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Verkehrsunfall Fußgängerfurt – Fahrradfahrer mit linksabbiegenden PKW

Gerichtsurteil: Radfahrer haftet mit 1/3 für Unfall auf Fußgängerfurt

Verkehrsunfälle an Fußgängerfurten sind leider keine Seltenheit. Oft sind es Radfahrer, die trotz geltender Vorschriften die speziell für Fußgänger ausgewiesenen Querungshilfen nutzen und dabei mit abbiegenden Fahrzeugen zusammenstoßen. Hierbei können sowohl Radfahrer als auch Autofahrer Sorgfaltspflichten verletzt haben. Entscheidend ist dann, wie die Verantwortung zwischen den Beteiligten aufgeteilt wird. In einem konkreten Fall, der nun vom Gericht entschieden wurde, ging es um die Haftungsfrage nach einem Zusammenstoß zwischen einem Radfahrer und einem linksabbiegenden PKW an einer Fußgängerfurt.

[Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 O 161/22 >>>]

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Kläger fuhr entgegen der Verkehrsvorschriften als Radfahrer über eine Fußgängerfurt, obwohl dies nur für Fußgänger erlaubt war.
  • Dies stellt einen erheblichen Sorgfaltsverstoß des Klägers dar, da Radfahrer auf Fußgängerfurten für Autofahrer unerwartet auftauchen können.
  • Die Beklagte als Autofahrerin verletzte ebenfalls ihre Sorgfaltspflicht, indem sie vor dem Linksabbiegen nicht ausreichend auf querende Verkehrsteilnehmer achtete.
  • Das Gericht sah das Verschulden des Klägers als schwerwiegender an und wies die Klage auf Feststellung einer höheren Haftung der Beklagten ab.
  • Eine anerkannte Haftungsquote von 2/3 für die Beklagten wurde als angemessen beurteilt.
  • Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
  • Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung.

➜ Der Fall im Detail


Radfahrer auf Fußgängerfurt kollidiert mit linksabbiegendem PKW

Um den vorliegenden Fall zu verstehen, müssen wir uns zunächst die Details des Unfallgeschehens genauer ansehen.

Fußgänger und Radfahrer überqueren Straße.
(Symbolfoto: Canetti /Shutterstock.com)

Ein Radfahrer befuhr verbotswidrig den Radweg links neben der Straße in südlicher Richtung und näherte sich einer Kreuzung. Zeitgleich fuhr eine Autofahrerin mit ihrem PKW auf derselben Straße, wollte jedoch nach links in eine Querstraße abbiegen. Beide Verkehrsteilnehmer hatten grünes Licht. Der Radfahrer wollte die Querstraße über den Fußgängerüberweg überqueren und fuhr los, als die Ampel auf Grün schaltete. Die Autofahrerin bog ebenfalls bei Grün ab, übersah dabei jedoch den Radfahrer, woraufhin es zur Kollision kam. Der Radfahrer stürzte und zog sich Verletzungen zu.

Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung stand die Haftungsfrage. Die Versicherung der Autofahrerin erkannte eine Haftung von zwei Dritteln an. Der Radfahrer hingegen war der Ansicht, dass die Autofahrerin die alleinige Schuld am Unfall trage, und forderte die volle Haftung der Gegenseite.

Gericht weist Klage des Radfahrers ab

Das Gericht wies die Klage des Radfahrers ab und bestätigte die Haftungsverteilung der Versicherung. Zwar habe die Autofahrerin ihre Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie den Radfahrer beim Abbiegen übersah. Allerdings treffe den Radfahrer eine erhebliche Mitschuld, da er den Fußgängerüberweg verbotswidrig mit dem Fahrrad befuhr und zudem entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung unterwegs war. Das Gericht betonte, dass Radfahrer an Fußgängerfurten besondere Vorsicht walten lassen müssen, da sie für Autofahrer leicht zu übersehen sind. Im vorliegenden Fall hätte der Radfahrer durch sein Fehlverhalten maßgeblich zur Entstehung des Unfalls beigetragen.

