmen. Soweit dies erfolgen sollte, würden sie sich rechtstreu verhalten. Daraus sei zu ersehen, dass der Verfügungskläger der Angelegenheit keine besondere Dringlichkeit zumesse. Es bestehe auch nicht die Absicht, das Grundstück zu veräußern. Hinzu komme, dass der Notar die erforderliche Löschungsbewilligung der ##### bislang nicht erhalten habe.

Anstelle der ##### habe sich die #### GmbH gemeldet, der die Forderungsangelegenheit zur Abwicklung übergeben worden sei.

Das Gericht hat im Verhandlungstermin die Parteien nach § 141 ZPO persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Zu einer Vernehmung des sistierten Notars #### ist es nicht gekommen, weil der Verfügungskläger ihn nicht von seiner Schweigepflicht entbunden hat.

Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung ist gemäß §§ 936, 925 ZPO zu bestätigen. Die Gründe für ihren Erlass bestehen fort.

I.

Zwar steht nach dem Ergebnis der Anhörung der Parteien hinsichtlich nicht beurkundeter Preisabreden Aussage gegen Aussage – der beurkundende Notar wird insoweit nahezu ausnahmslos nicht eingeweiht, sollte es solche Absprachen gegeben haben -, so dass nicht von einer Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 Abs. 1 ZPO ausgegangen werden kann. Hierauf kommt es im Ergebnis aber nicht an, weil sich der Verfügungsanspruch bereits aus anderen Gründen ergibt.

II.

Es ist zur Überzeugung des Gerichtes glaubhaft gemacht, dass der Grundstückskaufvertrag wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.

1. Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu. Ausgehend von dem für die Annahme eines besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses bestehenden Erfordernis, dass der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, ist diese Voraussetzung grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 % erfüllt, vgl. insgesamt mit weiteren Nachweisen BGH, Urteil vom 15.01.2016 – V ZR 278/14 = NJW-RR 2016, 692. Dem steht es gleich, wenn sich die Person, der sittenwidriges Verhalten vorgehalten wird, leichtfertig der Erkenntnis verschließt, dass der andere sich nur wegen seiner schwächeren Lage auf den ungünstigen Vertrag einlässt, vgl. BGH, Urteil vom 25.10.1979 – III ZR 182/77 = NJW 1980, 445, 446.

2. Ein solches wucherähnliches Geschäft liegt hier vor.

a) Rein objektiv besteht zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis.

Vertragsgegenstand ist ein 2.980 m² großes bebautes Grundstück in Lauenburg, für das allein für den Grund und Boden ohne die aufstehende Bebauung nach den öffentlich zugänglichen amtlichen Richtwerten ein Preis von 40,00 Euro/m² ausgewiesen ist. Schon dies führt zu einem Bodenwert von knapp 120.000,00 Euro.

Zwar hat die Fachwirtin in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft #### in ihrer schriftlichen Bewertung den aktuellen Pflege- und Unterhaltungszustand als nachlässig und ungepflegt beschrieben.

Gleichwohl kommt sie unter Berücksichtigung eines erheblichen Abschlages von 50 %, der um 20 Prozentpunkte höher ausfällt, als er dem Alter des Gebäudes nach zu machen wäre, immer noch zu einem Zeitwert des Baukörpers von 275.000,00 Euro. Dabei ist sie von ca. 250 m² Wohnfläche und Herstellungskosten von 2.200,00 Euro pro m² ausgegangen. Dies ist für eine überschlägige Bewertung brauchbar, auch wenn keine explizite Differenzierung nach Sachwerten, Ertragswerten oder Vergleichswerten erfolgt, wie man dies in einem ausführlichen Gutachten erwarten würde. Angesichts heutiger Baupreise ist der gewählte Ansatz sogar schon als vorsichtig anzusehen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Ausführungen hinsichtlich der Größenordnung nachvollziehbar.

