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von U-Bahn erfasst – Bein amputiert – Schmerzensgeld


Oberlandesgericht Düsseldorf

Az: 1 U 68/12

Urteil vom 30.08.2013


Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das am 26.01.2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Klägerin, der Abweisung der Klage im Übrigen und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, die die Beklagte zu 1) ab dem 23.08.2007 und die Beklagten als Gesamtschuldner ab dem 07.05.2009 zu entrichten haben.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin fortlaufend ab dem 01.12.2005 – lebenslang – eine jeweils zum 1. eines Monats fällige Schmerzensgeldrente in Höhe von monatlich 228,00 EUR zu zahlen.Für die monatlich bis zum 30.08.2013 fällig gewordenen Rentenbeträge haben die Beklagte zu 1) seit dem 23.08.2007, die Beklagten sodann als Gesamtschuldner seit dem 07.05.2009 Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 2/3 des materiellen Schadens zu ersetzen, der ihr aus dem Verkehrsunfall vom 03. November 2005 in D künftig noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 den immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Verkehrsunfall vom 03. November 2005 in Düsseldorf künftig entstehen wird.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 1/3, die Beklagten zu 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Gründe

Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche der Klägerin aufgrund eines Unfallereignisses am 03.11.2005 in D. Gegen 13.30 Uhr wurde die am 02.07.1994 geborene Klägerin im Bereich der Fußgängerfurt der oberirdischen U-Bahnhaltestelle L von einem sich der Haltestelle annähernden U-Bahnzug erfasst, über mehrere Meter mitgeschleift und hierdurch erheblich verletzt. Die Beklagte zu 1) war die Betriebsunternehmerin des U-Bahnzuges, der Beklagte zu 2) zum Unfallzeitpunkt dessen Fahrer.

Auf beiden Seiten der Haltstelle L befinden sich Bahnsteige, rechts und links der Bahnsteige verläuft die in beiden Fahrtrichtungen zweispurige L. Passanten steht im Haltestellenbereich zum Queren der Gleise eine Fußgängerfurt zur Verfügung, an deren Ende sich jeweils mit Lichtzeichenanlagen versehene Fußgängerüberwege über die L anschließen. Die Haltestelle verfügte zum Unfallzeitpunkt auf beiden Seiten der Fußgängerfurt über jeweils zwei in unterschiedlichen Höhen angebrachte, die Annäherung von U-Bahnzügen signalisierende Blinkleuchten. Eine Abstimmung zwischen diesen Signallichtern und der Lichtzeichenanlage des Fußgängerüberwegs der L bestand nicht.

Am Unfalltag verließ die Klägerin von der Schule kommend einen stadtauswärts fahrenden U-Bahnzug an der Haltestelle L, um ihren Heimweg zu Fuß fortzusetzen. Hierzu beabsichtigte sie, die in beiden Fahrtrichtungen verlaufenden Schienen im Haltestellenbereich unter Nutzung der hierfür eingerichteten Fußgängerfurt zu überqueren. Sie betrat die Fußgängerfurt und wurde, nachdem sie die stadtauswärts führenden Gleise passiert hatte, etwa mittig der Furt von dem aus der Gegenrichtung herannahenden U-Bahnzug erfasst. Der Beklagte zu 2) hatte zuvor eine Gefahrenbremsung eingeleitet.

Aufgrund ihrer unfallbedingten Verletzungen schwebte die Klägerin in akuter Lebensgefahr und lag elf Tage im Koma. Da sich das rechte Bein der Klägerin im Radlauf der Vorderachse des Triebwagens eingedreht hatte, musste es aufgrund der hierdurch entstandenen, erheblichen Verletzungen auf Höhe der Hüfte amputiert werden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 2) habe sich mit überhöhter Geschwindigkeit dem Haltestellenbereich genähert. Da diese Geschwindigkeitsüberschreitung im Ergebnis als allein unfallursächlich anzusehen sei, müssten die Beklagten für das Unfallereignis vollumfänglich einstehen.

Die Klägerin hat für ihre unfallbedingten Verletzungen die Zahlung eines Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000,00 EUR und eine monatliche Rentenzahlung von 400,00 EUR für angemessen erachtet und beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.11.2005 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, den sie aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 03.11.2005 erlitten hat und noch erleiden wird, soweit diese nicht bereits unter Ziffer 1 erfasst worden sind und soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, dass das Unfallereignis weit überwiegend von der Klägerin verschuldet worden sei, da sie die Fußgängerfurt trotz des deutlich erkennbar herannahenden U-Bahnzuges zu überqueren versucht habe. Soweit ein Verschulden des Beklagten zu 2) überhaupt feststellbar sei, trete dieses hinter das erhebliche Eigenverschulden der Klägerin zurück.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen sowie die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Zeugenvernehmungen wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung des Landgerichts vom 28.01. 2010 (Bl. 208 ff. d. A.) und 04.02.2010 (Bl. 214 ff. d. A.), bezgl. des Ergebnisses des Sachverständigenbeweises auf das unfallanalytischen Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. V vom 26.04.2011 Bezug genommen.

Durch Urteil vom 26.01.2012 hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens der Klägerin am Unfallereignis zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 70.000,00 EUR und einer monatlich zu zahlenden Rente in Höhe von 200,00 EUR verurteilt. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, den sie aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 03.11.2005 erlitten hat und noch erleiden wird, soweit diese nicht bereits von dem zu zahlenden Schmerzensgeld erfasst worden und nicht auf Dritte übergegangen sind.

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Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagten für die Folgen des Unfallereignisses dem Grunde nach einzustehen hätten. Die Haftung der Beklagten zu 1) als Betriebsunternehmerin des U-Bahnzuges folge aus § 1 Abs. 1 HaftPflG, die des Beklagten zu 2) aus § 823 BGB, da er die Klägerin schuldhaft, nämlich fahrlässig, an ihrer Gesundheit geschädigt habe. Die Bremsausgangsgeschwindigkeit des von ihm geführten U-Bahnzuges sei mit 31 km/h zu hoch gewesen und stelle einen Verstoß gegen die interne Dienstanweisung der Beklagten zu 1) dar. Die Dienstanweisung schreibe vor, dass eine Annäherung an eine Haltestelle nur mit max. 30 km/h zulässig sei, sofern sich Fußgänger auf den Haltestelleninseln bzw. im Bereich der Fußgängerfurt befänden. Letzteres sei für den Beklagten bei der Annäherung an die Haltestelle offenkundig erkennbar der Fall gewesen. Darüber hinaus habe der Beklagte zu 2) eingeräumt, Kinder, offensichtlich Schüler, im Rahmen seiner Annäherung an den Haltestellenbereich erkannt zu haben. Da er deren Gefährdung nicht ausgeschlossen habe, sei ihm auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO vorzuwerfen.

Allerdings sei im Zusammenhang mit der Einstandspflicht der Beklagten ein hälftiges Mitverschulden der Klägerin am Unfallereignis zu berücksichtigen, § 254 BGB. Diese habe die Fußgängerfurt trotz des erkennbar herannahenden U-Bahnzuges noch zu überqueren versucht, anstatt zuvor das Einfahren des U-Bahnzuges in den Haltestellenbereich abzuwarten.

Gegen diese Entscheidung wenden sich sowohl die Klägerin als auch die Beklagten unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Vorträge. Beide Parteien vertreten weiterhin die Auffassung, dass die jeweils andere für das Unfallereignis und seine Folgen allein einzustehen habe.

Die Klägerin behauptet, an der Fußgängerfurt zunächst einem Nachlaufsog durch andere Passanten ausgesetzt gewesen zu sein. Entgegen der Feststellung des Landgerichts habe sie die Fußgängerfurt bis zur Kollision auch nicht durchgängig passiert. Vielmehr sei sie in der Fußgängerfurt vor Erreichen der stadteinwärts führenden Schienen stehen geblieben, in Panik geraten und habe sich umgedreht, bevor sie von dem Triebwagen des U-Bahnzuges erfasst worden sei. Dies habe zu einer Verlängerung der Reaktionszeit des Beklagten zu 2) von mindestens drei Sekunden geführt. Auch hätte der Unfall zu wesentlich weniger gravierenden Folgen für sie geführt, wenn der U-Bahnzug mit einer niedrigeren Ausgangsgeschwindigkeit den Haltestellenbereich angefahren hätte.

Sie vertritt die Auffassung, dass die vom Landgericht vorgenommen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile und damit die Höhe des ihr anzurechnenden Mitverschuldens den Gesamtumständen nicht gerecht werde. Das Landgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Beklagte zu 2) gem. § 3 Abs. 2a StVO verpflichtet gewesen sei, seine Geschwindigkeit so weit zu reduzieren, dass eine Gefährdung der von ihm erkannten Kinder ausgeschlossen gewesen wäre. Im Gegensatz dazu sei ihr Verschulden als gering einzustufen. Sie sei zum Unfallzeitpunkt erst 11 Jahre alt und mit der Gesamtsituation, die sich durch regen Betrieb an der Haltestelle und mehrere Erwachsene, die die Fußgängerfurt noch kurz vor ihr passiert und somit eine Sogwirkung entfaltet hätten, überfordert gewesen. Ein etwaiges Verschulden ihrerseits müsse deshalb insgesamt zurücktreten.

