Zusammenfassung:
Im anliegenden Urteil hatte sich das Landgericht Saarbrücken mit einem Unfall in einem verkehrsberuhigten Bereich auseinanderzusetzen. Ein Fahrzeugführer wollte rückwärts in eine Parklücke fahren. Unmittelbar bevor er zur Rückwärtsfahrt ansetzte, hatte ein anderer Fahrzeugführer vorwärts in die Parklücke begeben. Dies bemerkte der Rückwärtsfahrende nicht und kollidierte mit dem eingeparkten Fahrzeug des Vorwärtsfahrenden.
Landgericht Saarbrücken
Az: 13 S 20/16
Urteil vom 15.07.2016
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 889,82 Euro sowie vorgerichtliche Kosten von 147,56 Euro jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2014 (889,82 Euro) bzw. seit dem 12.12.2015 (147,56 Euro) zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Der Kläger macht Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 18.11.2014 gegen 11.45 Uhr in ……… auf der Straße ………, einer Sackgasse in der Innenstadt, ereignet hat. Zu dem Unfall kam es, als der Kläger mit seinem Kfz (Opel Corsa, amtl. Kennzeichen ……….) beim Einparken in eine dortige freie Parkbucht rückwärts gegen das Fahrzeug des Erstbeklagten (Toyota Aygo, amtl. Kennzeichen …………), das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, stieß. Hierbei wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Der Kläger beziffert seinen Schaden auf insgesamt 1.779,63 Euro, wovon er 50%, also 889,92 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten ersetzt verlangt.
Er behauptet, er habe sich nach rückwärts versichert, den Erstbeklagten aber nicht gesehen, der während seines Einfahrvorgangs vorwärts in die Parklücke hinter sein Fahrzeug gefahren sein müsse, um noch vor dem Kläger in die Parklücke einzuparken.
Die Beklagten sind dem entgegengetreten und behaupten, der Erstbeklagte sei hinter dem Kläger in die Straße ……… eingefahren und habe zunächst den Eindruck gewonnen, der Kläger wolle sein Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand abstellen. Er habe jedoch angehalten, als er das Aufleuchten der Rückwärtsscheinwerfer am klägerischen Fahrzeug bemerkt habe. Obwohl er noch zweimal gehupt habe, sei der Kläger auf ihn zugerollt und schließlich gegen sein stehendes Kfz gestoßen.
Das Amtsgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat nach Anhörung der Unfallparteien und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Nach eigenen Angaben habe der Kläger den Unfall beim Rückwärtsfahren verschuldet, während den Erstbeklagten kein nachweisbares Verschulden treffe und sein Mitverursachungsanteil jedenfalls hinter dem groben Verschulden des Klägers zurücktrete.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er rügt sowohl die Beweiswürdigung als auch rechtliche Bewertung des Erstgerichts.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat auch Erfolg.
1. Das Erstgericht ist – wenngleich es eine Vermeidbarkeit auf Seiten der Beklagten offen gelassen hat – im Ergebnis davon ausgegangen, dass sowohl die Klägerseite als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §. es ist zutreffend und belastet die Klägerseite nicht.
2. Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile hat das Erstgericht zu Lasten des Klägers angenommen, diesen treffe ein Sorgfaltsverstoß beim Rückwärtsfahren, wofür ein Anscheinsbeweis spreche. Dies ist im Ergebnis zutreffend. Allerdings ergibt sich dies nicht, wie das Erstgericht annimmt, aus einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO. Die Vorschrift dient primär dem Schutz des fließenden und deshalb typischerweise schnelleren Verkehrs und ist auf Flächen, die nicht dem fließenden Verkehr dienen, wie etwa auf öffentlichen Parkplätzen, nicht unmittelbar anwendbar (vgl. BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 NJW 2016, 1098 m.w.N.). Dies gilt auch für die Straße ………, die ausweislich der Verkehrsunfallanzeige der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten verkehrsberuhigter Bereich i.S.v. § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2) ist. Dieser dient, wie § 10 StVO zeigt, ebenfalls nicht (primär) dem fließenden Verkehr (Kammerurteile v. 20.07.2007, DAR 2008. 216 und vom 01.04.2015 – 13 S 165/14, DAR 2015, 343; a.A. LG Düsseldorf Schaden-Praxis 2013, 321; LG Stendal Schaden-Praxis 2008, 249 für § 14 StVO), sondern verpflichtet den Verkehrsteilnehmer ähnlich wie auf dem Parkplatz wegen des vorrangigen Fußgängerverkehrs und der erlaubten Kinderspiele so langsam zu fahren, dass jederzeit sofort angehalten werden kann (Vgl. OVG Münster, zfs 1998, 76; LG Saarbrücken aaO). In verkehrsberuhigten Zonen kommt deshalb wie auf Parkplätzen § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 42 StVO Rdn. 71 m.w.N.). Gleichwohl führt auch die Anwendung von § 1 Abs. 2 StVO dazu, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden desjenigen spricht, der – wie hier der Kläger – während des Rückwärtsfahrens mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zusammenstößt (BGH aaO).