Gleiches gilt für den Inhalt der im Termin überreichten E-Mail, dass sich beim Datum der Bewertung „17.10.2020“ ein Tippfehler eingeschlichen hat. Die Bewertung nennt auf Seite 1 als Baujahr 1992, um auf Seite 2 ein Alter von 30 Jahren zu nennen, das 2020 noch nicht erreicht war (dann erst 28 Jahre). Da je nach Alter Abschläge von den Herstellungskosten gemacht worden sind, wäre eine Abweichung um 2 Jahre bereits mit Auswirkungen im 4 bis 5-stelligen Bereich verbunden. Insoweit drängt sich ein Tippfehler beim Datum geradezu auf.

Die weitere eingereichte Einschätzung geht von einem noch höheren Verkehrswert aus. Einer Klärung, welcher der mitgeteilten Werte dem tatsächlichen Wert am nächsten kommt, bedarf es jedoch nicht. Von der Größenordnung her ist jedenfalls glaubhaft gemacht, dass der Kaufpreis bestenfalls 25 % des tatsächlichen Werts der Immobilie ausmacht.

b) Die aufgrund des aufgezeigten besonders groben Missverhältnisses bestehende tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung, die in der Regel eine weitere Prüfung subjektiver Voraussetzungen entbehrlich macht (dazu BGH, Urteil vom 05.102001 – V ZR 237/00 = NJW 2002, 429, 430; Grüneberg-Ellenberger § 138 Rn. 34 a), ist nicht durch anderweitige Umstände entkräftet worden.

aa) Die Verfügungsbeklagten haben in ihrer Anhörung deutlich gemacht, dass die Preisgestaltung anhand des Finanzbedarfs erfolgte, der sich aus dem Kündigungsschreiben der ##### ergeben hat. Da sich die Höhe der geforderten Zinsen nicht exakt einschätzen ließ, habe man die geltend gemachte Hauptforderung auf 102.000,00 Euro aufgerundet und diesen Betrag als Kaufpreis angesetzt. Schon diese Preisgestaltung ist mehr als ungewöhnlich.

bb) Eine Orientierung am Verkehrswert hat demnach gerade nicht stattgefunden. Die Verfügungsbeklagten haben zugleich deutlich gemacht, dass sie einen höheren Kaufpreis auch nicht hätten aufbringen können.

Schriftsätzlich haben sie sich darauf berufen, es sei nicht verboten, ein gutes Geschäft abzuschließen. Schon diese Aussage deutet auf das Wissen hin, die Immobilie unter Wert erworben zu haben. Zwar haben sie versucht, den Kaufpreis dadurch plausibel zu machen, dass sie auf den Preis von 100.000,00 Euro verwiesen haben, den der Verfügungskläger selbst vor 7 Jahren gezahlt hat. Sie übersehen dabei jedoch, dass es sich in der Sache um einen innerfamiliären Verkauf in einer Notsituation (drohende Zwangsversteigerung) gehandelt hat, der zudem zu 100 % finanziert werden musste. In einer solchen Situation kommt es regelmäßig nicht zur Bildung marktgerechter Preise. Zumindest der Entwurf des notariellen Vertrages aus 2015 lag den Verfügungsbeklagten vor, aus diesem war ersichtlich, von wem der Verfügungskläger gekauft hat.

Zudem war auch die Grundschuld von 100.000,00 Euro bekannt, die der Verfügungskläger seinerzeit bewilligt hatte, dies ergibt sich aus dem im hier maßgeblichen notariellen Grundstückskaufvertrag des Notars #### mitgeteilten Grundbuchstand. In den letzten 7 Jahren sind die Grundstückspreise zudem geradezu explodiert, schon deshalb konnte der seinerzeitige Kaufpreis kein Maßstab für den derzeitigen Verkehrswert sein.

