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Verkehrsunfallverursachung – Anscheinsbeweis bei Fahrstreifenwechsel

AG Hamburg-Harburg, Az.: 643 C 238/14, Urteil vom 20.03.2015

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 5.3.2014 gegen 8:00 Uhr im Bereich der Zusammenführung der BAB A 261 mit der BAB A7 Richtung Norden ereignete. Die Klägerin fuhr am Unfalltag mit ihrem PKW … mit dem amtlichen Kennzeichen …, der Beklagte zu 1) steuerte den bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen … .

Die Klägerin befuhr die BAB 261. Sie beabsichtigte einen Fahrstreifenwechsel nach links durchzuführen, wobei sich in der links von ihr gehaltenen Spur, ob es sich dabei um die rechten Spur der BAB A7 oder den linken Fahrstreifen der BAB 261 handelte, ist streitig, der vom Beklagten zu 1) geführte Lkw befand. Es kam in der Folgezeit – nachdem zwei sich ursprünglich vor der Klägerin befindliche Fahrzeuge vor den Beklagten zu 1) gewechselt waren – zu einer streitigen Kollision zwischen den Fahrzeugen, wobei der vom Beklagten zu 1) gesteuerte Lkw an der vorderen rechten Ecke, siehe Fotos gemäß Anl. K 2, und das Fahrzeug der Klägerin im Bereich der linken hinteren Seitenwand (siehe Fotos im Schadengutachten gemäß in der Anl. K1) beschädigt wurden.

Die Klägerin beziffert ihren Schaden auf insgesamt 3.829,99 €. Wegen der Zusammensetzung der Forderung wird auf Seite vier der Klageschrift verwiesen. Außerdem begehrt sie vorgerichtliche Kosten wie auf Seite fünf der Klageschrift berechnet. Von dem Gesamtschaden macht sie mit der dem Beklagten zu 1) am 22.12.2014 und dem Beklagten zu 2) am 13.11.2014 zugestellten Klage eine Quote von 60 % geltend.

Die Klägerin behauptet, der von ihr befahrene Fahrstreifen habe sichtbar in recht kurzer Entfernung für alle Verkehrsteilnehmer geendet. Die Fahrzeugkolonne auf der Fahrspur des Beklagten zu 1) sei ins Stocken geraten und sie habe sich zu diesem Zeitpunkt rechts neben dessen Führerhaus befunden. Die Fahrzeugkolonne vor dem Beklagtenfahrzeug habe sich sodann wieder in Bewegung gesetzt, der Beklagte zu 1) sei jedoch weiterhin stehen geblieben und habe nicht aufgeschlossen, so dass eine große Lücke entstanden sei und die Klägerin schließlich nach wiederholten Versuchen, mit dem Beklagten zu 1) Blickkontakt aufzunehmen, in diese Lücke eingefahren sei und ihren Pkw zum Stehen gebracht habe. Sodann habe der Beklagte zu 1) gut hörbar die Bremsen gelöst und sei angefahren und seit gegen das vor ihm stehende klägerische Fahrzeug gefahren, er habe offenbar nicht nach vorne geschaut. Er habe – offenbar schwer beladen – den Verkehrsraum unmittelbar vor ihm nicht ausreichend kontrolliert. Es sei zudem davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) wegen Missachtung der Lenk- und Ruhezeiten unaufmerksam gewesen sei, die unfallaufnehmenden Polizeibeamten hätten den Beklagten zu 1) nach der Unfallaufnahme darauf hingewiesen, dass er nunmehr eine längst überfällige Pause einzulegen habe.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.197,99 € nebst Zinsen i.H.v.5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 334,75 € nebst Zinsen i.H.v.5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zahlen, hilfsweise, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von einer Forderung ihrer Prozessbevollmächtigten über 334,75 € nebst Zinsen i.H.v.5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1) sei auf dem rechten Fahrstreifen der BAB A 7 gefahren und habe zum vorausfahrenden Fahrzeug etwas mehr Platz gelassen, so dass zwei Pkw vor ihn gewechselt seien; als diese ihren Fahrstreifenwechsel abgeschlossen hätten, sei der Beklagte zu 1) zu diesen aufgeschlossen. Ein sich im toten Winkel für den Beklagten zu 1) befindlicher Pkw, nämlich der der Klägerin, habe dabei versucht, sich noch direkt vor den Lkw des Beklagten zu 1) zu drängeln.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Das Gericht hat die Klägerin und den Beklagten zu 1) angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll vom 20.2.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Verkehrsunfallverursachung - Anscheinsbeweis bei Fahrstreifenwechsel
Symbolfoto: Von Gorgev /Shutterstock.com

