BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
Az.: 2 BvR 1815/06
Beschluss vom 05.10.2006
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 27. Juli 2006 – 1 Ws 407/06 -,
b) den Haftbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 12. September 2005 – 1 Gs 2945/05 –
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 5. Oktober 2006 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 27. Juli 2006 – 1 Ws 407/06 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.
I.
1.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 14. September 2005 auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Würzburg vom 12. September 2005 in Untersuchungshaft. Ihm wurde darin Betrug in sieben Fällen, ein versuchter Betrug, Steuerhinterziehung in sechs Fällen und das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in neun Fällen zur Last gelegt. Den Tatvorwürfen lagen Erkenntnisse aus zwei Ermittlungsverfahren zu Grunde. Als Haftgrund wurde Fluchtgefahr angenommen.
2.
Jeweils unter dem 26. September 2005 erstellte die Staatsanwaltschaft Würzburg zwei Anklageschriften (Az.: 731 Js 817/00 und 731 Js 17784/05).
Das Landgericht Würzburg – 6. Strafkammer – ließ im Verfahren 731 Js 817/00 mit Beschluss vom 10. Februar 2006 die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Ferner ordnete es Haftfortdauer sowie die Einholung eines schriftlichen Gutachtens zu der Frage an, ob bei dem Beschwerdeführer aus medizinisch-psychiatrischer Sicht die Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorliegen.
Mit Verfügung vom 23. Februar 2006 bestimmte das Landgericht Würzburg Termine zur Hauptverhandlung, die am 17. Mai 2006 beginnen und sich über insgesamt elf Verhandlungstage bis zum 19. Juli 2006 erstrecken sollte. Zu diesen Terminen war auch der bestellte Sachverständige geladen.
Mit Beschluss vom 2. März 2006 ließ die 6. Strafkammer des Landgerichts Würzburg auch im Verfahren 731 Js 17784/05 die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Außerdem wurde das Verfahren mit dem Verfahren 731 Js 817/00 verbunden. Zu dem in diesem Verfahren bereits bestimmten Termin vom 28. Juni 2006 wurden ergänzend Zeugen geladen.
Unter dem 9. Mai 2006 wurden die Termine mit der Begründung aufgehoben, dass der Vorsitzende der für die Durchführung der Hauptverhandlung zuständigen 6. Strafkammer voraussichtlich zum 1. Juni 2006 die Stelle des verstorbenen Vorsitzenden der 1. Strafkammer übernehmen solle. Ein Nachfolger als Vorsitzender der 6. Strafkammer stehe noch nicht fest. Voraussichtlich zum 1. Juni 2006 werde zudem auch der Berichterstatter das Landgericht verlassen und zur Staatsanwaltschaft wechseln.
Mit Schreiben vom 31. Mai 2006 teilte die 6. Strafkammer des Landgerichts Würzburg dem Verteidiger des Beschwerdeführers mit, dass ein Vorsitzendenwechsel stattgefunden habe. Oberstaatsanwalt B. trete am 1. Juli 2006 die Nachfolge des zur 1. Strafkammer gewechselten Vorsitzenden an. Dieser sei wegen seines Tätigwerdens als Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren von Gesetzes wegen an der Mitwirkung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Ferner wechsle der Berichterstatter zum 19. Juni 2006 zur Staatsanwaltschaft. Der ständige Vertreter des Vorsitzenden habe ein umfangreiches Urteil abzusetzen. Nach den Pfingstferien werde die Kammer vorrangige Haftsachen verhandeln. Im Zeitraum vom 21. August bis 10. September 2006 nehme er seinen Jahresurlaub, so dass der Beginn der Hauptverhandlung ab dem 25. September 2006 in Betracht komme.
Mit Verfügung vom 7. Juli 2006 bestimmte das Landgericht Würzburg Termin zur Hauptverhandlung zwischen dem 4. Oktober 2006 und dem 11. Dezember 2006 über insgesamt elf Verhandlungstage.
