Oberlandesgericht Oldenburg
Az.: 2 U 21/02
Urteil vom 27.03.2002
Anmerkung des Bearbeiters
Urteil zu den Anforderungen im Hinblick auf die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht eines Vergnügungsparkbetreibers. Welche Verkehrssicherungspflichten müssen in Bezug auf eine Riesenrutsche von zehn Metern Höhe und sechs parallel laufenden Bahnen eingehalten werden?
Tenor
In dem Rechtsstreit hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2002 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. Dezember 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.519,77 € nebst 4 % Zinsen auf 18.285,60 € ab dem 17. November 1997 und auf 234,17 € ab dem 4. August 2000 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte der Klägerin zum Ersatz aller zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensfall vom 1. Mai 1997 verpflichtet ist, sofern diese Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Klägerin 46 % und die Beklagte 64 %. Die Klägerin trägt ferner 46 % der Kosten des Streithelfers; im übrigen trägt der Streithelfer seine Kosten selbst.
Von den Kosten des 2. Rechtszugs tragen die Klägerin 25 % und der Beklagte 75 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit leistet.
Der Streitwert für den 2. Rechtszug beträgt bis zu 31.000,– €. Der Wert der Beschwer übersteigt nur für die Beklagte 20.000,– €.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Ersatz für Schäden, welche sie anläßlich eines Unfalls am 01.05.1997 in dem von der Beklagten betriebenen Tier- und Freizeitpark erlitten hat. Die Klägerin besuchte den Park mit ihrem damals dreijährigen Sohn. Gemeinsam mit dem Kind benutzte sie die dort aufgestellte „Riesenrutsche“. Von dem ca. 10 Meter hohen Gerät kann man auf 6 nebeneinander verlaufenden Bahnen über mehrere „Wellen“ mit unterschiedlichem Neigungswinkel unter Zuhilfenahme von Bastmatten mit hoher Geschwindigkeit herunter rutschen. Im Auslaufbereich der Rutsche stand die Klägerin auf, um die Bahn zu verlassen. Hierbei rutschten ihr die auf der gleichen Bahn nachfolgenden damals 4 und 6jährigen Söhne des Streithelfers in die Beine, woraufhin sie zu Fall kam, auf der Bahn aufschlug und dadurch erhebliche Verletzungen davontrug.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Mit ihrer Klage hat die Klägerin vornehmlich ein Schmerzensgeld sowie die Feststellung begehrt, daß die Beklagte ihr zum Ersatz aller zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet sei.
Das Landgericht hat der – im Laufe des ersten Rechtszugs teilweise zurückgenommenen – Klage stattgegeben. Auf das am 17.12.2001 verkündete Urteil wird Bezug genommen. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat nur zum Teil Erfolg.
1. Das Landgericht hat eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zu Recht bejaht. Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, daß derjenige, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu schaffen hat. Das einzuhaltende Ausmaß der Sicherheitsvorkehrungen hat sich dabei nach dem jeweiligen Benutzerkreis zu richten; insbesondere ist zu berücksichtigen, daß bei Spiel- und Freizeitanlagen kindliche bzw. jugendliche Benutzer dazu neigen, sich im Spieleifer auch unbesonnen zu verhalten (BGH NJW 1978, 1629; BGH NJW 1980, 1159; Staudinger-Hager, BGB (1999) § 823 E 286). Allerdings können keine Vorkehrungen gegen jede denkbare, nur entfernt liegende Möglichkeit einer Gefährdung verlangt werden (BGH NJW 1978, 1629; Staudinger-Hager a.a.O.). Diesen Grundsätzen entsprechend ist es allgemein anerkannt, daß bei größeren Wasserrutschen – zumindest – durch deutlich sichtbare Schilder, unterstützt durch entsprechend grafische Symbole, am Einstieg der Rutsche auf die Gefahren einer unsachgemäßen Benutzung, etwa bei Nichteinhaltung des notwendigen Mindestabstands, hinzuweisen ist (OLG Karlsruhe VersR 1993, 709; OLGR Köln 2001, 32; Staudinger-Hager, § 823 E 312).
