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Verdachtskündigung – wegen gestellter Verkehrsunfälle

BUNDESARBEITSGERICHT

Az.: 2 AZR 725/06

Urteil vom 29.11.2007


Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. März 2006 - 3 Sa 862/05 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der am 1. Mai 1963 geborene, verheiratete, drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete und mit einem Grad der Behinderung von 20 anerkannte Kläger ist seit dem 30. September 1986 bei der Beklagten als Kraftfahrer in deren Entsorgungsbetrieb, der nach dem Hessischen Eigenbetriebsgesetz (idF vom 9. Juni 1990 - GVBl. I S. 154) als Eigenbetrieb organisiert ist, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme der Bundesmanteltarifvertrag für die Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe - BMT-G II - Anwendung.

Am 5. April 2004 verursachte der Kläger einen Verkehrsunfall. Er war mit einem Müllfahrzeug der beklagten Stadt ungebremst auf einen haltenden, einer Frau A gehörenden BMW aufgefahren. Die Haftpflichtversicherung der beklagten Stadt, der Kommunalversicherer GVV, regulierte den Schaden in Höhe von ca. 12.000,00 Euro.

Nach einer Häufung von Verkehrsunfällen mit Müllfahrzeugen der beklagten Stadt war bei der GVV der Verdacht entstanden, Mitarbeiter der Beklagten würden vorsätzlich und in kollusivem Zusammenwirken mit Unfallgegnern Verkehrsunfälle herbeiführen. Eine Auswertung von Verkehrsunfällen der letzten drei Jahre durch die GVV hatte ergeben, dass bei diesen Unfällen häufig hochwertige Fahrzeuge betroffen und den Unfallgegnern hohe Schäden (mindestens 5.000,00 Euro) entstanden waren sowie eine eindeutige Schuldfrage vorlag. Darüber hinaus waren wiederholt dieselben Anspruchsgegner und beschädigten Fahrzeuge betroffen und waren zudem persönliche Verbindungen zwischen den Mitarbeitern als Schädiger und den Anspruchsgegnern als Geschädigte erkennbar geworden. Die GVV erstattete deshalb Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden.

Am 14. September 2004 erhielt die Beklagte von den Ermittlungsbehörden eine Liste mit elf Namen von Mitarbeitern - ua. des Klägers - gegen die wegen Betrugs zu Lasten der GVV ermittelt werden sollte. Nach Ansicht der Ermittlungsbehörden bestand beim Kläger der dringende Tatverdacht, insbesondere am 5. April 2004 in Absprache mit dem Unfallgegner einen Verkehrsunfall vorsätzlich herbeigeführt zu haben.

Am 15. September 2004 wurde die Wohnung des Klägers und der Spind des Klägers im Betrieb von Ermittlungsbeamten der Sonderkommission der Kriminalpolizei „T“ durchsucht.

Am 17. September 2004 befragte der Personalleiter der beklagten Stadt den Kläger in dessen Wohnung zum Unfall vom 5. April 2004. Der Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.

Am 21./22. September 2004 teilte der Leiter der Sonderkommission der Beklagten mit, nach Auswertung von Asservaten, dem Ergebnis der Durchsuchungen und der Vernehmung des Klägers habe sich der Verdacht gegen ihn erhärtet.

Am 27. September 2004 fand ein Personalgespräch mit dem Kläger statt, in dem er zu dem Verdacht „vorsätzlich zum Schaden der Entsorgungsbetriebe Verkehrsunfälle mit Fahrzeugen der ELW herbeigeführt zu haben“ angehört wurde.

Mit Schreiben vom 23. September 2004 hörte die Beklagte den Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung und mit Schreiben vom 24. September 2004 zu einer beabsichtigten ordentlichen Verdachtskündigung an. Eine Stellungnahme gab der Personalrat nicht ab.

Am 1. Oktober 2004 stellte der Kläger einen Antrag auf Heraufsetzung des Grades seiner Behinderung.

Nach Erteilung der beantragten Zustimmung durch das Integrationsamt kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 18. Oktober 2004 fristlos. Mit dem weiteren Schreiben vom 22. Oktober 2004 kündigte sie das Arbeitsverhältnis erneut vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 2005.

Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigungen gewandt und ausgeführt: Es liege weder ein wichtiger Grund für eine außerordentliche noch ein verhaltensbedingter Grund für eine ordentliche Kündigung vor. Für eine Verdachtskündigung fehle es bereits an einem hinreichenden, auf Tatsachen gestützten dringenden Verdacht. Er habe weder den Verkehrsunfall vom 5. April 2004 vorsätzlich zu Lasten der beklagten Stadt herbeigeführt, noch ihn mit dem Unfallbeteiligten abgesprochen. Es bestehe auch keine Beziehung zum Unfallgegner. Er sei zu weiteren Verdachtsmomenten, die die Beklagte ergänzend zur Kündigung heranziehen wolle, nicht ordnungsgemäß angehört worden. Dies gelte insbesondere für einen nunmehr von der Beklagten auch herangezogenen Unfall aus dem Sommer 2001. Im Übrigen habe er eine Einlassung zu den Vorwürfen nicht verweigert; im Gespräch vom 17. September 2004 habe er mitgeteilt, der Unfall vom April 2004 sei auf eine kurzfristige Unaufmerksamkeit zurückzuführen gewesen. Im Übrigen habe die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte habe ihm die weiteren nunmehr von der Beklagten behaupteten Tatsachen zur Geschädigten A und zum weiteren Unfall vom Sommer 2001 - unstreitig - nicht mitgeteilt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die mit Schreiben vom 18. Oktober 2004 erklärte außerordentliche Kündigung noch durch die mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen:

Die Kündigung sei sowohl aus wichtigem Grund als auch aus verhaltensbedingten Gründen wegen des dringenden Verdachts, der Kläger habe zu ihren bzw. zu Lasten der GVV Verkehrsunfälle vorsätzlich und in kollusivem Zusammenwirken mit den Gegnern herbeigeführt, gerechtfertigt. Der dringende Tatverdacht ergebe sich aus den Gesamtumständen und beruhe in erster Linie auf den staatsanwaltlichen Ermittlungen und der richterlichen Durchsuchungsanordnung. Nach ihren Informationen habe der Kläger den Unfall vom 5. April 2004 vorsätzlich herbeigeführt. Dies sei aus den Umständen zu schließen. Es sei ein hochwertiges Fahrzeug betroffen gewesen, ein hoher Schaden entstanden und der Kläger habe seine Unfallschuld ohne Weiteres eingeräumt. Auch tauche die Geschädigte A im Zusammenhang mit weiteren Unfällen auf, die auch Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gewesen seien. Erst nach dem Personalgespräch habe sie, die Beklagte, Kenntnis von dem weiteren Unfall vom 10. Juli 2001 erhalten, bei dem der Kläger einen vergleichbaren Heckschaden in Höhe von 3.882,81 DM wie im Jahre 2004 verursacht habe. Der Geschädigte dieses Unfalls sei der Vater eines mitbeschuldigten Arbeitskollegen und persönlichen Freundes des Klägers, Herr B, gewesen. Zwischenzeitlich habe auch ein Kollege des Klägers in einem Personalgespräch eingeräumt, dass Kollegen Unfälle in der von der GVV beschriebenen Form organisiert hätten. Schließlich sei der Kläger zwischenzeitlich zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden.

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten worden. Sie habe erstmals durch die polizeiliche Mitteilung vom 14. September 2004 konkrete Kenntnisse von den Namen der betroffenen Mitarbeiter erlangt. Sie habe sodann zulässigerweise den Kläger zu den behaupteten Vorwürfen befragen und anhören müssen.

Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Einer Information und Anhörung zu den weiteren Umständen habe es nicht bedurft, sie wäre auf eine bloße „Förmelei“ hinausgelaufen. Die Personalvertretung habe hinreichend Möglichkeiten gehabt, die besonderen Belange des Klägers im Rahmen ihrer Beteiligung zur vorliegenden Kündigung vorzubringen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Auf Grund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts steht noch nicht fest, ob im Entscheidungsfall die Voraussetzungen einer außerordentlichen oder ordentlichen Verdachtskündigung erfüllt sind.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat seine der Klage stattgebende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Zwar könne auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren oder sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber einem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung sei aber rechtlich nur zulässig, wenn sich starke auf objektive Tatsachen beruhende Verdachtsmomente vorlägen, die geeignet seien, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Im Entscheidungsfall seien solche Tatsachen zum Kündigungszeitpunkt nicht gegeben. Zwar habe der Kläger bei dem von ihm am 5. April 2004 verursachten Verkehrsunfall ein hochwertiges Fahrzeug beschädigt und der Schaden mehr als 5.000,00 Euro betragen. Auch sei die Schuldfrage eindeutig geklärt gewesen. Die weiteren Kriterien, die der Versicherer GVV und die Staatsanwaltschaft als Indizien für „abgesprochene“ Unfälle herangezogen hätten, lägen aber nicht vor. Weder sei der Anspruchsgegner noch das beschädigte Fahrzeug wiederholt in eine Unfallregulierung einbezogen gewesen oder eine persönliche Verbindung zwischen dem Kläger und dem Geschädigten feststellbar. Deshalb reichten die Anhaltspunkte nicht aus, um den dringenden Verdacht einer Vertragspflichtverletzung bzw. einer vom Kläger verursachten Straftat anzunehmen. Der Verdacht würde auch nicht hinreichend durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und den richterlichen Durchsuchungsbeschluss verstärkt.