Sorgfaltspflichtverletzung und Mitschuld

Die Entscheidung des Gerichts macht deutlich, dass bei Unfällen an Fußgängerfurten die Sorgfaltspflichtverletzung aller Beteiligten genau geprüft werden muss. Auch wenn ein Verkehrsteilnehmer die Vorfahrtsregeln verletzt, kann einem anderen Verkehrsteilnehmer dennoch eine Mitschuld zugesprochen werden, wenn er durch sein eigenes Fehlverhalten zum Unfall beigetragen hat. Radfahrer sollten sich stets bewusst sein, dass sie an Fußgängerfurten besonders vorsichtig sein müssen und die geltenden Verkehrsregeln beachten sollten, um Unfälle zu vermeiden.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Verantwortung trägt ein Radfahrer an einer Fußgängerfurt?

Radfahrer dürfen Fußgängerfurten grundsätzlich nicht befahren, sondern müssen absteigen und ihr Fahrrad schieben. Die Fußgängerfurt ist ausschließlich Fußgängern vorbehalten. Das gilt auch für Kinder, die laut StVO erst ab 10 Jahren auf der Fahrbahn fahren dürfen.

Befährt ein Radfahrer dennoch eine Fußgängerfurt, steht ihm kein Vorrang gegenüber Kraftfahrzeugen zu. Sein Verhalten wird als grob verkehrswidrig und rücksichtslos eingestuft. Im Falle eines Unfalls trägt der Radfahrer dann die alleinige Haftung.

Radfahrer müssen an Fußgängerfurten besonders vorsichtig und bremsbereit sein. Sie müssen Fußgängern, die die Furt nutzen wollen, die Vorfahrt gewähren und sie sicher passieren lassen. Auch wenn die Fußgängerampel Grün zeigt, berechtigt dies Radfahrer nicht zum Überqueren.

Nur in Ausnahmefällen dürfen Radfahrer eine Fußgängerfurt befahren, wenn dies durch Zusatzzeichen 1022-10 oder 1000-32 explizit erlaubt ist. Ansonsten müssen sie auf die Fahrbahn ausweichen oder separat geführte Radwege nutzen.

An Kreuzungen mit Fußgängerfurten gilt für den Kfz-Verkehr eine Haltelinie mindestens 1m vor der Furt, um Fußgängern und Radfahrern ein sicheres Überqueren zu ermöglichen. Radfahrer sollten defensiv fahren und stets mit Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer rechnen.

Wie wird die Haftung bei einem Unfall zwischen einem Radfahrer und einem Auto geregelt?

Die Haftung bei einem Unfall zwischen Radfahrer und Auto richtet sich nach dem Verschulden der Beteiligten. Grundsätzlich gilt, dass derjenige haftet, der den Unfall verursacht hat. Dabei kommt es auf die Verletzung von Verkehrsregeln und die Missachtung der erforderlichen Sorgfalt an.

Befährt ein Radfahrer verbotswidrig eine Fußgängerfurt und kollidiert dort mit einem Auto, trägt er in der Regel die alleinige Haftung. Sein Verhalten wird als grob verkehrswidrig eingestuft. Der Autofahrer kann sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer regelkonform verhalten.

Allerdings muss auch der Autofahrer besondere Sorgfaltspflichten beachten. Er darf nur mit mäßiger Geschwindigkeit in eine Fußgängerfurt einfahren und muss bremsbereit sein. Verletzt er diese Pflichten, kann ihn ein Mitverschulden treffen.

Bei Unfällen mit Kindern unter 10 Jahren auf Fahrrädern gilt eine Sonderregelung. Hier wird vermutet, dass das Kind den Unfall allein verschuldet hat, auch wenn es vorfahrtsberechtigt war. Der Kfz-Führer haftet nur, wenn ihm ein Verschulden nachgewiesen wird.

Trifft beide Unfallbeteiligte ein Verschulden, haften sie anteilig nach dem Maß ihrer Verursachungsbeiträge. Die genaue Aufteilung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wird oft von Gerichten entschieden.

