Oberlandesgericht Naumburg
Az: 4 U 117/10
Urteil vom 24.11.2011
In dem Rechtsstreit hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2011 für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 16. November 2010 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau, Az.: 4 O 672/09, abgeändert und festgestellt, dass die zwischen den Parteien seit dem 01. Juni 2004 bestehende Berufsunfähigkeits-Versicherung, Versicherungsschein-Nr.: …, durch den Rücktritt der Beklagten vom 31. Juli 2007 nicht aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen bis zum Vertragsablauf am 01. Juni 2013 fortbesteht.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der zwischen den Parteien über eine Berufsunfähigkeitsversicherung geschlossene Versicherungsvertrag nicht durch einen von der Beklagten erklärten Rücktritt beendet wurde, sondern unverändert fortbesteht.
Der am 19. Februar 1953 geborene Kläger hat am 06. Mai 2004 bei der Beklagten über deren Vermittler O. S. einen Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung gestellt. In dem Antragsformular (Bl. 27 AB) findet sich zur Frage 5 nach Gesundheitsbeschwerden und ärztlichen Behandlungen der letzten fünf Jahre folgende Eintragung:
Bewegungseinschränkung rechte Hand wegen Unfall 1996.
Zur Frage 6, ob körperliche Behinderungen oder chronische Erkrankungen bestehen, ist eingetragen worden:
Bewegungseinschränkung rechte Hand, Hausarzt Frau Dr. ., ….
Die Beklagte nahm diesen Antrag mit einer Ausschlussklausel für die am 09. Januar 1996 an der rechten Hand erlittenen Unfallfolgen an und übersandte dem Kläger einen entsprechenden Versicherungsschein, welcher die Versicherungsdauer und die im Falle einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit vereinbarten Leistungen, nämlich die Befreiung von laufenden Prämien und eine jährliche Rentenzahlung über 18.000,– €, bis zum 01. Juni 2013 begrenzt.
Im November 2006 meldete der Kläger wegen eines Knalltraumas mit Tinnitus dritten Grades Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Beklagten an, welche daraufhin verschiedene Arztauskünfte zur Prüfung ihrer Leistungspflicht einholte. Mit Schreiben vom 31. Juli 2007 erklärte sie dem Kläger den Rücktritt vom Vertrag und verwies hierbei auf eine bei Antragstellung nicht offengelegte ärztliche Behandlung aus dem Jahre 1994 wegen retropatellarer Chondropathie beidseits mit Meniskusläsion rechts medial und eine weitere im März 2000 stattgefundene Behandlung wegen eines degenerativen HWS-Syndroms mit Tabletten, Massagen und Fango (Bl. 3 AB).
Eine Leistungspflicht wegen der Tinnituserkrankung erkannte sie hingegen mit anschließendem Schreiben vom 06. November 2007 (Bl. 18, 19 AB) an und zahlt seitdem die für den Leistungsfall vereinbarte Rente und hat den Kläger von laufenden Versicherungsprämien freigestellt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei nicht wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Er habe, so trägt er vor, keine Krankheitsumstände verschwiegen, sondern vielmehr auf die vom Vermittler S. gestellten Fragen zutreffend geantwortet. Dieser habe ihn lediglich nach ernsthaften Erkrankungen der letzten fünf Jahre gefragt. Die von den befragten Ärzten angegebenen Diagnosen seien ihm zudem nicht mitgeteilt worden und deshalb unbekannt gewesen.
Des Weiteren hat er vorgetragen, die Beschwerden wegen der bei einem Arbeitsunfall im Jahre 1994 erlittenen Knieverletzung seien nach wenigen Tagen wieder abgeklungen, ohne dass es danach einer weiteren Behandlung bedurft hätte. Die Diagnose eines degenerativen HWS-Syndroms habe seine Hausärztin ihm nicht mitgeteilt. Er sei insoweit lediglich von Muskelverspannungen ausgegangen und sei, ohne weitere Behandlungen zu benötigen, bereits nach einer der verschriebenen sechs Fangopackungen wieder beschwerdefrei gewesen.
Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Versicherungsvertrag vom 07. Juni 2004, Versicherungsschein-Nr.: …, durch den Rücktritt der Beklagten vom 31. Juli 2007 nicht aufgelöst worden ist und zu unveränderten Bedingungen bis zum Vertragsablauf fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, ihr Vermittler . habe dem Kläger die Antragsfragen ohne Einschränkungen, wie in dem Formular vorgesehen, gestellt. Der Kläger habe diese jedoch unrichtig bzw. unvollständig beantwortet. Insbesondere habe er eine ärztliche Behandlung am 16. März 2000 bei seiner Hausärztin wegen eines HWS-Syndroms, welches bereits im Februar 1994 behandlungsbedürftig gewesen sei, nicht angegeben. Außerdem habe er die Frage 6 zu chronischen Erkrankungen nicht vollständig beantwortet, da er eine retropatellare Chondropathie beidseits mit Meniskusläsion rechts, die von einem Orthopäden am 01. August 1994 festgestellt worden sei, nicht offengelegt habe. Die verschwiegenen Umstände seien auch gefahrerheblich im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F gewesen und berechtigten sie deshalb zum Rücktritt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Versicherungsvermittlers O. S. und der den Kläger behandelnden Ärzte, Dr.. und Dr… Mit Urteil vom 16. November 2010 hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für einen wirksamen Rücktritt der Beklagten lägen vor. Nach dem Beweisergebnis stände fest, dass der Vermittler S. die Antragsfragen, so wie in dem Formular vorgesehen, ohne Einschränkung dem Kläger gestellt und dessen Antworten vollständig niedergeschrieben habe. Nach den Bekundungen der behandelnden Ärzte lägen zwar keine Anhaltspunkte für chronische Erkrankungen vor, allerdings habe der Kläger zumindest fahrlässig die beiden nach Ziffer 5 des Antrags anzeigepflichtigen Behandlungen vom 06. März 2000 wegen eines akuten Infekts mit Husten und Magenschmerzen sowie am 23. März 2000 wegen Schmerzen im Schulterbereich, die in der Diagnose eines HWS-Syndroms eingemündet hätten, angeben müssen. Bei den Beschwerden handele es sich um Gefahrumstände, die bei damaliger Kenntnis des Versicherers weitergehende Nachforschungen nach sich gezogen hätten und deshalb für den Vertragsschluss erheblich gewesen seien.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er insbesondere rügt, dass es sich bei seinen im März 2000 behandelten Beschwerden um bloße, nicht anzeigepflichtige Bagatellverletzungen gehandelt habe. Zumindest sei er trotz unterlassener Anzeige als entschuldigt anzusehen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils, so wie in erster Instanz beantragt, zu erkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II. Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst formell zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat auch in der Sache wegen der gleichermaßen zulässigen (1) wie begründeten (2) Klage Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist dem Kläger ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO als notwendige Prozessvoraussetzung nicht abzusprechen.
Allerdings folgt dies nicht, wie das Landgericht meint, aus dem angeblichen Umstand, die Beklagte leiste die momentane Rente lediglich unter Vorbehalt und könne ihre Leistung jederzeit beenden. Die Beklagte hat nämlich ihre Leistungspflicht im Schreiben vom 06. November 2007 (Bl. 18 AB) trotz ihres Rücktritts allein vor dem Hintergrund der Regelung des § 21 VVG a. F. im Hinblick auf einen fehlenden Zusammenhang zwischen umstrittener Anzeigepflichtverletzung und Tinnituserkrankung ausdrücklich anerkannt. Das auf den Fortbestand des Versicherungsvertrages gerichtete Feststellungsinteresse folgt jedoch im ausreichenden Maße daraus, dass der Kläger daneben für eine Berufsunfähigkeit, die auf Grund neuer, von der Tinnituserkrankung unabhängiger Umstände eintreten könnte, ungeschmälerten Versicherungsschutz bis zum vereinbarten Vertragsende sicherstellen möchte.
2. Die Klage ist auch begründet, da die zwischen den Parteien ab Juni 2004 bestehende Berufsunfähigkeits-Versicherung mangels eines gemäß § 16 Abs. 2 und 1 VVG a. F. gegebenen Rücktrittsrechts der Beklagten nicht gemäß § 22 VVG a. F. durch den mit Schriftsatz der Beklagten vom 31. Juli 2007 erklärten Rücktritt beendet worden ist, sondern unberührt davon bis zum Ablauf des Vertrages am 01. Juni 2013 fortbesteht.
Das VVG findet in seiner alten Fassung Anwendung, weil das streitige Versicherungsverhältnis entsprechend Art. 1 Abs. 1 EGVVG vor dem 01. Januar 2008 entstanden ist und auch der maßgebliche Rücktrittstatbestand, auf den sich die Beklagte beruft, bereits bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen war.
