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Diskriminierung – bei Bewerbungsverfahren

Landesarbeitsgericht Köln

Az.: 7 Sa 980/08

Urteil vom 29.01.2009


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.07.2008 in Sachen 2 Ca 5549/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Köln bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 30.07.2008 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 12.08.2008 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 15.08.2008 Berufung einlegen und diese – nach Verlängerung der Frist bis zum 24.10.2008 – am 24.10.2008 begründen lassen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass das Arbeitsgericht seine Klage zu Unrecht abgewiesen habe. Dadurch, dass die Beklagte die Stellenbewerbung mit Schreiben vom 01.06.2007 abgelehnt habe, ohne ihn, den Kläger, zuvor zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben, habe sie gegen § 82 Satz 2 SGB IX verstoßen. Ein Verstoß gegen diese Norm indiziere gemäß § 22 AGG, dass die Beklagte den Kläger mit ihrer Stellenabsage entgegen § 1 AGG wegen seiner Behinderung benachteiligt habe. Diese Indizwirkung habe die Beklagte auch nicht widerlegen können. Entgegen den Behauptungen der Beklagten sei er, der Kläger, für die Stelle, um die er sich beworben gehabt habe, in jeder Hinsicht fachlich geeignet gewesen, auf keinen Fall jedoch fachlich „offensichtlich“ ungeeignet i. S. v. § 82 Satz 3 SGB IX.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe die zwischenzeitlich bei ihm anerkannte volle Erwerbsminderung nichts mit seiner „fachlichen“ Eignung zu tun. Auch hätte die bei ihm attestierte volle Erwerbsminderung ihn nicht daran hindern können, ein vollschichtiges Arbeitsverhältnis für die Beklagte aufzunehmen. Der Bezug der Erwerbsminderungsrente beruhe nämlich darauf, dass er nicht in der Lage sei, mehr als viermal am Tag Wegstrecken von 500 m Länge in weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Dies reiche aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Anerkennung als im vollen Umfang erwerbsgemindert aus, auch wenn ansonsten Tätigkeiten, die eine solche Gehfähigkeit nicht voraussetzten, uneingeschränkt verrichtet werden könnten.

Nach Meinung des Klägers helfe es der Beklagten auch nicht, wenn sie ihn nachträglich doch noch zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen habe. Es habe sich hierbei lediglich um „Taktik“ der Beklagten gehandelt, um einen drohenden Schaden aufgrund des vorangegangenen Fehlers gering zu halten. Ein Vorstellungsgespräch, in welches sich er, der Kläger, sozusagen eingeklagt habe, sei eine nahezu absurde Vorstellung.

Des Weiteren ist der Kläger der Ansicht, dass er auch seine Schadensersatz- und Entschädigungsvorstellungen der Höhe nach beanstandungsfrei ermittelt habe.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 30.07.2008

1) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 15.552,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 05.07.2007 zu zahlen;

2) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine in das gerichtliche Ermessen gestellte Entschädigung, die 7.776,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2007 zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte weist den Vorwurf von sich, den Kläger in seiner Eigenschaft als Schwerbehinderten diskriminiert zu haben. Bereits bei der ersten Überprüfung seiner Bewerbung und der hierzu eingereichten Unterlagen durch die zuständige Fachabteilung anhand eines vorgegebenen standardisierten Punkteschemas habe der Kläger so wenig Punkte erzielen können, dass ein nicht behinderter Bewerber an seiner Stelle schon zu diesem Zeitpunkt vom weiteren Bewerbungsverfahren ausgeschlossen worden wäre. Gerade um dem Kläger weitergehende Chancen einzuräumen, habe man zunächst noch weitere Bewerbungsunterlagen von ihm angefordert. Gleichwohl sei die Fachabteilung schließlich zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger das fachliche Anforderungsprofil der von ihm angestrebten Position offensichtlich nicht erfülle.

