Verfasser: Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
1. Allgemein:
Das Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.08.2006 (BGBl I, 1897) ist am 18.08.2006, dem Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, in Kraft getreten. Es war am 29.06. bzw. am 07.07. von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden und dient der Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG vom 29.06.2000 (ABIEG Nr. L 180, S. 22), 2000/78/EG vom 27.11.2000 (ABIEG Nr. L 303, S. 16), 2002/73/EG vom 23.09.2002 (ABIEG Nr. L 269, S. 15) und 2004/113/EG vom 13.12.2004 /ABIEU Nr. L 373, S. 37) in nationales Recht.
2. Kernstück dieses Artikelgesetzes ist dessen Art. 1, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Art. 2 enthält das Gesetz über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten (Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz – SoldGG), während Art. 3 Änderungen in 16 anderen Gesetzen regelt. Das bisherige Beschäftigungsschutzgesetz ist auf Grund Art. 4 gleichzeitig am 18.08.2006 außer Kraft getreten.
In Anbetracht der erheblichen Bedeutung vor allem für die zivilrechtliche, insbesondere die arbeitsrechtliche Praxis haben wir uns entschlossen Ihnen hier, liebe Leserinnen und Leser, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz näher vorzustellen und über dessen weitere Entwicklungen in der Zukunft in unregelmäßigen Abständen zu berichten.
3. Anwendungsbereich:
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (ab jetzt: AGG) findet nicht in allen gesellschaftlichen und rechtlichen Bereichen Anwendung und verbietet auch nicht grundsätzlich alle Diskriminierungen. Dies bedeutet, dass es Diskriminierungen nur dann verbietet, wenn diese auf bestimmten, im Gesetz genannten Merkmalen beruhen. Außerdem sind Diskriminierungen nur dann ausdrücklich untersagt, wenn sie in bestimmten Situationen erfolgen.
4. Personenbezogene Merkmale:
Das Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen (so: § 1 AGG).
Zur Verwirklichung dieses Zieles erhalten die durch das Gesetz geschützten Personengruppen Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und Private, wenn diese sich in einer gesetzlich verbotenen Weise gegenüber dem Geschützten verhalten.
5. Sachlicher Anwendungsbereich:
Sachlich bezieht sich das Gesetz auf
• die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für
den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie für den beruflichen Aufstieg
• die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und
Entlassungsbedingungen
• den Zugang zu Berufsberatung, Berufsbildung, Berufsausbildung, berufliche
Weiterbildung sowie Umschulung und praktische Berufserfahrung
• Mitgliedschaft und Mitwirkung in Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen und
Vereinigungen, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören,
• den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherung und der Gesundheitsdienste
• die sozialen Vergünstigungen
• die Bildung
• den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der
Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum
• Belästigung: Verletzung der Würde der Person, insbesondere durch Schaffung eines
von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder
Beleidigung gekennzeichneten Umfelds
• sexuelle Belästigung
• die Anweisung zu einer dieser Verhaltensweisen.
Hierzu näher:
Die §§ 6 bis 18 AGG regeln die Rechte der Beschäftigten gegenüber ihren Arbeitgebern.
§ 24 AGG beinhaltet insoweit eine Sonderregelung für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, in denen Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter sowie Zivildienstleistende und anerkannte Kriegsdienstverweigerer, soweit ihre Heranziehung zum Zivildienst betroffen ist, stehen. Hier gelten die Vorschriften des AGGs nur „unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung“!
Die §§ 19 bis 21 AGG schützen wiederum vor Benachteiligungen im Zivilrechtverkehr, d.h. im Bereich des täglichen Lebens. Bei Massengeschäften des täglichen Lebens (z.B. Einkauf im Supermarkt) darf es künftig keine Diskriminierung in Bezug auf Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität geben. Demgegenüber ist der private Bereich z.B. der Verkauf eines gebrauchten Autos davon ausgenommen, weil es sich insoweit um kein „Massengeschäft“ handelt. Ausgenommen hiervon sind darüber hinaus:
- „familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse“ (§ 19 Abs. 4 AGG) sowie
- „zivilrechtiche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Bei Mietverhältnissen kann dies insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen“ (§ 19 Abs. 5 Satz 1 + 2 AGG).
- Zu beachten ist im übrigen bei Mietverhältnissen „zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch“, dass das AGG erst ab einer Vermietung von mehr als 50 Wohnungen Anwendung findet.
Bei der Vermietung von Wohnraum soll aber weiterhin eine sozial ausgewogene Zusammenstellung der Mietergemeinschaft zulässig bleiben (§ 20 AGG).
Zu beachten ist, dass sowohl die unmittelbaren als auch mittelbaren Benachteiligungen durch das AGG sanktioniert sind.
Bei einer Benachteiligung im täglichen Leben kann der Betroffene nach § 21 AGG u.a. folgendes verlangen:
- Beseitigung der Beeinträchtigung sowie ev. zukünftiger Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen,
- bei Verschulden Schadensersatz,
- bei einem Nichtvermögensschaden Schmerzensgeld.
6. Wichtiger Hinweis:
Was die Rechte der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber betrifft, so soll hierauf erst später in einem gesonderten Beitrag unter der Überschrift „Die Auswirkungen des AGG auf die Arbeitgeber“ ausführlicher eingegangen werden, weil dies sonst hier den Rahmen sprengen würde !