Beide Parteien beantragen, das Urteil des Landgerichts abzuändern, die Klägerin unter Wiederholung ihrer erstinstanzlichen Anträge, die Beklagten unter Beantragung der Abweisung der Klage.

Die Beklagten bestreiten, dass vor der Klägerin mehrere Passanten die Fußgängerfurt überquert hätten. Aufgrund der Zeugenaussagen stünde darüber hinaus fest, dass die Klägerin die Fußgängerfurt laufend und nicht, wie vom Sachverständigen alternativ angenommen, schnell gehend zu queren versucht habe. Auch bei Einhaltung der sich aus der Dienstanweisung für den Beklagten zu 2) ergebenden Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h wäre der Unfall für diesen nicht vermeidbar gewesen.

Auch die Beklagten meinen, dass das landgerichtliche Abwägungsergebnis der Verursachungsbeiträge den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht werde. Dem Beklagten zu 2) sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen. So habe er im Rahmen der Annäherung an die Haltestelle die aufgrund der StVO zulässige Geschwindigkeit des U-Bahnzuges von 50 km/h unter Berücksichtigung der internen Dienstanweisung der Beklagten zu 1) auf 31 km/h reduziert. Eine Überschreitung der in der Dienstanweisung vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 1 km/h sei ihm aufgrund des schwer ablesbaren Tachometers des U-Bahnzuges nicht vorzuwerfen. Unabhängig davon entfalte die Dienstanweisung keine Schutzwirkung zugunsten Dritter, so dass sich die Klägerin auf diese nicht berufen könne.

Sie vertreten darüber hinaus die Auffassung, dass dem Beklagten zu 2) kein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 a StVO vorzuwerfen sei. Es fehle an konkreten Umständen, aufgrund derer er nicht von einem verkehrsgerechten Verhalten der sich in seinem Sichtbereich befundenen Kinder habe ausgehen dürfen.

Im Ergebnis lägen keine Umstände vor, die die Betriebsgefahr des U-Bahnzuges erhöht hätten. Aufgrund des erheblichen Verschuldens der Klägerin, die im Falle angemessener Aufmerksamkeit das Unfallgeschehen hätte vermeiden können, trete die Betriebsgefahr des U-Bahnzuges vollständig zurück.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat einen Teilerfolg, der zulässigen Berufung der Beklagten ist ein Erfolg hingegen versagt.

Die Beklagten schulden der Klägerin aufgrund der bei dem Unfallereignis am 03. November 2005 erlittenen Verletzungen und den auf dieses zurückzuführenden Folgen und Beschwerden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 1/3 gesamtschuldnerisch ein Schmerzensgeld in der tenorierten Höhe. Weiterhin schulden sie der Klägerin den Ersatz künftiger materieller und noch nicht vorhersehbarer immaterieller Unfallschäden unter Berücksichtigung des entsprechenden Mitverschuldens der Klägerin, § 1 Abs. 1, 4 u. 6 HaftPflG, §§ 823, 253 Abs. 2, 254 BGB. Das Verschulden des Beklagten zu 2) überwiegt das Mitverschulden der Klägerin deutlich. Es wiegt doppelt so schwer (2/3 zu 1/3).

Der Beklagte zu 2) hat das Unfallereignis verursacht und verschuldet. Die Klägerin hat nachgewiesen, dass er der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht genügt und gegen seine Pflichten aus § 3 Abs. 1 und 2a StVO verstoßen hat. Die vom Beklagten zu 2) zu verantwortende Annäherungsgeschwindigkeit des U-Bahnzuges an den Haltstellebereich war unter Berücksichtigung der die Fußgängerfurt querenden Passanten und der im Haltestellenbereich befindlichen Kinder überhöht. Der Beklagte zu 2) hat im Rahmen seiner Annäherung an den Haltestellenbereich trotz konkreter Anhaltspunkte für ein unbesonnenes und verkehrswidriges Verhalten der von ihm wahrgenommenen Kinder deren Gefährdung nicht ausgeschlossen. Allerdings hat sich die Klägerin ein Mitverschulden am Unfallereignis anspruchsmindernd anrechnen zu lassen, §§ 254, 828 Abs. 3, 276 BGB. Sie hat die Fußgängerfurt bei bestehender intellektueller Einsichtsfähigkeit über die Gefährlichkeit ihres Tuns unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt trotz Annäherung des U-Bahnzuges zu queren versucht.

Im Einzelnen:

1. In tatsächlicher Hinsicht besteht zwischen den Parteien Streit über den Hergang des Unfalls, insbesondere hinsichtlich der Fragen, ob vor der Klägerin Passanten die Fußgängerfurt querten, mit welcher Geschwindigkeit sich die Klägerin bewegte und wie viele Sekunden sich die Klägerin vor der Kollision mit dem Triebwagen auf die aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 2) gesehen linke Seite der Fußgängerfurt begeben hatte.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 159, 254, 258).

Derartige Zweifel sind in Bezug auf die Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil gegeben. Die Feststellungen des Landgerichts sind teilweise unvollständig und bedürfen der Ergänzung. Hierzu war eine erneute Beweisaufnahme nicht erforderlich, da die Aussagen der Zeugen vor dem Landgericht sowie deren Angaben im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens weitere über die des Landgerichts hinausgehende Feststellungen zulassen.

Der Senat ist aufgrund des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme von folgendem Sachverhalt überzeugt:

Die Klägerin erreichte mit dem stadtauswärts fahrenden U-Bahnzug der Linie X die Haltestelle L. Gemeinsam mit mehreren Erwachsenen, so auch den Zeuginnen F-S, L und R sowie den ihr bekannten Mitschülern, den Zeugen C, S und v R, verließ sie die U-Bahn, um ihren Heimweg in Richtung B-straße fortzusetzen.

Mit ihren Mitschülern und den Zeuginnen L und R begab sie sich zur Fußgängerfurt, die über beide Gleisstränge zur anderen Seite der L führt. Ob die Fußgängerampel, die auf der gegenüberliegenden Seite der Fußgängerfurt das Passieren des dortigen Teils der L regelt, zu diesem Zeitpunkt Grün zeigte, ist zwar wahrscheinlich, kann aber nicht mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden.

Nachdem zunächst mehrere Erwachsene die Fußgängerfurt in Richtung B-straße überquerten, bemerkten die sich bei der Klägerin befindlichen Zeugen den aus Richtung B-platz herannahenden U-Bahnzug und blieben deshalb vor der Fußgängerfurt im Haltestellenbereich stehen. Die Klägerin betrat gleichwohl in zügigem Tempo, allerdings nicht rennend, die Fußgängerfurt, um diese in Richtung B-straße zu überqueren. Die an der gegenüberliegenden Seite der Fußgängerfurt im stadteinwärts führenden Haltestellenbereich in den Höhen 1,25 Meter und 2,25 Meter angebrachten Signallichter, die im Falle einer Annäherung eines stadteinwärts fahrenden Straßenbahnzuges im Wechsel aufleuchten, funktionierten ordnungsgemäß und signalisierten das Herannahen eines U-Bahnzuges. Es ist nicht auszuschließen, dass das untere der beiden Signallichter durch vor der Klägerin befindliche Personen verdeckt war.

Der vom Beklagten zu 2) geführte U-Bahnzug näherte sich aus Richtung B-platz stadteinwärts fahrend dem Haltestellenbereich. Die Annäherungsstrecke des U-Bahnzuges verlief über mehrere 100 Meter geradeaus und ermöglichte – auch aufgrund sonnigen Wetters – einen freien Blick auf den im Geradeausverlauf des im Bereich des Schienenweges liegenden Teil der Fußgängerfurt, spätestens 100 Meter vor der Fußgängerfurt auch auf deren rechten und linken Rand. Nachdem der Beklagte zu 2) die Klägerin bemerkte, leitete er bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 31 km/h 10,4 Meter vor der späteren Kollisionsstelle eine Gefahrenbremsung ein. Auch die Klägerin bemerkte den herannahenden U-Bahnzug, vermutlich aufgrund eines von diesem abgegebenen Warntons oder aufgrund von Warnrufen anderer Personen. Sie stoppte ihren Gang, hielt kurz inne und entschied, die Fußgängerfurt nicht weiter zu queren. Stattdessen drehte sie sich um, vermutlich in der Absicht, die Fußgängerfurt wieder zurückzulaufen. Gleichwohl erfasste der U-Bahnzug die Klägerin in der Mitte der Fußgängerfurt rücklings an ihrem Tornister. Da die vom Beklagten zu 2) eingeleitete Gefahrenbremsung erst kurz nach der Kollision wirksam wurde, betrug die Kollisionsgeschwindigkeit des U-Bahnzuges nach wie vor über 30 km/h; er schleifte die Klägerin mit sich, bis er nach 12,5 Metern Bremsweg 14,95 Metern stadteinwärts der Fußgängerfurt etwa mittig des von ihm angesteuerten Bahnsteigs der Haltestelle zum Stehen kam.