Radfahrer sollten defensiv fahren und stets mit Fehlern anderer rechnen. Autofahrer müssen an Fußgängerfurten besonders aufmerksam und rücksichtsvoll sein, um Kollisionen zu vermeiden.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 1 Abs. 2 StVO: Diese Vorschrift formuliert die allgemeine Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Die Beklagte zu 1 hätte sicherstellen müssen, dass kein Verkehrsteilnehmer, insbesondere der Kläger auf dem Fahrrad, gefährdet wird, indem sie vor dem Abbiegen gründlich die Kreuzung überblickt.
  • § 254 BGB: Regelt die Mitverantwortung bei Schäden. Im vorliegenden Fall wurde die Haftungsquote auf zwei Drittel zugunsten des Klägers festgelegt, da auch sein Fehlverhalten (Entgegen der Fahrtrichtung fahren) zu dem Unfall beigetragen hat.
  • §§ 7, 17 StVG: Diese Paragraphen behandeln die Haftung bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Betrieb eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich gefährlich ist, daher ist der Halter prinzipiell (mitverschuldet oder nicht) haftbar zu machen, wenn während des Betriebs ein Schaden entsteht.
  • § 9 StVG: Spezifiziert, wie bei einem Unfall das Verschulden zu bewerten ist, wenn eine der beteiligten Parteien die „tatsächliche Gewalt“ über eine Sache ausübt – in diesem Fall das Fahrrad und das Auto.
  • Verkehrsrechtliche Bestimmungen zu Fußgängerfurten und Radwegen: Diese nicht exakt im Text genannten Regelungen sind entscheidend, da sie klären, wie Verkehrsführungen an spezifischen Punkten wie Kreuzungen zu behandeln sind, insbesondere in Bezug auf Fußgängerüberwege bzw. Radfahrerüberwege.
  • Haftpflichtversicherungsrecht: Relevant wegen der Involvierung einer Versicherungsgesellschaft (Beklagte zu 3), die die Haftung bis zu einem gewissen Grad anerkennt, was die rechtlichen Verpflichtungen zur Schadensdeckung angeht. Ein klare Regelung findet sich hierzu in den Allgemeinen Bedingungen der jeweiligen Haftpflichtversicherung.


Das vorliegende Urteil

LG Flensburg – Az.: 4 O 161/22 – Urteil vom 28.12.2023

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt gegenüber den Beklagten Feststellung ihrer Einstandspflicht aus einem Verkehrsunfall vom 12.07.2021 hinsichtlich eines Verschuldens von mehr als 2/3.

Der Kläger befuhr am 12.07.2021 gegen 15:35 Uhr in der Innenstadt von W. auf S. den Radweg links neben der Straße Bahnweg in südlicher Richtung. Dabei näherte er sich der Kreuzung J.-M.-S./K. Zur selben befuhr die Beklagte zu 1) ihrerseits mit einem Pkw BMW …, dessen Halterin die Beklagte zu 2) ist und der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, mit dem amtlichen Kennzeichen … den Bahnweg in dieselbe Richtung wie der Kläger, wollte allerdings von der Linksabbiegespur nach links in die K. abbiegen. Der Kläger wollte die K…straße auf dem gesicherten Überweg überqueren. Als die Lichtsignalanlage grünes Licht zeigte, fuhr er mit dem Fahrrad los, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Zeitgleich zeigte die Lichtsignalanlage für die Beklagte zu 1 ihrerseits grünes Licht, und deshalb fuhr die Beklagte zu 1 mit ihrem Pkw an, um nach links in die K…straße abzubiegen. Hierbei bemerkte sie den Kläger nicht. Sodann kam es zum Zusammenstoß des Fahrrads mit der linken Seite des von der Beklagten zu 1) geführten PKW, und der Kläger fiel vom Fahrrad auf den Boden.

Die Beklagte zu 3) erkannte mit Schreiben vom 21.03.2022 (Anlage K03) eine Haftung zu zwei Dritteln an.

