Zusammenfassung:
Wann ist eine Kündigung des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer zugegangen? Wann gilt gegenüber einem Arbeitnehmer, obwohl er den Inhalt einer Kündigung nicht näher zur Kenntnis genommen hat, ein Schreiben als zugegangen? Muss der Arbeitnehmer eine Kündigung zu jeder Zeit entgegennehmen? Mit diesen Fragen setzte sich das Bundesarbeitsgericht im anliegenden Urteil im Zusammenhang mit der (versuchten) persönlichen Übergabe einer Kündigungserklärung durch den Arbeitgeber auseinander.
Bundesarbeitsgericht
Az: 2 AZR 483/14
Urteil vom 26.03.2015
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 13. Februar 2014 – 8 Sa 68/13 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die Klägerin war bei der Schuldnerin seit März 2011 als Altenpflegerin beschäftigt. Am 22. Oktober 2012 fand im Büro der Gesellschafterinnen der Schuldnerin ein Gespräch mit der Klägerin statt. Die ebenfalls anwesende vormalige Prozessbevollmächtigte der Schuldnerin erklärte der Klägerin, sie werde eine betriebsbedingte Kündigung erhalten. Die Klägerin gab an, damit nicht einverstanden zu sein. Der weitere Inhalt der Besprechung war zwischen den Parteien streitig.
Am Vormittag des 24. Oktober 2012 fand die Klägerin ein Schreiben der Schuldnerin vom 22. Oktober 2012 in ihrem Hausbriefkasten vor, mit welchem diese das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. November 2012 kündigte.
Die Klägerin hat gegen die Kündigung die vorliegende Klage erhoben. Sie ist am 14. November 2012 beim Arbeitsgericht eingegangen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie hat behauptet, für den Betrieb der Schuldnerin komme das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung. Sie habe nicht damit gerechnet, dass sie im Rahmen der Besprechung am 22. Oktober 2012 eine Kündigung erhalten würde.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 22. Oktober 2012 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
Die Schuldnerin hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Klägerin habe die Klagefrist nicht gewahrt. Zudem finde das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Die Schuldnerin hat behauptet, ihre vormalige Prozessbevollmächtigte habe der Klägerin bereits während des Gesprächs am 22. Oktober 2012 die schriftliche Kündigungserklärung „hingehalten“. Die Klägerin habe sich geweigert, diese entgegenzunehmen, und habe das Büro verlassen, ohne das Kündigungsschreiben mitzunehmen. Am Nachmittag desselben Tages hätten ihr Pflegedienstleiter und ein Auszubildender die Klägerin unter ihrer Wohnanschrift aufgesucht. Diese habe die Haustür zunächst nicht geöffnet. Schließlich sei sie den beiden Mitarbeitern in Dienstkleidung entgegengekommen. Auf deren Hinweis, sie wollten ihr einen Brief übergeben, habe sie erklärt, keine Zeit zu haben, und habe das Haus verlassen. Die Mitarbeiter hätten das Kündigungsschreiben daraufhin in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen.
Die Klägerin hat erwidert, die beiden Mitarbeiter hätten sie nicht am 22. Oktober 2012, sondern erst am Nachmittag des 23. Oktober 2012 aufgesucht. Sie hätten lediglich erklärt, sie sprechen zu wollen. Von einem Brief sei nicht die Rede gewesen. Sie sei in Eile gewesen, weil sie um 17:00 Uhr einen Termin bei ihrem Prozessbevollmächtigten gehabt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1. Mai 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt. Mit seiner Revision begehrt dieser die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Für die Klägerin ist zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht niemand erschienen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Die (Un-)Wirksamkeit der Kündigung vom 22. Oktober 2012 steht noch nicht fest.
