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Verkehrsunfall Neuwagen – Neuwagenabrechnung

Oberlandesgericht Hamburg

Az: 14 U 95/07

Urteil vom 28.03.2008


In dem Rechtsstreit hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 14. Zivilsenat, nach der am 22.02.08 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg , Zivilkammer 31, vom 13. April 2007 – Geschäftsnummer 331 O 79/06 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird über die in der angefochtenen Entscheidung ausgesprochene Verurteilung von € 2.592,– (Mietwagenkosten) sowie € 361,90 (Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen hinaus verurteilt, an die Klägerin weitere
1. € 88.940,43 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.9.2005 Zug um Zug gegen Übereignung des verunfallten Kraftfahrzeugs des Herstellers BMW Typ M 6 Coupé mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ……………………………..
2. Anwaltskosten in Höhe von € 823,03 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.4.06 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 15 % und der Beklagte 85 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden insgesamt dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

I.
Die Parteien streiten über die Art und Weise der Behebung eines Unfallschadens vom 15.7.05, für den der Beklagte als Quasi-Haftpflichtversicherer des Schädigers dem Grunde nach vollen Umfangs einzustehen hat.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz auf Neuwagenbasis wegen Beschädigung ihres BMW M 6 Coupé, den sie zum Preis von € 97.379,30 netto zuzüglich Überführungs- und Zulassungskosten als Geschäftsfahrzeug erworben hatte. Das Fahrzeug war am Tag vor dem Verkehrsunfall erstmals zum Verkehr zugelassen worden und wies zum Unfallzeitpunkt eine Laufleistung von jedenfalls nicht mehr als 607 km auf.

Der Beklagte regulierte den Schaden zunächst nach Maßgabe des als Anlage K 9 vorgelegten Schreibens der mit der Schadensabwicklung beauftragten Allianz Versicherungs-AG vom 26.9.2005. Danach wurde die verlangte Abrechnung auf Neuwagenbasis abgelehnt. Bezahlt wurden demgegenüber die von dem Sachverständigen J. T……. in seinem Schadensgutachten (Anl. K 10) kalkulierten Reparaturkosten in Höhe von netto € 5.379,38, die der Klägerin für die Erstellung eines eigenen Gutachtens in Rechnung gestellten Kosten des Sachverstädigen T…………..(Anl. K 8) in Höhe von netto € 585,45 zuzüglich einer Wertminderung in Höhe von € 3.500,– sowie einer Kostenpauschale von € 20,00, insgesamt somit ein Betrag in Höhe von € 9.484,83. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige T…….. (Anl. K 4) hatte den Reparaturaufwand auf insgesamt € 5.653,68 netto beziffert, wobei sich dieser Betrag aus Arbeitslohn in Höhe von € 949,83, Nebenkosten in Höhe von € 88,70, Lackierkosten in Höhe von € 1.171,31 sowie Ersatzteilkosten in Höhe von € 3.443,84 zusammensetzte. Für die Instandsetzung der Asäule links wurde ein Arbeitsaufwand von einer Stunde und zwölf Minuten mit einem Kostenanteil von € 92,04 kalkuliert. Ergänzend wird zu den Einzelheiten des Schadensumfangs auf die Anl. K 4 und K 10 Bezug genommen.

Nachdem mit der dem Beklagten am 05.04.06 zugestellten Klage zunächst Neuanschaffungskosten für ein gleichwertiges Fahrzeug in Höhe von € 107.342,62 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Unfallfahrzeugs sowie Anwaltskosten in Höhe von € 1.301,05 verlangt worden waren, ließ der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 2.2.07 auf die Reparaturkosten weitere € 137,08 zuzüglich Zinsen bezahlen.

