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Spielcasino – Spielersperre und Kontrollpflicht des Casinobetreibers

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: III ZR 9/07

Urteil vom 22.11.2007

Vorinstanzen:

LG Münster, Az.: 4 O 725/04, Urteil vom 29.11.2005

OLG Hamm, Az.: 22 U 250/05, Urteil vom 04.12.2006


Leitsätze:

a) Eine Spielbank hat auch bei Automatenspielsälen eine generelle Kontrollpflicht, die den Zutritt von antragsgemäß gesperrten Spielern verhindern soll (Fortführung von BGHZ 165, 276).

b) Bis zum Bekanntwerden des Senatsurteils BGHZ 165, 276 durfte die Spielbank nach dem früheren Stand der Rechtsprechung (BGHZ 131, 136) jedoch annehmen, dass eine derartige generelle Kontrollpflicht nicht bestehe. Sie befand sich insoweit in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.


In dem Rechtsstreit hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung

vom 27. September 2007 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Dezember 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte betreibt öffentlich-rechtlich konzessionierte Spielcasinos, unter anderem in Bad Oeynhausen. Der Kläger, der nach eigenen Angaben spielsüchtig ist, beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 24. April 1998, sich „unwiderruflich und auf Dauer für alle Spielcasinos sperren“ zu lassen. Die Beklagte bestätigte ihm mit Schreiben vom gleichen Tage, „dass ab sofort eine unwiderruflich bundesweite Sperre für alle Spielcasinos“ erfolge.

Dennoch suchte der Kläger in der Zeit von Januar 2000 bis August 2001 die Automatenspielsäle im Casino Bad Oeynhausen auf und verlor dort nach eigenen Angaben Beträge in einer Größenordnung von mehr als 120.000 DM.

Die Automatenspielsäle konnten – anders als bei dem abgesperrten und Personenkontrollen unterliegenden Bereich des „Großen Spiels“ – auch ohne Personenkontrolle betreten werden. An den Eingängen zu den Sälen waren Schilder angebracht, wonach Minderjährigen, gesperrten oder nicht zum Spiel zugelassenen Personen der Zutritt zum Spielsaal/Automatenspielsaal nicht gestattet ist und im Falle eines Spielverlustes für diese Personen kein Anspruch auf Rückerstattung der Spieleinsätze bestehe; im Falle eines Gewinns bestehe weder ein Anspruch auf Rückerstattung der Spieleinsätze noch ein Anspruch auf Auszahlung der Gewinne. Die für die Spieleinsätze benötigten Geldbeträge beschaffte sich der Kläger überwiegend mittels EC-Karte oder EURO-Card an Geldautomaten, die außerhalb der Spielbank oder in deren Gebäude, jedoch außerhalb des Spielbereichs, aufgestellt waren.

Der Kläger erhebt gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der verlorenen Einsätze. Er lastet ihr an, sie habe es versäumt, ihn durch wirksame Kontrollen vom Automatenspiel fernzuhalten.

Beide Vorinstanzen haben der Klage mit geringfügigen Kürzungen zur Anspruchshöhe stattgegeben. Die zweitinstanzliche Verurteilungssumme beläuft sich auf 58.721,87 € nebst Zinsen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus positiver Vertragsverletzung lässt sich nicht feststellen. Zwar hat die Beklagte ihre Pflichten gegenüber dem Kläger objektiv verletzt; jedoch kann sie sich darauf berufen, sich während des fraglichen Zeitraums in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden zu haben.

1.

Der Senat hat durch Urteil vom 15. Dezember 2005 (III ZR 65/05 = BGHZ 165, 276) – in teilweiser Abkehr vom Urteil des XI. Zivilsenats vom 31. Oktober 1995 (XI ZR 6/95 = BGHZ 131, 136) – entschieden, dass eine wunschgemäß erteilte Spielsperre Ansprüche auf Ersatz von Spielverlusten begründen kann, wenn die Spielbank die Sperre nicht durch ausreichende Kontrollen durchsetzt. Eine Spielbank hat bei einer antragsgemäß – im Gegensatz zu einer einseitig – verhängten Spielsperre Schutzpflichten, die auf Wahrnehmung der Vermögensinteressen ihrer Gäste gerichtet sind. Dies wird auch von der Revision der Beklagten nicht mehr grundsätzlich in Abrede gestellt.