Diese Feststellungen, insbesondere zu dem von der Klägerin eingelegten Halt vor Erreichen der stadteinwärts führenden Gleise, beruhen zunächst auf den Angaben der Zeugen C, S, v R und R, die diese im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und vor dem Landgericht Düsseldorf gemacht haben sowie den – weitgehend unstreitigen – Ergebnissen des unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen V.

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist festzustellen, dass unmittelbar vor der Klägerin Passanten die Fußgängerfurt querten. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der entsprechenden Angaben der Zeugen C, S und v R fest. Diese Zeugen haben sich unmittelbar bei der Klägerin befunden, bevor diese die Fußgängerfurt betrat. Auch spricht die Gesamtsituation – das Aussteigen vieler Fahrgäste aus dem gerade die Haltestelle angefahrenen U-Bahnzug – für entsprechende Querungsvorgänge anderer gerade angekommener Fahrgäste.

b) Ebenso steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin bei dem Querungsversuch der Fußgängerfurt stoppte und sich vor der Kollision mit dem U-Bahnzug umdrehte. Sowohl die unmittelbar hinter der Klägerin befindlichen Zeugen C und S haben übereinstimmend angegeben, dass die Klägerin beim Überqueren der Fußgängerfurt im Bereich der stadteinwärts führenden Gleise gestoppt habe. Die Zeugin v R, die sich ebenfalls unmittelbar hinter der Klägerin befand sowie die Zeugin R, die das Geschehen von der gegenüberliegenden Haltestelle beobachtete, haben darüber hinaus beschrieben, dass sich die Klägerin bei Erreichen der stadteinwärts führenden Gleise umgedreht habe. Auch die Zeugin L hat bekundet, dass die Klägerin zumindest eine durch aktive Bewegung veranlasste Richtungsänderung vorgenommen habe. Da darüber hinaus der Sachverständige V im Rahmen seines Gutachtens aus unfallanalytischer Sicht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Klägerin von dem U-Bahnzug im Bereich ihres Tornisters erfasst worden sei (Bl. 30 und 41 d. Gutachtens) und ein sich Umdrehen vor der Kollision auch den Schilderungen der Klägerin selbst entspricht, bestehen keine Zweifel an einem entsprechenden Ablauf.

c) Keine sicheren Feststellungen lassen sich jedoch zur Bewegungsgeschwindigkeit der Klägerin im Rahmen ihrer Überquerung der Fußgängerfurt treffen. Die diesbezüglichen Angaben der Zeugen zeigen Differenzen. Aufgrund der Angaben der Zeugen kann jedoch ausgeschlossen werden, dass sich die Klägerin unter Bezugnahme auf der dem Sachverständigengutachten V beigefügten Weg-Geschwindigkeitsübersicht (Mädchen 11-12 Jahre) außerhalb eines Geschwindigkeitsbereichs von „schnell gehen“ bis „laufen“ bewegte. Die Zeugen beschreiben die Bewegungsgeschwindigkeit der Klägerin am häufigsten mit „gehen“ oder „laufen“, lediglich die Zeugin F-S gab an, die Klägerin habe die Fußgängerfurt „rennend“ versucht zu überqueren. Im Hinblick auf den Umstand, dass der Schwerpunkt der Bewegungsschilderungen im Bereich von „gehen“ und „laufen“ liegt, kein weiterer Zeuge Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Bewegungsgeschwindigkeit der Klägerin beschreibt und die Querung einer Fußgängerfurt dem Grunde nach eher einer zügigeren Bewegung unterliegt, ist am ehesten von einem „schnellen Gehen“ der Klägerin auszugehen, ein „Laufen“ jedoch gleichfalls denkbar.

d) Der von der Klägerin behauptete Ablauf, sie habe sich aufgrund des Anfahrens der von ihr zuvor genutzten Bahn erschrocken und sei in Panik geraten, kann hingegen nicht mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden. Entsprechende Hinweise ergeben sich nur aus der Aussage des Zeugen S. Andere entsprechende Zeugenaussagen oder Anhaltspunkte, insbesondere für ein Anfahren des von der Klägerin zuvor genutzten U-Bahnzuges vor der Kollision, bestehen nicht. So hat die Zeugin S als Fahrerin des von der Klägerin zuvor genutzten U-Bahnzuges keine entsprechenden Angaben gemacht. Auch die Aussagen der anderen Zeugen bieten für eine entsprechende Feststellung keine Grundlage.

2. Die Beklagten sind für die bei der Klägerin eingetretenen Folgen des Unfallereignisses dem Grunde nach einstandspflichtig.

a) Die Beklagte zu 1) haftet als Betriebsunternehmerin für die der Klägerin aufgrund des Unfallereignisses entstandenen materiellen und immateriellen Schäden gem. §§ 1 Abs. 1, 6 HaftPflG dem Grunde nach, da die Klägerin beim Betrieb einer Schiebenbahn der Beklagten zu 1) verletzt wurde. Die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss gem. § 1 Abs. 2, 13 Abs. 4 HaftPflG liegen nicht vor. Im Hinblick auf den Haftungsumfang ist ein Mitverschulden der Klägerin gem. § 4 HaftPflG zu berücksichtigen.

b) Eine Haftung der Beklagten zu 1) aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB hat das Landgericht aus zutreffenden Erwägungen verneint, da sich die Beklagten zu 1) gem. § 831 Abs. 1 S. 2 exkulpiert hat. Ausweislich der erstinstanzlichen Feststellungen hat die Beklagte zu 1) den Beklagten zu 2) in ausreichender Form ausgewählt und überwacht, insbesondere auch durch verdeckte Kontrollfahrten (vgl. KG Berlin, Urteil vom 02.09.2002, Az. 12 U 1969/00, Rn. 91 ff., zitiert nach juris). Diese erstinstanzlichen Feststellungen und der hieraus folgende Haftungsausschluss gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB werden von der Klägerin mit der Berufung auch nicht angegriffen.

c) Die Haftung des Beklagten zu 2) findet ihre Grundlage in §§ 823 Abs. 1 u. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, § 253 Abs. 2 BGB, da ihm die Klägerin einen schuldhaften Verstoß gegen eine Verkehrspflicht, hier gegen § 3 StVO, nachgewiesen hat. Eines entsprechenden Nachweises bedurfte es, da das Haftpflichtgesetz eine § 18 Abs. 1 StVG entsprechende Beweislastnorm nicht kennt (vgl. KG Berlin, Urteil vom 02.09.2002, Az. 12 U 1969/00, Rn. 42, zitiert nach juris, m. w. N.). Auch im Hinblick auf die Haftung des Beklagten zu 2) hat ein Mitverschulden der Klägerin gem. § 254 BGB Berücksichtigung zu finden.

3. Der Beklagte zu 2) hatte im Rahmen der Annäherung an den Haltestellenbereich die Normen der Straßenverkehrsordnung zu beachten.

a) Gem. § 55 Abs. 1 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab), deren Anwendung für den Betrieb der Beklagten zu 1) zwischen den Parteien weder in Streit steht noch im Hinblick auf § 1 Abs. 1 BOStrab fraglich erscheint, gelten die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung für Züge, die auf straßenbündigen Bahnkörpern am Straßenverkehr teilnehmen. Gem. § 16 Abs. 5 BOStrab handelt es sich um straßenbündige Bahnkörper, wenn diese mit ihren Gleisen in Straßenfahrbahnen oder Gehwegflächen eingebettet sind. Hingegen handelt es sich gem. § 16 Abs. 6 um besondere Bahnkörper i. S. d. § 16 Abs. 4 Nr. 2 BOStrab, wenn diese im Verkehrsraum öffentlicher Straßen liegen, jedoch vom übrigen Verkehr durch Bordsteine, Leitplanken, Hecken, Baumreihen oder andere ortsfeste Hindernisse getrennt sin d. Gem. § 55 Abs. 3 BOStrab nehmen u. a. Züge auf besonderen Bahnkörpern einschließlich der Bahnübergänge nach § 20 BOStrab nicht am Straßenverkehr teil.

Hier ist hinsichtlich der Streckenführung zur Haltestelle L vom Vorliegen eines besonderen Bahnkörpers i. S. d. § 16 Abs. 4 Nr. 2 BOStrab auszugehen. Dies ergibt sich aus den dem Gutachten des Sachverständigen V beigefügten Lichtbildern. Auf diesen ist zu erkennen, dass die Bahnkörper vom übrigen Verkehr sowohl durch einen Bordstein, einen Grünstreifen als auch einen Metallzaun abgegrenzt sind.