3.
a) Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg legte dem Oberlandesgericht im Rahmen der Haftprüfung die Akten vor. Sie vertrat die Ansicht, dass das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gewahrt sei. Dem trat der Verteidiger des Beschwerdeführers im Hinblick auf die durch die Terminsaufhebung eingetretene Verfahrensverzögerung entgegen.
b) Mit Beschluss vom 27. Juli 2006 ordnete das Oberlandesgericht Bamberg die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Es vertrat die Ansicht, dass die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nach wie vor gegeben seien, vor allem sei ihre Fortdauer weiterhin durch einen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO getragen. Die durch den Tod des Vorsitzenden der 1. Strafkammer bedingten Vorsitzendenwechsel und die Versetzung des bisherigen Berichterstatters zur Staatsanwaltschaft entstandenen Schwierigkeiten bei der Verfahrensabwicklung hätten zwar zu einer Verfahrensverzögerung geführt. Diese sei jedoch durch gerichtsorganisatorische Maßnahmen nicht zu beseitigen gewesen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer selbst durch die beantragte Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Verfahrensverzögerung beigetragen habe. Das vorläufige Gutachten sei für Anfang August 2006 angekündigt worden. Dieses müsse sodann dem Verteidiger des Beschwerdeführers zur Stellungnahme zugestellt werden. Im Übrigen habe das Landgericht nunmehr Termine zur Hauptverhandlung bestimmt. Als frühester Termin sei in Absprache mit dem Verteidiger der 4. Oktober 2006 in Betracht gekommen. Der Abschluss des Verfahrens sei somit vorhersehbar.
II.
1.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Beschleunigungsgebotes in Haftsachen. Die Begründung des Oberlandesgerichts sei formelhaft und verkenne, dass es keinen nachvollziehbaren Grund dafür gegeben habe, die bereits auf den 17. Mai 2006 terminierte Hauptverhandlung abzusetzen. Es habe unter Berücksichtigung der bestehenden Termine keinen sachlichen Grund gegeben, den Vorsitzenden der zuständigen Strafkammer mit einem anderen Vorsitz zu betrauen. Nicht notwendig sei auch die Versetzung des Berichterstatters zur Staatsanwaltschaft gewesen. Ebenso sei es der Justiz anzulasten, dass der neue Vorsitzende der Strafkammer ausgeschlossen und sein Vertreter auf Grund einer Arbeitsüberlastung und seines Jahresurlaubs das Verfahren nicht früher beginnen könne. Unrichtig sei das Oberlandesgericht im Übrigen davon ausgegangen, dass wegen einer Verhinderung des Verteidigers mit der Hauptverhandlung nicht bereits am 25. September 2006 habe begonnen werden können. Er habe die Möglichkeit der Wahrnehmung des Termins gerade bestätigt. Fehl gehe im Übrigen auch der Hinweis auf die auf ihn zurückzuführende Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieses sei immerhin schon zwei Monate und elf Tage vor dem Eröffnungsbeschluss beantragt worden.
2.
Den gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Oberlandesgericht habe sich mit allen für die Haftfortdauerentscheidung bedeutsamen Umständen auseinander gesetzt und sei zu einem von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen.
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eröffnenden Weise – auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet.
I.
1.
Auf Grund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 i.V.m. Art. 104 GG) muss das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>). Dem ist durch eine verfahrensrechtliche Kompensation (vgl. BVerfGE 17, 108 <117 ff.>; 42, 212 <219 f.>; 46, 325 <334 f.>) des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs, namentlich durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinander zu setzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. August 1998 - 2 BvR 962/98 -, StV 1999, S. 40, und vom 10. Dezember 1998 – 2 BvR 1998/98 -, StV 1999, S. 162; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2001 – 2 BvR 1316/01 -, NJW 2002, S. 207 f.). Diese Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2006 – 2 BvR 170/06 -, Abs.-Nr. 32; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2006 – 2 BvR 523/06 -, Abs.-Nr. 18).
2.
Die aktuelle Bewertung des Verfahrensstandes beinhaltet auch die Prüfung, ob dem Beschleunigungsgebot entsprochen wurde. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantiert die Freiheit der Person. In diesem Freiheitsgrundrecht ist das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angesiedelt (vgl. BVerfGE 46, 194 <195> m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat daher in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschwerdeführers den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49 f.>) und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößern kann (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>) und regelmäßig vergrößern wird (vgl. BVerfGE 53, 152 <158 f.>). Das bedeutet, dass ein Eingriff in die Freiheit nur hinzunehmen ist, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann als durch die vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen (vgl. BVerfGE 19, 342 <347 f.>). Auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe setzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer Grenzen. Dem trägt § 121 Abs. 1 StPO insoweit Rechnung, als der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO lässt nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <270 f.>).
3.