Der Gesichtspunkt seiner Schwerbehinderung habe bei der Ablehnung vom 1.6.2007 nicht die geringste Rolle gespielt. Schon deshalb sei § 82 SGB IX nicht verletzt. Nachdem der Kläger jedoch wegen der Ablehnung remonstriert habe und um aus äußerster Vorsicht einen Verstoß gegen § 82 SGB IX auf jeden Fall zu vermeiden, habe man den Kläger sodann in das weiterhin laufende Bewerbungsverfahren wiederaufgenommen. Man habe dabei für ihn auch bewusst keinen Sondervorstellungstermin angesetzt, sondern ihn bei nächster Gelegenheit in eines der allgemein zum weiteren Bewerbungsverfahren gehörenden Gruppen-Assessment-Center eingeladen, um ihm faire und gleiche Bedingungen wie den anderen Bewerberkandidaten einzuräumen. Dass der Kläger dieser Einladung nicht gefolgt sei, belege ebenso wie der Umstand, dass er zeitgleich zu seiner Bewerbung gegenüber dem Rentenversicherungsträger die Zubilligung einer vollen und unbefristeten Erwerbsminderungsrente betrieben habe, dass er in Wirklichkeit an der Aufnahme einer Tätigkeit bei der Beklagten nicht interessiert gewesen sei.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründung und Berufungserwiderung nebst jeweiligen Anlagen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 69 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Klägers konnte jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit richtig entschieden und die Klage zutreffend abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung auch im Kern tragfähig begründet. Zusammenfassend und ergänzend ist aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch das Folgende auszuführen:

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte weder ein Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG noch eine Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu. Die Beklagte hat den Kläger nicht in seiner Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch diskriminiert und ihm durch eine solche Diskriminierung einen Schaden zugefügt.

a. Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz durch die als Anlage zu ihrer Berufungserwiderungsschrift vorgelegten Unterlagen dokumentiert, dass sie sich nach Eingang der Bewerbung des Klägers unter Anwendung auch des bei den anderen Stellenbewerbern angewandten abstrakten Punktesystems in sachlicher Form mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob der Kläger das Anforderungsprofil der nachgefragten Stelle in fachlicher Hinsicht erfüllen könnte. Die Fachabteilung der Beklagten ist jedoch nach eingehender Prüfung der Bewerbungsunterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger fachlich nicht geeignet sei. Die Beklagte hat diese Einschätzung zunächst für „offensichtlich“ i. S. v. § 82 Satz 3 SGB IX gehalten. Deshalb hat sie dem Kläger zunächst eine Absage erteilt, ohne ihn zu einem Vorstellungsgespräch vorgeladen zu haben.

b. Ob die Beklagte in dieser Phase des Bewerbungsverfahrens aus objektiver Sicht zu Recht zu der Einschätzung gelangen konnte, dass der Kläger für die von ihm angestrebte Stelle „offensichtlich fachlich ungeeignet“ sei, kann dahingestellt bleiben. Es mag des Weiteren zunächst auch einmal zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er ungeachtet des bei ihm attestierten Tatbestandes einer vollen und unbefristeten Erwerbsunfähigkeit gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, eine entsprechende Stelle bei der Beklagten anzutreten und auszufüllen. Unterstellt man, dass die fachliche Eignung jedenfalls nicht offensichtlich fehlte und dass der Kläger für die fragliche Stelle überhaupt gesundheitlich geeignet war, so hätte die Beklagte durch ihre Absage vom 01.06.2007 ohne vorheriges Vorstellungsgespräch zunächst tatbestandlich die Vorschrift des § 82 SGB IX verletzt. Ein Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX stellt nach herrschender Meinung auch ein Indiz i. S. v. § 22 AGG dar, welches eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lässt.

c. Vorliegend ist es jedoch gerade nicht bei der Absage vom 01.06.2007 geblieben. Die Absage vom 01.06.2007 erwies sich als nicht von endgültiger Natur; denn die Beklagte hat den Kläger, nachdem sie von diesem auf den vermeintlichen Rechtsverstoß aufmerksam gemacht worden war, in das weiterhin laufende und noch längst nicht abgeschlossene Bewerbungsverfahren wieder aufgenommen. Sie hat damit einen eventuell in der ohne vorangegangenes Bewerbungsgespräch erfolgten Absage vom 01.06.2007 liegenden Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX wieder rückgängig gemacht und korrigiert, bevor der Verstoß sich benachteiligend auf den Kläger auswirken konnte. Sie hat die durch die vorzeitige Absage vom 01.06.2007 ggf. vorläufig verursachte Beeinträchtigung des Klägers in der weitestgehenden Form, die das Schadensersatzrecht kennt, beseitigt, nämlich durch Naturalrestitution: Sie hat den Kläger durch Wiederaufnahme in das laufende Bewerbungsverfahren so gestellt, als hätte es das – vermeintlich – benachteiligende Ereignis vom 01.06.2007 nicht gegeben.