Die Klägerin hat darauf in erster Instanz beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere
1. € 88.940,43 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.9.2005 Zug um Zug gegen Übereignung des verunfallten Kraftfahrzeugs des Herstellers BMW Typ M 6 Coupé mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WBSEH 91090 B 777758 0,
2. € 2.592,00 (Mietwagenkosten) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentkosten über dem Basiszinssatz seit dem 26.9.2005 sowie
3. € 1.301,05 (Anwaltskosten) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
zu zahlen

und die weitergehende Klage zurückgenommen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 13.4.2007 der Klägerin die verlangten Mietwagenkosten in Höhe von € 2.592,– sowie Anwaltskosten in Höhe von 361,90 nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat eine erhebliche Beschädigung des Unfallfahrzeugs verneint und deshalb die Voraussetzungen der begehrten Abrechnung auf Neuwagenbasis abgelehnt. In Anlehnung an die Rechtsprechung des OLG Celle (NZV 2004, 586) und OLG Hamm (NZV 2001, 478 f.) hat es den Standpunkt vertreten, dass der Geschädigten die Weiternutzung des Unfallfahrzeugs nach dessen Reparatur zuzumuten sei, weil vorliegend zusätzlich zum Austausch von Montageteilen lediglich Richtarbeiten geringen Umfangs an den tragenden Fahrzeugteilen erforderlich seien. Auf die Feststellungen der Entscheidung wird ergänzend gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren bereits vor dem Landgericht vertretenen Standpunkt, wonach der ihr unfallbedingt entstandene Wertverlust durch die Erstattung der geschätzten Reparaturkosten zuzüglich Wertminderung nicht ausgeglichen werde. Für das Überschreiten der Erheblichkeitsgrenze, das eine Abrechnung auf Neuwagenbasis rechtfertige, spreche die Höhe des merkantilen Minderwerts, die Beschädigung der für die Sicherheit des Fahrzeugs maßgeblichen A-Säule sowie die Vielzahl der ausgetauschten Ersatzteile. Es sei zudem nicht ausgeschlossen, dass nach Durchführung der Reparatur weitere Schäden, so insbesondere Haarrisse und Beeinträchtigungen des Lenkgetriebes, verbleiben, die bei der bisherigen Untersuchung nicht festgestellt worden seien (Beweis: Sachverständigengutachten, Reparaturanweisung Anl. K 6).

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des am 13.4.07 verkündeten Urteils des Landgerichts Hamburg, Geschäftsnummer 331 O 79/06, entsprechend der erstinstanzlich gestellten Anträge zu verurteilen, soweit die Klage abgewiesen wurde.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, der Schaden, der der Klägerin entstanden sei, sei durch die Bezahlung der ihr erstinstanzlich zugesprochenen Summe zuzüglich der vorprozessualen Regulierung vollständig ausgeglichen. Denn sämtliche Schäden könnten durch eine Reparatur spurenlos beseitigt werden. Durch den Unfall sei zudem lediglich die Zeitspanne, in der die Klägerin für ihre gewerblichen Zwecke einen Neuwagen besaß, geringfügig verkürzt worden. Die nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 1 S. 2 PflVG auf Schadensersatz in Geld beschränkte Verpflichtung des Haftpflichtversicherers schließe im Übrigen eine Zug um Zug-Verurteilung gegen Übereignung des beschädigten Kraftfahrzeugs aus.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Vortrag der Parteien wird auf den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und bis auf einen geringen Teil der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten (3.) auch begründet.

1. Die Klägerin hat gemäß § 3 Nr. 1 PflVG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Auslandpflichtversicherungsgesetz (AuslPflVG) und § 7 Abs. 1 StVG einen Anspruch auf Zahlung von € 88.940,43 Zug um Zug gegen Herausgabe des Unfallfahrzeugs.