Wird die von Verfassungs wegen gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>) nicht – auch nicht ansatzweise – vorgenommen, die Haftfortdauer lediglich mit der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts begründet oder nicht einmal die weitere gesetzliche Voraussetzung einer Rechtfertigung der Fortdauer der Untersuchungshaft überhaupt erwähnt (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. August 1998 – 2 BvR 962/98 -, StV 1999, S. 40, und vom 10. Dezember 1998 – 2 BvR 1998/98 -, StV 1999, S. 162), liegt mit anderen Worten ein Abwägungsausfall vor, so hat dies regelmäßig eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) zur Folge. Gleiches hat auch für den Fall eines für das Abwägungsergebnis erheblichen Abwägungsdefizits (es wird nicht eingestellt, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss) oder einer Abwägungsdisproportionalität (Fehlgewichtung einzelner oder mehrerer Belange) zu gelten (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2006 – 2 BvR 170/06 -, Abs.-Nr. 33; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2006
– 2 BvR 523/06 -, Abs.-Nr. 22).
II.
Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht.
Im Rahmen der Behandlung der Frage, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft durch einen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO getragen ist, beschränkt sich das Oberlandesgericht auf die bloße Darstellung der zeitlichen Abläufe und die Aussage, dass die in Folge der Terminsaufhebung eingetretene Verfahrensverzögerung durch gerichtsorganisatorische Möglichkeiten nicht zu beseitigen gewesen sei. Eine Unvermeidbarkeit der nahezu viermonatigen und damit erheblichen Verfahrensverzögerung trägt diese Begründung indessen nicht. Das Oberlandesgericht geht nicht auf den nahe liegenden und auch vom Verteidiger des Beschwerdeführers im Rahmen des Haftprüfungsverfahrens ausdrücklich formulierten Gesichtspunkt ein, dass die Aufhebung der ab dem 17. Mai 2006 bestimmten Termine der Hauptverhandlung ohne weiteres vermeidbar gewesen wäre, wenn das Präsidium des Landgerichts Würzburg bei der Besetzung des schon seit Anfang Januar 2006 offenen Vorsitzes der 1. Strafkammer die effektive Weiterbearbeitung der bereits terminierten Haftsachen berücksichtigt hätte.
Das Präsidium ist bei einem Ausscheiden eines Richters aus dem Dienst zwar nicht darauf beschränkt, lediglich die frei gewordene Stelle zu besetzen (vgl. BGH, Urteil vom 10. September 1968 – 1 StR 235/68 -, BGHSt 22, 237 <239>; BVerwG, Beschluss vom 18. März 1982 – 9 CB 1076/81 -, NJW 1982, S. 2274; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl. 2005, § 21 e Rn. 113). Allerdings hat das Präsidium eines Gerichts bei einer Änderung der Geschäftsverteilung darauf zu achten, dass ein dem Rechtsstaatsprinzip genügender wirkungsvoller Rechtsschutz, zu dem auch die Entscheidung in angemessener Zeit gehört (vgl. BVerfGE 88, 118 <124>), gewährleistet ist. So hat das Präsidium bei den von ihm getroffenen gerichtsorganisatorischen Maßnahmen etwa die effektive Weiterbearbeitung von Eilverfahren sicherzustellen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2001 – 1 BvR 165/01 -, NVwZ-RR 2001, S. 694 f.; Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 21 e GVG Rn. 18). Ebenso ist es nicht nur Aufgabe der einzelnen Strafrichter und Strafkammern eines Gerichts, sondern der Gerichtsorganisation insgesamt für die Verwirklichung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen Sorge zu tragen. Vor diesem Hintergrund hätte das Oberlandesgericht prüfen müssen, ob der Präsidiumsbeschluss diese Vorgabe hinreichend beachtet hat und die ihm zu Grunde liegenden Erwägungen die Annahme einer Unvermeidbarkeit der eingetretenen Verfahrensverzögerung trägt.
Unbeschadet dessen, dass es grundsätzlich zulässig ist, die personelle Zusammensetzung von Strafkammern auch dann zu ändern, wenn bei dem betreffenden Spruchkörper – wie häufig – eine oder mehrere Haftsachen anhängig sind, rechtfertigen die in diesem Fall bislang bekannten Umstände die Unvermeidbarkeit der eingetretenen Verfahrensverzögerungen nicht, zumal die Untersuchungshaft nunmehr bereits über ein Jahr andauert und die Verfahrensverzögerung von nahezu vier Monaten erhebliches Gewicht besitzt. Aus der Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 31. Mai 2006 geht hervor, dass in dieser Strafkammer sogar gegenüber dem gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren „vorrangige“ Haftsachen anhängig waren. Die vorgenommene Umbesetzung der Vorsitzenden hatte zudem noch die Folge, dass weitere Schwierigkeiten bei der Abwicklung des den Beschwerdeführer betreffenden Verfahrens eintraten. Der neu bestellte Vorsitzende der 6. Strafkammer war wegen seiner Tätigkeit als Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren an der Mitwirkung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen. In der Hauptverhandlung müssen seine Aufgaben daher von dem stellvertretenden Vorsitzenden wahrgenommen werden. Dessen Arbeitskraft war jedoch dadurch, dass er zugleich auch ständiger Vertreter des Vorsitzenden der Jugendkammer des Landgerichts Würzburg ist, ohnehin bereits erheblich in Anspruch genommen. In letzterer Eigenschaft hatte er ein umfangreiches, mit der Revision angefochtenes Urteil gegen vier Angeklagte nach einer sechsmonatigen Hauptverhandlung abzusetzen. Hinzu kam, dass die Planung seines Jahresurlaubs bereits feststand. Diese von der Stellenumbesetzung ausgehenden negativen Folgen für das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren waren für das Präsidium auch absehbar. Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge ist die Annahme einer Unvermeidbarkeit der eingetretenen erheblichen Verfahrensverzögerung nicht haltbar, zumal das Oberlandesgericht keinerlei Ermittlungen über die Gründe des gefassten Präsidiumsbeschlusses angestellt hat.
