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Verkehrsunfall mit Personenschaden – Verschulden von Pkw-Fahrer und Beifahrer

OLG Celle – Az.: 5 U 28/19 – Urteil vom 16.05.2019

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. Januar 2019 verkündete Grundurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg teilweise geändert und unter Zurückweisung der Anschlussberufung wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Den Klägern werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger begehren Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall vom 17. August 2014, an dessen Folgen der Erblasser, D. S., am 26. April 2017 verstarb.

Bei diesem Verkehrsunfall war D. S. Beifahrer in dem V. seines Vaters, amtliches Kennzeichen …, das bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert war. Die Beklagte zu 1 führte das Fahrzeug.

Am Vorabend des Unfalls fand eine Geburtstagsfeier der R. K. statt, an der u. a. der Erblasser und die Beklagte zu 1 teilnahmen. Es wurde Alkohol konsumiert. Kurz nach Mitternacht überließ der Erblasser der Beklagten zu 1 auf deren Bitte, einmal fahren zu dürfen, die Fahrzeugschlüssel und setzte sich zu ihr in das Fahrzeug. Die Beklagte zu 1, im Unfallzeitpunkt 17 Jahre, besaß keine Fahrerlaubnis.

Auf der Landesstraße …, Abschnitt …, … bei R. verlor die Beklagte zu 1 die Kontrolle über das Fahrzeug, geriet nach rechts auf den Gehweg, schleuderte nach links und kollidierte sodann frontal mit einem Straßenbaum. An dieser Stelle betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h, die Beklagte zu 1 war mit knapp 100 km/h in die Rechtskurve eingefahren. Ihre Blutalkoholkonzentration betrug zum Unfallzeitpunkt 0,62 Promille; auch der Erblasser war alkoholisiert. Beide wurden lebensbedrohlich verletzt. Der Erblasser erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Frakturen beider Beine. Er war bis zu seinem Tod schwerst pflegebedürftig.

Gegen die Beklagte zu 1 und den Erblasser wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet (201 Js 6391/14 Staatsanwaltschaft Bückeburg). Die damalige Gastgeberin, R. K., sagte in ihrer polizeilichen Vernehmung unter anderem aus (Blatt 41 f. BA):

„Nachdem mir alle gratuliert hatten, fragte mich ein Freund, wie alt die

K. ist. Ich wusste, dass sie 17 Jahre alt ist. Bei dem Freund handelt es sich um den A. B.. Der A. erzählte mir, dass die K. und der D. gerade mit dem Auto weggefahren sind. Darüber war ich sehr erschrocken, weil ich wusste, dass beide was getrunken haben. Auch wusste ich, wie D. Auto fährt. Er fährt ziemlich schnell. Ich bin davon ausgegangen, dass D. gefahren ist. Ich bin dann auf den Hof bzw. die Straße rausgegangen, um zu sehen, ob das Auto wirklich weg ist. (…) Zunächst bin ich wieder reingegangen. Wir alle konnten nicht glauben, dass K. und D. weg waren. (…) Auf der … Straße, in Richtung T., habe ich eine Warnblinkanlage blinken sehen. Ich habe zunächst geglaubt, dass K. und D. dort mit dem Auto mit eingeschalteter Warnblinkanlage gestanden haben. (…)“

A. B. sagte aus (Blatt 51 ff. BA):

Verkehrsunfall mit Personenschaden – Verschulden von Pkw-Fahrer und Beifahrer
(Symbolfoto:Von RossHelen /Shutterstock.com)