Der Führer einer Straßenbahn hat jedoch auch dann, wenn er einen besonderen Gleiskörper benutzt, im Bereich von nicht durch ein Andreaskreuz gekennzeichneten Gleiskörperübergängen ohne Rücksicht auf sein Vorfahrtrecht die Vorschriften der StVO zu beachten. Wenn kein Andreaskreuz aufgestellt ist, wird dadurch klargestellt, dass die Straßenbahn am allgemeinen Straßenverkehr teilnimmt. Insoweit gilt die BOStrab nicht (vgl. KG, a. a. O. m. w. N.). Dass im relevanten Gleisbereich Andreaskreuze aufgestellt waren, wird von der Beklagten zu 1) weder behauptet noch ergeben sich aus den zu den Akten gereichten Lichtbildern entsprechenden Erkenntnisse.

b) Der Dienstanweisung der Beklagten zu 2) kommt in Bezug auf die Vorschriften der StVO ein konkretisierender Charakter zu. Zum Erlass von Dienstanweisungen ist nach § 8 Abs. 2 BOStrab jeder Betriebsleiter eines Straßenbahnunternehmens verpflichtet. Soweit sie Bestimmungen über das Verhalten des Straßenbahnfahrers im Verkehr enthält, schafft sie kein neues Recht, sondern erläutert nur die Vorschriften der StVO und konkretisiert die sich aus ihr und anderen Gesetzen ergebenden allgemeinen Verhaltenspflichten des Straßenbahnpersonals (vgl. BGH, Urteil vom 05.11.1974, Az. VI ZR 91/73).

4. Der Beklagte zu 2) hat seine in § 3 Abs. 1 und § 3 Abs. 2a StVO normierten Verhaltenspflichten im Rahmen der Annäherung an die Unfallstelle schuldhaft verletzt.

a) Der Führer eines U-Bahn- oder Straßenbahnzuges ist nach § 3 Abs. 1 StVO verpflichtet, seine Fahrgeschwindigkeit den Verkehrsverhältnissen anzupassen. Sobald er wahrnimmt, dass sich ein Verkehrsteilnehmer, also auch ein Fußgänger, in eine gefahrenträchtige Situation begibt, muss er grundsätzlich seine Geschwindigkeit so vermindern, dass er den Straßenbahnzug noch vor der Gefahrenstelle anhalten kann. Erforderlichenfalls hat er sofort eine Notbremsung einzuleiten (KG Berlin, a. a. O., Rn. 44 unter Hinweis auf BGH, NZW 1991, 114, 115 und BGH NJW 1997, 2756 = NZV 1997, 391 = DAR 1997, 399).

Der Vertrauensgrundsatz ändert an diesem Gebot nichts. Er besagt nur, dass auch der Straßenbahnfahrer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer regel- und interessensgerecht verhalten. Gibt es jedoch konkrete Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer die in ihn gesetzte Erwartung nicht erfüllen wird, ist das Vertrauen erschüttert und der Fahrzeugführer gehalten, auf die Gefahr zu reagieren.

Der Beklagte zu 2) musste also seine Geschwindigkeit vermindern, wenn bei Annäherung an die Haltestelle für dort befindlichen Personen eine Gefahr entstand und konkrete Anhaltspunkte darauf schließen ließen, dass diese oder jedenfalls eine von diesen die im eigenen Interesse gebotene Sorgfalt nicht würden walten lassen.

b) Nach § 3 Abs. 2 a StVO muss sich ein Fahrzeugführer darüber hinaus gegenüber Kindern so verhalten, dass deren Gefährdung ausgeschlossen ist. Er hat dies insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft zu tun. Durch diese Vorschrift ist eine gegenüber dem Regelfall erhöhte Sorgfaltspflicht begründet worden, die den Vertrauensgrundsatz weiter einschränkt. Dabei hängt das Ausmaß der erhöhten Sorgfaltspflicht von der für den Fahrzeugführer erkennbaren Altersstufe eines Kindes ab, aus der auf den Grad der Verkehrsreife und den Umfang der bereits erfolgten Verkehrserziehung geschlossen werden kann. Bei Kindern ab zehn Jahren darf gem. § 828 Abs. 3 BGB widerleglich vermutet werden, dass sie den geltenden Verkehrsregeln Beachtung schenken können. Bei diesen älteren Kindern muss sich ein Fahrzeugführer daher nur dann auf die Möglichkeit eines unbesonnenen und verkehrswidrigen Verhaltens einstellen, wenn besondere Umstände auf eine solche Möglichkeit hindeuten. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich ein Kind bereits verkehrswidrig verhält oder wenn seine Aufmerksamkeit erkennbar anderweitig in Anspruch genommen ist, etwa durch Spiel oder Beschäftigung mit anderen Kindern. Wenn derartige Umstände vorliegen, so gilt der Vertrauensgrundsatz nicht (KG Berlin, a. a. O., Rn. 45 unter Hinweis auf OLG Stuttgart NZV 1992, 196, 197; OLG Hamm VersR 1993, 454, 455; 1996, 906, 907/908 zu den Pflichten eines Straßenbahnführers; betreffend Betreiber einer Bahn: OLG Frankfurt ZfS 1995, 4, 6; zu den Pflichten eines Kraftfahrzeugführers: vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2000, Az. VI ZR 268/99, Rn. 7, zitiert nach juris; BGH NJW 1997, 2756, 2757 = DAR 1997, 399, 400 = NZV 1997, 391).

Danach muss der Fahrer Vorkehrungen für seine Fahrweise immer dann treffen, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigt, die zu einer Gefährdung führen können. Denn in einer Situation erkennbarer Unklarheit besteht kein Vertrauensschutz (vgl. KG Berlin, a. a. O., Rn. 46 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 01.07.1997, Az. VI ZR 205/96, Rn. 10, zitiert nach juris = NJW 1997, 2756; vgl. auch OLG Hamm VersR 1993, 454).

c) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Beklagte zu 2) im Rahmen seiner Annäherung an den Haltestellenbereich aufgrund der sich aus den Gegebenheiten ergebenden unklaren Gesamtsituation zu schnell gefahren und hat schuldhaft eine Gefährdung der Klägerin verursacht.

aa) Unstreitig hat der Beklagte zu 2) im Rahmen seiner Annäherung an den Haltestellenbereich zunächst Passanten die Fußgängerfurt queren sehen und im Rahmen seiner weiteren Annäherung auch im Bereich der Fußgängerfurt Kinder wahrgenommen. Entsprechende Wahrnehmungen waren dem Beklagten zu 2) bei der von ihm zu fordernden Aufmerksamkeit auch frühzeitig möglich. Ausweislich der vom Sachverständigen V von der Annäherungsstrecke des Beklagten zu 2) aus dessen Sicht gefertigten Lichtbilder lag die Fußgängerfurt der Haltestelle bereits mehrere 100 Meter im geradeaus verlaufenden Blickfeld des Beklagten zu 2). Personen, die diese überquerten, waren – auch aufgrund der guten Wetterbedingungen am Unfalltag – bereits frühzeitig zu erkennen. Spätestens 100 Meter vor Erreichen der Fußgängerfurt waren auch deren rechter und linker Rand deutlich einsehbar und damit auch sich dort befindliche Personen erkennbar. Spätestens 80 Meter vor Erreichen der Fußgängerfurt war es ausweislich der auf den vom Sachverständigen gefertigten Lichtbilder, auf denen auch Personen im Bereich der Haltestelle und der Fußgängerfurt abgebildet sind, möglich, eine Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Kindern vorzunehmen.

bb) Der Beklagte zu 2) durfte aufgrund der Summe der Auffälligkeiten an der Haltestelle nicht darauf vertrauen, dass sich die Kinder verkehrsgerecht verhalten werden. Die sich dem Beklagten zu 2) im Rahmen seiner Annäherung im Bereich der Haltestelle darstellende Gesamtkonstellation wies mehrere Merkmale einer gefahrenträchtigen Situation auf.

Zum einen befanden sich an der Haltestelle eine Vielzahl von Fahrgästen, die einen gerade eingefahrenen U-Bahnzug verlassen hatten und von denen mehrere eine an den Haltestellenbereich unmittelbar angrenzende Fußgängerfurt nutzten bzw. unmittelbar zu nutzen beabsichtigten. Diese war weder durch Schranken noch durch Schutzgitter abgesichert, nur einfarbige Lichtzeichen wiesen auf die Annäherung eines U-Bahnzuges hin.