Grundsätzlich hat ein Geschädigter nach § 249 BGB Anspruch auf volle Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden wirtschaftlichen Zustandes. Angesichts der allgemeinen besonderen Wertschätzung, die ein fabrikneuer unfallfreier Kraftwagen genießt, ist anerkannt, dass sich der Eigentümer eines Neuwagens im Falle dessen Beschädigung nicht immer mit der Erstattung der erforderlichen Reparaturkosten zuzüglich eines etwaigen merkantilen Minderwertes begnügen muss, sondern berechtigt sein kann, die – höheren – Kosten eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs zu verlangen. Da es nach der Verkehrsauffassung einen vermögenswerten Unterschied macht, ob man einen nagelneuen oder einen nicht unerheblich reparierten Kraftwagen besitzt, führt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. die Grundsatzentscheidung in BGH NJW 1976, 1202, 1203) nur die Neupreisentschädigung zu der nach § 249 BGB geschuldeten Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden wirtschaftlichen Zustandes, wenn das Unfallfahrzeug neuwertig war (a) und erheblich beschädigt wurde (b).

a) Unstreitig ist der PKW des Klägers, der zum Unfallzeitpunkt nicht mehr als 607 km zurückgelegt hatte und erst seit einem Tag zugelassen war, als neuwertig im vorgenannten Sinne anzusehen, denn diese Voraussetzung ist nach der genannten Grundsatzentscheidung des BGH vom 4.3.76 regelmäßig bei einer Laufleistung bis etwa 1000 km und einem Fahrzeugalter bis zu einem Monat gegeben.

b) Nach Ansicht des Senats wurde der PKW der Klägerin durch den Verkehrsunfall auch erheblich beschädigt. Der BGH (a.a.O.) stellt bei der Prüfung dieses Kriteriums nicht in erster Linie auf die Schwere der eingetretenen konkreten Unfallbeschädigung, sondern maßgebend darauf ab, in welchem Zustand sich das Fahrzeug nach einer (gedachten) fachgerechten Reparatur befindet (vgl. BGH VersR 1984, 46). Nur wenn dem Geschädigten in seiner konkreten Situation die Weiterbenutzung seines Fahrzeugs im reparierten Zustand wegen der Art der Beschädigung nicht zuzumuten sei, soll er berechtigt sein, auf Neuwagenbasis abzurechnen. Eine Weiterbenutzung des reparierten Unfallfahrzeugs hält der BGH dann für zumutbar, wenn der Unfall ausschließlich Teile betroffen hat, durch deren spurenlose Auswechslung der frühere Zustand voll wiederhergestellt werden kann (vgl. BGH NJW 76, 1202, 1203; NJW 82, 433). In einem solchen Fall sei die Beschaffung eines Neuwagens wirtschaftlich unvernünftig. Der Geschädigte müsse sich mit der Erstattung der Reparaturkosten und der Zuzahlung eines Geldbetrages für den verbleibenden merkantilen Minderwert begnügen.

Zu einer Präzisierung dieser Erheblichkeitsgrenze hatte der BGH lediglich in einem Sonderfall Veranlassung, bei dem die Laufleistung des betroffenen Unfallfahrzeugs zwischen 1000 und 3000 km lag (vgl. NJW 82, 433). Hier stellte er drei besondere Kriterien auf, bei deren Vorliegen eine Neupreisentschädigung in Betracht komme, weil der frühere Zustand durch die Reparatur auch nicht annähernd wieder hergestellt werde. Dies sei vor allem der Fall, wenn entweder
– sicherheitsrelevante Teile beschädigt wurden und trotz der Reparatur ein Unsicherheitsfaktor verbleibe,
– ein erhebliche Schönheitsfehler am PKW (z. B. Verformungen oder sichtbare Schweißnähte) zurückblieben oder
– eine Beschädigung stattgefunden habe, welche die Garantieansprüche des Eigentümers zumindest beweismäßig gefährden könne und der Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht alsbald seine Einstandspflicht verbindlich anerkenne.