A. Die Revision ist zulässig. Sie ist fristgerecht eingelegt und begründet worden.
I. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Frist für die Einlegung der Revision einen, die Frist für ihre Begründung zwei Monate. Beide Fristen beginnen gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
II. Der Beklagte hat mit einem am 14. Juli 2014 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Eine wirksame Zustellung des Berufungsurteils war zuvor nicht erfolgt. Seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 1. Mai 2014 war das Verfahren gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Zustellungen nach Eintritt der Unterbrechung sind gegenüber den Parteien unwirksam (vgl. BGH 29. März 1990 – III ZB 39/89 – BGHZ 111, 104). Sie sind nicht geeignet, Rechtsmittelfristen in Gang zu setzen. Diese beginnen vor Aufnahme des Rechtsstreits nach § 249 Abs. 1, § 250 ZPO nicht zu laufen (vgl. Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 249 Rn. 2). Eine Aufnahme ist hier durch den Beklagten – konkludent – erst mit Einlegung der Revision erklärt worden (zu dieser Möglichkeit vgl. BGH 29. März 1990 – III ZB 39/89 – aaO). Zu diesem Zeitpunkt war eine Zustellung des Urteils an den Beklagten zwar noch nicht erfolgt. Die Revision kann jedoch nach Verkündung des Berufungsurteils auch schon vor dessen Zustellung eingelegt werden (BAG 6. November 2003 – 2 AZR 631/02 – zu B I der Gründe).
III. Die Frist zur Begründung der Revision begann keinesfalls vor der Aufnahme des Rechtsstreits. Diese erfolgte durch Zustellung der Revisionsschrift am 22. Juli 2014. Nachdem die Frist auf Antrag des Beklagten bis zum 22. Oktober 2014 „verlängert“ worden war, wurde die Revision mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet. Auch dies ist bereits vor Zustellung des Berufungsurteils möglich (BAG 6. März 2003 – 2 AZR 596/02 – zu II 1 b der Gründe, BAGE 105, 200). Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die am 15. Juli 2014 – nach Einlegung der Revision, aber vor deren Zustellung – erfolgte Urteilszustellung an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten wirksam war.
B. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.
I. Eine Kündigungsschutzklage ist unbegründet, wenn sie verspätet erhoben wurde. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen nicht die Annahme, die Klägerin habe rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Klage gegen die Kündigung vom 22. Oktober 2012 eingereicht.
1. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine schriftliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam, muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang Klage auf die Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch sie nicht aufgelöst worden ist. Wird die Unwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt diese gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage ist als unbegründet abzuweisen (BAG 18. Dezember 2014 – 2 AZR 163/14 – Rn. 16; 26. September 2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 26, BAGE 146, 161).
2. Die Kündigungsschutzklage ist am Mittwoch, dem 14. November 2012 beim Arbeitsgericht eingegangen. Selbst unterstellt, sie sei der Schuldnerin alsbald iSv. § 167 ZPO zugestellt worden, ist gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG nur dann gewahrt, wenn die Kündigung der Klägerin nicht bereits vor Mittwoch, dem 24. Oktober 2012 zugegangen ist. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dies sei nicht der Fall, wird von seinen Feststellungen nicht getragen.
a) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin einen Zugang des Kündigungsschreibens bereits am Vormittag des 22. Oktober 2012 gegen sich gelten lassen muss.
aa) Eine verkörperte Willenserklärung geht unter Anwesenden zu – und wird damit entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam -, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt (st. Rspr., zuletzt BAG 4. November 2004 – 2 AZR 17/04 – zu B I 2 a der Gründe mwN). Es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger die Verfügungsgewalt über das Schriftstück dauerhaft erlangt (BAG 4. November 2004 – 2 AZR 17/04 – zu B I 2 b der Gründe; 7. Januar 2004 – 2 AZR 388/03 -). Es genügt die Aushändigung und Übergabe, so dass er in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BAG 4. November 2004 – 2 AZR 17/04 – zu B I 2 c der Gründe mwN). Das Schreiben muss so in seine tatsächliche Verfügungsgewalt gelangen, dass für ihn die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht (für einen Zugang unter Abwesenden vgl. BAG 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 1 der Gründe). Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist daher auch dann bewirkt, wenn das Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und, falls er die Entgegennahme ablehnt, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, dass er es ohne Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Es geht dagegen nicht zu, wenn es dem Empfänger zum Zwecke der Übergabe zwar angereicht, aber von dem Erklärenden oder Überbringer wieder an sich genommen wird, weil der Empfänger die Annahme abgelehnt hat. In diesem Fall ist das Schreiben zu keinem Zeitpunkt in dessen tatsächliche Verfügungsgewalt gelangt.