Zum anderen waren – wie in um die Mittagszeit nicht anders zu erwarten – Kinder und Jugendliche im Bereich der Haltestelle unterwegs, die ihrerseits den Schienenbereich queren konnten. Es lag nahe, dass diese sich nach Schulschluss nicht der im Verkehr erforderlichen Aufmerksamkeit befleißigen könnten. Besondere Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Gefahr umso größer einzuschätzen war, als von den erwachsenen Passanten, die sich unmittelbar vor den Kindern – trotz des herannahenden U-Bahnzuges – zum Queren der Fußgängerfurt entschlossen hatten, eine erhebliche Sogwirkung ausging. Das Risiko, dass eines der im Haltestellenbereich anwesenden Kinder aufgrund des Begehens der Fußgängerfurt durch einen Erwachsenen annahm, die Fußgängerfurt ebenfalls noch queren zu können, war hoch. Weiter bestand die Gefahr, dass eines der Kinder durch die Anwesenheit der anderen Kinder abgelenkt und sich aufgrund der in solchen Situationen typischen gruppendynamischen Prozesse nicht in dem gebotenen Maße auf die Verkehrssituation konzentrieren würde.

cc) Vor diesem Hintergrund war die vom Beklagten zu 2) gewählte Annäherungsgeschwindigkeit an den Haltestellenbereich von 31 km/h zu hoch, um eine Gefährdung der anwesenden Kinder und damit auch der Klägerin auszuschließen. Der Beklagte zu 2) hätte bereits nach Wahrnehmung von die Fußgängerfurt querenden Personen, die ihm bereits mehrere 100 Meter vor Erreichen der Fußgängerfurt möglich war, den Haltestellenbereich besonders intensiv beobachten müssen. Spätestens 100 Meter vor der Fußgängerfurt, als für ihn nach wie vor querende Personen erkennbar waren, hätte er seine Annäherungsgeschwindigkeit deutlich herabsetzen müssen. Spätestens 80 Meter vor der Fußgängerfurt, als für ihn auch die Kinder erkennbar waren, die die Furt zu queren beabsichtigten, hätte er seine Annäherungsgeschwindigkeit schließlich soweit reduzieren müssen, dass er die Fußgängerfurt nur noch im Schritttempo erreichte und durch eine Bremsung den U-Bahnzug noch vor deren Beginn zum Stillstand bringen konnte.

dd) Die Beklagten haben keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen noch sind solche ersichtlich, aufgrund derer der Beklagte zu 2) davon ausgehen konnte oder durfte, dass eine Gefährdung der Kinder im Bereich der Fußgängerfurt im Falle einer Annäherung mit unverminderter Geschwindigkeit von 31 km/h ausgeschlossen gewesen wäre. Hierzu hätte es eines Augenkontaktes des Beklagten zu 2) mit den an der Fußgängerfurt stehenden Kindern oder von diesen ausgehende anderweitige Signale bedurft, aufgrund derer er hätte sicher annehmen dürfen, dass sie seine Annäherung wahrgenommen und sein Einfahren in den Haltestellenbereich vor einer Querung der Fußgängerfurt abwarten würden.

ee) Diese grundsätzlichen Anforderungen an die seitens eines Straßenbahnführers zu berücksichtigenden Geschwindigkeiten bei der Annäherung an einen Haltestellenbereiches stellen keine übermäßige Beeinträchtigung der Interessen an der Aufrechterhaltung des öffentlichen Nahverkehrs oder des fließenden Verkehrs dar. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass im Falle des Anfahrens einer Haltestelle ein Anhalten des U-Bahn- oder Straßenbahnzuges bei Erreichen der Haltestelle erfolgt. Die somit erforderliche Reduzierung der Geschwindigkeit des Zuges vor der Einfahrt in den Haltestellenbereich wird durch die vorgenannten Verhaltensanforderungen lediglich vorverlegt bzw. der Bremsvorgang für die letzten Meter des Anfahrens an eine Haltestelle gestreckt. Es mag zutreffen, dass insbesondere die Annäherung an Haltestellen unter Reduzierung der Geschwindigkeit bis auf Schritttempo die Fahrtzeiten von Straßenbahnen und U-Bahnzügen im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs geringfügig verlängert. Dies stellt aber eine im Hinblick auf den sowieso erfolgenden Halt einerseits und den Schutz der körperlichen Unversehrtheit insbesondere von Kindern andererseits eine hinzunehmende Einschränkung dar, was bereits aufgrund der Bedeutung der jeweiligen Rechtsgüter und Interessengesichtspunkte auf der Hand liegt. Insbesondere aber entspricht es der Intention des Gesetzgebers, die dieser durch die Aufnahme von § 3 Abs. 2a in die StVO zum Ausdruck gebracht hat.

ff) Der Senat geht mangels gegenteiliger Feststellungen zu Gunsten des Beklagten zu 2) davon aus, dass er von der fehlenden Abstimmung zwischen den Warnlichtern, die das Herannahen des U-Bahnzuges ankündigten, und der Lichtzeichenanlage für Fußgänger auf der L keine Kenntnis hatte. Denn sollte er über entsprechende Informationen verfügt haben, wäre den an ihn gerichteten Reaktionsaufforderungen eine noch höhere Deutlichkeit immanent gewesen.

5. Dieses regelwidrige Verhalten des Beklagten zu 2) war auch unfallursächlich. Hätte der Beklagte zu 2) seine Geschwindigkeit im Rahmen der Annäherung an die Haltestelle so weit reduziert, dass er die Fußgängerfurt nur noch mit Schrittgeschwindigkeit erreichte, wäre es ihm auch möglich gewesen, die Bahn kollisionsvermeidend anzuhalten.

Ausweislich des Sachverständigengutachtens reagierte der Beklagte zu 2) ca. 10,4 Meter vor der späteren Anprallstelle auf die Klägerin, nachdem diese sich auf die Fußgängerfurt begeben hatte. Um zu diesem Zeitpunkt die Kollision noch vermeiden zu können, hätte er die Geschwindigkeit nach den Feststellungen des Sachverständigen bereits auf 15 km/h respektive 25 km/h reduziert haben müssen (Bl. 42 des Gutachtens vom 26.04.2012). Um schon zu Beginn der 4 m breiten Fußgängerfurt die gebotene Schrittgeschwindigkeit zu erreichen, hätte der Beklagte zu 2) die Geschwindigkeit im Reaktionszeitpunkt noch weiter reduziert haben müssen. Demgemäß wäre es ihm bei der gebotenen Annäherung mit Schrittgeschwindigkeit ohne Weiteres möglich gewesen, die Bahn rechtzeitig zum Stehen zu bringen.

6. Unabhängig davon – im Hinblick auf das in Ziffer 5 festgestellte Verschulden nicht mehr entscheidend – war die Reaktion des Beklagten zu 2) auf die die Fußgängerfurt betretende Klägerin aber auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Annäherungsgeschwindigkeit von 31 km/h verspätet. Aufgrund der anzunehmenden Aufenthaltsdauer der Klägerin auf der Fußgängerfurt hätte der Beklagte zu 2) ausweislich des Sachverständigengutachtens früher auf deren Betreten der Furt reagieren müssen.

Zugunsten des Beklagten ist dieser Betrachtung eine „laufende“ Bewegungsgeschwindigkeit der Klägerin auf der Fußgängerfurt zugrunde zu legen. Ausweislich des Sachverständigengutachtens benötigte die Klägerin „laufend“ für die von ihr zurückgelegte Strecke auf der Furt bis zur Kollisionsstelle 1,4 Sekunden (Bl. 33 d. Gutachtens). Jedoch ist aufgrund der Feststellungen weiter davon auszugehen, dass die Klägerin vor der Kollision stoppte, kurz innehielt und sich umdrehte, bevor sie durch den U-Bahnzug erfasst wurde. Die Zeitspanne, die sie sich auf der Fußgängerfurt aufhielt, wurde somit um die Dauer des Anhaltens, Innehaltens und sich Umdrehens verlängert. Mithin ist davon auszugehen, dass sich die Klägerin für einen Zeitraum von 1,4 Sekunden (Bewegungsgeschwindigkeit „laufen“) zzgl. der Zeit für Stoppen, Innehalten und Umdrehen auf der Furt befand. Letztere Zeitdauer ist mit mindestens 1,5 Sekunden zu bemessen, so dass sich die Klägerin insgesamt mindestens 2,9 Sekunden auf der Fußgängerfurt befand, bevor es zur Kollision kam.

Diese Verweildauer entspricht annähernd dem Zeitraum, den der Sachverständige für den Fall ermittelt hat, dass sich die Klägerin „gehend“ auf der Furt bewegte, nämlich 2,8 Sekunden (Bl. 34 d. Gutachtens). Für diese Bewegungsgeschwindigkeit der Klägerin und damit einen Aufenthalt der Klägerin auf der Furt von 2,8 Sekunden hat der Sachverständige aber festgestellt, dass die Reaktion des Beklagten zu 2) auf die die Furt betretende Klägerin verspätet war (Bl. 34 d. Gutachtens).

Ausweislich des Sachverständigengutachtens wäre das Unfallereignis bei der vom Beklagten zu 2) gewählten Annäherungsgeschwindigkeit von 31 km/h aber selbst bei einer nicht verspäteten Reaktion des Beklagten zu 2) selbst unter Zugrundelegung eines durchgängigen – also ohne Verweilen – erfolgenden Begehens der Furt mit der Geschwindigkeit „gehen“ zeitlich nicht vermeidbar gewesen (Bl. 35 d. Gutachtens). Auch dies verdeutlicht, dass die Annäherungsgeschwindigkeit des Beklagten zu 2) überhöht war, da er den U-Bahnzug selbst dann nicht mehr hätte anhalten können, wenn ein Kind die Fußgängerfurt im Rahmen seiner Annäherung noch „gehend“ zu queren versucht hätte.