Darüber, ob bei einer Reparatur des Klägerfahrzeugs, die bisher nicht stattgefunden hat, derartige Folgen zurückbleiben würden, besteht zwischen den Parteien Streit. Der Senat steht allerdings auf dem Standpunkt, dass diese Fragen offen bleiben können, weil Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ein sogenannter Regelfall mit einer Fahrleistung unter 1000 km ist. Zur Frage, wann in einem solchen Fall noch von einer spurenlosen Auswechselung der beschädigten Teile ausgegangen werden kann, hat der BGH – soweit ersichtlich – seit der Entscheidung aus dem Jahre 1976 nicht konkret Stellung genommen.

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Von einer spurenlosen Auswechselung beschädigter Teile, die zur Zumutbarkeit einer bloßen Reparatur führen könnte, kann dann nicht mehr die Rede sein, wenn die erforderliche Reparatur tragende Teile betrifft, die am Fahrzeug verbleiben und durch Richten oder Schweißen in Stand gesetzt werden müssen. Denn auch bei technisch einwandfreier Reparatur wird ein Fahrzeug durch solche Rückverformungsmaßnahmen nicht vollständig in den vom Hersteller gefertigten Ursprungszustand versetzt, so dass es bei derartigen Beschädigungen seinen „nagelneuen“ Charakter, dem nach der Verkehrsanschauung gerade ein gewisser Vermögenswert zukommt, verliert.

Es erscheint sachgerecht, die in der zitierten Grundsatzentscheidung des BGH von 1976 entwickelte Faustregel (vgl. BGH VersR 1983, 658) im Hinblick auf die Erheblichkeit der Schäden in diesem Sinne zu ergänzen. Danach reichen, wenn nicht Besonderheiten des konkreten Einzelfalles ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung erfordern, auch geringfügige Richtarbeiten an tragenden Teilen eines neuwertigen Fahrzeugs in der Regel aus, dem Geschädigten die Möglichkeit einer Abrechnung auf Neuwagenbasis zu eröffnen. Anders als bei einer Fahrleistung von 1000 bis 3000 km ist nicht erforderlich, dass darüber hinaus nach der fachgerechten Reparatur dieser Schäden die Gebrauchsfähigkeit oder Betriebssicherheit des Fahrzeugs noch beeinträchtigt ist oder ein technischer Mangel zurückbleibt.

Den Entscheidungen des OLG Celle NZV 2004, 586 und OLG Hamm NZV 2001, 478, 479, die geringfügige Richtarbeiten (im Fall des OLG Hamm immerhin 3 Stunden, im Fall des OLG Celle 1,5 Stunden) für die Zulässigkeit einer Neupreisentschädigung nicht ausreichen lassen wollen, vermag der Senat nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass bereits vom Wortlaut her in den entschiedenen Fällen eine vollständige Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes fraglich erscheint, bietet diese Rechtsprechung keine klaren und praktikablen Abgrenzungskriterien, die gerade im Massengeschäft der zivilrechtlichen Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen sinnvoll und hilfreich sind. Auch der Hinweis auf die seit 1976 deutlich verbesserte Reparatur- und Lackiertechnik (vgl. OLG Hamm a.a.O S. 479) überzeugt nicht. Selbst wenn nach dem heutigen hohen Standard der Reparaturtechnik durch Richt- und Schweißarbeiten ein technisch einwandfreier und auch verkehrssicherer Zustand erreicht wird, verliert ein Unfallwagen durch derartige Veränderungen nach der Verkehrsauffassung im Regelfall seinen „Nimbus“ als nagelneues Fahrzeug, der seinen Verkehrswert auf dem Markt maßgeblich beeinflusst.

