LG Mönchengladbach – Az.: 7 O 51/18 – Urteil vom 17.05.2019
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aufgrund eines Diebstahls von Sendungsgut auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin betreibt einen Eier-Großhandel und beliefert Kunden im In- und Ausland.
Die Beklagte ist ein Speditionsunternehmen. Die Parteien arbeiten seit dem Jahr 2015 zusammen.
Rechtliche Grundlage ist ein Transportvertrag vom 3. September 2015 (Bl. 9 GA). In diesem Vertrag versichert die Beklagte u.a., dass sie nach IFS-Logistik zertifiziert ist und die IFS-Vorgaben eingehalten werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das zu den Akten gereichte Kopierexemplar (Bl. 9) Bezug genommen.
Im Jahr 2016 erhöhte sich das Transportvolumen. Die Klägerin fasste mit E-Mail vom 30. November 2016 den mit der Beklagten besprochenen Ablauf per E-Mail zusammen (Bl. 133). Danach war die Klägerin berechtigt, am „Tag A“ bis zu 8 Fahrzeuge anzumelden. Am Tag „B“ konnte die Klägerin bis zu 12 Fahrzeuge stornieren. Am Tag „B“ sollte abends die Verladung erfolgen, am Tag „C“ die Anlieferung.
Dieser Ablauf wurde bei Anlieferung unter der Woche praktiziert. Bei Anlieferung bei den Endkunden am Wochenanfang wurde die Handhabung angepasst. Die Beklagte verbrauchte jeweils freitags die angeforderte Anzahl von Sattelaufliegern auf das Betriebsgelände der Klägerin. Das Betriebsgelände ist während des Wochenendes unbesetzt und unbewacht.
Die Sattelauflieger wurden mit geöffneten Rücktüren plan an die Beladungsrampe gesetzt. Durch Hochziehen der Rolltore konnte anschließend der Sattelauflieger durch die Klägerin mit Eiern beladen werden, was im Regelfall in der Nacht von Freitag auf Samstag erfolgte. Nach Ablauf des Sonntags-Fahrverbotes für Lkw um 22:00 Uhr holte die Beklagte die zwischenzeitlich beladenen Sattelauflieger mit ihren Zugmaschinen ab und führte die Auslieferung an den Endkunden durch.
Mit E-Mail vom 16. November 2017 forderte die Klägerin vier Auflieger zum Beladen mit Eiern an (Bl. 39). Am Freitag, 17. November 2017, stellte die Beklagte die vier Auflieger in gewohnter Weise auf dem Betriebsgelände der Klägerin ab. In der Nacht von Freitag auf Samstag beluden Mitarbeiter der Klägerin die Sattelauflieger mit insgesamt 564.864 Eiern, wobei der Zeitpunkt der Beendigung der Beladung zwischen den Parteien streitig ist. Anschließend ließen die Mitarbeiter der Klägerin die Rolltore herunter.
Die Sattelauflieger sind mit einem sogenannten „Königszapfen“ ausgestattet, der der Verbindung zwischen Sattelauflieger und Zugmaschine dient. Für einen solchen Königszapfen existiert eine Diebstahlsicherung, die zumindest an dem o.g. Wochenende nicht angebracht war. Weiter kann als Diebstahlsicherung eine sogenannte Bremssystem-Sicherung auf die Kupplungsplatte geschoben werden. Diese verhindert die Bedienung der Bremsen des Aufliegers. Ob die Bremsanlagen auf diese Weise blockiert waren, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 19. November 2017 gegen 22:30 Uhr, stellte die Klägerin fest, dass alle 4 Sattelauflieger mit den Eiern entwendet worden waren. Der Diebstahl wurde polizeilich angezeigt (Bl. 33). Mit Datum vom 20. November 2017 meldete die Beklagte den Diebstahl ihrer Verkehrshaftpflichtversicherung.
Der Verkehrshaftpflichtversicherer holte den Bericht eines Havariekommissars ein, der unter dem 15. Januar 2018 erstattet wurde (Bl. 12). Mit Schreiben vom 29. März 2018 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung eines Vermögensschadens aufgrund Warenverlustes in Höhe von 107.892,36 EUR auf, der Gegenstand der Klageforderung ist.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe bereits vor dem Diebstahl die Obhut an den Eiern übernommen und sei aus diesem Grunde nach § 425 HGB schadensersatzpflichtig. Durch den Verlust der Eier sei ihr ein Vermögensschaden in Höhe von 107.892,36 EUR entstanden. Hierbei handele es sich um den Wiederbeschaffungswert der in Verlust geratenen Eier. Bereits die Gewichtshaftung führe zu einer vollen Haftung der Beklagten.
