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Ausschlussfrist (tarifliche) – verfall von Entgeltansprüchen

Bundesarbeitsgericht

Az: 7 AZR 513/09

Urteil vom 08.09.2010


In Sachen hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2010 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 17. Juni 2009 – 9 Sa 997/08 – aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 7. Oktober 2008 – 21 Ca 17834/07 – wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob Entgeltansprüche der als Betriebsratsmitglied und Vertrauensperson von der Arbeit freigestellten Klägerin wegen Versäumung einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen sind.

Die Klägerin ist seit August 1965 bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde als technische Hilfskraft eingestellt und wechselte im Jahr 1999 als Sachbearbeiterin in die Poststelle. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Druckindustrie in Bayern Anwendung. Als Postsachbearbeiterin war die Klägerin zunächst in der Gehaltsgruppe G 2/3 und ab Juli 2002 in der Gehaltsgruppe G 2/5 eingruppiert. Ihre einzige Kollegin in der Poststelle, die Postsachbearbeiterin S, erhält seit April 1997 Vergütung nach der Gehaltsgruppe G 3/4. Die Klägerin gehört seit Dezember 1994 der Schwerbehindertenvertretung an. Seit 2002 ist sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Betriebsrat und in der Schwerbehindertenvertretung von der Arbeitsleistung freigestellt.

Mitte des Jahres 2007 verlangte die Klägerin eine Überprüfung ihrer Eingruppierung. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 gruppierte die Beklagte die Klägerin rückwirkend ab Januar 2007 in der Gehaltsgruppe G 3/4 ein. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 forderte die Klägerin eine Gehaltsnachzahlung auf der Berechnungsgrundlage der Gehaltsgruppe G 3/4 für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2006. Die Beklagte lehnte dies unter Berufung auf die Ausschlussfrist des § 17 Nr. 1 Buchst. b des Manteltarifvertrages für Angestellte der Druckindustrie in Bayern (im Folgenden: MTV) ab. § 17 MTV lautet:

„§ 17 Ausschlussfristen

1. Für die Geltendmachung von tariflichen Ansprüchen gelten folgende Fristen:

a) Ansprüche auf Zuschläge für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Samstagsarbeit innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie Antrittsgebühren sind innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der Gehaltsabrechnung, in der sie zu berücksichtigen gewesen wären, geltend zu machen.

b) Für die Geltendmachung sonstiger tariflicher Ansprüche beträgt diese Frist drei Monate nach ihrer Fälligkeit.

2. Im Falle des Ausscheidens eines Angestellten müssen alle gegenseitigen Ansprüche spätestens einen Monat nach Beendigung des Angestelltenverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden. Eine eventuelle Ablehnung muss schriftlich erfolgen.

3. Wird die Erfüllung von Ansprüchen aus Ziffer 1 und 2 abgelehnt, müssen diese innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden.

4. Eine Geltendmachung nach Ablauf der vorstehenden Fristen ist ausgeschlossen.“

Mit der am 28. Dezember 2007 eingereichten Klage hat die Klägerin – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – die Zahlung von 19.650,54 Euro verlangt. Dieser Betrag entspricht der Entgeltdifferenz – bestehend aus Gehalt, tariflicher Jahresleistung und tariflichem Urlaubsgeld – zwischen den Gehaltsgruppen G 2/5 und G 3/4 für die Jahre 2004, 2005 und 2006.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch folge aus § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Sie sei aufgrund der ihr übertragenen Aufgaben ebenso zu vergüten wie die mit ihr vergleichbare Sachbearbeiterin S. Der Anspruch sei nicht verfallen. Die Ausschlussfrist nach § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV gelte nur für tarifliche, nicht dagegen für gesetzliche Ansprüche. Der Anspruch nach § 37 Abs. 4 BetrVG sei kein tariflicher, sondern ein gesetzlicher Anspruch.

Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 19.650,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basisdiskontsatz der Deutschen Bundesbank jährlich ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch der Klägerin sei nach § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die – noch etwas weitergehende – Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen in Höhe von 19.650,54 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im zuerkannten Umfang zu Unrecht entsprochen. Die Ansprüche der Klägerin sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nach § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV verfallen.

I. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage mit der Begründung entsprochen, der Nachzahlungsanspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2006 in Höhe von 19.650,54 Euro brutto folge aus § 37 Abs. 4 BetrVG. Dieser Anspruch sei nicht nach § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV verfallen, da es sich nicht um einen tariflichen, sondern um einen gesetzlichen Anspruch handele.