c) Im vorliegenden Fall kommt danach eine Abrechnung auf Neuwagenbasis schon deshalb in Betracht, weil an der A-Säule des fraglichen BMW Instandsetzungsarbeiten durchzuführen sind. Deren Arbeitsaufwand hat der Sachverständige T…….. (Anl. K 4) mit 72 Minuten (12 AW) und der von dem Beklagten eingeschaltete Sachverständige T…….(Anl. K 10) unter der Bezeichnung VORDERT STUETZTR L INSTANDSETZEN mit 30 Minuten (6 AW) angesetzt. Trotz des insoweit verhältnismäßig niedrig geschätzten Reparaturaufwands hält der Senat bei wertender Betrachtung eine Abweichung von der unter b) skizzierten Regelbeurteilung hier nicht für geboten, sondern meint bei Würdigung aller Umstände, dass die erforderlichen Richtarbeiten an der A-Säule dem Fahrzeug der Klägerin den „Schmelz der Neuwertigkeit“ nehmen. Denn es handelt sich bei der Asäule um ein tragendes Teil, das für die Stabilität des Fahrzeugs von Bedeutung ist.

Wie der unstreitige Anstoß durch eine Sattelzugmaschine und das Schadensbild (vgl. Fotos der Anl. K 4) deutlich machen, wurde die gesamte linke Seite des Fahrzeugs und damit auch die A-Säule bei dem Verkehrsunfall in Mitleidenschaft gezogen. Bei dieser Sachlage stellen die erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen einen Eingriff in das Gefüge des Fahrzeugs dar, der es nicht vollständig in den vom Hersteller gefertigten Zustand zurückversetzt. Soweit das Landgericht davon ausgeht, die Richtarbeiten beträfen lediglich die Einpassung der neuen Tür und Scharniere, ergeben sich aus den beiden vorliegenden Gutachten dafür keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme spricht vorliegend auch der hohe merkantile Minderwert von € 3.500,– als zusätzliches Indiz für die Erheblichkeit der Beschädigung. In den Fällen der Oberlandesgerichte Hamm und Celle betrug der merkantile Minderwert der betroffenen Fahrzeuge lediglich DM 2.000,00 bzw. € 1.200,00. Nach allem erscheint im vorliegenden Fall nur eine Neupreisentschädigung geeignet, alle durch den Unfall verursachten Nachteile der Klägerin auszugleichen.

d) Entgegen der von dem Beklagten vertretenen Ansicht entfällt der Grund für eine Neupreisentschädigung nicht deshalb, weil der BMW der Klägerin gewerblich genutzt wurde und ohne den Unfall in kurzer Zeit die Neuwagenkriterien wegen Überschreitung der Fahrleistungsgrenze entfallen wären. Im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses lagen diese Voraussetzungen uneingeschränkt vor. Das Fahrzeug wurde nach dem unbestritten gebliebenen Sachvortrag der Klägerin von deren Geschäftsführer für Aquise-Fahrten eingesetzt. Es handelt sich somit nicht um ein Nutzfahrzeug im engeren Sinne (Taxi, Transportfahrzeug), für das ein strengerer Maßstab gelten würde (vgl. OLG Stuttgart VersR 1983, 92).

e) Dem Anspruch auf Neupreisentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe des Unfallfahrzeugs steht auch nicht § 3 Nr. 1 S. 2 PflVG entgegen, wonach der Beklagte Schadensersatz in Geld zu leisten hat. Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Geld. Dass sie ihren Anspruch auf Leistung Zug um Zug gegen Herausgabe des beschädigten Fahrzeugs einschränkt, macht den gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB geltend gemachten Geldanspruch nicht zu einem Anspruch auf Naturalrestitution. Soweit sich der Beklagte in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts von 1973 (VersR 74, 392 f.) beruft, ist diese inzwischen überholt. Der BGH hat ausdrücklich entschieden (vgl. VersR 83, 758 ff.), dass der Geschädigte auch gegenüber dem aus § 3 PflVG haftenden Haftpflichtversicherer Anspruch auf vollen Ersatz der für ein Neufahrzeug aufzuwendenden Kosten hat, wenn er das Unfallfahrzeug dem Schädiger bzw. dem Versicherer zur Verwertung zur Verfügung stellt.

