LG Kiel – Az.: 1 S 23/18 – Beschluss vom 16.05.2019
I. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Norderstedt vom 20.12.2017, Az. 40 C 50/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Das Amtsgericht hat dem Kläger zutreffend gemäß §§ 823 BGB, 7, 17 StVG, 115 VVG nicht vollen Ersatz, sondern nur 75 % der letztlich unstreitigen Schadenspositionen zugebilligt und unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlungen der Beklagten zu 2. zugesprochen, die ihm nach dem Verkehrsunfall entstanden sind.
Grundsätzlich streitet hier zugunsten des Klägers der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Beklagte zu 1.) als Auffahrender entweder mit zu geringem Sicherheitsabstand gemäß § 4 Abs. 1 StVO, zu schnell oder unaufmerksam im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO gefahren war. Die Voraussetzungen des Anscheins gegen den Auffahrenden, der lediglich das Kerngeschehen eines Auffahrunfalls, also zumindest eine Teilüberdeckung von Front und Heck voraussetzt, sind hier erfüllt. Durch einen Anstoß an den Heckbereich rechts ist der Stoßfänger des klägerischen Fahrzeugs hinten verformt und bis auf den Stoßfängerträger durchgestaucht, wie sich aus der eingereichten Reparaturkostenkalkulation des D. vom 08.02.2017 (Anlage B 1, Bl. 31 ff, 32 d.A.) ergibt. Den Kläger trifft hier allerdings eine, wenn auch nur geringe, Mithaftung, die bei diesen Konstellationen in der Regel 2/3-Mithaftung des Auffahrenden bedeutet (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 4 StVO Rn. 33 m.w.N.). Als Ergebnis einer umfangreich begründeten Beweiswürdigung hat das Amtsgericht zu Recht als bewiesen angesehen, dass der Kläger gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen hat, indem er nach langsamer Anfahrt nach vorausgegangenem Halt aufgrund eines Stoppschildes sein Fahrzeug „ohne zwingenden Grund“ stark abgebremst hat. Starkes Bremsen ist nur durch einen zwingenden, nicht schon trifftigen Grund im Sinne von § 3 Abs. 2 StVO, gerechtfertigt. Ein zwingender Grund liegt nur im Fall der Abwendung einer plötzlichen ernstlichen Gefahr für Leib, Leben und bedeutende Sachwerte vor (vgl. Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 5 und 20. Aufl., § 4 StVO Rn. 16). Dass der Vorausfahrende unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO ohne zwingenden Grund stark abbremste, ist im Streitfall von dem Auffahrenden zu beweisen (vgl. KG MDR 2014, 339 Anm.2.). Sache des Klägers als Vorausfahrendem ist es daher lediglich, den Anlass für seine starke Bremsung vorzutragen. Der vom Kläger für sein starkes Abbremsen dargestellte Sachverhalt beschreibt keine Gefahrensituation im Sinne der vorgenannten Voraussetzungen, die ein starkes Bremsmanöver rechtfertigte. Nach seiner eigenen Unfalldarstellung in der Klageschrift soll ein Fahrzeug auf dem Linksabbiegerstreifen jener Straße gestanden haben, in die der Kläger nach rechts einzubiegen beabsichtigte. Außer, dass für dieses Fahrzeug ein Abbiegen in die Straße, aus der der Kläger kam, seinerzeit nicht zulässig war, ging von dem Fahrzeug auch nach der Darstellung des Klägers keine Gefahr aus, schon gar nicht eine solche, die zu einem plötzlichen Abbremsen zwang. Denn auch nach Darstellung des Klägers gab es keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Fahrer dieses Fahrzeuges Anstalten machte, sich in für den Kläger verkehrsgefährdender Weise zu verhalten. Auf nach dem Ergebnis der Anhörung der Unfallbeteiligten und vernommenen Zeugen steht fest, dass eine Verkehrssituation, die ein starkes Abbremsen des klägerischen Fahrzeugs rechtfertigte, nicht vorlag. Weder der Beklagte zu 1.) noch seine als Zeugin vernommene Ehefrau, seinerzeit Beifahrerin, haben ein Fahrzeug bemerkt, von dem zudem noch eine Gefährdung des Klägers drohte. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der Aussage der als Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers. Ihrer Aussage nach hat ihr Mann sie auf ein Fahrzeug aufmerksam gemacht, welches habe abbiegen wollen. Auch sie hat indes nicht bekundet, dass in irgendeiner Weise eine Gefährdung von diesem Fahrzeug ausging, obwohl sie es zumindest kurz gesehen haben will. Der Kläger, der in der Sprache behindert ist, beanstandet zu Unrecht, vom Amtsgericht nicht angehört worden zu sein. Ausweislich des Sitzungsprotokolls ist er zum Unfallhergang angehört worden. Gerade zum Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn hat er sich verständlich gemacht und sind seine Angaben zu Protokoll genommen worden. Auch aus seiner Darstellung ergab sich außer der bloßen Existenz dieses Fahrzeugs keine objektiv drohende Gefahr, der es durch starkes Bremsen zu begegnen galt. Sein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO führt zu einer – gegenüber der Haftung des Auffahrenden – geringen Mithaftung, den das Amtsgericht zutreffend mit 25 % bewertet hat.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).