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Rechnungsberichtigung – Möglichkeit des Vorsteuerabzugs

Finanzgericht Hamburg

Az: 2 V 149/11

Beschluss vom 06.12.2011


Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Die Antragstellerin ist ein Unternehmen der … In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate August und September 2010 berücksichtigte sie Vorsteuerbeträge in Höhe von 9.140,76 € (für August) und 57.112,68 € (für September) aus Rechnungen der A GmbH. Der Antragsgegner ordnete mit Bescheid vom 30. März 2011 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Voranmeldungszeiträume Juli 2010 bis Februar 2011 bei der Antragstellerin an. Während der Prüfung teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner am 09. Mai 2011 mit, dass sie ihre Geschäftsleitung ab dem 01. Mai 2011 verlegt habe. Ihre neue Anschrift laute X-Straße …, B. Der Prüfer des Antragsgegners bat daraufhin am 10. Mai 2011 das nunmehr zuständige Finanzamt B um einen Prüfungsauftrag, um die Prüfung zu beenden und die Mehrsteuern festsetzen zu können. Mit Schreiben vom 13. Mai 2011 erteilte das Finanzamt B dem Antragsgegner gemäß § 26 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) die Zustimmung zur Fortführung des Verwaltungsverfahrens der Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Antragstellerin. Nach dem Bericht über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 18. Mai 2011 weisen die Rechnungen der A GmbH aus den Monaten August und September 2010 weder eine Steuernummer noch eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auf. Der Prüfer kam deshalb zu dem Schluss, dass die in den Rechnungen ausgewiesene Steuer nicht als Vorsteuer abziehbar sei. Mit Bescheid vom 27. Mai 2011 änderte der Antragsgegner die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat August 2010 gemäß § 164 Abs. 2 AO und setzte eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung von 5.816,83 € fest. In den Erläuterungen zum Bescheid ist ausgeführt, dass Vorsteuern in Höhe von 9.140,76 € gemäß dem Bericht der Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht abziehbar seien. Mit Bescheid vom selben Tage änderte der Antragsgegner die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat September 2010 gemäß § 164 Abs. 2 AO und setzte eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung in Höhe von 58.477,98 € fest. In den Erläuterungen zum Bescheid ist ausgeführt, dass Vorsteuern in Höhe von 57.112,68 € laut Bericht zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht abziehbar seien. Die Antragstellerin legte gegen beide Bescheide am 09. Juni 2011 Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die Firma A GmbH habe sich in Gründung befunden. Deshalb habe sie bei der Rechnungsstellung noch keine gültigen Steuernummern angeben können. Eine Rechnung könne jedoch jederzeit gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) berichtigt werden, wenn sie nicht alle Angaben des § 14 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) enthalte. Dies sei zwischenzeitlich geschehen und es lägen alle Rechnungen mit den erforderlichen Angaben vor. Ferner werde auf das EuGH-Urteil vom 15. Juli 2010 (C-368/09, DStRE 2010, 964) verwiesen. Mit Schreiben vom 04. Juli 2011 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass im Juni 2011 berichtigte Rechnungen in Kopie eingereicht worden seien. Vorsteuern seien gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG i. V. m. § 14 Abs. 4 UStG erstmalig in dem Voranmeldungszeitraum abziehbar, indem eine Rechnung vorgelegt werde, in der alle Pflichtangaben enthalten seien. Das von der Antragstellerin genannte EuGH-Urteil vom 15. Juli 2010 führe nicht zu einer anderen Bewertung. Es sei nicht einschlägig. Zudem handele es sich bei der A GmbH um eine Scheinfirma, die zur Erteilung von sogen. Abdeckrechnungen gegründet worden sei. Es fehle deshalb auch an der Unternehmereigenschaft des Rechnungsausstellers und damit an einer weiteren Voraussetzung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG. Mit Bescheid vom 04. Juli 2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Über die Einsprüche ist noch nicht entschieden worden. Die Antragstellerin hat am 08. August 2011 beim Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Der Antragsgegner habe keine nachprüfbaren Tatsachen vorgelegt, die auf Scheingeschäfte hindeuteten. Er gehe nur aufgrund bloßer Vermutungen davon aus, dass sie Teil einer Dienstleistungskette sei. Die Leistungen seien nachweislich erbracht und bezahlt worden. Der A GmbH seien guten Gewissens und im guten Glauben Aufträge erteilt worden. Diese seien ordnungsgemäß abgewickelt, in Rechnung gestellt und bezahlt worden. Ob die A GmbH ihrerseits in Zusammenarbeit mit ihren Subunternehmern in betrügerische Aktivitäten verwickelt gewesen sei, entziehe sich der Kenntnis ihrer Geschäftsführung. Jedenfalls habe die A GmbH offenbar die Umsatzsteuern ordnungsgemäß abgeführt. Die zurückverlangten Beträge seien erheblich und existenzgefährdend.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Vollziehung der Bescheide vom 27. Mai 2011 über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate August und September 2010 bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Es lägen Erkenntnisse vor, wonach es sich bei der A GmbH um eine Scheinfirma handele, die die in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich nicht erbracht habe und auch nicht habe erbringen können. Die in den Rechnungen ausgewiesenen und hier streitigen Umsatzsteuern schulde daher nach § 14c Absatz 2 Satz 2 UStG die Antragstellerin.