7. Fristen:
Besonders wichtig ist in jedem Fall, dass der Benachteiligte seine Ansprüche innerhalb einer Frist von nur 2 Monaten (!) geltend machen muss (§ 21 Abs. 5 AGG).
Beim Arbeitnehmer hat dies gegenüber dem Arbeitgeber noch ausdrücklich schriftlich zu erfolgen (§ 15 Abs. 4 AGG). Dafür reicht es aus, dass der Betroffene Indizien (=Beweisanzeichen oder Hilfstatsachen) beweist, die eine Benachteiligung vermuten, d.h. für möglich erscheinen lassen. Im Hinblick auf diese sehr kurze Frist sollte frühzeitig der Kontakt zum Anwalt aufgenommen werden, damit dieser die Beweisanzeichen prüft und gegebenenfalls außergerichtlich dem Verursacher Gelegenheit gibt, den Beweis dafür zu erbringen, dass keine Benachteiligung nach dem AGG vorliegt.
Dabei ist Beweis der „Nachweis“ der Richtigkeit der eigenen Tatsachenbehauptung, wohingegen ein Indiz nur ein „Anzeichen“ für einen solchen Nachweis darstellt! Diese „Beweislastumkehr“ ist für den Verursacher äußerst gefährlich, wenn er nicht rechtzeitig Vorkehrungen zur Beweissicherung getroffen hatte! Dies gelingt am ehesten bei einer vorherigen eingehenden und gezielten anwaltlichen Beratung!
Das AGG schützt auch vor Benachteiligungen beim Abschluss von privatrechtlichen Versicherungen (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Insbesondere dürfen Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Andererseits dürfen Versicherungen auch weiterhin die Risiken sachlich kalkulieren und zu unterschiedlichen Vertragsbedingungen für einzelne Risikogruppen kommen. Das AGG stellt hierbei ausdrücklich auf die Berücksichtigung „relevanter und genauer versicherungsmathematischer und statistischer Daten“ ab. Da diese einem potenziellen Versicherungsnehmer nicht bekannt sind, reicht es aus, wenn dieser Beweisanzeichen bzw. Hilfstatsachen (=Indizien) vorträgt, die seine Benachteiligung für möglich erscheinen lassen. Um sich zu entlasten wäre die Versicherung dann gezwungen, ihre relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten vorzulegen.
8. Das AGG war und ist in der Diskussion:
In der Siegener Zeitung vom 16.11.2006 wird der Innenminister Bayerns, Dr. jur. Günther Beckstein, mit folgender spontaner Äußerung bei einer Vortragsveranstaltung der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein (USW) zitiert: „Das ist ein großer Blödsinn, den wir da beschlossen haben“. Gleichzeitig räumte er ein, dass das Gesetz in Teilbereichen unausgegoren und handwerklich schlecht gemacht sei. Dies hat zwischenzeitlich auch der Gesetzgeber erkannt!
Bereits am 12.12.2006 (!) ist deshalb die erste Gesetzesänderung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten. Ganz versteckt finden sich die Änderungen in Art. 8 des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze.
9. Die erste Änderung:
In § 10 AGG (zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters) werden die Ziffern 6 und 7 aufgehoben.
Nach § 10 Ziff. 6 AGG a.F. war eine Ungleichbehandlung bei Berücksichtigung des Kriteriums „Alter“ in der Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung gerechtfertigt.
§ 10 Ziff. 7 AGG hatte die Ungleichbehandlung bei individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen zur Unkündbarkeit wegen des Alters gerechtfertigt.
Beide Ausnahmen wurden nun gestrichen, weil das Gesetz nach § 2 Abs. 4 AGG auf Kündigungen keine Anwendung findet, als für Kündigungen ausschließlich Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Gemäß § 1 KSchG ist das Alter als Auswahlkriterium im Rahme der Sozialauswahl zu berücksichtigen.
Problematisch ist dies insoweit, als § 2 Abs. 4 AGG nach der Rechtsprechung des EuGH europarechtswidrig ist und somit von den Gerichten nicht angewendet werden darf.
10. Die zweite Änderung:
In § 20 AGG wird in Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 das Kriterium der Weltanschauung gestrichen. Da die Weltanschauung in § 19 AGG nicht als Benachteiligungskriterium aufgelistet ist, war die Auflistung bei den Ausnahmetatbeständen in § 20 AGG insofern überflüssig. Damit wurde mit der Streichung des Merkmals „Weltanschauung“ an dieser Stelle lediglich ein redaktioneller Fehler korrigiert.
11. Änderungen im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) und im Sozialgerichtsgesetz (SGG):
§ 11 Abs. 1 S. 6 ArbGG, der in seiner ursprünglichen Fassung den Antidiskriminierungsverbänden die Stellen als Bevollmächtigter einräumte, wird aufgehoben. Dagegen dürfen Antidiskriminierungsverbände nach § 23 AGG im Rahmen ihres Satzungszwecks in gerichtlichen Verfahren ohne Anwaltszwang lediglich als „Beistände“ Benachteiligter auftreten. Eine entsprechende Korrektur redaktioneller Fehler wird mit der Aufhebung von § 73 Abs. 6 Satz 5 und 6 SGG vorgenommen. Weitere Änderungen betreffen das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz, die hier jedoch nicht behandelt werden.