Weitere, den Tatverdacht stützende Tatsachen habe die Beklagte nicht wirksam in den Prozess eingeführt. Zwar könnten solche Tatsachen, die zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs bereits vorgelegen hätten, noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in den Prozess eingeführt werden. Die von der Beklagten zusätzlich vorgetragenen Verdachtsmomente seien vorliegend jedoch nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte habe hierzu den Personalrat nicht angehört.

Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Auch insoweit habe die Beklagte keine ausreichenden Verdachtsmomente dargelegt.

B.

Dem folgt der Senat weder im Ergebnis noch in der Begründung.

Ob die Beklagte hinreichende Umstände dargetan hat, die den dringenden Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung begründen können, kann auf Grund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Deshalb ist der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung und Würdigung der Umstände, die den Verdacht einer vom Kläger begangenen erheblichen Pflichtverletzung begründen können, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

I.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 BMT-G II bzw. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Der in § 53 Abs. 1 Satz 1 BMT-G II enthaltene und inhaltsgleich in § 626 Abs. 1 BGB verwandte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Seine Anwendung durch die Tatsachengerichte kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter diese Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rspr. Senat 31. Januar 1996 - 2 AZR 158/95 - BAGE 82, 124; 11. März 1999 - 2 AZR 427/98 - AP BGB § 626 Nr. 150 = EzA BGB § 626 nF Nr. 177; 18. November 1999 - 2 AZR 743/98 - BAGE 93, 1).

II.

Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle hält das angegriffene Berufungsurteil nicht stand.

1.

Das Landesarbeitsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass nicht nur eine erwiesene erhebliche Vertragspflichtverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung mit Bezug zum Arbeitsverhältnis  oder einer Verletzung von erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber einem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen kann (vgl. BAG 8. Juni 2000 - 2 AZR 638/99 - BAGE 95, 78; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2).

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Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar.

Eine Verdachtskündigung kommt aber nur in Betracht, wenn dringende auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG 4. Juni 1964 - 2 AZR 310/63 - BAGE 16, 72; 30. Juni 1983 - 2 AZR 540/81 -; zuletzt 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein „Unschuldiger“ betroffen ist (vgl. schon BAG 4. Juni 1964 - 2 AZR 310/63 - BAGE 16, 72; zuletzt 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1 mwN). Der notwendige schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss ferner dringend sein, dh., bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung (Tat) gerade dieses Arbeitnehmers bestehen (vgl. zu dem Maßstab und den Anforderungen: Senat 30. Juni 1983 - 2 AZR 540/81 -; 18. November 1999 - 2 AZR 743/98 - BAGE 93, 1; 6. Dezember 2001 - 2 AZR 496/00 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11; 26. September 2002 - 2 AZR 24/01 - aaO; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; zuletzt 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 -). Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 30. Juni 1983 - 2 AZR 540/81 -; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben (BAG 4. Juni 1964 - 2 AZR 310/63 - aaO und 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - aaO).

2.

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes kann auf Grund der bisherigen Feststellungen dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis nicht darin gefolgt werden, im Entscheidungsfall bestehe kein hinreichender dringender Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines erheblichen arbeitsvertragswidrigen Verhaltens des Klägers. Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle von der Beklagten in den Prozess eingeführten Tatsachen bei der Beurteilung eines möglichen dringenden Verdachts berücksichtigt.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, dass ein Arbeitnehmer, der während seiner Tätigkeit mit einem Kraftfahrzeug des Arbeitgebers Unfälle bewusst verursacht, um dessen Haftpflichtversicherung zu schädigen, eine strafbare Handlung begeht und erheblich seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Eine solche Pflichtverletzung ist genauso wie ein entsprechender dringender Verdacht geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, wenn eine solche Straftat in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit und dem Arbeitsverhältnis steht.

b) Nicht zu folgen ist dem Landesarbeitsgericht jedoch, soweit es angenommen hat, es gebe keine hinreichenden Indizien für den dringenden Verdacht, der Kläger habe vorsätzlich und in kollusivem Zusammenwirken mit Arbeitskollegen oder Dritten Unfälle zu Lasten der beklagten Stadt bzw. der GVV verursacht. Damit hat es seinen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum überschritten und wesentlichen Sachvortrag der Beklagten nicht berücksichtigt und gewürdigt.