Im Übrigen behauptet die Klägerin, an dem Diebstahlswochenende sei keine Sicherung der Bremsanlage an den Sattelaufliegern erfolgt.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 107.892,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. April 2018 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ein Übergang der Obhut sei zum Zeitpunkt des Diebstahls noch nicht erfolgt. Regelmäßig greife die Obhutshaftung in der konkreten Konstellation erst mit der Übernahme der Sattelauflieger am Sonntagabend ein.
Wegen des weiteren Tatsachenvorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte weder aus § 425 Abs. 1 HGB noch aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Vermögensschadens zu. Im Einzelnen:
A. § 425 Abs. 1 HGB
Eine Haftung nach § 425 Abs. 1 HGB scheidet aus, weil zum Zeitpunkt des Diebstahls die Beklagte gut in Form der Eier noch nicht zur Beförderung übernommen hatte.
Verlust oder Beschädigung müssen in der Zeit von der Übernahme der Beförderung bis zur Ablieferung (Obhutszeitraum) entstanden sein. Auch wenn § 425 eine Vertragshaftung normiert, beginnt der Haftungszeitraum nicht mit Abschluss des Frachtvertrages, sondern dann, wenn der Frachtführer die Obhut für das Gut hat. (Maurer in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2017, § 425).
Übernahme im Sinne der Vorschrift ist der Erwerb des mittelbaren oder unmittelbaren Besitzes durch den Frachtführer. Mit der Übernahme des Gutes wird der Frachtführer Fremdbesitzer, wobei der unmittelbare Besitz häufig durch einen Fahrer oder anderes Personal, also Besitzdiener des Frachtführers, erworben und gemittelt wird. (Maurer in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2017, § 425).
Wann der Obhutszeitraum konkret beginnt, ist umstritten, hängt aber generell von den Besonderheiten des Einzelfalls ab. Während die Vertreter einer Ansicht meinen, der Obhutszeitraum beginne bereits mit Abstellen des Gutes auf der Ladefläche, gehen die Vertreter der Gegenmeinung davon aus, dass der Obhutszeitraum erst mit dem Schließen des Transportmittels beginne. Tatsächlich ist der Zeitpunkt des Abschlusses der Ladearbeiten maßgeblich. Stellt der zur Ladung verpflichtete Absender zunächst eine Palette auf der Ladefläche ab, lädt diese aber später noch einmal aus, weil er eine andere Stauung vornehmen möchte und wird das Gut beim Ausladen beschädigt, hat der Frachtführer insoweit noch keine Möglichkeit, das Gut vor Schaden zu bewahren, solange der Ladevorgang nicht endgültig abgeschlossen ist. Daher kann auch mit dem schlichten Abstellen des Gutes auf der Ladefläche der Obhutszeitraum noch nicht beginnen, jedenfalls dann nicht, wenn der zur Ladung verpflichtete Absender seine Verfügungsgewalt über das Transportgut noch nicht aufgegeben hat. Wichtiger ist vielmehr der Zeitpunkt, in dem die Ladearbeiten abgeschlossen sind und der Absender seine Verfügungsgewalt über das Gut abgegeben hat. Sind die Ladearbeiten abgeschlossen und besteht für den Frachtführer oder dessen Gehilfen die Möglichkeit, das Gut durch Schließen der Türen des Transportmittels vor Schaden zu bewahren, beginnt der Obhutszeitraum auch dann, wenn die Türen tatsächlich nicht geschlossen worden sind (Maurer in: Staub, HGB, 5. Aufl. 2017, § 425).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hatte die Beklagte die Eier zum Zeitpunkt des Diebstahls noch nicht zur Beförderung übernommen. Es war nicht ausreichend, dass die Klägerin die Sattelauflieger beladen hat. Denn mit Abschluss dieser Arbeiten war die Verfügungsgewalt über die Eier noch nicht auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt insbesondere daraus, dass die Ladetüren des Sattelaufliegers noch nicht geschlossen waren, vielmehr lediglich der Rollvorhang an der Laderampe geschlossen wurde. Die Klägerin hatte durch Öffnen dieses Rollvorhangs jederzeit Zugriff auf die Eier.
B. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB
Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Absatz 1 S. 1 BGB zu.
1.
Zwar ist anerkannt, dass der Frachtführer vor Übernahme des Sendungsgutes zur Beförderung bei einer Pflichtverletzung dem Absender gegenüber nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein kann (Koller-Transportrecht, vor § 425 ff. HGB Rn. 2).