Im Rahmen der Haftung der Beklagten ist jedoch ein Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen, § 254 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat unter Verstoß gegen § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 StVO die Fußgängerfurt zu queren versucht, obwohl sich deutlich erkennbar ein vorfahrtsberechtigter U-Bahnzug der Fußgängerfurt näherte, Warnsignale an der Haltestelle dessen Annäherung ankündigten und auf die entsprechende Gefahr aufmerksam machten. Trotz ihres Alters von erst elf Jahren war sie in der konkreten Situation sich und anderen gegenüber für ihr Handeln verantwortlich, § 828 Abs. 3 BGB.

1. Gem. § 828 Abs. 3 BGB ist, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und dessen Verantwortlichkeit nicht gem. § 828 Abs. 1 und 2 BGB ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nur dann nicht verantwortlich, wenn er bei Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Es besitzt derjenige die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB, der nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein. Auf die individuelle Fähigkeit, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, kommt es insoweit nicht an (BGH, Urteil vom 30.11.2004, Az. VI ZR 335/03, Rn. 10, zitiert nach juris = NJW 2005, 354 m. w. N.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen der Einsichtsfähigkeit trägt der in Anspruch genommene Minderjährige; ab dem Alter von 7 Jahren wird deren Vorliegen vom Gesetz widerlegbar vermutet (BGH, a. a. O.).

2. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfallereignisses elf Jahre alt. Gem. § 828 Abs. 3 BGB war sie somit anderen und sich selbst gegenüber insoweit verantwortlich, als sie die zur Erkenntnis der Verantwortung erforderliche Einsicht besaß. Diese gesetzliche Vermutung für Personen zwischen dem 10. und dem 18. Lebensjahr hat die Klägerin nicht widerlegt. Welche Sorgfalt von einem Jugendlichen zu fordern ist, richtet sich danach, was ein normal entwickeltes Kind gleichen Alters hätte vorhersehen können (vgl. KG Berlin, a. a. O., Rn. 99 m. w. N.).

Es fehlt vorliegend an Anhaltspunkten dafür, dass die Klägerin grundsätzlich nicht in der Lage gewesen wäre, die sich aus der Annäherung des U-Bahnzuges resultierenden Gefahren wahrzunehmen, zu erkennen und deshalb von einer Querung der Fußgängerfurt Abstand zu nehmen. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin um ein altersgemäß entwickeltes Kind handelte. Darüber hinaus spricht der Umstand, dass die Klägerin die ihrer Altersstufe entsprechende Klasse eines Gymnasiums besuchte, gegen eine nicht altersgerechte Entwicklung ihrer intellektuellen Fähigkeiten. Weiterhin ist auch nicht davon auszugehen, dass die Eltern der Klägerin sie ihren täglichen Schulweg unbeaufsichtigt hätten absolvieren lassen, wenn für sie Anhaltspunkte vorgelegen hätten, dass ihre Tochter mit den in diesem Zusammenhang bestehenden Gefahren des Straßenverkehrs grundsätzlich überfordert gewesen wäre. Dies gilt auch für den von der Klägerin angeführten Umstand, dass sie sich an der Haltestelle mit einer Situation konfrontiert sah, in der mehrere Erwachsene die Fußgängerfurt trotz des herannahenden U-Bahnzuges noch querten und sich die Klägerin einer hieraus resultierenden „Sogwirkung“ ausgesetzt sah. Solche Umstände stellen an einer Haltestelle keine außergewöhnliche Gesamtsituation dar, auf die ein Kind im Alter der Klägerin nicht hätte gefahrvermeidend reagieren können. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die teils gleichalten Mitschüler der Klägerin, die Zeugen S und C, aber sogar die noch jüngere Zeugin v R, die sich in der identischen Verkehrssituation befanden, zu einem Verbleiben auf dem Haltestellenbereich und gegen ein Queren der Fußgängerfurt entschieden haben, da sie, so die Zeugen S und C, den herannahenden U-Bahnzug wahrgenommen und ein Queren der Fußgängerfurt als zu gefährlich eingeschätzt hatten. Darüber hinaus war für die Klägerin zumindest eines der im gegenüberliegenden Haltestellenbereich angebrachten Warnlichter, die ein Herannahen einer Straßenbahn signalisierten, erkennbar.

Soweit die Klägerin behauptet, ihr Handeln sei auf eine – ihrer Auffassung nach im Ergebnis den Schuldvorwurf entfallen lassende – instinktive Reaktion aus Furcht vor Gefahr aufgrund des Anfahrens des von ihr zuvor genutzten U-Bahnzuges zurückzuführen, vermag dies nicht zu überzeugen. Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass der U-Bahnzug, mit dem sie den Haltstellenbereich erreicht hatte, während ihrer Querung der Fußgängerfurt tatsächlich anfuhr. Entscheidend ist jedoch, dass die Vorwerfbarkeit ihres Handelns in dem Entschluss zu sehen ist, die Fußgängerfurt überhaupt zu begehen, obwohl sich der vom Beklagten zu 2) geführte U-Bahnzug erkennbar näherte.

3. Eine Abwägung der Verursachungsbeiträge bei Berücksichtigung aller Umstände, § 254 BGB, führt zu einer Mithaftung der Klägerin in Höhe von 1/3. Die dem Grunde nach bereits hohe Betriebsgefahr des U-Bahnzuges war aufgrund der dem Beklagten zu 2) vorzuwerfenden Verkehrsverstöße deutlich erhöht. Jedoch ist auch der von der Klägerin begangene Verkehrsverstoß von nicht unerheblichem Gewicht. Die Klägerin hätte das Unfallereignis bei dem von ihr zu erwartenden verkehrsgerechten Verhalten durch ein Warten an der Fußgängerfurt bis zum Einfahren des U-Bahnzuges vermeiden könne. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Einhaltung der Vorfahrtsregeln zu den grundlegenden Verkehrsvorschriften zählt. Es muss auch von einem elfjährigen Kind, das in einer Großstadt lebt und regelmäßig am Straßenverkehr teilnimmt, erwartet werden, diese zu beherrschen. Dies gilt insbesondere, wenn die Verkehrssituation – wie vorliegend – unschwer erkennbar ist (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 24.04.2012, Az. 4 U 131/11, Rn. 44, zitiert nach juris = NJW 2012, 3245). Der vom Beklagten zu 2) geführte U-Bahnzug war bereits von Weitem zu sehen und auf seine Annäherung wurde durch Warnleuchten hingewiesen.

Jedoch ist im Zusammenhang mit der Gewichtung des Mitverschuldens der Klägerin auch zu berücksichtigen, dass sie zum Unfallzeitpunkt erst 11 Jahre und 4 Monate alt war. Sie hatte die in § 828 Abs. 2 BGB normierte Altersgrenze der Vollendung des zehnten Lebensjahres, ab der eine Verantwortlichkeit für eine Fehleinschätzung der Verkehrssituation – von vorsätzlichem Handeln abgesehen – erst angenommen wird, noch nicht lange überschritten. Auch ist der Gesamtsituation dahingehend Rechnung zu tragen, dass die kindlichen Eigenheiten, insbesondere die jungen Menschen wesenseigene Impulsivität, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und gruppendynamische Verhaltensweise, welche bei der typisierenden Betrachtungsweise des § 828 Abs. 2 BGB Kinder unter zehn Jahren an der hinreichenden Einschätzung der aus dem Straßenverkehr resultierenden Gefahren hindert, nicht gewissermaßen punktuell mit dem Erreichen des zehnten Lebensjahres abgestellt werden (vgl. OLG Saarbrücken a. a. O.). Ebenso bedarf es der Beachtung, dass die Klägerin am Haltestellenbereich einer Sogwirkung anderer Passanten ausgesetzt war und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Fußgängerampel der L zum Zeitpunkt des Betretens der Fußgängerfurt im Widerspruch zu den auf die herannahende Bahn hinweisende Warnlichter Grünlicht zeigte.

Somit schulden die Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers von 1/3, §§ 1 Abs. 1, 4, 6 HaftPflG, §§ 823 Abs. 1 u. 2, 840, 253 Abs. 2, 254 Abs. 1 BGB, § 287 ZPO.

1. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von seiner Doppelfunktion auszugehen (vgl. BGHZ 18, 149; BGH, Urteil vom 16.02.1993, Az. VI ZR 29/92, Rn. 10, zitiert nach juris; Senat, Urteil vom 03.07.2012, Az. I – 1 U 180/11; KG, DAR 1987, 151 = VerkMitt 1986, 69 = VRS 72, 331, 333). Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung dafür schuldet, was er ihm angetan hat. Der Entschädigungs- und Ausgleichsgedanke steht im Vordergrund. Die wesentliche Grundlage für die Höhe der Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen und Leiden sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit, Übersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufs, die Fraglichkeit der endgültigen Heilung sowie ferner der Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falles.