aa) Aus den Darlegungen der Beklagten ergeben sich, wenn die Umstände sich als zutreffend herausstellen sollten, weitere und hinreichende Anhaltspunkte für eine vorsätzliche abgesprochene Unfallverursachung und eine bewusste Schädigung der Beklagten bzw. des Versicherers GVV. Zwar stellt jeder einzelne von der beklagten Stadt aufgeführte Unfall und der jeweils eingetretene Schaden an einem hochwertigen Fahrzeug für sich allein noch kein hinreichendes Indiz dafür dar. Jeder dieser Aspekte ist für sich und alleine genommen „neutral“. Sie können auch bei einem nur fahrlässig verursachten Unfall vorliegen, beispielsweise wenn ein Schädiger unachtsam auf ein haltendes (hochwertiges) Fahrzeug auffährt.

bb) Durch eine Häufung von Unfällen mit durchaus vergleichbaren Unfallverursachungen sowie von daraus resultierenden wesentlichen Schädigungen an hochwertigen Fahrzeugen der Unfallgegner gewinnen sie aber erheblich an Gewicht. Ferner können sich aussagekräftige Indizien für eine vorsätzliche und abgesprochene Unfallverursachung und damit erhebliche Pflichtverletzung des Klägers weiter aus dem Strafverfahren und der erstinstanzlichen Verurteilung ergeben. Gar nicht berücksichtigt hat das Landesarbeitsgericht, dass der Kläger am 5. April 2004 ein der Geschädigten A gehörendes Fahrzeug beschädigt hat und dieses Fahrzeug bereits vorher in einen Unfall mit einem anderen Arbeitnehmer der Beklagten, der auch verdächtigt wird, Unfälle vorsätzlich zu Lasten der Beklagten herbeigeführt zu haben, verwickelt war. Dies gilt umso mehr, wenn der Vortrag der Beklagten sich erhärten und zutreffen sollte, die Unfälle seien im Betrieb abgesprochen worden, was ein Mitarbeiter eingeräumt habe.

c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann die Beklagte sich auf die weiteren Indiztatsachen berufen, selbst wenn der Personalrat vor ihrer erstmaligen Verwendung im Prozess hierzu nicht ausdrücklich angehört worden ist.

aa) Bei den weiteren Indiztatsachen handelt es sich nicht um solche, die erst nach dem Zugang der Kündigung entstanden sind und deshalb grundsätzlich nicht mehr zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden können. Vielmehr könnten die den Verdacht erhärtenden oder entkräftenden zum Kündigungszeitpunkt bereits objektiv gegebenen Tatsachen grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen werden und sind auch zu berücksichtigten (vgl. insbesondere BAG 14. September 1994 - 2 AZR 164/94 - BAGE 78, 18; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2).

bb) Ob eine Berücksichtigung solcher Aspekte deshalb ausscheidet, weil der Personalrat hierzu gar nicht beteiligt worden ist (vgl. BAG 11. April 1965 - 2 AZR 239/84 - BAGE 49, 39; 13. September 1995 - 2 AZR 587/94 - BAGE 81, 27), bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung.

(1) Nach § 77 Abs. 1 Nr. 2 HPVG bestimmt der Personalrat bei der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses mit und ist bei einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 Satz 1 HPVG anzuhören. Dementsprechend ist ihm der Kündigungssachverhalt mitzuteilen. Dem Personalrat ist der wesentliche, zur Kündigung führende Sachverhalt mitgeteilt worden. Dass dem Personalrat der Name der in mehreren Fällen Geschädigten A nicht mitgeteilt wurde, ist für die Information des Personalrats und eine spätere Verwendung des Namens im Kündigungsschutzprozess unschädlich. Auf die konkrete Namensnennung kommt es insoweit nicht an. Damit wird der Kündigungssachverhalt nicht im Wesentlichen verändert, sondern lediglich konkretisiert (siehe BAG 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - BAGE 49, 39). Über den Umstand der erstinstanzlichen Verurteilung im Strafverfahren brauchte die Beklagte auch den Personalrat nicht noch einmal zu informieren, um diese Tatsache im Kündigungsschutzprozess verwerten zu können, da sie den Personalrat bereits über das eingeleitete Ermittlungsverfahren unterrichtet hatte.

(2) Dagegen kann die Beklagte die weiteren Indizien, die sich unter Umständen auf Grund des zweiten Unfalls vom 10. Juli 2001 ergeben, ohne eine erneute Unterrichtung des Personalrats nicht ohne Weiteres im vorliegenden Kündigungsschutzprozess verwerten.

III.

Da die Kündigung des Klägers auch nicht aus anderen Gründen unwirksam ist, war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Das Landesarbeitsgericht wird im Einzelnen prüfen müssen, ob unter Berücksichtigung der weiteren Indiztatsachen sowie des Ausgangs des Strafverfahrens ein hinreichender dringender Tatverdacht besteht und ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorlag.

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