„Ebenfalls bei der Geburtstagsfeier waren der D. S. und die K. G. Von beiden ist mir bekannt, dass sie sich seit ein paar Monaten kannten. (…) Ca. 10 Minuten nach Mitternacht habe ich dann gehört, wie die K. den D. angesprochen hat. Sie hat gesagt, dass sie Auto fahren kann und den D. gefragt, ob sie mal fahren darf. Ich saß direkt neben D., K. uns unmittelbar gegenüber. Zunächst fasste ich die Frage als Scherz auf, die nicht ernst gemeint war. D. stand nun unmittelbar auf, nahm den Fahrzeugschlüssel aus seiner Bekleidung, hielt ihn in der Hand und zeigte ihn K.. Er sagte zu K.: ‚Komm mit.‘ Beide verließen nun den Partyraum und gingen in Richtung der auf dem Hofgrundstück abgestellten Fahrzeuge. Ich folgte den beiden, weil ich das Gespräch nicht glauben wollte. Als ich zum Hofgrundstück kam, sah ich, dass K. auf der Fahrerseite des Pkw von D. einstieg. D. saß schon auf dem Beifahrersitz und war kurz davor, die Tür zuzumachen. Ich war ca. 10 m von dem Pkw entfernt, die Beifahrertür war noch geöffnet, sprach ich den D. an. Ich sagte dem D.: ‚Du weißt schon, dass die K. erst 17 Jahre alt ist?‘ D. antwortete mir, dass ich ‘die Fresse halten soll‘. Er schloss die Tür und dann wurde zeitgleich der Motor gestartet. (…) Ich hatte den Eindruck, dass K. sehr unsicher fuhr. Der Motor heulte auf, sie fuhr sehr langsam los. Mir ist bekannt, dass K. zur Zeit eine Fahrschulausbildung macht. Der Pkw fuhr weiter auf der Straße ‚… ‘, folgte dem Verlauf der Straße. Nach der Linkskurve konnte ich den Wagen nicht mehr sehen. (…)“

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, dass die Beklagte zu 1 den Unfall verschuldet habe und sich der Erblasser allenfalls ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen müsse.

Sie haben in erster Instanz zuletzt beantragt,

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die unbekannten Erben des Herrn D. S., verstorben am 26. April 2017, gesetzlich vertreten durch den Nachlasspfleger, Rechtsanwalt S. A., …, … R., ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 10.000 € seit dem 11. September 2014, im Übrigen seit Rechtshängigkeit zu zahlen, soweit seine Vorstellungen nicht über einen Betrag von 200.000 € hinausgehen;

2. die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die unbekannten Erben des Herrn D. S., verstorben am 26. April 2017, gesetzlich vertreten durch den Nachlasspfleger, Rechtsanwalt S. A., …, … R., 27.880,82 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. die Beklagten weiter als Gesamtschuldner zu verurteilen, die unbekannten Erben des Herrn D. S., verstorben am 26. April 2017, gesetzlich vertreten durch den Nachlasspfleger, Rechtsanwalt S. A. aus R., von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 3.509,19 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat den Zeugen A. B. vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11. Dezember 2018 (Blatt 285 ff.) Bezug genommen. Es hat sodann durch Grundurteil die Verpflichtung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Leistung immateriellen und materiellen Schadensersatzes festgestellt, wobei sich der Erblasser ein Mitverschulden von 70 % anrechnen lassen müsse. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Grundurteil (Blatt 296 ff.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie eine Abweisung der Klage erstreben und die Kläger mit ihrer Anschlussberufung, mit der sie eine Reduzierung des Mitverschuldensanteils begehren.

Die Beklagten beantragen, das angefochtene Grundurteil des Landgerichts Bückeburg, 2 O 74/16, abzuändern und die Klage gänzlich abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung der Beklagten vom 4. Februar 2019 zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung unter Abänderung des Grundurteils des Landgerichts Bückeburg – 2 O 74/16 – vom 15. Januar 2019 wird festgestellt,

1. dass die Beklagten als Gesamtschuldner aufgrund des Unfallereignisses vom 17. August 2015 den Klägern ein angemessenes Schmerzensgeld unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des verstorbenen Herrn D. S. von 50 % zu zahlen haben,

2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner die aus dem Unfall vom 17. August 2015 entstandenen materiellen Schäden des Herrn D. S. den Klägern zu 50 % zu ersetzen haben.

Die Beklagten beantragen, die Anschlussberufung der Kläger zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Parteien Bezug genommen. Die Beiakte 201 Js 6391/14 StA Bückeburg lagen vor und war Gegenstand des Verfahrens.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet, die Anschlussberufung der Kläger unbegründet. Den Klägern steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu.