Bei Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalls wird die Höhe des Schmerzensgeldes in erster Linie – entsprechend der im Vordergrund stehenden Ausgleichsfunktion – durch das Maß der dem Verletzten durch den Unfall zugefügten Lebensbeeinträchtigung bestimmt. Bei der Bemessung der Höhe ist die besondere Natur des Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigen. Diese ist vom Gesetzgeber lediglich formal als Schadensersatzanspruch ausgestaltet, seinem Inhalt nach aber jedenfalls nicht ein solcher der üblichen, d. h. auf den Ausgleich von Vermögensschäden zugeschnittenen Art. Immaterielle Schäden betreffen gerade nicht in Geld messbare Güter, wie im Streitfall die körperliche Unversehrtheit der Klägerin. Daher lassen sie sich niemals in Geld ausdrücken und kaum in Geld ausgleichen. Die Eigenart des Schmerzensgeldanspruchs hat zur Folge, dass dessen Höhe nicht exakt bestimmbar und für jedermann nachvollziehbar begründbar ist. Auch deswegen eröffnet der in § 253 Abs. 2 BGB vorgeschriebene Maßstab der Billigkeit dem Richter einen Spielraum, den er durch eine Einordnung des Streitfalles in die Skala der von ihm in anderen Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder ausfüllen muss (KG, DAR 1987, 151; VerkMitt 1996, 44 Nr. 60; KG NZV 2001, 426, 428; KG, Urteile vom 13. April 2000, Az. 12 U 7999/97; 23. April 2001, Az. 12 U 971/00).

Bei schweren, lebenslangen Dauerschäden kann dem Geschädigten statt eines Kapitalbetrages oder neben diesem eine Rente zuerkannt werden, da sich das Leiden durch die ununterbrochene Konfrontation mit der Beschränkung der Lebenssphäre ständig erneuert (BGH, LM BGB § 847 Nr. 10; VersR 1959, 458; 1968, 946, 947; 1976, 967, 968; Senat, Urteil vom 07.12.2010, Az. I – 1 U 57/10 m. w. N.; KG, NJW-RR 1987, 409 = VersR 1987, 487 Ls = VerkMitt 1986, 69 = VRS 72, 331, 336; VerkMitt 1990, 20). Wird neben einem Kapitalbetrag auch eine Schmerzensgeldrente ausgeurteilt, muss der Kapitalwert der Rente ermittelt werden, da der kapitalisierte Schmerzensgeldbetrag und die Rente nur verschiedene Formen desselben Leistungsgegenstandes sind (BGH, NJW 1998, 3411; NJW 2007, 2475).

2. Die für die Höhe des Schmerzensgeldes maßgebenden unfallbedingte Verletzungen der Klägerin, deren Auswirkungen und die eingetretenen Dauerfolgen sind zwischen Parteien weitgehend unstreitig.

Die Klägerin wurde von dem sie streifenden U-Bahnzug erfasst und mehrere Meter mitgeschleift, wobei sich das rechte Bein der Klägerin im Radlauf der Vorderachse des Triebwagens eindrehte. Erst nachdem die Feuerwehr den Triebwagen des U-Bahnzuges angehoben hatte, konnte die Klägerin unter dem Triebwagen herausgezogen und mit dem Rettungshubschrauber in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik nach D verbracht werden. Sie schwebte in akuter Lebensgefahr und lag elf Tage im Koma. Aufgrund der erheblichen Verletzungen ihres rechten Beines musste dieses auf Höhe der Hüfte amputiert werden. Sie befand sich in der Zeit vom 03.11. bis 23.12.2005 in stationärer Behandlung, danach folgte eine bis mindestens Mai 2006 andauernde ambulante Nachsorge. Im März 2006 erhielt sie ihre erste Beinprothese in Form eines Kunstbeines, das an einem mittels eines Gurtes im Bauchbereich anzuschnallenden Hüftkorbs befestigt wird. Die Klägerin musste durch die Teilnahme an einer Gangschule die Fortbewegung mittels der Prothese erlernen. In den folgenden Jahren kam es zu wiederholten Anpassungen der Prothesen, auch aufgrund des Wachstums der Klägerin.

Seit ihrem elften Lebensjahr ist die Klägerin aufgrund der Amputation ihres rechten Beines in ihrer Lebensführung nachhaltig beeinträchtigt. Sie ist auf ständige Hilfe Dritter angewiesen. Sie kann sich ohne Prothese nur mit zwei Krücken oder einem Rollstuhl selbständig fortbewegen, was zu erheblichen Bewegungseinschränkungen im täglichen Leben führt. Selbst mit ihrer Prothese ist langes Gehen ebenso wenig möglich wie langes Sitzen. Sie muss regelmäßig Krankengymnastik zur Vermeidung von Rückenschmerzen durchführen und kann kaum bewegungsintensiven Sport treiben. Lediglich Schwimmen ist ihr eingeschränkt möglich. Vor dem Unfallereignis spielte die Klägerin Tennis und übte den Reitsport aus. Es sind außerdem keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich ihr Zustand künftig einmal bessern könnte. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass aufgrund der erheblichen Zusatzbelastung des linken Beines der Klägerin mit Folgeschäden zu rechnen ist.

Vor diesem Hintergrund ist es beeindruckend, wie die Klägerin ausweislich des Ergebnisses ihrer Anhörung vor dem Senat ihr bisheriges weiteres Leben – wohl auch dank der uneingeschränkten Unterstützung durch ihre Eltern – gemeistert hat. Sie wird im Jahre 2013 ihre Schulausbildung mit dem Abitur abschließen und plant ein Universitätsstudium aufzunehmen. Sie hat den Pkw-Führerschein gemacht und kann mit einem an ihre Behinderung angepassten Fahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen. Sie hat Klavier- und Geigenspielen gelernt, einen Malkurs besucht und stets den Kontakt zu ihren Freunden gepflegt. Für die Zukunft hat sie den Wunsch, nach ihrem Abitur ein Jahr im Ausland zu leben.

Gleichwohl vermag diese in vielen Bereichen erfolgreiche Bewältigung der erheblichen Unfallfolgen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass diese ihr Leben auch weiterhin nachhaltig beeinflussen und beeinträchtigen werden. So ist es unklar, ob der von ihr gewünschte Auslandsaufenthalt aufgrund ihrer Bewegungseinschränkungen überhaupt möglich sein wird. Ebenso ist unklar, ob die Klägerin aufgrund der Unfallfolgen ein selbstständiges Leben auch mit einer eigenen Wohnung wird führen können und welche Auswirkungen sie auf ihr Berufs- und Privatleben haben werden.

Diese Umstände und Erwartungen für die Zukunft wiegen schwer und erfordern ein erhebliches Schmerzensgeld. Insofern wäre ein kapitalisiertes Schmerzensgeld in Höhe von 220.000,00 EUR in Betracht gekommen, falls nicht das Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen gewesen wäre.

Damit bewegt sich der Senat nicht außerhalb des sich aus der Rechtsprechung ergebenden Rahmens. Zwar ist es zutreffend, dass insbesondere in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in Fällen einer unfallbedingten Oberschenkelamputation – bei unterstellter vollumfänglicher Haftung des Schädigers – Schmerzensgelder im Bereich von 30.000,00 bis maximal 100.000,00 EUR für angemessen angesehen wurden (vgl. Slizyk, Becksche Schmerzensgeldtabelle, 8. Auflage 2012, Seiten 455-457). Diese Einschätzung unterlag jedoch einem Wandel hin zur Gewährung höherer Schmerzensgeldbeträge, was im Hinblick auf die erheblichen Lebenseinschränkungen im Falle des Verlustes eines Beines auch als erforderlich anzusehen ist.

So hat das OLG Hamm im Jahre 2002 (OLG Hamm, Urteil vom 28.10.2002, Az. 3 U 200/01, zitiert nach juris = Slizyk, Becksche Schmerzensgeldtabelle, 8. Auflage 2012, Seite 457, Rn. 3431) auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 127.823,00 EUR bei einer Alleinhaftung des Schädigers für einen Säugling erkannt, dem aufgrund eines Behandlungsfehlers ein Oberschenkel amputiert werden musste.

Das LG Bochum hat im Jahre 2008 einem 13-jährigen Mädchen ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 EUR zuerkannt (LG Bochum, Entscheidung vom 10.12.2008, AZ. 6 O 259/08, nicht veröffentlicht = Slizyk, a. a. O., S. 458, Rn. 3964), bei dem im Rahmen einer Blinddarmoperation infolge eines Behandlungsfehlers die Bauchhauptschlagader verletzt und dadurch die Durchblutung des später amputierten Beines unterbrochen wurde. Auch dieser Bemessung des Schmerzensgeldes lag eine Alleinhaftung des Schädigers zugrunde.