2. Diese Begründung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Dabei kann dahinstehen, ob die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, die Klägerin habe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG hinreichend dargetan. Denn auch wenn zugunsten der Klägerin die Entstehung eines Anspruchs nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unterstellt wird, ist dessen Geltendmachung nach § 17 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 4 MTV ausgeschlossen.

a) Der Anspruch unterfällt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts der tariflichen Ausschlussfrist des § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV. Es handelt sich um einen „sonstigen tariflichen Anspruch“ im Sinne dieser Vorschrift.

aa) Wie der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts zu ähnlich ausgestalteten tarifvertraglichen Ausschlussfristenregelungen in der Druckindustrie wiederholt entschieden hat, fallen unter „tarifliche Ansprüche“ im Sinne einer solchen Tarifbestimmung auch gesetzliche und vertragliche Ansprüche, deren Bestand von einem tariflich ausgestalteten Anspruch abhängig ist (BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 637/97 – zu I 2 d der Gründe, BAGE 90, 311; 1. Oktober 2002 – 9 AZR 215/01 – zu I 2 b bb (1) der Gründe, BAGE 103, 45). Die Tarifvertragsparteien wollen mit einer derartigen Klausel typischerweise langwierige Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen von tariflichen Ansprüchen vermeiden. Dieses mit dem allgemein anerkannten Zweck tariflicher Ausschlussfristen verfolgte Ziel wird nur dann erreicht, wenn alle Ansprüche, die rechtlich von tariflichen Ansprüchen abhängen, in gleicher Weise der tariflichen Ausschlussfrist unterworfen werden (BAG 1. Oktober 2002 – 9 AZR 215/01 – mwN, aaO.).

bb) Hiernach gehört im Anwendungsbereich des MTV ein auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gestützter, auf eine bestimmte tarifliche Vergütung gerichteter Anspruch zu den „sonstigen tariflichen Ansprüchen“ iSv. § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV. Der Anspruch ist, auch wenn er aus § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG hergeleitet wird, von einem tariflich ausgestalteten Anspruch abhängig. Aus § 37 Abs. 4 BetrVG resultierende Ansprüche beruhen auf § 611 BGB und dem Arbeitsvertrag (BAG 19. Januar 2005 – 7 AZR 208/04 – zu IV 1 a der Gründe). Es handelt sich um Vergütungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und nicht um Aufwendungen aus der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied. Daher werden sie nach der Rechtsprechung des Senats von tarifvertraglichen Ausschlussfristen erfasst, die für „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ gelten (BAG 19. Januar 2005 – 7 AZR 208/04 – aaO.). Dementsprechend fallen sie jedenfalls dann auch unter eine für „tarifliche Ansprüche“ geltende Ausschlussfrist, wenn sie ihrerseits einen entsprechenden tariflichen Anspruch voraussetzen.

cc) Die von der Klägerin verfolgten, auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gestützten und auf die Nachzahlung einer Vergütung nach der tariflichen Vergütungsgruppe G 3/4 gerichteten Ansprüche sind danach „sonstige tarifliche Ansprüche“ iSv. § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV. Sie setzen einen entsprechenden tariflichen Anspruch voraus und sind ohne einen solchen – insbesondere auch der Höhe nach – nicht darstellbar.

b) Die Geltendmachung dieser Ansprüche durch die Klägerin ist nach § 17 Nr. 4 MTV ausgeschlossen. Die Klägerin hat die Ansprüche für die Jahre 2004 bis 2006 gegenüber der Beklagten erstmals Mitte des Jahres 2007 geltend gemacht. Dies war nicht rechtzeitig iSv. § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV.

II. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 561 ZPO). Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, ihr habe im streitbefangenen Zeitraum – unabhängig von § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG – gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ein Entgeltanspruch nach der Gehaltsgruppe G 3/4 zugestanden. Auch einen solchen Anspruch hätte sie nicht rechtzeitig iSv. § 17 Nr. 1 Buchst. b MTV geltend gemacht. Ein Anspruch nach § 37 Abs. 2 BetrVG unterfällt ebenfalls dieser tariflichen Ausschlussfrist. § 37 Abs. 2 BetrVG begründet keinen eigenständigen Vergütungsanspruch, sondern sichert das Entgelt des Betriebsratsmitglieds, indem er dem Arbeitgeber den Einwand des nicht erfüllten Vertrags nimmt. Der Entgeltfortzahlungsanspruch eines Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 2 BetrVG hat seinen materiell-rechtlichen Grund in § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag sowie dem ggf. anzuwendenden Tarifvertrag. Da nicht die Betriebsratstätigkeit als solche vergütet wird, wandelt sich der vertragliche sowie ggf. der tarifliche Entgeltanspruch nicht in einen gesetzlichen Ersatzanspruch um. Deshalb gelten für diesen Anspruch dieselben tariflichen Ausschlussfristen, die auf den ausschließlich arbeits- und tarifvertraglichen Entgeltanspruch Anwendung finden (vgl. Fitting 25. Aufl. § 37 Rn. 58; GK-BetrVG/Weber 9. Aufl. § 37 Rn. 54; WPK/Kreft 4. Aufl. § 37 Rn. 20; vgl. auch BAG 26. Februar 1992 – 7 AZR 201/91 – zu II 1 a der Gründe, AP BPersVG § 46 Nr. 18 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 99). Könnten die Mitglieder des Betriebsrats Ansprüche nach § 37 Abs. 2 BetrVG außerhalb tariflicher Verfallfristen geltend machen, würden sie unter Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG in unzulässiger Weise wegen ihrer Tätigkeit im Betriebsrat begünstigt.

III. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 563 Abs. 3 ZPO konnte der Senat abschließend entscheiden. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt ist die Klage abweisungsreif. Dementsprechend war die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende erstinstanzliche Urteil insgesamt zurückzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

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