BAG
Az: 2 AZR 324/03
Urteil vom 25.03.2004
Leitsatz (amtlich): Im Falle einer Kündigung vor Dienstantritt ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien grundsätzlich und im Zweifel ein Interesse an einer zumindest vorübergehenden Durchführung des Arbeitsvertrages haben und deshalb die Kündigungsfrist, wenn keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen bestehen, erst zum Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme beginnen soll.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 27. März 2003 – 2 Sa 389/02 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 7. März 2002 – 27 Ca 11571/01 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, zu welchem Zeitpunkt eine vor der vereinbarten Arbeitsaufnahme ausgesprochene Arbeitgeberkündigung ihr Arbeitsverhältnis beendet hat.
Der Kläger sollte nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 20. Oktober 2000 ab 1. November 2000 als „Associate-Consultant“ beschäftigt werden; innerhalb einer sechsmonatigen Probezeit war eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende vereinbart. Da der Kläger in der Zwischenzeit die Zusage der Firma N erhalten hatte, dort ein Projekt zu betreuen, wurde in einem am 26. Oktober 2000 geführten Gespräch der Arbeitsbeginn des Klägers neu auf den 1. Mai 2001 festgelegt. Am 26. März 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2001.
Der Kläger ist der Auffassung, er habe darauf vertrauen dürfen, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht vor Aufnahme seiner Tätigkeit habe gekündigt werden können; dafür sprächen ua. die ausdrückliche Verschiebung des Tätigkeitsbeginns und eine Weihnachts-Grußkarte. Im Vertrauen auf die tatsächliche Aufnahme der Tätigkeit bei der Beklagten habe er eine sichere Arbeitsstelle aufgegeben und sei umgezogen. Die Kündigungsfrist könne daher erst ab 1. Mai 2001 laufen, so dass das Arbeitsverhältnis erst zum 31. Mai 2001 beendet worden sei. Die Beklagte schulde ihm aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs seinen Verdienstausfall für den Monat Mai.
Der Kläger hat beantragt die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.154,25 Euro brutto nebst 9,26 % Zinsen seit dem 10. August 2001 aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag zu zahlen.
Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis habe schon vor Arbeitsaufnahme gekündigt werden können. Ein besonderes schützenswertes Vertrauen des Klägers sei nicht ersichtlich. Die Verschiebung der Arbeitsaufnahme sei auf Wunsch des Klägers erfolgt. Der Kläger sei auch nicht von ihr aus einer sicheren Anstellung abgeworben worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Dem Kläger steht kein Zahlungsanspruch zu, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits vor der Arbeitsaufnahme durch den Kläger beendet war.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine Kündigung vor Arbeitsbeginn des Arbeitnehmers sei zwar wirksam. Die Kündigungsfrist beginne bei einer derartigen Kündigung im Zweifel jedoch erst zum Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme. Auch ohne – hier nicht vorliegende – besondere Anhaltspunkte sei grundsätzlich von einem Interesse der Parteien an einer zumindest vorübergehenden Realisierung des Arbeitsverhältnisses auszugehen.
II. Dem folgt der Senat nicht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (6. März 1974 – 4 AZR 72/73 – AP BGB § 620 Nr. 2 = EzA BGB § 620 Nr. 19; 2. November 1978 – 2 AZR 74/77 – AP BGB § 620 Nr. 3 = EzA BGB § 620 Nr. 75; 9. Mai 1985 – 2 AZR 372/84 – AP BGB § 620 Nr. 4 = EzA BGB § 620 Nr. 38) und nahezu einhelliger Literaturansicht (Joussen NZA 2002, 177; Linck AR-Blattei SD Kündigung I C Kündigung vor Dienstantritt Rn. 14 ff.; ErfK-Müller-Glöge 3. Aufl. § 620 BGB Rn. 67; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 230; einschränkend MünchKomm-Schwerdtner BGB 3. Aufl. vor § 620 Rn. 161) ist bei einer Kündigung vor Dienstantritt nicht – wie dies das Landesarbeitsgericht annimmt – davon auszugehen, dass die Parteien grundsätzlich und im Zweifel ein Interesse an einer zumindest vorübergehenden Durchführung des Arbeitsvertrages haben und deshalb die Kündigungsfrist, wenn keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen bestehen, erst mit Dienstantritt beginnen soll.
