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Kostenlast bei sofortigem Anerkenntnis nach zunächst gegebenem Anlass zur Klageerhebung

Kostenlast im Rechtsstreit: Erfolgreiche Beschwerde gegen volle Kostenauflage.

In einem Rechtsstreit hat das Landgericht zu Unrecht der Beklagten die volle Kostenlast auferlegt. Die Voraussetzungen des § 93 ZPO waren erfüllt, da die Beklagte vorprozessual in Verzug geraten war. Jedoch entfiel der Anlass zur Klageerhebung, als die Beklagte die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zusicherte. Die Klageeinreichung war somit verfrüht.

Das Anerkenntnis des Auskunftsanspruchs und des Pflichtteilsanspruchs war sofortig im Sinne des § 93 ZPO. Die Kostenlast ist gemäß §§ 93, 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln. Da eine Beweisaufnahme für den nicht anerkannten Teil erforderlich war, ist eine Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht gegeben.


OLG Frankfurt – Az.: 10 W 10/22 – Beschluss vom 08.07.2022

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Gießen vom 9.2.2022 abgeändert.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 98 % und die Beklagte 2 % zu tragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 19.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die gem. §§ 99 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Zu Unrecht hat das Landgericht der Beklagten die volle Kostenlast für den Rechtsstreit auferlegt. Vielmehr sind die Voraussetzungen des § 93 ZPO für die anerkannten Ansprüche erfüllt.

Eine Partei gibt Anlass zur Erhebung einer (Stufen-)klage, wenn ihr vorprozessuales Verhalten aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (Flockenhaus in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 93 Rnr. 2, 25 m.w.N.; s. zum entscheidenden Zeitpunkt bei der Stufenklage z.B. OLG Bamberg, NJW 2020, 2649; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 24. November 2021 – 5 W 37/21 -, juris). Bei fälligen Forderungen genügt dafür in der Regel, dass der Beklagte vor dem Prozess in Verzug geraten ist (Flockenhaus, a.a.O., Rnr. 2; OLG Köln Beschl. v. 7.5.2018 – 24 W 1/18, BeckRS 2018, 8675 Rnr. 9). Von dieser Regel gibt es aber Ausnahmen, so z.B. wenn der Beklagte redlicherweise davon ausgehen durfte, dass eine von ihm erbetene Fristverlängerung stillschweigend gewährt wurde (MüKoZPO/Schulz ZPO § 93 Rn. 22; vgl. OLG Hamburg MDR 2010, 1211).

Zwar befand sich hier die Beklagte mit der Erfüllung des Auskunftsanspruchs in Verzug. Denn die Klägerin hatte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 19.3.2019 zur Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses aufgefordert und hierzu Frist bis zum 30.4.2019 gesetzt. Dem entsprach die Beklagte zunächst nicht; vielmehr teilte sie durch ihren Ergänzungspfleger mit Schreiben vom 9.5.2019 dem Anwalt der Klägerin mit, sie (die Beklagte) habe den Testamentsvollstrecker zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses aufgefordert (Anl. B11, Bl. 220 d.A.). Nachdem die Klägerin daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 12.5.2019 erklärte, auf einem notariellen Nachlassverzeichnis zu bestehen, und an eine gesetzte Frist zum 31.5.2019 erinnerte (Anl. K5, Bl. 12 d.A.), erwiderte die Beklagte erst mit Schreiben vom 21.6.2019 (Anl. K6 Bl. 13). In diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte mithin durchaus Anlass zur Klageerhebung gegeben.

Dieser Anlass entfiel jedoch, nachdem die Beklagte mit dem genannten Schreiben, dem Anwalt der Klägerin zugegangen am 24.6.2019, mitteilte, umgehend einen Stadt1er Notarkollegen mit der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu beauftragen. Jedenfalls aber entfiel der Anlass zur Klageerhebung mit Zugang des Schreibens vom 4.7.2019 (Anl. K7 Bl. 14), in welchem die Beklagte der Klägerin mitteilen ließ, dass sie den Notar X, Stadt1, beauftragt habe; dieser werde sich mit allen Beteiligten in Verbindung setzen. Dem Schreiben „vorab“ beigefügt war ein vom Anwalt des Testamentsvollstreckers erstelltes Nachlassverzeichnis. Zudem teilte der Notar X mit Schreiben vom 16.7.2019 mit, dass er einen Ortstermin für den 31.7.2019 angesetzt habe.

Die Einreichung der Klage nebst Prozesskostenhilfeantrag vom 19.7.2019 am 23.7.2019 war vor diesem Hintergrund verfrüht. Vielmehr konnte die Klägerin bei vernünftiger Betrachtung spätestens aus dem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 4.7.2019 entnehmen, dass sie auch ohne Anrufung der Gerichte zu ihrem Recht kommen werde. Der Anlass „zur Erhebung der Klage” muss in diesem Zeitpunkt vorhanden sein (BGH NJW 1979, 2040, 2041). Ebenso wie dieser Anlass nicht später rückwirkend eintreten kann (BGH, a.a.O.), muss umgekehrt berücksichtigt werden, wenn der Anlass im Zeitpunkt der Klageeinreichung wieder entfallen ist.

Dabei ist es nicht erheblich, dass der Auskunftsanspruch der Klägerin in diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt war (s. Flockenhaus, a.a.O., Rnr. 19; BGH, a.a.O.).

Das in der Klageerwiderung erteilte Anerkenntnis des Auskunftsanspruchs war ein sofortiges i.S.v. § 93 ZPO.

