BGH
Az: V ZR 173/09
Urteil vom 01.10.2010
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2010 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. August 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Mit von dem Streithelfer des Beklagten beurkundetem Vertrag vom 13. Juli 2007 verkaufte der Beklagte seiner Freundin Wohnungseigentum (Reihenhaus) für 110.000 €. Die Kläger sind ebenfalls Wohnungseigentümer in der Reihenhausanlage. Zu ihren Gunsten ist in dem Grundbuch betreffend das Wohnungseigentum des Beklagten ein Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle eingetragen. In § 15 des Vertrags heißt es u.a.:
„Der Verkäufer behält sich das Recht vor, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn die Erklärung der Berechtigten … über die Nichtausübung ihres Vorkaufsrechtes dem Notar nicht bis zum 01.08.2007 vorliegt.“
Die Kläger übten mit Schreiben vom 13. August 2007 ihr Vorkaufsrecht aus und verlangen die Übertragung des Wohnungseigentums, hilfsweise Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung, sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat der Klage – bis auf einen Teil der Rechtsanwaltskosten – stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie – auf die Berufung des Streithelfers des Beklagten – abgewiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger nicht vor dem Abschluss des Kaufvertrags auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet. Ihre Vorkaufsrechtsausübung sei jedoch ins Leere gegangen, weil der Kaufvertrag am 13. August 2007 nicht mehr bestanden habe. Er sei zwar nicht durch die von dem Beklagten behauptete Rücktrittserklärung rückabgewickelt worden, denn der vereinbarte Rücktrittsvorbehalt sei den Klägern gegenüber nach § 465 BGB analog unwirksam. Aber der Kaufvertrag sei am 2. August 2007 von dem Beklagten und seiner Freundin einvernehmlich aufgehoben worden.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die in dem Verhandlungstermin abgegebenen Erklärungen des Beklagten und die Bekundungen der Zeugin Kl. in einem Berichterstattervermerk und nicht in dem Terminsprotokoll festgehalten hat.
a)
Nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO sind in dem über die mündliche Verhandlung und jede Beweisaufnahme aufzunehmenden Protokoll (§ 159 Abs. 1 Satz 1 ZPO) die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien festzustellen. Das ist hier nicht geschehen. In dem Protokoll über den Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 8. Juni 2009 heißt es zu der Vernehmung der Zeugin K. lediglich: „Die Zeugin wurde angehört.“ Das entspricht nicht der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO. Die Zeugenaussage ist jedoch in einem Vermerk des Berichterstatters vom 25. Juni 2009 wiedergegeben. Hierauf hat das Berufungsgericht in dem Tatbestand seiner Entscheidung verwiesen. Dieses Vorgehen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Herbeiführung der Beweiswirkung der Protokollierung zulässig (Urteil vom 11. Oktober 1956 – II ZR 153/55, NJW 1956, 1878; Urteil vom 5. Juli 1972 – VIII ZR 157/71, NJW 1972, 1673; Urteil vom 24. Februar 1987 – VI ZR 295/85, NJW-RR 1987, 1197, 1198; Urteil vom 11. Juli 2001 – VIII ZR 215/00, WM 2001, 2024, 2026; Urteil vom 26. Mai 2004 – VIII ZR 310/03, Grundeigentum 2004, 1168).
b)
Die Revision irrt, wenn sie meint, für die Parteien sei es nicht erkennbar gewesen, dass dem Berichterstattervermerk die Beweiswirkung der Wiedergabe der Zeugenaussage habe zukommen sollen. Auf der Seite 2 des Protokolls über die mündliche Verhandlung heißt es: „Die Parteivertreter erklärten, dass sie mit der Fertigung eines Berichterstattervermerks einverstanden seien und auf eine förmliche Protokollierung verzichteten“. Noch deutlicher konnten der Sinn und Zweck des Vermerks kaum zum Ausdruck gebracht werden.
c)
Einer Grundlage entbehrt die Auffassung der Revision, der Eingangssatz in dem Berichterstattervermerk: „Die Parteien erklärten im Rahmen der Anhörung gemäß § 141 ZPO“ verbiete die Aufnahme der Zeugenaussage in diesen Vermerk. Zudem heißt es vor deren Wiedergabe: „Die Zeugin K. erklärte zur Sache:“.
d)
Unschädlich ist es, dass zwischen der Zeugenvernehmung und der Anfertigung des Berichterstattervermerks ein Zeitraum von 17 Tagen liegt. Die Annahme der Revision, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Wiedergabe der Zeugenaussage wegen fehlender präziser Erinnerung des Berichterstatters an das gesprochene Wort nicht korrekt sei, wird durch nichts gestützt.
e)
Nach alledem war das Berufungsgericht – entgegen der Ansicht der Revision – nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, um die Protokollierung der Zeugenaussage nachzuholen oder den Parteien die Gelegenheit zu geben, „die Verfahrensweise des Berichterstatters“ zu rügen.
f)
Schließlich geht die Rüge, das Berufungsurteil sei unter Verstoß gegen den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zustande gekommen und stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, ins Leere. Die von der Revision vermissten „für die Parteien transparenten Erklärungen, warum und zu welchem Zweck der Berichterstatter diesen Vermerk angefertigt hat“, stehen – wie bereits ausgeführt – auf Seite 2 des Protokolls über den Verhandlungstermin am 8. Juni 2009.
2.
Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Würdigung der Bekundungen des Beklagten und der Aussage der Zeugin K. durch das Berufungsgericht, denen es die einvernehmliche Aufhebung des Kaufvertrags am 2. August 2007 entnommen hat.
a)
Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellung ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Es hat jedoch zu überprüfen, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt; der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt ferner das Beweismaß (siehe nur BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 – IX ZR 238/91, NJW 1993, 935, 937). Ebenfalls Sache des Tatrichters ist die Auslegung rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen. Sie ist für das Revisionsgericht nur dann nicht bindend, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (siehe nur BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 – X ZR 88/90, NJW 1992, 1967, 1968; Urteil vom 17. Dezember 2009 – IX ZR 214/08, NJW-RR 2010, 773, 774).
b)
Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Bekundungen des Beklagten gegenüber der Zeugin K. eine auf die Vertragsaufhebung gerichtete Willenserklärung entnommen hat. Zwar mögen die Erklärungen für sich allein genommen wenig darüber aussagen, dass der Beklagte den Kaufvertrag aufheben wollte. Aber im Zusammenhang mit der von den Vertragsparteien zuvor getroffenen – von der Revision außer Acht gelassenen – Vereinbarung, den Kaufvertrag für den Fall der ausbleibenden Vorkaufsrechtsverzichtserklärung der Kläger nicht mehr gelten lassen zu wollen, kann den Erklärungen ohne weiteres der Fortbestand des Vertragsaufhebungswillens des Beklagten entnommen werden, nachdem der fehlende Vorkaufsrechtsverzicht der Kläger feststand. Darauf hat sich das Berufungsgericht gestützt. Dem hält die Revision lediglich ihre eigene abweichende Auslegung der Erklärungen entgegen, was ihr jedoch nicht zum Erfolg verhelfen kann.
c)
Die von der Revision hervorgehobene Erklärung des Streithelfers gegenüber dem Beklagten, dieser könne nicht mehr von dem Vertrag zurücktreten, hat das Berufungsgericht bei der Auslegung der Bekundungen des Beklagten zu Recht unberücksichtigt gelassen. Denn sie wurde nach der Ausübung des Vorkaufsrechts und damit knapp zwei Wochen nach der von dem Berufungsgericht festgestellten Aufhebung des Kaufvertrags abgegeben, so dass sie keinen Rückschluss auf den Aufhebungswillen des Beklagten zulässt.
d)
Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht das Verhalten der Zeugin K. unter Würdigung aller Umstände als stillschweigende Bestätigung auch ihres fortbestehenden Vertragsaufhebungswillens angesehen. Die gegenteilige Auffassung der Revision beruht wiederum lediglich auf ihrer abweichenden Würdigung.
3.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass die Aufhebung des Kaufvertrags den Wegfall des Rechts der Kläger zur Ausübung des Vorkaufsrechts zur Folge hat. Die bisherigen Feststellungen tragen dieses Ergebnis nicht.
a)
Die Revision irrt allerdings, wenn sie meint, für die nachträgliche Vertragsaufhebung müsse die Vorschrift des § 465 BGB entsprechend gelten. Es ist gerade nicht so, dass sich der Beklagte und die Zeugin K. von dem Kaufvertrag lösen wollten, obwohl die Kläger das Vorkaufsrecht ausgeübt hatten. Denn die Vertragsaufhebung erfolgte knapp zwei Wochen vor der Erklärung der Vorkaufsrechtsausübung.
b)
Das Berufungsgericht und die Parteien haben jedoch verkannt, dass eine Vertragsaufhebung nicht mehr das Recht zur Ausübung des Vorkaufsrechts berührt, wenn sie nach dem Zustandekommen des rechtswirksamen Kaufvertrags erfolgt.
aa)
Das Gesetz knüpft das Entstehen des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts an das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags (§ 463 BGB). Letzteres ist erst dann der Fall, wenn auch die für die Wirksamkeit des Vertrags erforderlichen Genehmigungen erteilt sind. Bis zu diesem Zeitpunkt können Verkäufer und Käufer den Kaufvertrag willkürlich aufheben und damit das Vorkaufsrecht gegenstandslos machen; denn der Vorkaufsberechtigte hat kein Recht auf den Eintritt des Vorkaufsfalls (Senat, Urteil vom 4. Juni 1954 – V ZR 18/53, BGHZ 14, 1, 3; Urteil vom 11. Februar 1977 – V ZR 40/75, NJW 1977, 762, 763; Urteil vom 15. Mai 1998 – V ZR 89/97, NJW 1998, 2352, 2353). Liegen die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts aber erst einmal vor, ist das daraus erwachsene Gestaltungsrecht des Vorkaufsberechtigen in seinem rechtlichen Fortbestand grundsätzlich unabhängig von dem rechtlichen Schicksal des Kaufverhältnisses zwischen dem Vorkaufsverpflichteten und dem Dritten (Senat, Urteil vom 11. Februar 1977 – V ZR 40/75, aaO).
bb)
Danach kann die Vertragsaufhebung am 2. August 2007 das Recht der Kläger zur Ausübung des Vorkaufsrechts nur beseitigt haben, wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht sämtliche für die Wirksamkeit des Kaufvertrags erforderliche Genehmigungen erteilt waren. Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen; vielmehr ist es ohne weiteres von dem Wegfall des Vorkaufsrechts aufgrund der Aufhebung des Kaufvertrags ausgegangen. Aus dem in dem Urteil des Landgerichts, auf dessen Inhalt in dem Berufungsurteil verwiesen wird, in Bezug genommenen Kaufvertrag vom 13. Juli 2007 ergibt sich jedoch, dass für die Wirksamkeit des Vertrags die Zustimmung des Verwalters der Wohnungseigentümer erforderlich war (§ 11). Ob diese Zustimmung am 2. August 2007 erteilt war, muss das Berufungsgericht aufklären.
III.
Das Berufungsurteil unterliegt somit der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Durch die Zurückverweisung erhält der Streithelfer des Beklagten Gelegenheit, gegebenenfalls auf die auch in der Revisionsinstanz erhobenen Einwendungen gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts zurückzukommen.