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten.

Der Unfall ist beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs eingetreten. Die Beklagten haben nicht darlegen und beweisen können, dass der Unfall auf höherer Gewalt beruhte (§ 7 Abs. 2 StVG) oder unabwendbar war (§ 17 Abs. 3 StVG). Gleiches gilt für die Klägerin.

In dem Verhältnis der Parteien zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, in wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Hierbei können nur unstreitige oder bewiesene Tatsachen zugrunde gelegt werden. Im Ergebnis steht der Klägerin kein Schadensersatzanspruch zu. Dazu im Einzelnen:

Gegen die Klägerin streitet nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ein Anscheinsbeweis aus § 7 Abs. 5 StVO. Nach dieser Norm hat sich ein Verkehrsteilnehmer beim Wechsel von Fahrspuren so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Wer sich so verhalten muss, hat die Pflicht, erheblich gesteigerte Vorsicht und Sorgfalt walten zu lassen, und trägt im Regelfall nahezu die alleinige Verantwortung dafür, dass es bei seinem – vom Gesetzgeber als besonders gefährlich eingestuften – Fahrmanöver nicht zu einem Unfall kommt. Kommt es bei einem Fahrspurwechsel dennoch zu einem Unfall, streitet der Beweis des ersten Anscheins gegen den Spurwechsler dahin, dass dieser die ihm obliegende Sorgfalt nicht hinreichend beachtet hat.

Der Unfall hat sich im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem noch nicht abgeschlossenen Fahrspurwechsel des von der Klägerin geführten Fahrzeugs ereignet. Dies ergibt sich aus den Angaben der Klägerin sowie den Schäden am klägerischen Fahrzeug. So berichtete die Klägerin, dass sie, weil der vorangehende Verkehr wieder stockte, nicht vollständig in die Lücke einfahren konnte. Dass die Klägerin vor dem Spurwechsel die erforderliche Sorgfalt beachtet hat, ist dadurch widerlegt. Schon der von der Klägerin geschilderte Umstand spricht dagegen, dass die Lücke ausreichend groß war, um den Fahrspurwechsel gefahrlos durchführen zu können. Dass sie erfolgreich mit dem Beklagten zu 1) Blickkontakt aufgenommen hätte, hat sie selbst nicht vorgetragen.

Dass den Beklagten zu 1) ein unfallursächliches Verschulden an dem Unfall trifft oder sich die seinem Fahrzeug anhaftende Betriebsgefahr sich unfallursächlich ausgewirkt hat, ist durch die Anhörung nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen.

So ergibt sich schon aus den Angaben der Klägerin nicht, dass in der konkreten Situation das sogenannte Reißverschlussverfahren Anwendung fand und das klägerische Fahrzeug im Reißverschluss an der Reihe gewesen wäre. Letztlich ist das Gericht in diesem Zusammenhang nicht einmal davon überzeugt, dass die Klägerin von rechten Spur der BAB 261 in die linke Spur der BAB 261 wechselte. Denn der Beklagte zu 1) schilderte, er sei aus Fulda gekommen und in der rechten Spur der A 7 gefahren. Insofern vermag das Gericht weder der Schilderung der Klägerin noch der des Beklagten zu 1) mehr Glauben zu schenken. Zudem wäre – die Richtigkeit der Angaben der Klägerin zur Unfallstelle, wie sie sich aus dem von ihr mitgebrachten Internet-Ausdruck ergibt, der als Anlage zum Protokoll genommen wurde, einmal unterstellt – das Reißverschlussverfahren noch gar nicht anzuwenden gewesen. Außerdem schilderte die Klägerin, dass direkt vor ihr zwei Fahrzeuge vor den Lkw des Beklagten zu 1) gewechselt seien.