Auch der Hinweis des Oberlandesgerichts auf den Wechsel des Berichterstatters zur Staatsanwaltschaft trägt die Annahme einer unvermeidbaren Verfahrensverzögerung nicht. Am 9. Mai 2006, dem Zeitpunkt der Terminsaufhebung, stand der genaue Zeitpunkt der Versetzung des Berichterstatters noch nicht fest. Es kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass bei einem Verbleiben des Vorsitzenden bei der 6. Strafkammer und bei einem Beginn der Hauptverhandlung an dem ursprünglich vorgesehenen Termin im Mai 2006 der Berichterstatter ebenfalls zum 19. Juni 2006 zur Staatsanwaltschaft versetzt worden wäre. In der Praxis ist es durchaus üblich, dass Versetzungen zurückgestellt werden, um den sachgerechten Abschluss einer Hauptverhandlung zu ermöglichen, sofern nicht zwingende Gründe für eine solche Personalmaßnahme vorliegen. Unabhängig davon wäre bei der Absehbarkeit einer Versetzung des Berichterstatters bei Beginn der Hauptverhandlung die Bestellung eines Ergänzungsrichters in Betracht zu ziehen gewesen, um die Aussetzung der Hauptverhandlung zu vermeiden. Auch mit diesen nahe liegenden Gesichtspunkten setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander.
Schließlich trägt auch der Hinweis des Oberlandesgerichts auf eine durch die Notwendigkeit der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens bedingte Verfahrensverzögerung nicht. Auch in diesem Punkt wird der Beschluss des Oberlandesgerichts den Anforderungen an eine Analyse der konkreten Verfahrensabläufe und einer entsprechenden Bewertung nicht gerecht. Zu berücksichtigen ist, dass die Hauptverhandlung bereits terminiert, ein Sachverständiger bestellt und dieser ausweislich der Ladungsverfügung vom 23. Februar 2006 auch an sämtlichen Hauptverhandlungsterminen anwesend sein sollte. Diese Umstände sprechen dafür, dass die Begutachtung des Beschwerdeführers auch innerhalb der Hauptverhandlung hätte erfolgen können. Auch sind die ursprünglich festgelegten Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung nicht mit der Begründung aufgehoben worden, dass die Erstellung des notwendigen Gutachtens aus Zeitgründen nicht möglich sei. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die Vorlage eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im August 2006 auf die erst ab dem 4. Oktober 2006 beginnende Hauptverhandlung und den damit nicht mehr gegebenen Zeitdruck für den Sachverständigen zurückzuführen ist. Ermittlungen, die eine andere Schlussfolgerung rechtfertigen, hat das Oberlandesgericht auch insoweit nicht angestellt. Selbst wenn im Übrigen dem Sachverständigen aus zwingenden Gründen eine frühere Erstellung des Gutachtens nicht möglich gewesen wäre, wofür bislang keine Anhaltspunkte sprechen, wäre zu berücksichtigen, dass nach der zwischenzeitlich erfolgten Vorlage eines schriftlichen Sachverständigengutachtens bei einem Beginn der Hauptverhandlung im Mai 2006 eine frühere Verfahrensbeendigung, als sie jetzt im Raum steht, wahrscheinlich gewesen wäre. Zudem geht das Oberlandesgericht auch nicht auf den Gesichtspunkt ein, dass der Verteidiger des Beschwerdeführers die Einholung eines Sachverständigengutachtens bereits am 30. November 2005 beantragt hatte.
III.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch das Oberlandesgericht festzustellen. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft herbeizuführen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).