Fehlt es somit dann aber, bezogen auf das laufende Bewerbungsverfahren als Gesamtheit, im Ergebnis an einer Verletzung des § 82 Satz 2 SGB IX, bleibt abschließend auch kein Raum mehr für die allein aus einem solchen Verstoß resultierende Vermutungswirkung nach § 22 AGG.

d. Die Behauptung des Klägers, seine Wiederaufnahme in das Bewerbungsverfahren sei offenbar nur aus „taktischen“ Gründen erfolgt und somit nicht wirklich ernst gemeint gewesen, wird ins Blaue hinein aufgestellt.

aa. Dagegen spricht bereits, dass die Beklagte für den Kläger gerade nicht einen Sondervorstellungstermin veranstaltet hat, obwohl dies in Anbetracht der zeitlichen Zusammenhänge nicht ferngelegen hätte, sondern ihn zu einem der für regulär „noch im Rennen befindliche“ Stellenbewerber veranstalteten Gruppen-Assessment-Center eingeladen hat. Hier hätte der Kläger im direkten Vergleich mit anderen Bewerbern ausgiebig Gelegenheit gehabt, die Beklagte von seiner fachlichen Qualifikation zu überzeugen.

bb. Jedenfalls hat sich der Kläger dadurch, dass er die Einladung der Beklagten zur Teilnahme am weiteren Bewerbungsverfahren abgelehnt hat, der Möglichkeit beraubt, die Ernsthaftigkeit des Vorgehens der Beklagten auf die Probe zu stellen und aussagekräftige Anhaltspunkte dafür vortragen zu können, dass seine Wiederaufnahme in das Bewerbungsverfahren tatsächlich nur zum Schein erfolgt wäre.

e. Im Ergebnis ist der Kläger somit mit seiner Bewerbung deshalb nicht zum Zuge gekommen, weil er sich einer weiteren Teilnahme an dem Bewerbungsverfahren verweigert und seine Bewerbung zurückgenommen hat, bevor das Bewerbungsverfahren abgeschlossen war, nicht hingegen deshalb, weil ihn die Beklagte in seiner Eigenschaft als schwerbehinderten Menschen unter Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX benachteiligt hätte.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und/oder 2 AGG liegen daher nicht vor.

2. Wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, kommen allerdings auch noch durchgreifende Zweifel daran hinzu, dass der Kläger von vorneherein gar nicht in der Lage gewesen wäre, die mit dem von ihm angestrebten Arbeitsplatz verbundenen Arbeitspflichten zu erfüllen.

a. Bekanntlich wurde der Kläger mit Bescheid vom 18.09.2007 – also während des noch laufenden Bewerbungsverfahrens – rückwirkend zum 01.07.2006 und für die Zukunft unbefristet als in vollem Umfang erwerbsgemindert anerkannt und ihm eine entsprechende Erwerbsminderungsrente zugebilligt.

b. In Kenntnis dieses Tatbestandes hätte die Beklagte berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass der Kläger schon aus gesundheitlichen Gründen den von ihm begehrten Arbeitsplatz nicht würde ausfüllen können. Wenn § 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis eines Angestellten des öffentlichen Dienstes automatisch und ohne Kündigung mit Ablauf des Monats endet, in dem der Bescheid eines Rentenversicherungsträgers über eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestellt wird, so hätte die Beklagte im Umkehrschluss davon ausgehen können, dass die Einstellung eines Mitarbeiters, für den der in § 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD beschriebene Tatbestand bereits vorliegt, von vorneherein nicht in Betracht kommt.

c. Dem kann der Kläger auch nicht entgegenhalten, dass er seinen Rentenantrag zurückgenommen hätte, wenn er auf den von ihm begehrten Arbeitsplatz eingestellt worden wäre. Die Rücknahme des Rentenantrags beseitigt zwar den formalrechtlichen Tatbestand eines bestehenden Rentenbescheides. Sie beseitigt damit aber nicht zugleich diejenigen Tatsachen, deren Feststellung den Rentenversicherungsträger dazu veranlasst haben, die Rente – in vollem Umfang und unbefristet – zu bewilligen. Die Beklagte musste nicht damit rechnen, dass der Kläger zugleich in vollem Umfang und auf Dauer erwerbsunfähig sein könnte, gleichzeitig aber in vollem Umfang und auf Dauer in der Lage sein würde, bei ihr einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit des freien Arbeitsmarktes nachzugehen.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt bei der Entscheidung des vorliegenden Einzelfalls nicht vor.

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