Das OLG Hamm hat im Jahre 2002 einem 33-jährigen Kläger aufgrund eines vom Schädiger allein verschuldeten Verkehrsunfall ein Schmerzensgeld in Höhe von 332.340,00 EUR zugesprochen (OLG Hamm, Urteil vom 02.12.2002, AZ. 6 U 131/02, zitiert nach juris = Slizyk, a. a. O., S. 458, Rn. 3059). Nach Teilabriss des rechten Beines und des Beckens in Form einer Beckenfraktur 3. Grades mit breitflächiger Zerstörung der Haut und Schädigung von Muskeln, Sehnen, Nerven und Blutgefäßen, wurde das Bein des Klägers mit samt dem Hüftgelenk, einem Teil der Beckenhälfte und dem Gesäßmuskel amputiert. Anus, Darm und Hodensack wurden ebenfalls schwer geschädigt. Zudem erlitt er weitere Frakturen an Ellenbogen, Arm und Hand. Er befand sich insgesamt sechsmal über einen Gesamtzeitraum von 12 Monate in stationärer Behandlung. Der Heilungsverlauf war sehr kompliziert, da es zu einer Lungenembolie und Harnweginfektionen kam. Der Kläger litt unter massiven Phantomschmerzen. Er verlor sein komplettes Bein, erlitt Bewegungseinschränkungen des linken Armes sowie eine Versteifung der rechten Hand und erhielt einen künstlichen Darmausgang. Darüber hinaus verlor seine in der 14. Woche schwangere Ehefrau schockbedingt ihr Kind.

Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der Bemessung des Schmerzensgeldes eines Entscheidung des KG Berlin vom 29.07.2004 (Az. 8 U 54/04) berücksichtigt wissen will, scheitert eine Orientierung an dem dort ausgeurteilten Schmerzensgeld i. H. v. 250.000,00 EUR zzgl. einer monatlichen Rente in Höhe von 500,00 EUR bereits an dem Umstand, dass der dortige Kläger aufgrund einer „grausamen Vorsatzstraftat“ verletzt wurde und deshalb dem Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten ein besonderes Gewicht zukam. Darüber hinaus haben sich die Unfallfolgen für den dortigen Kläger, dem zunächst beide Unterschenkel und im weiteren Verlauf auch beide Kniegelenke amputiert werden mussten, in anderer Form als im Falle der Klägerin ausprägten.

Abgesehen von der Entscheidung des Landgerichts Bochum handelt es sich um Urteile, die vor über zehn Jahren ergangen sind. Insoweit kann auch die seither eingetretene Geldentwertung berücksichtigt werden (vgl. Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeld-Beträge, 31. Auflage 2013, S. 20).

Unter Berücksichtigung der von der Klägerin erlittenen Verletzungen, ihres Leidensweges und ihres Mitverschuldens hält der Senat ein Schmerzensgeld von 145.000,00 EUR für angemessen, aber auch ausreichend, § 287 ZPO. Hierbei geht der Senat davon aus, dass ohne ein Mitverschulden der Klägerin von einem Gesamtbetrag in Höhe von 220.000,00 EUR auszugehen gewesen wäre und das Mitverschulden der Klägerin bei der Schätzung des Schmerzensgeldes nicht exakt rechnerisch mit 1/3 zu berücksichtigen ist, zumal Schmerzensgeld nicht zu quoteln ist.

Außerdem erscheint es angesichts der Verletzungen und des Alters der Klägerin angemessen, den Betrag von 145.000,00 EUR so aufzuteilen, dass ihr von diesem Betrag 80.000,00 EUR als Kapitalbetrag und die restlichen 65.000,00 EUR als Rente zuzusprechen sind. Aus den 65.000,00 EUR ergibt sich eine lebenslange monatliche Rente in Höhe von 228,00 EUR (228,00 x 12 Monate x Kapitalisierungsfaktor 23,756). Die am 02.07.1994 geborene Klägerin war am Unfalltag, dem 03. November 2005, 11 Jahre und vier Monate alt. Der Kapitalisierungsfaktor beträgt bei einem elfjährigen Mädchen für eine Rente bis zum Tode bei einem Zins von 4 % 23,756 (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 10. Auflage, 2010, S. 84,Tabelle I/8).

Der Klägerin stehen Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf das Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 EUR sowie der bis zur Urteilsverkündung jeweils fälligen Rentenbeträge gegenüber der Beklagten zu 1) monatlich seit dem 23.08.2007, gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldnern jeweils monatlich seit dem 07.05.2009 zu, §§ 421, 422 Abs. 1, 425 Abs. 1 und 2 BGB.

1. Der Anspruch der Klägerin auf Verzugszinsen gegen die Beklagte zu 1) besteht seit dem 23.08.2007. Die Beklagte zu 1) hat ausweislich ihres Vortrags im Schriftsatz vom 10.07.2013 die klägerischen Ansprüche mit Schreiben vom 22.08.2007 zurückgewiesen. Entsprechend ist von einer ernsthaften und endgültigen Zurückweisung auch der Schmerzensgeldansprüche der Klägerin i. S. d. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB auszugehen. Die Beklagte zu 1) befand sich somit ab dem 23.08.2007 in Verzug, so dass die Geldschuld gem. § 288 BGB zu verzinsen ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, aufgrund derer ihr eine Verzinsung des Schmerzensgeldes und der Rentenleistung seit dem Tag des Unfallereignisses zustehen könnte. Es fehlt hinsichtlich des der Klägerin zustehenden Schmerzensgeldes an einer mit § 849 BGB vergleichbaren Regelung. Soweit sich der Vorstandsvorsitzende der Beklagten zu 1) ausweislich eines Zeitungsartikels wenige Tage nach dem Unfallereignis zu diesem geäußert hat, vermag der Senat diesen Äußerungen entgegen der Auffassung der Klägerin keine ernsthafte und endgültige Zurückweisung von Ansprüchen der Klägerin zu entnehmen. Vielmehr handelt es sich im Wesentlichen um Überlegungen und Ausführungen zur Verbesserung der Sicherheit im städtischen Straßenbahnverkehr. Auch hat die Klägerin vor dem Schreiben der Beklagten vom 22.08.2007 keine verzugsbegründende Mahnung i. S. d. § 286 Abs. 1 BGB ausgesprochen. Dem von ihr als Anlage C14 vorgelegte Schreiben ihres damaligen Bevollmächtigten ist eine konkrete Aufforderung zur Zahlung eines Schmerzensgeldbetrages nicht zu entnehmen. Vielmehr ergibt sich insbesondere aus dem letzten Absatz des Schreibens, dass es sich bei diesem um ein Angebot und eine Aufforderung zur Führung von Regulierungsgesprächen handelte. Zwar bedarf es im Falle der Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen zum Eintritt des Verzugs des Schuldners unter Umständen keiner genauen Bezifferung des Schmerzensgeldbetrages. Gleichwohl lässt das Schreiben eine für eine Mahnung erforderliche Aufforderung an die Beklagte zu 1) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes nicht erkennen.

2. Gegenüber dem Beklagten zu 2) stehen der Klägerin Zinsen erst ab Rechtshängigkeit zu, § 291 BGB. Weder ist eine vorprozessuale Inverzugsetzung des Beklagten zu 2) noch eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung seinerseits ersichtlich. Es fehlt bereits an einem geeigneten, an den Beklagten zu 2) gerichteten Aufforderungsschreiben zur Zahlung von Schmerzensgeld oder einer sonstigen Geltendmachung von Ansprüchen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 1) sämtliche ihrer Erklärungen auch im Namen des Beklagten zu 2) abgegeben hätte bzw. hierzu bevollmächtigt gewesen wäre, sind nicht ersichtlich.

Zulässig und begründet ist der auf die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten hinsichtlich künftiger unfallbedingter Schäden gerichtete Feststellungsantrag der Klägerin. Zum Zwecke der Klarstellung hat sich der Senat lediglich veranlasst gesehen, bei dem Feststellungstenor unter Berücksichtigung des seiner Auffassung nach zu berücksichtigenden Mitverschuldens nach materiellen und immateriellen Unfallschäden zu differenzieren.

1. Ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ist zu bejahen, wenn – wie hier die Beklagten – der Anspruchsgegner seine Schadensersatzpflicht für materielle und immaterielle Schadenspositionen in Abrede stellt und durch die Klageerhebung einer drohenden Verjährung entgegen gewirkt werden soll. Geht es dabei um den Ersatz erst künftig befürchteten Schadens aufgrund einer bereits eingetretenen Rechtsgutverletzung, so setzt das Feststellungsinteresse die Möglichkeit eines Schadenseintritts voraus. Diese ist nur dann zu verneinen, wenn aus der Sicht der klagenden Partei bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens wenigstens zu rechnen (BGH NJW-RR 2007, 601; BGH NJW 2001, 1431).

2. Ein in zulässiger Weise gestellter Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut des Geschädigten gegeben ist, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann (BGH NJW 2001, 1431). Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen (zuletzt BGH NJW-RR 2007, 708). Unfallbedingt musste die Amputation des rechten Oberschenkels der Klägerin erfolgen. Allein schon wegen dieser gravierenden Verletzungsfolge besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger materieller und immaterieller unfallbedingter Schäden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 239.000,00 EUR (Berufung der Klägerin: 144.500,00 EUR, Berufung der Beklagten: 94.500,00 EUR) festgesetzt.


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