Der Kläger meint, die Bewertung der Haftungsverteilung seitens der Beklagten zu 3) sei fehlerhaft. Zwar sei er entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung gefahren, dies aber langsam, lediglich etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit. Demgegenüber hätte die Beklagte zu 1) sich durch einen Blick nach links darüber vergewissern müssen, dass sie den Überweg gefahrlos überqueren konnte und durfte. Sie hätte damit rechnen müssen, dass der Überweg für Radfahrer in beide Fahrtrichtungen eröffnet war. Dazu, dass die Beklagte zu 1) ihn nicht bemerkt habe, erklärt er sich mit Nichtwissen, hilfsweise macht er es sich zu eigen. Sie habe ihn jedenfalls sehen können und müssen. Beim Linksabbiegen gelte die Pflicht zur ersten und zweiten Rückschau. Weiter behauptet er, er habe eine Verletzung des dritten Lendenwirbelkörpers (LWK 3) in Form einer Deckplattenimpressionsfraktur erlitten. Seit dem Unfall bestünden Schmerzen und Beschwerden, er sei stark eingeschränkt und könne nicht mehr körperlich arbeiten. Zudem müsse er regelmäßig Schmerzmedikamente einnehmen. Ihm verbleibe jedenfalls ein Dauerschaden.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, über das schriftliche Anerkenntnis der Beklagten zu 3) vom 21.03.2022 hinaus, dem Kläger alle weiteren immateriellen und materiellen Ansprüche ungekürzt ohne einen Mithaftungsanteil von 1/3 zu ersetzen, die darauf beruhen, dass der Kläger am 12.07.2021 gegen 15:35 Uhr in … S./Ortsteil W. an einem Verkehrsunfall beteiligt war, soweit die materiellen Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten meinen, die anerkannte Haftungsquote von 2/3 sei zutreffend, da sich der Kläger verkehrswidrig verhalten habe. Der Kläger sei insbesondere entgegen der für Fahrräder zugelassenen Fahrtrichtung gefahren und habe den Überweg über die Straße, da es ein Fußgängerüberweg sei nicht befahren dürfen. Sie behaupten weiter, der Kläger sei auch nicht nur Schrittgeschwindigkeit gefahren. Fußgänger habe die Beklagte zu 1) wahrgenommen, allerdings seien diese derart weit entfernt gewesen, dass der Abbiegevorgang gefahrlos möglich gewesen sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Unfallhergang durch die Vernehmung der Zeugen S…, T… und S… sowie über die am Unfallort für Radfahrer geltenden Vorschriften durch Einholung einer amtlichen Auskunft der Straßenverkehrsbehörde der Gemeinde S…. Hinsichtlich des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11.08.2023 (Bl. 62 ff. d.A.) und die amtliche Auskunft vom 17.10.2023 (Bl. 87 d.A.) Bezug genommen.

Infolge der Zustimmungserklärungen der Parteien vom 02.11.2023 (Bl. 93 d.A.) und vom 23.11.2023 (Bl. 103 d.A.) hat das Gericht mit Beschluss vom 27.11.2023 das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet, Schriftsatzfrist bis zum 13.12.2023 bestimmt und Verkündungstermin für den 28.12.2023 anberaumt (Bl. 104 d.A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger kann im Ergebnis nicht die begehrte Feststellung verlangen, dass die Beklagten ihm über eine Quote von 2/3 hinaus haften.

1.

Der Kläger kann die begehrte Feststellung einer höheren Haftungsquote gegen die Beklagte zu 1) als Fahrerin des Unfallfahrzeugs weder nach den §§ 7, 17, 9 StVG i.V.m. § 254 BGB noch nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 254 BGB verlangen.

Im Rahmen der §§ 7, 17 StVG richtet sich das Mitverschulden bei einem Unfallereignis zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fahrrad nach § 9 StVG. Danach gilt: Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht. Der Umfang der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger hängt damit von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

a.

Die Beklagten müssen sich insoweit im Rahmen des § 254 BGB einerseits die Betriebsgefahr des im Unfallzeitpunkt von der Beklagten zu 1) geführten Kraftfahrzeugs entgegenhalten lassen. Andererseits fällt der Beklagten zu 1) hier ein Sorgfaltsverstoß nach § 1 Abs. 2 StVO zur Last. Nach § 1 Abs. 2 StVO muss, wer am Verkehr teilnimmt, sich so verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Diese Pflicht trifft auch linksabbiegende Führer von Kraftfahrzeugen (OLG Frankfurt, NZV 1999, 138). Diese Sorgfaltspflicht hat die Beklagte zu 2) jedoch schon nach ihrem eigenen Vorbringen verletzt. Insoweit kann im Ergebnis dahinstehen, ob die Beklagte den Kläger, wie von ihm für möglich gehalten, vor dem Abbiegen wahrgenommen hat oder nicht. Sie hätte ihn nämlich jedenfalls wahrnehmen können und müssen. In ihrer Anhörung gem. § 141 ZPO hat die Beklagte zu 1) ausgeführt, dass sie vor dem Linksabbiegen zwar zur Mittelinsel zwischen den beiden Straßenseiten geschaut und dort niemanden gesehen habe, hiermit hätte sie sich aber nicht begnügen dürfen. Sie hätte ebenfalls auch zu den jeweiligen Straßenseiten schauen müssen, um zu erkennen, ob dort Verkehrsteilnehmer warten, die vor ihrem Abbiegevorgang die Straße überqueren wollten. In diesem Fall hätte sie nämlich sowohl den Kläger als auch die Zeugen S… und T… erkennen können.