2.

In jener Entscheidung war es – wie hier – um die Teilnahme am Automatenspiel gegangen, bei dem die Spielsäle – anders als bei der Teilnahme am „Großen Spiel“, bei der eine Personenkontrolle vorgeschrieben war und ist – ohne besondere Kontrollen betreten werden konnten. Der damalige Sachverhalt hatte sein besonderes Gepräge dadurch erhalten, dass der betroffene Spieler, der trotz der Sperre am Automatenspiel teilgenommen hatte, die für die Spieleinsätze erforderlichen Geldbeträge jeweils aus den im Automatenspielsaal vorhandenen und von Mitarbeitern der Spielbank bedienten Telecash-Geräten entnommen hatte. Jedenfalls bei derartigen Telecash-Abhebungen hätte für die zuständigen Mitarbeiter der Spielbank hinreichender Anlass bestanden zu kontrollieren, ob der Spieler zu den gesperrten Spielern zählte.

3.

Der vorliegende Rechtsstreit betrifft ebenfalls Einsätze im Automatenspiel. Anders als bei der früheren Entscheidung waren die verspielten Beträge hier jedoch überwiegend nicht von einem im Spielsaal befindlichen und der Kontrolle der Mitarbeiter der Spielbank unterliegenden Telecash-Gerät, sondern per EC-Karte oder EURO-Card von außerhalb des Spielbereichs aufgestellten Bank-Geldautomaten abgehoben worden. Dementsprechend ist nunmehr die in dem früheren Urteil offen gelassene Rechtsfrage zu beantworten, ob auch beim Automatenspiel eine generelle Kontrollpflicht besteht, die den Zutritt von gesperrten Spielern verhindern soll. Diese Frage ist in Übereinstimmung mit beiden Vorinstanzen zu bejahen.

a) Wie der Senat im Urteil vom 15. Dezember 2005 (BGHZ 165, 276, 280) ausgeführt hat, besteht der Sinn einer auf eigenen Antrag des Spielers verhängten Spielsperre im Schutz des Spielers vor sich selbst. Der Spieler will sich selbst mit Hilfe der Spielbank den für ihn als gefahrträchtig erkannten Zugang verstellen. Dem liegt die kritische Selbsterkenntnis eines durch Spielsucht gefährdeten Spielers in einer Phase zugrunde, in der er zu einer solchen Einschränkung und Selbstbeurteilung fähig ist. Auf Seiten der Spielbank wird diese Einsicht des Spielers akzeptiert, indem sie erklärt, ihn vom Spiel auszuschließen und keine Spielverträge mehr abzuschließen. Die Spielbank geht mit der Annahme des Antrags eine vertragliche Bindung gegenüber dem Antragsteller ein, die auch und gerade dessen Vermögensinteresse schützt, ihn vor den aufgrund seiner Spielsucht zu befürchtenden wirtschaftlichen Schäden zu bewahren.

b) Diese Grundsätze gelten nicht nur für das „Große Spiel“, sondern in gleicher Weise auch für das hier zu beurteilende Automatenspiel. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass nach Angaben der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren über 80 % der Spielsüchtigen am Automaten spielen und der Anteil des „Kleinen Spiels“ am Gesamtertrag der Spielbanken im Jahre 2002 immerhin 73,5 % betrug (mitgeteilt von Schimmel, NJW 2006, 958, 959 Fn. 11 m.w.N. [Besprechung des Senatsurteils BGHZ 165, 276 = NJW 2006, 362]). Dementsprechend ist es auch für den Bereich des Automatenspiels dringend geboten, die verhängte Spielsperre effektiv durchzusetzen, damit diese ihre Schutzfunktion entfalten kann.