bb) Verhindert der Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat (BAG 18. Februar 1977 – 2 AZR 770/75 – zu A II 3 d der Gründe; vgl. auch BGH 13. Juni 1952 – I ZR 158/51 -). Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen (vgl. BAG 22. September 2005 – 2 AZR 366/04 – zu II 2 a der Gründe). Lehnt der Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste (BAG 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 4 der Gründe; 27. Juni 1985 – 2 AZR 425/84 – zu II 2 b der Gründe; BGH 26. November 1997 – VIII ZR 22/97 – zu II 2 a der Gründe, BGHZ 137, 205; 27. Oktober 1982 – V ZR 24/82 – zu B der Gründe mwN). Voraussetzung dafür, dass der Adressat eine Erklärung als früher zugegangen gegen sich gelten lassen muss, ist es, dass der Erklärende seinerseits alles Zumutbare dafür getan hat, dass seine Erklärung den Adressaten erreicht (BAG 22. September 2005 – 2 AZR 366/04 – zu II 2 a der Gründe; 27. Juni 1985 – 2 AZR 425/84 – zu II 2 b der Gründe).
cc) Danach ist es auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin die Kündigung vom 22. Oktober 2012 bereits am Vormittag desselben Tages tatsächlich zugegangen ist oder sie sich doch nach Treu und Glauben so behandeln lassen muss, als sei zu diesem Zeitpunkt der Zugang erfolgt.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, selbst wenn man den Sachvortrag der Schuldnerin als wahr unterstelle, genüge ihre Behauptung, die Klägerin habe das Kündigungsschreiben nicht entgegengenommen, nicht, um eine Zugangsvereitelung darzulegen. Die Klägerin habe nicht damit rechnen müssen, dass ihr schon bei der ersten Besprechung nach dem Ende des vorangegangenen Rechtsstreits eine weitere Kündigung übergeben werde. Die Reaktion der Klägerin sei als der laienhafte Versuch zu bewerten, sich gegen die Kündigung zu wehren. Eine treuwidrige Zugangsvereitelung liege auch deshalb nicht vor, weil es für die Schuldnerin unschwer möglich gewesen sei, den Zugang der Kündigung auf anderem Wege zeitnah zu bewirken. Die Klägerin habe keine Maßnahmen ergriffen, um etwa den Zugang eines Briefes an ihrer Hausanschrift zu verhindern.
(2) Diese Würdigung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob das Kündigungsschreiben der Klägerin nicht womöglich schon während des Gesprächs am Vormittag des 22. Oktober 2012 zugegangen ist. Das ist nach dem Vorbringen der Schuldnerin nicht ausgeschlossen. Dieses Vorbringen als wahr unterstellt, hat das Berufungsgericht zudem eine treuwidrige Zugangsverzögerung durch das Verhalten der Klägerin zu Unrecht verneint.