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass dem Beklagten zu 1) mitwirkendes Verschulden wegen des Verstoßes gegen die allgemeine verkehrsrechtliche Grundregel aus § 1 Abs. 2 StVO zur Last fällt. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Beklagte zu 1), der grundsätzlich auf die strikte Beibehaltung des Fahrstreifens vertrauen durfte, in der konkreten Verkehrssituation die Möglichkeit gehabt hätte, den Unfall zu vermeiden und er seine Pflicht zur Gefahrenabwehr verletzt hätte. Dies setzt zum einen voraus, dass zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden könnte, dass er in der konkreten Situation das Fahrzeug der Klägerin und das beabsichtigte bzw. eingeleitete Fahrmanöver bei aufmerksamer Fahrweise hätte erkennen und dergestalt hätte reagieren können, dass es nicht zum Unfall gekommen wäre. Dieser Beweis ist nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt. Hiergegen spricht schon die anschauliche Unfallschilderung des Beklagten zu 1), wonach er – nachdem er ein Geräusch wahrgenommen hatte – erst aufstehen musste, um das Fahrzeug der Klägerin wahrnehmen zu können.

Selbst wenn der Beklagte zu 1) unmittelbar vor dem Unfall – wie er angab – angefahren ist und es nach dem Entschluss anzufahren, noch Sekunden dauert, bis sich das Fahrzeug in Bewegung setzt, führt dies nicht zwangsläufig zu einer anteiligen Haftung der Beklagten. Denn dass sich bei dem streitgegenständlichen Unfall die Lkw-typische Betriebsgefahr konkretisiert hat, weil der Fahrer eines Lkw die Verkehrsfläche im unmittelbaren rechten vorderen Bereichs seines Fahrzeugs bei normaler Sitzhaltung nicht oder nur sehr begrenzt einsehen kann, so dass insbesondere niedriger gebaute Verkehrsteilnehmer – wie etwa Pkw – in diesem Bereich nicht ohne weiteres wahrgenommen werden können, lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, was zu Lasten der Klägerin geht. Denn die Angaben der Klägerin dazu, dass sie vor den noch stehenden Lkw fuhr und wie lange sie vor dem Lkw des Beklagten zu 1) gestanden habe, sind nicht geeignet, das Gericht entsprechend von der Richtigkeit ihrer Schilderung zu überzeugen. Erfahrungsgemäß sind Zeiten und Abstände und sich in Bruchteilen von Sekunden abspielende Einzelheiten eines Unfallgeschehens von Zeugen oder unfallbeteiligten Fahrern nur sehr unzuverlässig wiederzugeben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Beteiligten in der Rückschau subjektiv zu der Überzeugung gelangen, dass etwas so gewesen sein müsse, wie sie annehmen und schildern, ohne dass sich dies tatsächlich so zugetragen haben muss, Es kann auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin derart spät und knapp vor dem Beklagten-Lkw in die betreffende Lücke einfuhr, dass es auch dann zu einer Kollision gekommen wäre, wenn es sich beim Beklagtenfahrzeug lediglich um einen Pkw und nicht um einen Lkw gehandelt hätte. Dass der Beklagte zu 1) übermüdet und dies unfallkausal war, ist ebenfalls nicht bewiesen.

Die Klägerin hat deshalb insgesamt keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708Nr. 11, 711 ZPO.

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