c) Dieser Verpflichtung ist die Beklagte hier objektiv nicht nachgekommen. Der bloße am Eingang der Automatenspielsäle angebrachte Hinweis, gesperrten Spielern sei der Zutritt verboten und diese hätten keinen Anspruch auf Auszahlung der Gewinne oder Ersatz der Verluste, war nicht geeignet, eine wirksame Schutzfunktion zu entfalten. Im Übrigen hat der Senat in BGHZ 165, 276 darauf hingewiesen, dass eine solche Aussage allenfalls als allgemeine Geschäftsbedingung rechtliche Verbindlichkeit erzeugen könnte. Als solche wäre sie aber wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG (jetzt: § 307 Abs. 1 und 2 BGB) unwirksam, da sich die Beklagte, wenn und soweit sie ihre Kardinalpflicht, die Einhaltung der Spielsperre zu überwachen, verletzt hat, nicht von ihrer Haftung freizeichnen kann.

d) Eine Einschränkung der Kontrollpflichten der Beklagten lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Kläger – so die Behauptung der Beklagten – von Anfang an wusste, dass beim Betreten der Automatensäle keine Personenkontrollen stattfinden. Die Spielsperre wurde, wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht, umfassend und einschränkungslos verhängt. Dass der Kläger die Beklagte bei Abschluss der Spielsperre konkludent von der Wahrnehmung ihrer Kardinalpflichten (teilweise) befreit haben könnte, ist nicht ersichtlich und von der Beklagten in den Tatsacheninstanzen so auch nicht behauptet worden.

e) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, dass nach der vom Innenminister des Landes Nordrhein Westfalen erlassenen Spielordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 1985 (Ministerialblatt NRW S. 970), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 25. Oktober 2001 (Ministerialblatt NRW S. 1391), eine Personenkontrolle lediglich für das Große Spiel angeordnet ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 und 3), während die Spielbankleitung für den ausschließlichen Zutritt zu dem in gesonderten Räumen veranstalteten Automatenspiel von diesen Vorschriften absehen kann (Absatz 1 Satz 4). Diese Regelung betrifft lediglich die der Beklagten vom Konzessionsgeber auferlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten. Sie enthebt die Beklagte hingegen nicht derjenigen Schutzpflichten, die sich aus der Eingehung einer privatrechtlichen vertraglichen

Bindung gegenüber dem einzelnen gesperrten Spieler ergeben.

f) Der Senat hat (aaO S. 280 f) hervorgehoben, die Überwachung müsse der Spielbank „möglich und zumutbar“ sein. Anhaltspunkte dafür, dass dies hier nicht der Fall gewesen sein soll, sind nicht ersichtlich. Die Einführung genereller Ausweis- und Personenkontrollen unter gleichzeitigem Abgleich mit der Sperrdatei mag zwar mit zusätzlichem finanziellem Aufwand verbunden sein. Dieser Gesichtspunkt stand aber weder der Möglichkeit noch der Zumutbarkeit entgegen.

Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Durchführung solcher Kontrollen den wirtschaftlichen Betrieb der Spielbank in nennenswerter Weise hätte beeinträchtigen können. Für die Zumutbarkeit einer umfassenden Ausweiskontrolle beim Zugang spricht auch, dass eine solche in den Spielbanken Österreichs und der Schweiz schon heute üblich ist (Schimmel aaO S. 960) und nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers mittlerweile in Bayern durch das dortige Innenministerium angeordnet worden ist und in Baden-Baden ebenfalls tatsächlich praktiziert wird.

4.

Die Beklagte kann dem Kläger auch nicht entgegenhalten, dieser habe durch den Zutritt zum Automatenspiel seinerseits gegen den Sperrvertrag verstoßen.

Aus der Natur des Selbstsperrevertrages ergibt sich nämlich, dass die wegen Verletzung ihrer Kontrollpflichten haftbare Spielbank dem gesperrten Spieler dessen „einfaches“ Fehlverhalten nicht haftungsmindernd (§ 254 BGB) entgegenhalten kann (Senatsurteil aaO S. 282 f). Denn der Sinn der Kontrollpflicht besteht gerade darin, ein derartiges „einfaches“ Fehlverhalten zu verhindern.