Zu Unrecht meint die Klägerin, bei dem Anerkenntnis des Pflichtteilsanspruchs handele es sich hingegen nicht um ein sofortiges i.S.v. § 93 ZPO; die Beklagte hätte den Leistungsanspruch schon zuvor zumindest dem Grunde nach anerkennen müssen. Das trifft nicht zu. Denn „Anerkenntnis“ i.S.v. § 93 ZPO meint ein Anerkenntnis i.S.v. § 307 ZPO, welches nicht „dem Grunde nach“ abgegeben werden kann (s. Musielak in Musielak/Voit, a.a.O., § 307 Rnr. 7). Vielmehr kann nur anerkannt werden, was auch zum Gegenstand eines Teilurteils gemacht werden kann (Musielak a.a.O.); das sind aber nur die einzelnen Stufen der Stufenklage.

Ebenso schadet es nicht, dass es sich bei dem Anerkenntnis in der Leistungsstufe nur um ein Teilanerkenntnis gehandelt hat. Denn der noch offene Teil war so geringfügig (2 % der Klagesumme), dass die Klägerin abweichend von § 266 BGB nach § 242 BGB gehalten gewesen wäre, auch eine Teilleistung entgegenzunehmen (s. hierzu MüKoZPO/Schulz, § 93, Rnr. 10 m.w.N.).

Die Beklagte hat die Berechtigung des Pflichtteilsanspruchs vorprozessual auch nicht in Abrede gestellt, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Veranlassung zur Klageerhebung nicht gegeben war.

Damit ist die Kostenlast gem. §§ 93, 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln. Da im Hinblick auf den nicht anerkannten Teil eine Beweisaufnahme erforderlich war, kommt eine Anwendung der Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht in Betracht.


Die betroffenen Rechtsbereiche in diesem Urteil:

  • Zivilprozessrecht: Das Zivilprozessrecht ist in diesem Urteil stark vertreten, da es sich um einen zivilrechtlichen Rechtsstreit handelt und die relevanten Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) zur Anwendung kommen. Die §§ 99 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO betreffen die Zulässigkeit der Beschwerde. § 93 ZPO regelt die Kostentragungspflicht bei sofortigem Anerkenntnis des Anspruchs. Die §§ 307 und 92 Abs. 1 ZPO spielen ebenfalls eine Rolle bei der Beurteilung von Anerkenntnissen und der Kostenverteilung.
  • Erbrecht: Das Erbrecht ist in diesem Fall relevant, da der Streit um die Erfüllung eines Auskunftsanspruchs im Zusammenhang mit einem notariellen Nachlassverzeichnis und einem Pflichtteilsanspruch entstanden ist. Der Pflichtteilsanspruch ist im deutschen Erbrecht verankert und stellt einen gesetzlichen Mindestanteil am Nachlass dar, der einem bestimmten Kreis von nahen Verwandten und dem Ehegatten zusteht.
  • Schuldrecht: Das Schuldrecht kommt ins Spiel, weil es um die Erfüllung von Ansprüchen und Forderungen aus erbrechtlichen Ansprüchen geht. Die Regelungen der §§ 242 und 266 BGB sind relevant, da sie die Pflicht zur Leistung und die Frage der Teilleistung betreffen. In diesem Fall war die Klägerin nach § 242 BGB verpflichtet, eine Teilleistung entgegenzunehmen.

Zusammenfassend sind die wichtigsten übergeordneten Rechtsbereiche in diesem Urteil das Zivilprozessrecht, das Erbrecht und das Schuldrecht. Das Zivilprozessrecht ist entscheidend für die Verfahrensabläufe und die Kostenverteilung, während das Erbrecht und das Schuldrecht die materiellen Ansprüche und Verpflichtungen der Parteien betreffen.

Die wichtigsten Aussagen in diesem Urteil:

  1. Anerkannte Ansprüche und § 93 ZPO: Das Urteil stellt fest, dass die Voraussetzungen des § 93 ZPO für die anerkannten Ansprüche erfüllt sind. Dieser Paragraph regelt, dass eine Partei, die ohne hinreichenden Grund einen Rechtsstreit veranlasst, die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
  2. Verzug der Beklagten: Die Beklagte befand sich im Verzug, da sie auf die Aufforderung der Klägerin zur Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zunächst nicht reagierte. Der Verzug rechtfertigte jedoch nicht die Klageerhebung, da die Beklagte später mitteilte, einen Notar mit der Erstellung des Verzeichnisses zu beauftragen.
  3. Entfallen des Anlasses zur Klageerhebung: Der Anlass zur Klageerhebung entfiel, als die Beklagte den Notar zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses beauftragte und dies der Klägerin mitteilte. Die Klageerhebung war daher verfrüht.
  4. Anerkenntnis des Auskunftsanspruchs: Das Urteil stellt fest, dass das von der Beklagten erteilte Anerkenntnis des Auskunftsanspruchs ein sofortiges im Sinne von § 93 ZPO war. Damit sind die Voraussetzungen für eine Kostenauferlegung nach diesem Paragraphen gegeben.
  5. Quotelung der Kostenlast gemäß §§ 93, 92 Abs. 1 ZPO: Das Urteil entscheidet, dass die Kostenlast gemäß §§ 93, 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln ist, da der noch offene Teil des Leistungsanspruchs geringfügig war und eine Beweisaufnahme erforderlich war. Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kommt nicht zur Anwendung.

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