Danach kommt ein Rücktrittsrecht des Versicherers aus § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG a. F. dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer gegen eine nach Abs. 1 der Vorschrift für ihn bestehende Pflicht, gefahrerhebliche Umstände anzuzeigen, schuldhaft verstoßen hat.
Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG a. F. obliegt bzw. oblag es dem Versicherungsnehmer bei der Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Dies sind solche Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss ausüben (§ 16 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F.). Dabei gilt ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt, im Zweifel als gefahrerheblich (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a. F.).
Vor diesem Hintergrund ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dem Kläger deshalb eine Obliegenheitsverletzung angelastet hat, weil dieser die beiden bei Antragstellung erst vier Jahre zurückliegenden ärztlichen Behandlungen im März 2000 bei Beantwortung der Frage 5 weder der Beklagten noch dem Versicherungsvermittler angegeben hatte.
Der Umstand, dass der Kläger die Beschwerden, welche den ärztlichen Behandlungen im März 2000 zugrunde lagen, selbst als Bagatelle einschätzte, kann ihn schon deshalb nicht entlasten, weil die ihm nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ohne Einschränkungen gestellte Frage 5 unmissverständlich auf alle Arten von Beschwerden, Behandlungen oder Untersuchungen eines Arztes gerichtet ist. Zudem obliegt die Einschätzung, ob und inwieweit die abgefragten Umstände tatsächlich belanglos und nicht gefahrerheblich im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG a. F sind, nicht dem Versicherungsnehmer, sondern allein dem Versicherer. Ebenso wenig kann es den Kläger in diesem Zusammenhang entlasten, dass ihm die genaue ärztliche Diagnose, wovon nach den glaubhaften Angaben der Zeugin Dr. J. auszugehen ist, nicht mitgeteilt worden war. Denn auch ohne Kenntnis einer solchen Diagnose hätte er sein Beschwerdebild unter Angabe der behandelnden Ärztin und der verschriebenen Behandlung in laienhafter Weise darstellen können und müssen.
Da jedoch § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a. F. lediglich eine gesetzliche Vermutung der Gefahrerheblichkeit bestimmt, ist es dem Versicherungsnehmer eröffnet, diese Vermutung zu widerlegen, wenn er die Unerheblichkeit der nicht offengelegten Umstände für den Vertragsschluss darzulegen und zu beweisen vermag.
Die Rechtsprechung billigt dem Versicherungsnehmer in diesem Zusammenhang Erleichterungen in der Darlegungslast zu. Dieser muss lediglich pauschal behaupten, der betreffende Umstand sei nicht gefahrerheblich, während es darauf Sache des Versicherers ist, substantiiert vorzutragen, von welchen Grundsätzen er sich bei der dem Vertragsschluss vorausgehenden Risikoprüfung leiten lässt. Es kommt also darauf an, ob der Versicherer nach seinen eigenen internen – dem Versicherungsnehmer nicht bekannten – Risikobewertungsgrundsätzen den Versicherungsvertrag auch bei Kenntnis der Umstände in gleicher Form abgeschlossen hätte oder nicht. Die Notwendigkeit für den Versicherer, danach seine internen Risikobewertungsgrundsätze offen zu legen und anhand des konkreten Falls einen anderen Vertragsschluss plausibel zu machen, kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die Risikoerheblichkeit der verschwiegenen Erkrankung nicht ohnehin bereits auf der Hand liegt (BGH, Urteil vom 20. Februar 1991, Az.: V ZR 77/90, zitiert nach juris, Rdnr. 10, 11; BGH, Urteil vom 07. Juli 1993, Az.: IV ZR 119/92, zitiert nach juris, Rdnr. 7 – 10; BGH, Urteil vom 20. September 2000, Az.: IV ZR 203/99, zitiert nach juris, Rdnr. 10; BGH, Urteil vom 19. März 2003, Az.: IV ZR 67/02, zitiert nach juris, Rdnr. 16; BGH, VersR 2009, 529, 530).
Für die beiden nicht angezeigten Behandlungen im März 2000 ist die Gefahrerheblichkeit der zugrunde liegenden Erkrankungen nicht bereits offenkundig, da die Beschwerden des Klägers bereits nach kurzer Behandlung durch die Hausärztin Dr. J. verschwanden und bis zur Antragstellung nicht erneut auftraten, weshalb es hier im Ergebnis auf eine Offenlegung der internen Risikobewertungsgrundsätze der Beklagten ankommt.