a) Grundsätzlich kann ein Arbeitsvertrag unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist oder auch aus wichtigem Grund vor dem vereinbarten Dienstantritt gekündigt werden, wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben oder sich der Ausschluss der Kündigung aus den Umständen – etwa der Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall des Nichtantritts der Arbeit – zweifelsfrei ergibt (BAG 19. Dezember 1974 – 2 AZR 565/73 – BAGE 31, 121; 14. Dezember 1988 – 5 AZR 10/88 – Gewerkschafter 1989 Nr. 338). Hiervon geht auch das Landesarbeitsgericht aus.
b) Es hängt in erster Linie von den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen ab, ob bei einer vor Dienstantritt ausgesprochenen ordentlichen Kündigung die Kündigungsfrist bereits mit dem Zugang der Kündigung oder erst an dem Tage beginnt, an dem die Arbeit vertragsgemäß aufgenommen werden soll. Haben die Parteien keine Vereinbarung über den Beginn der Kündigungsfrist getroffen, so liegt eine Vertragslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Für die Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens und die hierfür maßgebende Würdigung der beiderseitigen Interessen ist grundsätzlich auf die konkreten Umstände des Falles abzustellen. Typische Vertragsgestaltungen können dabei für oder gegen die Annahme sprechen, die Parteien hätten eine auf Dauer der vereinbarten Kündigungsfrist beschränkte Realisierung des Vertrages gewollt. Vereinbaren die Parteien etwa die kürzeste zulässige Kündigungsfrist, so spricht dies gegen die mutmaßliche Vereinbarung einer Realisierung des Arbeitsverhältnisses für diesen Zeitraum (BAG 9. Mai 1985 – 2 AZR 372/84 – AP BGB § 620 Nr. 4 = EzA BGB § 620 Nr. 75).
c) Die vom Landesarbeitsgericht vertretene Ansicht, ohne Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen beginne bei einer Kündigung vor Dienstantritt im Zweifel der Lauf der Kündigungsfrist erst mit dem vorgesehenen Dienstantritt, ist vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung seit der Entscheidung vom 6. März 1974 (- 4 AZR 72/73 – AP BGB § 620 Nr. 2 = EzA BGB § 620 Nr. 19) stets abgelehnt worden. Daran hält der Senat fest. Es überzeugt nicht, wenn das Landesarbeitsgericht allein aus der Vereinbarung eines hinausgeschobenen Arbeitsbeginns ableiten will, dass nach dem Parteiwillen das Arbeitsverhältnis zumindest für den Lauf der Kündigungsfrist tatsächlich durchgeführt werden soll. Auch die Vereinbarung einer Probezeit mit abgekürzter Kündigungsfrist bildet kein hinreichendes Indiz für einen entsprechenden Parteiwillen; da der Arbeitgeber auch nach der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Ansicht spätestens am Tag des Arbeitsantritts kündigen kann oder zumindest der Lauf der Kündigungsfrist an diesem Tag beginnt, reicht die abgekürzte Kündigungsfrist (hier von vier Wochen zum Monatsende) nicht aus, den Erprobungszweck zu erfüllen. Wenn das Landesarbeitsgericht darüber hinaus auf die Nachteile abstellt, die für beide Parteien durch eine vorzeitige Kündigung entstehen können, so ist dies ebenfalls unbehelflich. Vergleichbare Nachteile entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis schon am Tag des Arbeitsbeginns mit einer verhältnismäßig kurzen Kündigungsfrist gekündigt wird. Diese Nachteile können sogar im Einzelfall dadurch abgemildert werden, dass die Kündigung noch vor Arbeitsantritt ausgesprochen wird und der Arbeitnehmer deshalb etwa die Chance hat, den beabsichtigten Umzug an den neuen Arbeitsort zu unterlassen.
d) Es sprechen im Gegenteil gewichtige Argumente dafür, im Gegensatz zu dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, dass die Kündigungsfrist auch bei einer Kündigung vor Dienstantritt, wenn die Vertragsauslegung und die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen, im Zweifel mit dem Zugang der Kündigungserklärung beginnt (vgl. Preis NZA 2003, 252; ErfK-Müller-Glöge 3. Aufl. BGB § 620 Rn. 67; Herbert/Oberrath NZA 2004, 121). Nach der dispositiven gesetzlichen Regelung (etwa § 622 BGB) ist die Kündigungsfrist der Zeitraum, der vom Zugang der Kündigung bis zum Kündigungstermin reicht. Ergeben sich aus dem Vertrag keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Parteiwillen, so ist kein hinreichender sachlicher Grund ersichtlich, die Kündigung vor Dienstantritt rechtlich anders zu behandeln als die Kündigung nach Dienstantritt, bei der die Kündigungsfrist auch ab Zugang der Kündigung läuft (Joussen NZA 2002, 1177, 1181; vgl. BGH 21. Februar 1979 – VIII ZR 88/78 – NJW 1979, 1288 zum Mietrecht).