Es wird zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen des Senats in dem Beschluss vom 7. Juni 2018 (Blatt 261 ff.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.

Den tragischen Verkehrsunfall haben beide Beteiligten in besonders leichtfertiger Art und Weise verursacht. Beiden sind erhebliche Verstöße gegen die Rechtsordnung vorzuwerfen. Auf Seiten der Beklagten zu 1 sind dies das Fahren ohne Fahrerlaubnis, das Führen eines Fahrzeuges unter Alkoholeinfluss und das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Auf Seiten des Erblassers ist dies das Überlassen des Fahrzeuges an eine Fahrerin ohne Fahrerlaubnis, die darüber hinaus alkoholisiert war.

Irrelevant ist, ob der Erblasser wusste, wie viel Alkohol die Beklagte zu 1 getrunken hatte. Es war ihm bekannt, jedenfalls musste er damit rechnen, dass sie Alkohol konsumiert hatte. Dies ergibt sich zum einen aus dem „gemeinsamen Anstoßen“ auf den Geburtstag der Gastgeberin zu Mitternacht, zum anderen aus dem Umstand, dass der Erblasser und die Beklagte zu 1 in einer Gruppe zusammen saßen, wie dies der Zeuge B. in seiner polizeilichen Vernehmung bekundete. Angesichts der Teilnahme an einer Feier, auf der Alkohol getrunken wurde und der Erblasser selbst ganz erheblich Alkohol konsumiert hatte, lag es nahe, dass auch die Beklagte zu 1 alkoholisiert war. Ebenso wusste der Erblasser, jedenfalls musste es sich ihm aufdrängen, dass die Beklagte zu 1 keinen Führerschein hatte. Sie verwies bei der Bitte, fahren zu dürfen, nicht etwa darauf, dass sie schon den Führerschein habe, sondern dass sie bereits Autofahren könne. Auf das Alter der Beklagten zu 1 hatte der Zeuge B. den Erblasser vor Antritt der Fahrt ausdrücklich hingewiesen. Davon, dass die Beklagte zu 1 bereits einen „Führerschein auf Probe“ gehabt hätte, konnte der Erblasser nicht ausgehen. Zudem fehlen die Voraussetzungen des § 48 a FeV (namentlich benannte, in die Fahrerlaubnis eingetragene Begleitperson von mindestens 30 Jahren, mindestens fünf Jahre im Besitz einer Fahrerlaubnis, nicht erheblich alkoholisiert).

Bereits als die beiden losfuhren, war die Gefahr eines schweren Unfalls mit Händen zu greifen. Das zeigt sich auch daran, dass die Gastgeberin der Geburtstagsfeier und die anderen Gäste mit Entsetzen auf die Absicht der beiden reagierten und ihnen auf der Straße hinterher gingen, um zu sehen, wie die Fahrt weiter verläuft.

Beide Beteiligten haben alles, was ihnen zur Warnung hätte gereichen müssen, sogar die Ermahnung des Zeugen B., in den Wind geschlagen und ihr leichtfertiges und unverantwortliches Tun fortgesetzt.

Bei dem von beiden gleichermaßen zu verantwortenden tragischen Geschehen ist es nach Auffassung des Senats unangemessen, (irgend) einem von beiden gegen den anderen Ansprüche zuzuerkennen. Beide haben sich „sehenden Auges“ in Lebensgefahr begeben; genau diese Gefahr hat sich verwirklicht, für einen von ihnen mit tödlichem Ausgang. Die Frage des Mitverschuldens stellt sich nicht. Bei der Ausgangslage im vorliegenden Fall war es letztlich eine Frage des Zufalls, ob beide die Fahrt unversehrt überstehen oder bei einem Unfall beide oder nur einer schwer verletzt wird – ungeachtet der Gefahr, dass unbeteiligte Dritte geschädigt werden. Der Verantwortung, die beide gleichermaßen an diesem selbstverschuldeten Geschehen tragen, würde es nicht gerecht, wenn die Frage eines Ausgleichs materieller und immaterieller Schäden letztlich davon abhinge, wer von den beiden Verursachern zufällig aufgrund der gemeinsam schuldhaft gesetzten Ursache verletzt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.

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