Soweit die Beklagte unter Verweis auf ein Urteil des OLG Köln (r + s 1995, 242, 243) hingegen meint, für ein Rücktrittsrecht sei bereits ausreichend, dass sie in Kenntnis der beiden Behandlungen weitergehende Nachforschungen angestellt hätte, ist ihr nicht zu folgen. Die zitierte Entscheidung des OLG Köln, welche den nicht vergleichbaren Fall zweier ungeklärter Vorunfälle des Versicherungsnehmers betrifft, ist zumindest dann nicht verallgemeinerungsfähig, wenn, wie hier, eindeutige ärztliche Befunde vorliegen, welche der Versicherer bei entsprechender Kenntnis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hätte berücksichtigen können.
Ungeachtet dessen zeigt aber auch der eindeutige Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F., dass eine Gefahrerheblichkeit nicht bereits an die Notwendigkeit für den Versicherer, weitergehende Nachforschungen anzustellen, anknüpft, sondern das tatsächliche Vorliegen von Umständen, die für den abschließenden Vertragsschluss einflussreich gewesen wären, voraussetzt. In diesem Zusammenhang allein auf die Notwendigkeit, ergänzende ärztliche Auskünfte einholen zu müssen, für ein Rücktrittsrecht abzustellen, erschiene aber auch deshalb kaum sachgerecht, weil sich ein entsprechender Aufklärungsbedarf selbst bei korrekter Beantwortung der Antragsfragen recht häufig für den Versicherer bereits dadurch ergeben kann, dass sich der Versicherungsnehmer in Unkenntnis einer genauen ärztlichen Diagnose in zulässiger Weise auf eine laienhafte Darstellung seiner Beschwerden und seiner ärztlichen Behandlung beschränkt.
In der Rechtsprechung des BGH findet die Ansicht der Beklagten ebenfalls keine Stütze. So hat dieser etwa in einem Urteil vom 07. Juli 1993 (Az.: IV ZR 119/92, zitiert nach juris, Rdnr. 10) zur der Problematik Folgendes ausgeführt:
(10) Entscheidend ist vielmehr, ob die Beklagte bei Kenntnis der zeitweiligen ärztlichen Behandlung des Klägers und der seinerzeit gestellten Diagnose, die sie bei Angabe des behandelnden Arztes hätte in Erfahrung bringen können, nach ihren Risikoprüfungsgrundsätzen Veranlassung gehabt hätte, den Vertragsschluss abzulehnen oder den Vertrag zumindest zu anderen Bedingungen abzuschließen, als tatsächlich geschehen. Damit dies beurteilt werden kann, muß die Beklagte vortragen, von welchen Grundsätzen sie sich bei der in dem Vertragsschluß vorausgehenden Risikoprüfung leiten läßt.
Um zu diesen Bewertungsgrundsätzen ergänzend vortragen zu können, hat der Senat nach einem entsprechenden rechtlichen Hinweis der Beklagten Schriftsatznachlass bis zum 10. November 2011 gewährt. Ungeachtet dessen, dass die in den Anlagen BB 1 bis 3 befindlichen Risikoprüfungsgrundsätze erst verspätet, nämlich am 15. November 2011 bei Gericht eingegangen sind, ist es der Beklagten selbst bei Beachtung derselben nicht gelungen, einen anderen Vertragsschluss für den Fall einer früheren Kenntnis der nicht angegebenen Erkrankungen plausibel zu machen. Im Einzelnen ist hierzu unter Berücksichtigung der glaubhaften Angaben der vom Landgericht im Rahmen der Beweisaufnahme gehörten Zeugen Dr. . und Dr. . (Bl. 100 – 103 Bd. I d. A) Folgendes anzumerken:
Der hausärztlichen Behandlung vom 16. März 2000 bei Frau Dr. ., lag ein akuter grippaler Infekt zugrunde, der nach Gabe eines Antibiotikums vollständig ausheilte und für welchen die eingereichten Risikoprüfungsgrundsätzen der Beklagten keine versicherungsvertraglichen Einschränkungen vorsehen.