Dass der Beklagte bei der Verwertung des beschädigten PKW einen unverhältnismäßig hohen Verlust erleiden würde, behauptet er selber nicht.

f) Schließlich ist für die Schadensregulierung unerheblich, dass die Klägerin sich bisher kein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft, sondern mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 02.03.07 lediglich unter Einreichung der entsprechenden Vertragsunterlagen (Anl. KR 4 und 5) behauptet hat, bis zum Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits und der beabsichtigten Neuanschaffung eines BMW habe sie Interimsfahrzeuge gemietet bzw. geleast. Der Senat vertritt die Auffassung, dass der eine Neupreisentschädigung verlangende Geschädigte keine Wiederbeschaffung oder Wiederbeschaffungsabsicht nachweisen muss (vgl. zum Meinungsstand Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 249 Rdnr. 22). Die abweichende Ansicht (vgl. u. a. Eggert DAR 1997, 129, 136) berücksichtigt nicht hinreichend den inneren Grund für die Neupreisentschädigung. Dieser liegt darin, dass allein die Erstattung der Ersatzbeschaffungskosten im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB geeignet ist, die vom Schädiger verursachten vermögenswerten Nachteile vollständig auszugleichen. Nach der Grundkonzeption des § 249 BGB muss dann der Geschädigte in seiner Disposition frei sein, wie er mit dem Geldbetrag, der erst seine Vermögensbilanz zum Ausgleich bringt, verfährt (vgl. Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 3 Rdnr. 20).

2. Der Zinsanspruch ist aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 286 Abs. 1, Abs.2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB in Verbindung mit der Ablehnung der Neuwagenregulierung durch das Schreiben vom 26.9.05 (Anl. K 9) begründet.

3. Außerdem hat der Beklagte der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten für die Inanspruchnahme ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von weiteren € 823,03 zu ersetzen. Die Geschäftsgebühr ist nach einem Gegenstandwert in Höhe von € 101.154,34 zu berechnen. Dieser setzt sich aus der vorprozessual erfüllten Forderung in Höhe von € 9.484,83 (Anl. K 9), den berechtigten weiteren Neuanschaffungskosten in Höhe von € 89.077,51 sowie den Mietwagenkosten in Höhe von € 2.592,– zusammen. Die 1,3 Geschäftsgebühr gemäß §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 2300 VV RVG beträgt 1.760,20. Bei Berücksichtigung der Auslagenpauschale von € 20,– gemäß Nr. 7002 VV RVG und 16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG ergibt sich ein Betrag in Höhe von 2.065,03. Da die Klägerin ihre Forderung unter Anrechnung einer 0,65 Gebühr berechnet, beträgt die bei dem genannten Gegenstandswert vorzunehmende Kürzung € 880,10, womit eine Gebührenforderung in Höhe von € 1.184,93 verbleibt. Davon ist wiederum der erstinstanzlich ausgeurteilte und inzwischen gezahlte Betrag in Höhe von € 361,90 in Abzug zu bringen. Für die vorprozessuale Einschaltung ihres Prozessbevollmächtigten kann die Klägerin somit noch € 823,03 verlangen.

Dieser Betrag ist gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Der diesem Rechtsstreit zugrundeliegende Fall gibt Veranlassung, die Leitsätze des BGH in Bezug auf die Voraussetzungen einer Abrechnung auf Neuwagenbasis weiter zu ergänzen. Die klärungsbedürftige Frage, wann die Erheblichkeitsschwelle bei der Beschädigung des betroffenen Unfallfahrzeugs überschritten ist, wird sich voraussichtlich künftig in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen, auch wenn jeweils der konkrete Einzelfall gesondert zu würdigen ist. Im Hinblick darauf, dass die unter II. 1. zitierten Entscheidungen des OLG Hamm und OLG Celle die entscheidungserhebliche Frage abweichend vom erkennenden Senat beurteilen, erscheint auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Förderung der Rechtssicherheit die Herbeiführung einer Revisionsentscheidung geboten.

 

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