Die Frage, wie es beim Hinzutreten qualifizierender Umstände gewesen wäre – etwa wenn der gesperrte Spieler sich den Zugang unter Verwendung falscher Ausweispapiere erschlichen hätte (vgl. dazu Senatsurteil aaO S. 281) -, stellt sich hier nicht.

5.

Bei der Unterlassung allgemeiner Zugangskontrollen für das Automatenspiel hat sich die Beklagte jedoch zumindest während des hier in Rede stehenden Zeitraums (Januar 2000 bis August 2001) in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Sie durfte nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung, insbesondere dem ebenfalls den Automatenspielbetrieb betreffenden Urteil des XI. Zivilsenats vom 31. Oktober 1995 (BGHZ 131, 136), davon ausgehen, dass sie auch bei einer antragsgemäß verhängten Spielsperre keine Schutzpflichten habe, die auf Wahrnehmung der Vermögensinteressen ihrer Gäste gerichtet waren. Der XI. Zivilsenat hat dort ausgeführt, dem Betroffenen erwüchsen aus einer auf Antrag oder auf ausdrücklichen Wunsch verhängten Spielsperre keinerlei Rechte. In einem solchen Fall nehme die Spielbank die Anregung, der grundsätzlich keine rechtsgeschäftliche Bedeutung zukomme, zum Anlass, eine Spielsperre zu erteilen, die sie ohne diesen Wunsch nicht ausgesprochen hätte.

Die Spielbank mache lediglich wunschgemäß von ihrem Hausrecht Gebrauch und baue zur Motivation des Betroffenen strafbewehrte Hürden gegen dessen Verweilen in den Spielsälen auf. Sie übernehme keinerlei Pflicht zur Betreuung des Vermögens des Betroffenen und keinerlei Schadensersatzverpflichtung für den Fall, dass der Betroffene sich trotz Spielsperre Zugang zu den Spielsälen verschaffe und beim Spiel Verluste erleide, zumal es der Spielbank freistehe, jederzeit und ohne Grund die Spielsperre wieder aufzuheben. Aus dieser – inzwischen durch das Senatsurteil vom 15. Dezember 2005 (aaO) überholten – Betrachtungsweise durfte die Beklagte folgern, dass ihr jedenfalls beim Kleinen Spiel gegenüber den gesperrten Spielern – insoweit auch in Einklang mit der Spielordnung – keine allgemeinen Kontrollpflichten oblagen, die über die deutlichen Hinweise darauf hinausgingen, dass gesperrten Spielern der Zutritt zum Spielsaal/Automatenspielsaal nicht gestattet sei und weder Ansprüche auf Auszahlung etwaiger Gewinne noch auf Rückerstattung von Spielverlusten beständen.

Weitergehende Kontrollen waren nur bei besonderen hinzutretenden Umständen erforderlich, etwa wenn der betreffende Spieler sich die für die Einsätze notwendigen Geldbeträge aus den unmittelbar dem Einflussbereich der Spielbank unterliegenden Telecash-Geräten besorgte. Dies war hier jedoch zumindest weit überwiegend nicht der Fall. Zwar hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger auch zwei Telecash-Geräte der Beklagten benutzt hat. Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, welche Abhebungen diesen Automaten zuzuordnen sind. Die Zurückverweisung gibt dem Kläger Gelegenheit, insoweit ergänzend vorzutragen.

6.

Eine abschließende klageabweisende Entscheidung ist dem Senat auch aus einem weiteren Grunde nicht möglich. Denn der Kläger hatte bereits in der Klageschrift vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass bei ihm aufgrund einer Spielsuchterkrankung eine partielle Geschäftsunfähigkeit vorgelegen habe.

Aufgrund seiner massiven Spielsuchterkrankung habe er sich in Betreuung einer Beratungsstelle für Glücksspielabhängige befunden; eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme sei bewilligt worden. War der Kläger tatsächlich partiell geschäftsunfähig, so waren die abgeschlossenen Spielverträge nach § 105 Abs. 2 BGB nichtig. Dementsprechend kommt insoweit ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Spieleinsätze unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung in Betracht.

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