Gründe

II.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 69 Abs. 2 S. 2 FGO). Es liegen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 27. Mai 2011 vor. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BFH/NV 2011, 1549; vom 06. November 2008 IV B 126/07, BStBl II 2009, 156). Die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ergeht wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten der Finanzbehörde und präsenten Beweismitteln ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116). Daran gemessen, bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 27. Mai 2011. Der Antragsgegner war für ihren Erlass zuständig. Durch die Verlegung der Geschäftsleitung der Antragstellerin in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes B ist dieses Finanzamt zwar gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 AO für die Umsatzsteuerfestsetzung zuständig geworden. Der Zuständigkeitswechsel ist gemäß § 26 Satz 1 AO mit der Anzeige der Verlegung der Geschäftsleitung beim Antragsgegner am 09. Mai 2011 wirksam geworden. Nach § 26 Satz 2 AO kann die zuständige Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren aber fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. Dies ist hier der Fall. Die Fortführung der bereits begonnen Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch den Antragsgegner war zweckmäßig. Das Finanzamt B hat der Fortführung des Verfahrens durch den Antragsgegner mit Schreiben vom 13. Mai 2011 zugestimmt. Ermessensfehler bei der Entscheidung des Antragsgegners, das Umsatzsteuer-Sonderprüfungsverfahren fortzuführen und durch den Erlass der angefochtenen Bescheide abzuschließen, sind weder vorgetragen worden, noch ersichtlich. Es ist somit bei seiner Zuständigkeit geblieben. Auch materiell-rechtlich sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden. Der Unternehmer kann die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die Rechnung muss unter anderem die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthalten (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 UStG). Daran fehlte es unstreitig bei den ursprünglichen Rechnungen der A GmbH aus den Monaten August und September 2010. Der Antragsgegner hat den Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen daher zu Recht versagt. Der Vorsteuerabzug ist in den Streitmonaten auch nicht aus den korrigierten Rechnungen vom Juni 2011 zu gewähren, da die Rechnungskorrektur keine Rückwirkung entfaltet. Auf die Vorlage des BFH vom 21. März 2002 (V R 33/01, BFH/NV 2002, 886) hat der EuGH mit Urteil vom 29. April 2004 (C-152/02, DStRE 2004, 830) entschieden, dass Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern so auszulegen ist, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Es muss die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt worden sein und der Steuerpflichtige muss die Rechnung oder das Dokument besitzen, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann. Die Voraussetzung des Besitzes einer Rechnung schließt den Vorsteuerabzug zu einem Zeitpunkt, in dem eine (ordnungsgemäße) Rechnung (noch) nicht vorliegt, aus. Dies ist von der anschließenden Rechtsprechung des BFH bestätigt worden (vgl. Urteile vom 01. Juli 2004 V R 33/01, BStBl II 2004, 861; vom 30.04.2009 V R 15/07, BStBl II 2009, 774; Beschluss vom 03.08.2009 XI B 32, 33/09, juris). Das Gericht schließt sich dem an. Eine Änderung dieser Beurteilung aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 15. Juli 2010 (C-368/09, DStRE 