(a) Nach dem Vortrag der Schuldnerin kann das Kündigungsschreiben der Klägerin bereits während des Gesprächs am Vormittag des 22. Oktober 2012 im Rechtssinne zugegangen sein. Zwar hat die Schuldnerin nicht behauptet, es sei der Klägerin bei dieser Gelegenheit so übergeben worden, dass sie es zumindest kurz in Händen gehalten habe. Auch hat die Schuldnerin nicht eindeutig vorgetragen, der Klägerin sei das Kündigungsschreiben mit dem erkennbaren Ziel, es ihr auszuhändigen, angereicht und anschließend vor ihr auf den Tisch gelegt worden. Die Formulierung, das Schreiben sei der Klägerin „hingehalten“ worden, lässt darauf nicht zweifelsfrei schließen. Sie kann ebenso gut bedeuten, das Schriftstück sei der Klägerin gezeigt worden. Es bleibt zudem unklar, was genau anschließend mit dem Schreiben geschehen ist. Umgekehrt ist nicht ausgeschlossen, dass die Schuldnerin ihr Vorbringen in der Weise verstanden wissen will, das Kündigungsschreiben sei der Klägerin sehr wohl zum Zwecke der Übergabe gereicht worden und diese habe bereits tatsächliche Verfügungsgewalt besessen, als sie das Büro verlassen habe. So hat sie im Schriftsatz vom 31. Mai 2013 ausgeführt, die Klägerin habe das Kündigungsschreiben „nicht mitgenommen“, was bedeuten kann, dass sie bereits darüber habe verfügen können. Dafür sprechen auch die mit der Berufungserwiderung vorgelegten Aktennotizen, in denen festgehalten ist „[Die Klägerin] ist aufgestanden und schnell rausgegangen ohne die Kündigung mitzunehmen, Kündigung wurde überreicht“ bzw. „Kündigung überreicht & [die Klägerin] lässt diese liegen & verlässt den Raum“.
(b) Ist das Vorbringen der Schuldnerin dagegen so zu verstehen, dass die Klägerin das Büro zu einem Zeitpunkt verlassen habe, als ihr das Kündigungsschreiben noch erfolglos „hingehalten“ worden sei, wäre es ihr zwar noch nicht zugegangen, in ihrem Verhalten könnte aber eine treuwidrige Zugangsverzögerung liegen. Sie müsste dann die Kündigung ebenfalls als am 22. Oktober 2012 zugegangen gegen sich gelten lassen.
(aa) Voraussetzung dafür ist, dass die Schuldnerin mit der Behauptung, das Schreiben sei der Klägerin „hingehalten“ worden, nicht nur vortragen will, man habe es ihr gezeigt – etwa um die Ankündigung zu unterstreichen, sie werde demnächst eine weitere Kündigung erhalten -, sondern behaupten will, es sei ihr zu dem erkennbaren Zwecke der Übergabe angereicht worden. Anderenfalls hätte sich die Klägerin nicht veranlasst sehen müssen, es entgegenzunehmen. Damit wiederum schiede auch eine treuwidrige Annahmeverweigerung grundsätzlich aus.
(bb) Geht der Vortrag der Schuldnerin dahin, der Klägerin sei das Kündigungsschreiben zum Zwecke der Übergabe angereicht worden, läge in dem Verhalten der Klägerin eine treuwidrige Zugangsverzögerung, es sei denn, diese hätte den Umständen nach annehmen dürfen, die für die Schuldnerin handelnden Personen akzeptierten ihre Weigerung, das Kündigungsschreiben entgegenzunehmen.