Nach den Aussagen der beiden Zeugen ist das Gericht i.S.d. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO davon überzeugt, dass diese gemeinsam mit dem Kläger an der südlichen Ampel am Überweg über die K…straße gewartet haben. Nach § 286 Abs: 1 S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Für die insoweit vorausgesetzte Überzeugung genügt ein Grad an Gewissheit der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (stRspr seit BGHZ 53, 245, 256 = NJW 70, 946). Das ist hier der Fall. Die Zeugin S… hat in ihrer Vernehmung plausibel geschildert, jedenfalls mit dem ihr persönlich verbundenen Zeugen T… gemeinsam an der Ampel der südlichen Straßenseite gewartet zu haben. Der Zeuge T… hat dies zwar zunächst nicht erinnert, auf Vorhalt seiner Aussagen gegenüber der Polizei vom Unfalltag ergab es für ihn aber spontan wieder Sinn, dass er gemeinsam mit der Zeugin S… an der Ampel der südlichen Straßenseite wartete und den Kläger auf seinem Fahrrad dann ebenfalls zunächst an der Ampel und beim Unfallgeschehen dann vor sich sah. Insoweit spricht aus Sicht des Gerichts die spontane Aussagekorrektur des Zeugen T… nicht gegen, sondern gerade für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage, weil die Spontanität der Aussagekorrektur Zeichen eines persönlichen Erlebens des Zeugens war.

Zu Lasten der Beklagten greift daneben indes nicht der § 9 Abs. 3 S. 1 StVO. Hiernach muss, wer abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor, Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Insoweit fehlt es hier bereits an einem Entgegenkommen des Klägers, da dieser in die gleiche Richtung fuhr wie die Beklagte zu 1).

b.

Auf der anderen Seite muss der Kläger sich einen erheblichen eigenen Sorgfaltsverstoß entgegenhalten lassen.

Dem Kläger fällt ein erheblicher Verkehrsverstoß zur Last, indem er entgegen den Anordnungen einer Lichtzeichenanlage i.S.d. § 37 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 5 S. 1 StVO die Fußgängerfurt am Unfallort fahrend überquert hat. Nach § 37 Abs. 1 S. 1 StVO gehen Lichtzeichen jeglichen Vorrangregeln und Vorrang regelnden Verkehrszeichen vor, sodass etwa § 26 StVO verdrängt wird (hierzu Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021) Rn. 45). Ausweislich des § 37 Abs. 2 Nr. 5 S. 1 StVO können Lichtzeichen nur für zu Fuß Gehende oder nur für Rad Fahrende gelten, wenn dies durch das Sinnbild „Fußgänger“ oder „Radverkehr“ angezeigt wird. Liegt eine Lichtzeichenanlage für zu Fuß Gehende vor, dürfen Rad Fahrende diese auch bei Grünlicht nicht überfahren, sondern müssen absteigen und das Fahrrad schieben oder unter Beachtung des Rechtsfahrgebots aus § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVO auf der angrenzenden Straße fahren und die Lichtzeichenanlagen für den Fahrverkehr beachten, vgl. § 37 Abs. 2 Nr. 6 StVO (OLG Hamm Urt. v. 19.12.1995 – 27 U 147/95, BeckRS 1995, 10260; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021) Rn. 52 f.). Überqueren Rad Fahrende eine Fußgängerfurt gleichwohl fahrend, liegt daher ein gewichtiger Verkehrsverstoß vor (OLG Oldenburg 19.10.1984 – 6 U 319/83 = VersR 1986, 773; OLG Hamm Urt. v. 19.12.1995 – 27 U 147/95, BeckRS 1995, 10260; OLG Celle Urt. v. 5.8.1999 – 14 U 159/98, BeckRS 2008, 15629; LG Frankfurt (Oder) 20.3.2015 – 11 O 86/13 = DAR 2015, 468; LG Hamburg Beschl. v. 27.4.2017 – 302 S 33/16, BeckRS 2017, 135305). Dies liegt in dem Umstand begründet, dass eine solche Verhaltensweise in besonderem Maße gefahrenträchtig ist, weil Rad Fahrende wegen der erheblich höheren Geschwindigkeit im Vergleich zu Fußgängern, die zum Überqueren ansetzen mochten, für den Kraftfahrer überraschend auftauchen und dessen Reaktionsvermögen überfordern können (OLG Hamm Urt. v. 19.12.1995 – 27 U 147/95, BeckRS 1995, 10260). So liegt es auch hier, indem die Beklagte zu 1) in ihrem Kraftfahrzeug nicht damit rechnete, dass aus der nur für Fußgänger zugelassenen Querungsrichtung Nord-Süd ein Verkehrsteilnehmer derart schnell ihren Fahrweg kreuzen würde.