2010, 964) hält das Gericht nicht für angezeigt (vgl. ebenso FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2011 5 V 5004/11, EFG 2011 1295; FG Niedersachsen, Urteil vom 25. Oktober 2010 5 K 425/08, DStRE 2011, 1337; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. September 2010 6 K 2089/10, EFG 2011, 92). In dieser Entscheidung hat sich der EuGH (lediglich) mit der Frage befasst, ob der Vorsteuerabzug nach nationalem Recht ausgeschlossen werden darf, wenn die Rechnung ursprünglich eine falsche Angabe enthielt, deren spätere Berichtigung nicht alle in den maßgeblichen nationalen Vorschriften enthaltenen Voraussetzungen erfüllt. Er hat klargestellt, dass die Mitgliedstaaten die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht nach eigenem Gutdünken von der Erfüllung von Voraussetzungen betreffend den Inhalt von Rechnungen abhängig machen dürfen, die in der Richtlinie 2006/112/EG des Rats über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Habe der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine den Anforderungen der MwStSystRL entsprechende berichtigte Rechnung zugeleitet, dürfe der Vorsteuerabzug nicht versagt werden. Obgleich die Ausführungen des EuGH im Ergebnis eine rückwirkende Anerkennung des Vorsteuerabzugs in dem konkreten Fall bedeuten, sind sie nach Ansicht des Gerichts aber nicht dahingehend zu verstehen, dass der Vorsteuerabzug nunmehr, in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, grundsätzlich rückwirkend zulässig sein soll. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der EuGH sich in diesem Fall mit Art. 179 MwStSystRL bzw. Art. 18 Abs. 1 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie sowie seiner grundlegenden Entscheidung vom 29. April 2004 auseinandergesetzt hätte. Außerdem hatte der EuGH keine Veranlassung, zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs Stellung zu nehmen, weil dies nicht Gegenstand der Vorlagefrage war. Die Ausführungen sprechen in ihrer Gesamtheit vielmehr dafür, dass der EuGH den Vorsteuerabzug nicht an einem offensichtlichen Fehler, der die erforderlichen Rechnungsangaben nicht betraf, scheitern lassen wollte. Schließlich hat der EuGH im dem Urteil erneut ausdrücklich auf das Vorliegen aller materiell- und formell-rechtlichen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug abgestellt (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2011 5 V 5004/11, EFG 2011 1295). Auf die Frage, ob es sich bei der A GmbH um eine Scheinfirma handelt und auch deshalb der Vorsteuerabzug auszuschließen ist, kommt es somit nicht mehr an. Für das Vorliegen einer unbilligen Härte bestehen hier keine konkreten Anhaltspunkte. Die Antragstellerin hat nur unsubstantiiert vorgetragen, dass die Vollziehung der streitgegenständlichen Beträge für sie existenzgefährdend sei, ohne ihre wirtschaftliche Situation im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist (§ 128 Abs. 3 FGO). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das FG Niedersachsen in seinem Urteil vom 25. Oktober 2010 (5 K 425/08, DStRE 2011, 1337) die Revision zugelassen hat (beim BFH anhängig unter XI R 41/10). Da eventuelle grundsätzliche Fragen in diesem Revisionsverfahren geklärt werden können, bedarf es keiner höchstrichterlichen Klärung im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung (vgl. FG Bremen, Beschluss vom 09. März 1999, 298369/298371 V 2, EFG 1999, 571).

Der Beschluss ist unanfechtbar § 128 Abs. 3 FGO.

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