(cc) Einer Zugangsvereitelung stünde nicht entgegen, dass der Klägerin das Kündigungsschreiben zeitnah auch an ihrer Wohnanschrift hätte zugestellt werden können. An der Vereitelung eines Zugangs während der Besprechung am 22. Oktober 2012 änderte sich dadurch nichts. Es kommt allein darauf an, ob die Klägerin nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichtet war, unter den gegebenen Umständen ein Kündigungsschreiben entgegenzunehmen, welches ihr eine Vertreterin der Arbeitgeberin zum Zwecke der Übergabe reichte. Dies ist zu bejahen. Ein Arbeitnehmer muss regelmäßig damit rechnen, dass ihm anlässlich einer im Betrieb stattfindenden Besprechung mit dem Arbeitgeber rechtserhebliche Erklärungen betreffend sein Arbeitsverhältnis übermittelt werden. Der Betrieb ist typischerweise der Ort, an dem das Arbeitsverhältnis berührende Fragen besprochen und geregelt werden (BAG 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B II 3 b cc (3) iVm. B II 3 b der Gründe, BAGE 109, 22). Ob tatsächlich mit einer Kündigung zu rechnen war, ist nicht entscheidend. Hier war der Klägerin nach dem Vorbringen der Schuldnerin aber sogar unmittelbar vor dem behaupteten Übergabeversuch ausdrücklich angekündigt worden, sie solle eine Kündigung erhalten. Ein berechtigter Grund, die Annahme des Schriftstücks in dieser Situation zu verweigern, ist weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es unerheblich, ob sich die Klägerin laienhaft gegen die Kündigung hat wehren wollen. Gerade darin läge eine ungerechtfertigte Annahmeverweigerung. Auf ein Verschulden des Adressaten kommt es nicht an (BAG 18. Februar 1977 – 2 AZR 770/75 – zu A II 3 d der Gründe; vgl. auch BGH 13. Juni 1952 – I ZR 158/51 -). Von Bedeutung ist allein, ob objektiv ein Verstoß gegen Treu und Glauben gegeben ist. Das ist hier nach dem Vorbringen der Schuldnerin nicht auszuschließen. Ein Arbeitgeber darf darauf vertrauen, einem Arbeitnehmer während einer Besprechung im Betrieb eine schriftliche Willenserklärung in Bezug auf das Arbeitsverhältnis übermitteln zu können. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf Seiten des Arbeitnehmers als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 241 Abs. 2 BGB gebietet es, die Entgegennahme nicht grundlos zu verweigern. Dies gilt schon deshalb, weil es dem Arbeitgeber auf einen Zugang zu diesem Zeitpunkt ankommen kann. Ob die auszuhändigende Erklärung tatsächlich fristgebunden und dem Arbeitnehmer dies bewusst ist, ist nicht ausschlaggebend. Dies steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Senats vom 7. November 2002 (- 2 AZR 475/01 – BAGE 103, 277). Zwar sollte in dem ihr zugrunde liegenden Fall erkennbar eine Kündigung zugestellt werden, die eine Frist wahren musste. Das bedeutet aber nicht, eine treuwidrige Zugangsvereitelung komme nur unter dieser Voraussetzung in Betracht.
(c) Nach dem Vorbringen der Schuldnerin ist nicht ausgeschlossen, dass sie alles Zumutbare dafür getan hatte, dass der Klägerin das Kündigungsschreiben noch während des Gesprächs am 22. Oktober 2012 zugehen konnte. Voraussetzung ist, dass ihr Vorbringen dahingehend zu verstehen ist, ihre Vertreterin habe das Kündigungsschreiben zur Übergabe parat gehalten und versucht, es der Klägerin auszuhändigen, diese habe die Entgegennahme jedoch verweigert und das Büro verlassen. Die Klägerin hätte dann die persönliche Übergabe im Betrieb grundlos vereitelt. Die spätere Zustellung an ihrer Wohnanschrift wäre allein durch ihr Verhalten erforderlich geworden.
(d) Eine treuwidrige Zugangsvereitelung wäre nicht deshalb zu verneinen, weil das fragliche Verhalten der Klägerin nicht über einen gewissen Zeitraum andauerte. Die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Entscheidung des Senats vom 22. September 2005 (- 2 AZR 366/04 -) betraf eine andere Konstellation. Der Arbeitnehmer hatte dem Arbeitgeber seine gültige Wohnanschrift nicht mitgeteilt. Darin liegt ein anderer Pflichtenverstoß als in der Weigerung, ein Kündigungsschreiben im Betrieb persönlich entgegenzunehmen.