3. Ein Mitverschulden des Erstbeklagten ergibt sich entgegen der Berufung nicht daraus, dass dieser entgegen § 9 Abs. 5 StVO in ein Grundstück eingebogen wäre. Ungeachtet der Frage, ob eine Parkbucht als Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO eingeordnet werden kann (zum Meinungsstreit etwa Saarl. OLG, MDR 2015, 647; Kammer, Urteil vom 21.11.2014 – 13 S 138/14, NZV 2015, 247), kommt § 9 Abs. 5 StVO bereits aus dem unter 2) Ausgeführten nicht zur Anwendung. Auch insoweit fehlt es an dem von § 9 Abs. 5 StVO geschützten fließenden Verkehr.
4. Mit Recht macht die Berufung allerdings geltend, dass der Erstbeklagte den Vorrang des Klägers beim Einparken verletzt hat. Gem. § 12 Abs. 5 StVO hat an einer Parklücke Vorrang, wer sie zuerst erreicht; dies ist nicht auf den fließenden Verkehr beschränkt, gilt also auch auf Parkplätzen und – wie hier – in verkehrsberuhigten Bereichen. Der Vorrang bleibt erhalten, auch wenn der Berechtigte an der Parklücke vorbeifährt, um rückwärts einzuparken (zum Ganzen Heß in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, § 12 Rn. 78 m.w.N.). So liegt es hier. Der Kläger hatte die Parklücke zuerst erreicht, mithin Vorrang, auch wenn er zunächst nach rechts einbog, um dann rückwärts in die Parklücke zu fahren. Ausweislich der Unfalldarstellung der Polizei, denen der Erstbeklagte in seiner mündlichen Anhörung nicht entgegengetreten ist, beabsichtigte auch der Erstbeklagte in die Parklücke einzufahren. Dem entspricht die Unfallendstellung des Beklagtenfahrzeuges, wie sie auf dem Lichtbild Bl. 38 d.A. festgehalten ist. Danach war der Erstbeklagte dabei, in die Parklücke einzufahren, obwohl er den Vorrang des Klägers berücksichtigen musste. Ob er vor der Kollision angehalten und gehupt hatte, wie er behauptet, ist insoweit unerheblich. Denn er hat ungeachtet dessen den Vorrang des Klägers schon dadurch unfallursächlich verletzt, dass er zum Einfahren in die Parklücke angesetzt und diese auch bereits erreicht hatte.
5. Im Rahmen der Haftungsabwägung steht die um das Verschulden beim Rückwärtsfahren erhöhte Betriebsgefahr des Klägerfahrzeuges der durch die Vorrangverletzung erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gegenüber. Die Kammer hält die gegenseitigen Verursachungsanteile letztlich für gleichwertig. Zwar hat sich einerseits die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens im Unfallhergang niedergeschlagen. Andererseits hätte der Erstbeklagte den Unfall dadurch verhindert, wenn er zunächst abgewartet hätte, ob der bevorrechtigte Kläger – wie dies nahelag – in die Parklücke einfährt, bevor er seinerseits zum Einfahren in die Parklücke ansetzte. Vor diesem Hintergrund ist der von Klägerseite geltend gemachte Haftungsanteil von 50% zu Lasten der Beklagtenseite nicht zu beanstanden.
6. Die von Beklagtenseite erstinstanzlich noch in Zweifel gezogenen Schäden am Klägerfahrzeug sind in zweiter Instanz nicht mehr Gegenstand des Streits und daher in geltend gemachtem Umfang zu ersetzen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und sie keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).