Für ein HWS-Syndrom, weswegen sich der Kläger am 23. März 2000 bei der Hausärztin Dr. . einfand, sehen die Risikobewertungsgrundsätze (Anlage BB 1) zwar teilweise, differenziert nach Häufigkeit ihres Auftretens, Alter des Versicherungsnehmers und Art der ausgeübten Berufstätigkeit Prämienerhöhungen oder Ausschlussklauseln vor. Für den Kläger gilt dies hingegen nicht. Zwar hatte sich der Kläger bereits zuvor im Jahre 1994 wegen eines HWS-Syndroms in ärztlicher Behandlung befunden. Da diese Erstmanifestation jedoch erst in einem Alter von über 30 Jahren bei ihm auftrat, seine letztmaligen Beschwerden länger als drei Jahre, bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2004 zurücklagen und er zudem keiner körperlich handwerklichen Tätigkeit nachging, sondern als Geschäftsführer eines Computerserviceunternehmens, wie auch aus dem Versicherungsantrag (vgl. Bl. 5 AB) ersichtlich, eine reine Bürotätigkeit ausübte, scheiden sowohl Ausschlussklauseln als auch Prämienerhöhungen nach den einschlägigen Risikobewertungsgrundsätzen der Beklagten aus.
Die Kniebeschwerden, derentwegen der Kläger am 01. August 1994 beim orthopädischen Facharzt A. vorstellig geworden war, lagen bei Antragstellung bereits fast zehn Jahre zurück, sodass ihnen nur im Falle einer chronischen Erkrankung im Sinne der Frage 6 des Antragsformulars Bedeutung für eine Anzeigepflicht hätte zukommen können. Der als Zeuge gehörte Dr. A. stellte damals die Verdachtsdiagnose eines Knorpelschadens (Chondropathie) für beide Kniegelenke und einer Meniskusläsion innen rechts. Ungeachtet dessen, dass der Zeuge, wie er glaubhaft bekundet hat, dem Kläger diese Verdachtsdiagnose nicht mitgeteilt oder mit ihm besprochen hatte und dieser bereits deshalb nicht von einer chronischen Erkrankung auszugehen hatte, bestand nach entsprechender Behandlung wenige Tage später, am 03. August 1994, bereits Schmerzfreiheit und das Kniegelenk war frei beweglich. Die anfängliche Verdachtsprognose hat sich danach, wie der Zeuge A. ausdrücklich und überzeugend bei seiner Vernehmung herausgestellt hat, gerade nicht bestätigt. Weshalb der Kläger, der in der Folgezeit bis zur Antragstellung fast zehn Jahre lang beschwerdefrei blieb, angesichts dieser kurzzeitigen ärztlichen Behandlung von einer chronischen Erkrankung, wie die Beklagte meint, hätte ausgehen müssen, erscheint nicht nachvollziehbar.
Gleiches gilt für die Vorstellung des Klägers bei seiner Hausärztin wegen eines Cephalgiesyndroms am 23. November 1995, einer Interkostalneuralgie am 24. April 1994 und nicht näher bestimmte Migränebeschwerden am 20. März 1996. Ungeachtet dessen, dass die Beklagte hierzu keine Risikobewertungsgrundsätze vorgelegt hat, lagen diese Beschwerden bei Antragstellung weit über acht Jahre zurück und traten nach ihrer Behandlung nicht wieder auf, sodass ebenfalls nicht ersichtlich ist, weshalb der Kläger insoweit von chronischen Erkrankungen hätte ausgehen sollen.
3. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 17. November 2011, der als Fax-Schreiben am 18. November 2011 bei Gericht eingegangen ist, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung und bietet deshalb keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen.
Der Verweis darauf, dass es wegen des Vorliegens von Wirbelsäulen- und Kniebeschwerden einer besonderen – allerdings nicht weiter ausgeführten – Risikobewertung bedurft hätte und auch im Hinblick auf Cephalgien, Migräne und Interkostalneuralgie Weiteres hätte abgeklärt werden müssen, geht bereits deshalb fehl, weil lediglich wegen der im März 2000 aufgetretenen Wirbelsäulenbeschwerden, nicht jedoch wegen der übrigen, weit über fünf Jahre vor dem Versicherungsantrag liegenden Erkrankungen und Beschwerden eine Anzeigepflicht des Klägers im Rahmen des § 16 VVG a. F. bestand. Vor diesem Hintergrund können diese bei Vertragsschluss nicht anzeigepflichtigen Umstände auch bei einer nachträglichen Risikobewertung keine Berücksichtigung finden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils entspricht § 708 Nr. 10 ZPO in Verb. mit den §§ 711 Satz 1, 713 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 EGZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.