b) Nach den bisherigen Feststellungen ist ferner nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin einen Zugang des Kündigungsschreibens jedenfalls am Nachmittag des 22. oder 23. Oktober 2012 gegen sich gelten lassen muss.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Verhalten der Klägerin am Nachmittag des 23. Oktober 2012 stelle keine Zugangsvereitelung dar. Selbst wenn man zugunsten der Schuldnerin unterstelle, ihre Boten hätten der Klägerin mitgeteilt, sie wollten ihr eine Kündigung übergeben, sei diese nicht verpflichtet gewesen, das Schriftstück sogleich zur Kenntnis zu nehmen. Sie sei auf dem Weg zu einem Anwaltstermin gewesen. Im Übrigen sei ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit nicht verpflichtet, zu jeder Minute für die Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers zur Verfügung zu stehen.
bb) Auch diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht ohne Rechtsfehler.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Mitarbeiter der Schuldnerin hätten die Hausanschrift der Klägerin am 23. Oktober 2012 aufgesucht. Demgegenüber hatte die Schuldnerin behauptet, dies und der anschließende Einwurf des Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten der Klägerin hätten sich bereits am Nachmittag des 22. Oktober 2012 ereignet. Zwar hat sie im Berufungsverfahren gemeint, soweit in der Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts vom 22. Oktober 2012 die Rede sei, müsse es sich um einen Schreibfehler handeln. Dies lässt aber nicht zweifelsfrei den Schluss zu, sie habe ihr tatsächliches Vorbringen entsprechend korrigieren wollen. Ebenso gut kann es sich um eine ihrem eigenen Tatsachenvortrag widersprechende irrtümliche Äußerung einer Rechtsansicht gehandelt haben. Dies konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht geklärt werden. Wäre das Kündigungsschreiben bereits am Nachmitttag des 22. Oktober 2012 in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen worden, wäre es ihr – unabhängig davon, ob noch an diesem Tag mit seiner Kenntnisnahme zu rechnen war – spätestens am 23. Oktober 2012 im Rechtssinne zugegangen.
(2) Selbst wenn die Boten die Hausanschrift der Klägerin – wie von dieser behauptet – erst am Nachmittag des 23. Oktober 2012 aufgesucht haben sollten, wäre ihr die Kündigung nach dem Vorbringen der Schuldnerin noch an diesem Tag iSd. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen.
(a) Eine verkörperte Willenserklärung geht unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21; 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 1 der Gründe; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 1 der Gründe, BAGE 58, 9; BGH 11. April 2002 – I ZR 306/99 – zu II der Gründe). Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21; Palandt/Ellenberger 74. Aufl. § 130 BGB Rn. 5). Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21; 8. Dezember 1983 – 2 AZR 337/82 – zu B II 2 a der Gründe; BGH 3. November 1976 – VIII ZR 140/75 – zu 2 b aa der Gründe, BGHZ 67, 271; Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 5; Staudinger/Dilcher BGB § 130 Rn. 21). So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21; vgl. auch 8. Dezember 1983 – 2 AZR 337/82 – zu B II 2 a der Gründe; Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 6; Reichold in jurisPK-BGB 5. Aufl. § 130 Rn. 12). Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21; vgl. auch BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 2 b der Gründe; Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 6). Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 22; 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 1 der Gründe; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 1 der Gründe, aaO; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 2 b der Gründe). Den Empfänger trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, so wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 22; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 2 b der Gründe).