Bei der hier vorliegenden „Landrutsche“ gilt prinzipiell nichts anderes. Zwar ist für den Benutzer beim Einstieg die Rutschbahn einsehbar und er kann, falls er die entsprechende Aufmerksamkeit walten läßt, wahrnehmen, ob die Rutschbahn vor ihm frei ist. Dies ändert aber nichts daran, daß durch die Größe der Rutsche und die dadurch verbundene hohe Rutschgeschwindigkeit in besonderem Maß die Gefahr besteht, daß es zu erheblichen Verletzungen kommt, falls ein Benutzer den Rutschvorgang beginnt, bevor ein vorheriger Nutzer die Bahn verlassen hat. Wie das Landgericht zutreffend – und von der Berufung unbeanstandet – festgestellt hat, ist die Rutsche etwa 10 Meter hoch, sie wird mit hoher Geschwindigkeit benutzt und der Ablauf des Rutschvorgangs ist durch den wellenartigen Verlauf der Bahn nur schwer einschätzbar. Angesichts des dadurch vorhandenen Gefahrenpotentials sind Sicherheitsvorkehrungen gegen eine unsachgemäße Benutzung, die gerade Kindern typischerweise im Eifer des Spiels leicht unterlaufen kann, unabdingbar. Zumindest hätten hier von der Beklagten Hinweisschilder aufgestellt werden müssen, die die jeweiligen Nutzer darauf hätten hinweisen müssen, daß erst nach vollständiger Räumung der Bahn ein neuerliches Rutschen zulässig sei. Ferner wären – wiederum zumindest – entsprechende grafische Darstellungen sowie ein Hinweis an die Eltern kleinerer Kinder notwendig gewesen, durch nachdrückliche Ermahnungen ihrer Kinder die Einhaltung der notwendigen Sorgfalt bei Rutschvorgängen soweit als möglich zu gewährleisten. Der Senat kann vorliegend offenlassen, ob die vorgenannten Sicherungsmaßnahmen zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht ausreichend gewesen wären; die Installation einer Lichtschranke oder Ampelanlage würde die Sicherheit auf jeden Fall noch weiter erheblich erhöhen und dürfte für den Betreiber einer derartigen Anlage gleichfalls durchaus zumutbar sein.
Für die Kausalität der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des eingetretenen Schadens spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. dazu z.B. BGH NJW 1994, 945, 946; Staudinger-Hager, § 823 E 72 m.w.N.). Die Tatsache, daß die Kinder des Streithelfers – angeblich – über die zulässige Nutzung der Rutsche bestens vertraut waren, steht der Ursächlichkeit der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht entgegen. Die Anlage bringt gerade die typische Gefahr mit sich, daß im Spieleifer an sich Selbstverständliches nicht beachtet wird; eben deshalb hätte es der geschilderten Sicherungsmaßnahmen zur ständigen Ermahnung bedurft.
Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht nicht für bewiesen erachtet. Auf die zutreffende Beweiswürdigung wird Bezug genommen, § 543 Abs. 1 ZPO a.F..
2. Bei der Bemessung des Schmerzensgelds ist insbesondere folgendes zu berücksichtigen:
Die Klägerin hat durch den Unfall Frakturen im Bereich des 5. und 6. Halswirbels erlitten. Sie befand sich deshalb vom 01.05. bis zum 12.05.1997 in stationärer Behandlung. Sie leidet infolge des Unfalls an Kribbelgefühlen und Durchblutungsstörungen in den Armen und in den Händen sowie an Verspannungen in den Schultern und Kopfschmerzen. An manchen Tagen ist es ihr nicht möglich, die Haustür aufzuschließen, da ihr die notwendige Kraft in den Händen fehlt. Es fällt ihr schwer, längere Radtouren zu unternehmen oder mit ihrem Sohn zu spielen. Die geschilderten Beeinträchtigungen sind mithin erheblich. Zu bedenken ist jedoch auch, daß der Beklagten kein besonders schweres Verschulden zur Last gelegt werden kann. Unter Berücksichtigung aller Umstände und der in der Rechtsprechung in – naturgemäß nur begrenzt – vergleichbaren Fällen zugebilligten Schmerzensgeldbeträge (vgl. z.B. bei Hacks, 20. Aufl., OLG Hamm unter Nr. 2048 und OLG Frankfurt unter Nr. 1906) hält der Senat ein Schmerzensgeld von 18.000,– € für angemessen. Zuzüglich des vom Landgericht zuerkannten materiellen Schadens von 1.106,58 DM entsprechend 519,77 € ergibt sich daraus ein Zahlungsanspruch der Klägerin von insgesamt 18.519,77 €.