KG Berlin
Az: 2 Ss 210/03, 3 Ws (B) 500/03
Urteil vom 10.12.2003
In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin. am 10. Dezember 2003 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juni 2003 unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e:
Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 3 Abs. 3, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO nach § 24 StVG unter Verzicht auf das im Bußgeldbescheid angeordnete Fahrverbot zu einer Geldbuße von 200.-Euro verurteilt. Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
1. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben.
Danach hatte die Betroffene am 2. November 2001 um 17.35 Uhr in 10711 Berlin mit dem Pkw XXX die Halenseestraße in Richtung Rathenauplatz mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h befahren, obwohl dort nur eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zugelassen ist. Die mit einem geeichten Lasermessgerät des Typs LAVEG Nr. 3180 aus einer Entfernung von 248 Metern durchgeführte Messung hatte einen Wert von 87 km/h ergeben, von dem 3 km/h als Messtoleranz abgezogen worden sind.
Dass diese Feststellungen nicht vollständig auf dem Geständnis der Betroffenen beruhen können, andererseits aber nicht dargelegt wird, wie sie die Tatrichterin getroffen hat, ist unbeachtlich, weil dies nur mit einer – hier nicht erhobenen – Verfahrensrüge beanstandet werden kann.
2. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dass die Tatrichterin den Geschwindigkeitsverstoß der Betroffenen lediglich als fahrlässige Zuwiderhandlung gewertet hat, wird von den Feststellungen nicht getragen.
Zum einen legt eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um – wie hier – mehr als 60% die Annahme vorsätzlichen Handelns nahe, weil sie von einem Fahrzeugführer in aller Regel bemerkt wird. Dies gilt erst recht, wenn dem das Ab~ fahren von einer innerstädtischen Autobahn und damit eine bewusst getroffene Richtungsänderung vorausgeht, die regelmäßig mit dem Bewusstsein verknüpft ist, dass nunmehr wieder die normale Stadtgeschwindigkeit von 50 km/h gilt: In diesen Fällen bedarf es daher schon besonderer Umstände, um zur Annahme fahrlässigen HandeIns zu gelangen. Abgesehen davon, dass sich das Urteil hierzu nicht verhält, liegt nach dem Verlauf der gerichtsbekannten Abfahrt Kurfürstendamm auch bei Übersehen der Beschilderung die Annahme, es gelte nach wie vor eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h, eher fern, zumal der nahegelegene Wohnort der Betroffenen auf deren gute Ortskenntnis schließen lässt. Zum anderen lassen die Urteilsausführungen, die Betroffene sei „sich der überhöhten Geschwindigkeit nicht in vollem Umfang bewusst“ gewesen (UA S. 2), vermuten, dass die Tatrichterin der rechtsirrigen Ansicht erlegen ist, vorsätzliches Handelns setzte die genaue Kenntnis der überhöhten Geschwindigkeit voraus. Diese ist nicht erforderlich, sondern es genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren.
3. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist nicht frei von Rechtsfehlern. Zu Recht weist die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass die Urteilsfeststellungen die Annahme, ein Fahrverbot würde die Betroffene außergewöhnlich hart treffen, nicht belegen. Abgesehen davon, dass berufliche und/oder wirtschaftliche Konsequenzen grundsätzlich hingenommen werden müssen, sind, nachdem der Verordnungsgeber in § 25 Abs. 2 a StVG die Möglichkeit geschaffen hat, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb eines Zeitraumes von vier Monaten selbst zu bestimmen, an das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte besonders strenge ,Anforderungen zu stellen. So wird in der Regel nicht unzumutbar sein, von der Betroffenen zu erwarten, dass sie die Zeitspanne des Fahrverbotes durch die Inanspruchnahme von Urlaub oder durch zeitweise Beschäftigung eines Fahrers überbrückt und hierzu erforderlichenfalls auch einen Kredit aufnimmt [vgl. OLG Frankfurt DAR 2002, 83]. Allein mit dem Hinweis auf eine existentielle Gefährdung ihrer beruflichen Situation kann das Absehen von der Maßregel nicht rechtsfehlerfrei begründet werden. Hierzu bedarf es vielmehr der Feststellung konkreter Umstände, aus denen sich die behauptete Existenzgefährdung ergibt, und es ist im Einzelnen darzulegen, weshalb ihr die Betroffene nicht durch andere, ihr zumutbare Mittel begegnen kann.
3. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen auf. Er verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück, das nicht gehindert ist, neue Feststellungen zu treffen, soweit sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.