(b) Danach ist das Kündigungsschreiben der Klägerin – das Vorbringen der Schuldnerin zum Verlauf der Zustellung an der Hausanschrift als wahr unterstellt – noch am 23. Oktober 2012 zugegangen, selbst wenn es erst an diesem Nachmittag in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Zwar folgt dies nicht daraus, dass die Klägerin den Zugang – erneut – verzögert hätte. Die Schuldnerin hat nicht behauptet, der Klägerin sei das Kündigungsschreiben von ihren Mitarbeitern zum Zwecke der Übergabe angereicht worden. Eine treuwidrige Annahmeverweigerung ist damit nicht ersichtlich. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit für die Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers jederzeit zur Verfügung zu stehen hat. Die Schuldnerin hat aber vorgetragen, ihre Boten hätten die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie ihr einen Brief übergeben wollten. Die Klägerin habe daraufhin erklärt, keine Zeit zu haben. Sollte dies zutreffen, wäre das Kündigungsschreiben der Klägerin noch an diesem Tag zugegangen. Die Klägerin musste nach dem betreffenden Hinweis davon ausgehen, dass die Boten das Kündigungsschreiben in den Hausbriefkasten einwürfen und es damit in ihren Herrschaftsbereich gelangt wäre. Unter gewöhnlichen Verhältnissen bestand damit für sie die Möglichkeit, von dem Schreiben noch an diesem Tag Kenntnis zu nehmen. Anders als dann, wenn ein Brief ohne Wissen des Adressaten erst nach den üblichen Postzustellzeiten in dessen Hausbriefkasten eingeworfen wird, ist mit der Kenntnisnahme eines Schreibens, von dem der Adressat weiß oder annehmen muss, dass es gegen 17:00 Uhr eingeworfen wurde, unter gewöhnlichen Verhältnissen noch am selben Tag zu rechnen. Ob die Klägerin dazu angesichts ihrer Termine tatsächlich in der Lage war, ist nicht entscheidend. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Schuldnerin Kenntnis von diesen Terminen hatte, ob ihr die Kenntnis ihrer Mitarbeiter zuzurechnen wäre oder ob die Klägerin ihr gegenüber verpflichtet war, das Schreiben sogleich zur Kenntnis zu nehmen.
II. Ob die Kündigung vom 22. Oktober 2012 das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, steht noch nicht fest. Zur Klärung war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
1. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht, gegebenenfalls nach Erhebung der angebotenen Beweise, die notwendigen Feststellungen zu treffen haben. Dem Beklagten wird Gelegenheit zu geben sein, das Vorbringen der Schuldnerin zum konkreten Verlauf eines möglichen Versuchs der Übergabe eines Kündigungsschreibens und einer Verweigerung von dessen Annahme durch die Klägerin am Vormittag des 22. Oktober 2012 sowie zum Datum der Zustellung des Kündigungsschreibens an der Hausanschrift der Klägerin klarzustellen.
2. Sollte ein Zugang oder eine treuwidrige Zugangsvereitelung am Vormittag des 22. Oktober 2012 nachgewiesen werden oder sollte sich das Vorbringen der Schuldnerin als wahr erweisen, das Kündigungsschreiben sei am Nachmittag des 22. Oktober 2012 oder am 23. Oktober 2012 nach vorheriger Ankündigung, es solle ein Brief übergeben werden, eingeworfen worden, gälte die Kündigung gemäß § 7 KSchG von Anfang an als rechtswirksam. Die Klägerin hätte ihre Unwirksamkeit nicht innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend gemacht.
3. Sollten sich die Behauptungen der Schuldnerin zur Besprechung am 22. Oktober 2012 und zum Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Klägerin nicht als zutreffend erweisen, wäre die Klage rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 KSchG erhoben. In diesem Fall ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht sozial gerechtfertigt, nicht zu beanstanden. Der Beklagte erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Versäumnisurteil kann die Klägerin innerhalb einer Frist von zwei Wochen seit Zustellung Einspruch beim
Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt,
einlegen.
Der Einspruch muss von einem Rechtsanwalt, dem Vertreter einer Gewerkschaft oder eines Zusammenschlusses von Gewerkschaften mit der Befähigung zum Richteramt oder dem Vertreter einer juristischen Person gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG mit der Befähigung zum Richteramt unterzeichnet sein.