cc) Den Verfügungsbeklagten war ferner bewusst geworden, dass der Verfügungskläger unter dem Eindruck der Vorstellung handelte, kurzfristig den Betrag von etwa 102.000,00 Euro aufbringen zu müssen. Der Verfügungskläger hatte am 26.08.2022 im Gespräch mit dem Verfügungsbeklagten zu 2. zunächst auch noch gar keine Vorstellung, wie es weitergehen könnte, seine Anfrage, ob ihm geholfen werden könnte, wirkte wie ein Hilferuf. Wie die im Termin angehörten Sprachnachrichten belegen, ließ die Mitwirkung des Verfügungsklägers in den nächsten Tagen zu wünschen übrig, um Telefonate mit der ##### hatte er sich nämlich nicht gekümmert, was ihm mit der Aufforderung vorgehalten wurde, nun endlich tätig zu werden.

Auch dies lässt erkennen, dass der Verfügungskläger den Verkauf nicht selbst planmäßig vorantrieb, sondern eher wie paralysiert agierte. Auch das vermeintlich zielgerichtete Übergeben der Grundstücksunterlagen stellt sich in diesem Zusammenhang nur als Duldung der Mitnahme dar, wie eher beiläufig eingeräumt worden ist.

Der Verfügungskläger lässt vortragen, ihm sei erst nachträglich deutlich geworden, auf was er sich da eingelassen hat. Auch dies passt insgesamt zur Situation, die auf eine schnelle Beurkundung abzielte.

Angesichts dessen, dass zwischen dem Gespräch mit dem Verfügungsbeklagten zu 2. und dem Beurkundungstermin beim Notar gerade einmal eine Woche liegt, kann von einer wohlüberlegten Entscheidung keine Rede sein. Der Verfügungskläger hat sich nämlich zur kurzfristigen Räumung des Grundstückes verpflichtet, obwohl er nicht über eine Ersatzwohnung verfügte. Angesichts seiner finanziellen Verhältnisse und des Platzbedarfs von 8 Personen (darunter 6 Kinder) erscheint auch fraglich, ob – noch dazu kurzfristig – überhaupt Ersatzwohnraum beschafft werden könnte. Eine Absprache mit erwachsenen Bezugspersonen aus der Familie scheint allenfalls ansatzweise erfolgt zu sein, die Warnung, er möge beim Notar nichts unterschreiben, lässt jedenfalls erkennen, dass der Verkauf innerfamiliär nicht unterstützt wurde.

Die Verfügungsbeklagten ihrerseits haben sich im notariellen Vertrag eine monatliche Schadenspauschale von immerhin 2.800,00 Euro ausbedungen, die sie in der Anhörung hauptsächlich als Mietzahlung für den Fall angesehen haben, dass keine Räumung erfolgt. Wie der Verfügungskläger, der sich wegen Zahlungsrückständen mit der Kündigung der Geschäftsbeziehung durch die ##### konfrontiert sah, derartige Beträge aufbringen sollte, ist nicht ersichtlich, auf ein Jahr gesehen wären etwa 1/3 des Kaufpreises bei nicht erfolgter Räumung an die Verfügungsbeklagten zurückzuzahlen (vgl. die Argumentation im Urteil des BGH vom 16.11.2022 – VIII ZR 436/21, bislang nur Pressemitteilung Nr. 166/2022). Auch dies zeigt, dass sie sich über den wirtschaftlichen Wert der Immobilie, der sich indirekt im Mietwert ausdrückt, durchaus im Klaren waren.

dd) Demgegenüber können die Verfügungsbeklagten nicht darauf verweisen, sie hätten sich doch nur auf das Geschäft eingelassen, um dem Verfügungskläger zu helfen, dies könne nicht verwerflich sein. Diese Sichtweise ist reichlich vordergründig, denn sie blendet aus, dass sich der Verfügungskläger nahezu seines gesamten Aktivvermögens begeben sollte, um so einen Neustart zu versuchen. Es drängt sich geradezu die Frage auf, wie dies möglich sein sollte. Der Vergleich zwischen vorher und nachher macht deutlich, dass dem Verfügungskläger außer weiteren Schulden nichts geblieben wäre, selbst die Wohnung musste aufgegeben werden. Demgegenüber sicherten sich die Verfügungsbeklagten den Hauptvermögenswert des Verfügungsklägers zur eigenen wirtschaftlichen Verwertung, ohne einen angemessenen Wertausgleich herbeizuführen.