Der Kläger hat, wie er im Zuge seiner persönliche Anhörung selbst einräumte, die K…straße von der Straße B… kommend in Richtung Süden auf seinem Fahrrad sitzend überfahren und ist dann auf der K…straße mit dem von der Beklagten zu 1) geführten Fahrzeug zusammengestoßen. Dass der Überweg über die K…straße aus nördlicher Richtung kommend indes nicht mit einem Fahrrad befahren werden darf, folgt einerseits aus den Lichtbildern Bl. 76, 77 d.A., die durch das Sinnbild „Fußgänger“ anzeigen, dass das Lichtzeichen aus Richtung Norden kommend nur für Fußgänger gilt, Rad Fahrende nach den obigen Maßstäben die Straße dort also nicht fahrend überqueren dürfen. Dies wird auch bestätigt durch die amtliche Auskunft der Straßenverkehrsbehörde der Gemeinde S… vom 17.10.2023 (Bl. 87 d.A.), die ausdrücklich bestätigt hat, dass ein Überqueren der K…straße aus nördlicher Richtung kommend mit einem Fahrrad nicht erlaubt ist.

Zu diesem Verstoß gegen die Vorgaben der Lichtzeichenanlage nach § 37 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 5 S. 1 StVO hinzutritt noch ein besonderes Aufmerksamkeitsverschulden des Klägers i.S.d. §§ 1 Abs. 1, 2 StVO. Denn auch wenn die Fußgängerampel für ihn Grün zeigte, musste er angesichts seiner verkehrswidrigen Verhaltens als Radfahrer auf der Fußgängerfurt besonders aufmerksam und umsichtig sein, mithin die Linksabbieger sorgfältig im Auge behalten, um dem vorstehend erörterten Gefahrenmoment vorausschauend begegnen zu können (OLG Hamm Urt. v. 19.12.1995 – 27 U 147/95, BeckRS 1995, 10260; vgl. auch OLG Celle Urt. v. 5.8.1999 – 14 U 159/98, BeckRS 2008, 15629). Dem hat der Kläger nicht genügt, denn ausweislich seiner persönlichen Anhörung, hat er das Kraftfahrzeug der Beklagten zu 1) gänzlich übersehen, obwohl diese ihm bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht hätte entgehen dürfen, weil Sichthindernisse – wie sich aus den Lichtbildern Bl. 7, 27 d.A. ergibt – nicht bestanden. Zu dem Unfall wäre es nicht gekommen, wenn der Kläger die gebotene Aufmerksamkeit hätte walten lassen.

c.

Unter Zugrundelegung dieser Verkehrsverstöße kann dem Kläger keine Haftungsquote gegenüber den Beklagten zuerkannt werden, die über die von diesen vorgerichtlich anerkannte Haftungsquote von 2/3 zu ihren Lasten hinausginge. Denn der abstrakten Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) und ihrem allgemeinen Sorgfaltsverstoß nach § 1 Abs. 2 StVO stehen Verstöße des Klägers gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 1, 2 StVO und gegen die regelnden Lichtzeichen einer Lichtzeichenanlage nach § 37 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 5 S. 1 StVO gegenüber. Insoweit kann im Ergebnis daher auch dahinstehen, wie die Haftungsverteilung konkret aussähe, insbesondere ob die wechselseitigen Verstöße gleichgewichtig wären oder ob die Verstöße des Klägers denjenigen der Beklagten zu 1) auch bei Berücksichtigung der ihr zusätzlichen zukommenden Betriebsgefahr des Pkw sogar überwiegen.

Für die Haftung der Beklagten zu 1) aus §§ 823 Abs. 1, 254 BGB gilt im Ergebnis nichts Anderes.

2.

Nach den obigen Maßgaben kann der Kläger auch gegenüber der Beklagten zu 2) die Feststellung einer höheren Haftungsquote als 2/3 nicht aus §§ 7, 9 StVG i.V.m. § 254 BGB oder aufgrund einer sonstigen Rechtsnorm verlangen. Selbiges gilt im Verhältnis zur Beklagten zu 3) aufgrund der §§ 7, 9 StVG i.V.m. § 254 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.

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