2.
Es fehlt aber an der nach § 280 Absatz 1 S. 1 BGB erforderlichen Verletzung einer Vertragspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte eine vertragliche Pflicht zur Sicherung der Eier vor Übernahme zur Beförderung gegen Diebstahl verletzt hat. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die Sattelauflieger an dem Diebstahls-Wochenende keine Diebstahlsicherung für den Königszapfen und die Bremsanlage aufgewiesen haben und bei Einhaltung dieser Maßnahmen der Diebstahl verhindert worden wäre. Denn die Beklagte war gegenüber der Klägerin vertraglich nicht zu den Schutzmaßnahmen verpflichtet. Im Einzelnen:
a) Keine ausdrückliche Weisung/Vereinbarung
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin der Beklagten keine ausdrückliche Weisung zur Vornahme dieser Diebstahlssicherungen erteilt hat und auch der Rahmenvertrag vom 03.09.2015 ausdrücklich keine solche Verpflichtung vorsieht.
b) IFS- Vorgaben
Auch aus den vertraglich einbezogenen IFS-Vorgaben, insbesondere aus Ziffer. 4.15.8, lässt sich keine derartige Verpflichtung herleiten. In dieser Klausel ist lediglich geregelt, dass die Sicherheit der Transportfahrzeuge entsprechend einzuhalten ist. Wie sich aus der Überschrift (4.15 Transport) und dem Inhalt der Z. 4.15.1 – 4.15.7 ergibt, bezieht sich dies auf den Transportweg selbst, nicht aber auf die Zeit vor Übernahme des Sendungsgutes zum Transport.
c) Allgemeine Schutzpflicht
Auch die allgemeine Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB verpflichtete die Beklagte nicht, die von der Klägerin geforderten Sicherungsmaßnahmen gegen Diebstähle durchzuführen. Grundsätzlich trifft jeden Vertragspartner die Pflicht, sich bei Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen Teils nicht verletzt werden (Palandt-Grüneberg, § 241 BGB Rn. 7).
Bei der Bestimmung des Inhalts dieser Schutzpflicht ist die gesetzgeberische Wertung des § 425 Abs. 1 HGB zu berücksichtigen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen den Frachtführer erst nach der Übernahme des Sendungsgutes Fürsorgepflichten treffen. Erst dann, wenn der Frachtführer die Verfügungsgewalt über das Sendungsgut übernommen hat und damit eigenverantwortlich den Schutz organisieren kann, soll der Frachtführer auch für Schäden durch Beschädigung oder Verlust des Sendungsgutes verantwortlich sein.
Daraus folgt, dass eine Haftung des Frachtführers für den Verlust von Sendungsgut im Vorfeld der Übernahme nur auf Ausnahmefälle beschränkt sein kann. Praktizieren der Absender und der Frachtführer – wie hier – eine zeitlich gestreckte Übergabe mit verschiedener Einwirkungsintensität des Frachtführers auf das Sendungsgut, ist der Frachtführer nur in Ausnahmefällen verpflichtet, Schutzmaßnahmen gegen den Diebstahl des Sendungsgutes zu ergreifen. Maßgebliche Kriterien sind insoweit die Intensität der Diebstahlsgefahr und die Möglichkeit eigener Schutzmaßnahmen des Absenders.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze traf die Beklagte keine Verpflichtung, zum Schutz der Eier gegen Diebstahl den Königszapfen des Sattelaufliegers und die Bremsanlage zu sichern. Allgemeine Lebensmittel wie Eier gehören nicht zu den per se diebstahlsgefährdeten Sendungsgütern. Die Parteien tragen auch nicht vor, dass es zu früheren Gelegenheiten bereits zu Diebstählen gekommen ist oder branchenweit vermehrt Diebstähle von Eiern auftraten. Darüber hinaus war die Klägerin selbst in der Lage, ihr Sendungsgut gegen Diebstahl zu schützen. Die Sattelauflieger mit den Eiern befanden sich noch auf ihrem Betriebsgelände. Dieses konnte durch einfache Maßnahmen – wie beispielsweise Zäune und Tore – gesichert werden. Derartige Maßnahmen hat die Klägerin unterlassen. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es Betriebsgelände ungesichert und unbewacht war. Hinaus stand der Klägerin auch frei, den Ablauf der Beladung zu ändern und so eine frühere Übernahme des Sendungsgut es im Rechtssinne zu erreichen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.
Gebührenstreitwert: 107.892,630 EUR