III.

Die Verfügungsbeklagten können auch nicht damit gehört werden, es fehle an einem Verfügungsgrund.

1. Soweit sie darauf verweisen, sie würden sich rechtstreu verhalten, wenn sie dazu aufgefordert werden würden, den Vollzug des Vertrages auszusetzen, bis dessen Wirksamkeit geklärt ist, steht dem ihr eigenes Verhalten gegenüber. Sie haben bislang keine Erklärungen in diese Richtung abgegeben, obwohl ihnen die einstweilige Verfügung bekannt ist und sie zunächst zumindest konkludent aufgefordert worden sind, entsprechende Erklärungen abzugeben. Inzwischen haben sie sich ausdrücklich positioniert und mit dem Ansatz „wozu geht man denn zum Notar, wir haben Kosten gehabt“ eine einvernehmliche Lösung abgelehnt.

2. Auch das Argument, es bestehe derzeit ein faktisches Vollzugshindernis, weil die erforderliche Löschungsbewilligung der ##### nicht vorliege, greift zu kurz. Dies ist nämlich eine bloße Momentaufnahme, die Situation kann sich jederzeit kurzfristig ändern. Die ##### hat die #### GmbH mit der Einziehung der offenen Forderungen beauftragt, was Zuständigkeitsprobleme nach sich ziehen mag. Die ##### als eingetragene Grundpfandrechtsgläubigerin wäre aber gleichwohl die Ansprechpartnerin, wenn es um die Löschungsbewilligung geht. Diese dürfte zwar üblicher Praxis entsprechend dem Notar nur gegen eine Treuhandabrede zur Verfügung gestellt werden, dem steht aber kein dauerhaftes Hindernis entgegen, so dass die Eintragungsvoraussetzungen kurzfristig vorliegen könnten. Zu bedenken in diesem Zusammenhang ist auch, dass der Zahlungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagten gepfändet werden könnte, um Streit darüber zu vermeiden, ob Zahlungen als Leistungen an den Verfügungskläger anzusehen sind.

3. Dass das Grundbuchamt in eigener Prüfungskompetenz einen Vollzug des Kaufvertrages ablehnen könnte, hindert die Bestätigung der einstweiligen Verfügung nicht. Der Verfügungskläger braucht sich nicht darauf verweisen zu lassen, dass Dritte, die noch tätig werden müssen, einen Rechtsverlust verhindern könnten. Ihm muss die Möglichkeit verbleiben, dem Rechtsverlust durch eigenes Handeln entgegenzuwirken.

4. Es liegt auch ein eilbedürftiger Sachverhalt vor. Der Urkundsnotar ist, sofern nicht alle Beteiligten die Aussetzung des Vollzugs beantragen, zur Vollziehung des beurkundeten Vertrages verpflichtet. Wann alle Umschreibungsvoraussetzungen vorliegen werden, ist nicht sicher zu prognostizieren, dies kann sehr kurzfristig der Fall sein. Angesichts des dann drohenden Rechtsverlustes, der bei einer Weiterveräußerung des Grundstückes irreversibel wäre, kann der Verfügungskläger nicht auf den normalen Klageweg verwiesen werden. Ein solcher Rechtsstreit allein würde den Vollzug nämlich nicht hemmen. Auch § 926 ZPO lässt die Eilbedürftigkeit nur dann entfallen, wenn die gesetzte Klagefrist nicht gewahrt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Da auch eine Bestätigung einer einstweiligen Verfügung aus sich heraus vollstreckbar ist, bedarf es keiner Anordnung der sofortigen Vollstreckbarkeit, Zöller-Vollkommer § 925 Rn. 7.

 

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