2. Danach begann die Kündigungsfrist im vorliegenden Fall mit Zugang der Kündigung vom 26. März 2001 und hat das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2001 beendet; Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers bestehen deshalb nicht.
a) Das Landesarbeitsgericht geht selbst davon aus, ein besonderes Interesse der Parteien an einer zumindest vorübergehenden Durchführung des Arbeitsvertrages sei nicht erkennbar; die Kündigungsfrist während der Probezeit sei deutlich kürzer als die für die Zeit nach Ablauf der Probezeit vereinbarte Kündigungsfrist, auch der hinausgeschobene Arbeitsbeginn lasse für sich kein besonderes Interesse der Parteien an einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme erkennen und die Weihnachtskarte der Beklagten enthalte Höflichkeiten, die nicht überbewertet werden dürften. Diese Wertung lässt keinen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehler erkennen. Die Abkürzung der Kündigungsfrist während der vereinbarten Probezeit weist auf einen Parteiwillen hin, die vertragliche Bindung während der ersten Monate des Arbeitsverhältnisses zu lockern. Auch die Tatsache, dass die Parteien den ursprünglich auf den 1. November 2000 festgelegten Arbeitsbeginn des Klägers auf dessen Antrag wegen einer anderweitigen Beschäftigung des Klägers zunächst hinausgeschoben haben, spricht kaum für einen gesteigerten Bindungswillen der Parteien, das Arbeitsverhältnis jedenfalls vier Wochen lang tatsächlich durchzuführen. Die Weihnachtspostkarte schließlich erweckt von ihrem Wortlaut her eher den Eindruck, als habe die Beklagte Bedenken, ob der Kläger die Arbeit bei ihr überhaupt antreten wolle („Kann ich etwas tun, um Sie weiterhin für HN zu begeistern? – Ich jedenfalls würde gerne mit Ihnen zusammenarbeiten“).
b) Der Auslegungsregel des Landesarbeitsgerichts, im Zweifel sei von einem Beginn der Kündigungsfrist erst ab dem vereinbarten Arbeitsantritt auszugehen, ist, wie bereits dargelegt, nicht zu folgen.
c) Bei der nach der bisherigen Rechtsprechung gebotenen typisierenden Betrachtungsweise führt die ergänzende Vertragsauslegung des Arbeitsvertrages der Parteien zu dem Ergebnis, dass der Lauf der Kündigungsfrist auch bei einer Kündigung vor Dienstantritt mit Zugang der Kündigung beginnen sollte. Dies kann der Senat selbst entscheiden, da alle Tatsachen festgestellt sind und weiterer Parteivortrag nach einer Zurückverweisung nicht mehr zu erwarten ist. Haben die Parteien eine Probezeit vereinbart und während dieser Probezeit die Kündigungsfrist gegenüber der sonst einschlägigen Kündigungsfrist erheblich abgekürzt (hier auf weniger als 1/3), so spricht dies entscheidend dafür, dass zu Beginn des Arbeitsverhältnisses der Bindungswille noch nicht all zu stark sein sollte. Ein Interesse der Parteien, das Arbeitsverhältnis in einem derartigen Fall jedenfalls für die Dauer der abgekürzten Kündigungsfrist von ca. einem Monat tatsächlich durchzuführen, ist mangels abweichender Indizien unter diesen Umständen nicht erkennbar. Die Beklagte konnte hier im Gegenteil, da der Dienstantritt des Klägers im Hinblick auf dessen anderweitige Beschäftigung hinausgeschoben worden war, eher davon ausgehen, dass eine frühzeitige Kündigung vor Dienstantritt den Interessen des Klägers entgegen kam, der zu einem Arbeitsantritt bei der Beklagten nach München umziehen und seine Arbeitsstelle bei der Firma N aufgeben musste.
d) Dieses Ergebnis ergibt sich erst recht, wenn man davon ausgeht, im Zweifel beginne bei einer Kündigung vor Dienstantritt die Kündigungsfrist mit Zugang der Kündigung.