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Unfallverletzung Verkehrsunfall – Beweislast

Oberlandesgericht München

Az: 10 U 3369/10

Urteil vom 12.08.2011


In dem Rechtsstreit erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2011 folgendes Endurteil

1.

Auf die Berufung der Klägerin vom 28.06.2011 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 25. 5. 2010 (Az. 1 O 1769/10) samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren, mit Ausnahme der unfallanalytisch-biomechanischen Begutachtung durch Dipl.-Ing. Dr………, aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Traunstein zurückverwiesen.

2.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Traunstein vorbehalten.

Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Verkehrsunfall am 16.01.2006 auf der ……..geltend. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 25.05.2010 (Bl. 370/380 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG Traunstein hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses der Klägerin am 01.06.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem beim Oberlandesgericht München am 28.06.2010 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 385/386 d.A.) und mit einem beim Oberlandesgericht München am 28.06.2010 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 389/425 d.A.) begründet.

Die Klägerin beantragt, nach dem Antrag erster Instanz zu erkennen, hilfsweise das Verfahren an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 27.06.2011 (Bl. 443/447 d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 22.07.2011 (Bl. 448/450 d.A.) Bezug genommen.

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I.

Das Landgericht hat nach derzeitigem Verfahrensstand zu Unrecht einen Anspruch Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verneint. Die Überzeugung des Erstrichters, die Klägerin habe den Nachweis unfallbedingter Verletzungen nicht geführt, beruht auf einer unzulänglichen Beweiserhebung und fehlerhaften Beweiswürdigung.

1.

Das angefochtene Urteil lässt bereits unberücksichtigt, dass eine unfallbedingte Verletzung in Form einer leichten HWS-Distorsion nach Erdmann Grad 1 unstreitig ist. Wie der Erstrichter selbst ausführt (Seite 4 EU), bestreitet die Beklagte die klägerischen Verletzungen mit der Einschränkung, dass die Klägerin „allenfalls eine leichte HWS-Distorsion erlitten hat“. Dass mit dieser Formulierung, die dem Vortrag der Klageerwiderung unter Ziffer II 3 (Seite 4) entspricht, eine leichte HWS-Distorsion unbestritten bleiben sollte, folgt nicht nur aus dem Wortlaut selbst, sondern ergibt sich zusätzlich auch aus Ziffer II 2 der Klageerwiderung sowie der Zusammenfassung unter Ziffer II 3 auf den Seiten 5/6, wo ausdrücklich nur bestritten wird, dass das Unfallereignis geeignet war, eine HWS-Distorsion vom Ausmaß Grad 2 zu verursachen. Auch der Umstand dass außergerichtlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 EUR bezahlt worden ist, belegt, dass die Beklagte unfallbedingte Verletzungsfolgen nicht grundsätzlich bestreitet.

Im Übrigen ist auch die Beweiswürdigung des Erstrichters, wonach nicht einmal eine leichte HWS-Distorsion nachgewiesen sei, nicht überzeugend. In Anbetracht des Umstandes, dass eine solche Verletzungsfolge nicht zwingend in bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht werden kann und die ärztlichen Untersuchungen im Rahmen der Begutachtung 3 Jahre nach dem Unfall hierüber ebenfalls keine eigene medizinische Feststellungen mehr liefern können, genügt es nicht, darauf hinzuweisen, dass die beauftragten medizinischen Gutachter keinen eigenen, objektivierbaren Nachweis für eine unfallbedingte Verletzungsfolge feststellen konnten. Ohnehin ist aber bereits auch der Sachverständige Dr. B. davon ausgegangen, dass bei Berücksichtigung aller Umstände jedenfalls von einer HWS-Distorsion geringen Ausmaßes auszugehen sei (Seite 14 des Gutachtens, Blatt 233 d.A.) und auch der Sachverständige Dr. R. hat jedenfalls im Parallelverfahren 1 O 1000/08 LG Traunstein eine HWS-Distorsion nicht in Frage gestellt (Protokoll vom 23.02.2010, Antwort zu den Fragen 3, 6 und 9, Anlage zu Blatt 357 d.A.). Es ist auch zu bedenken, dass nach den bisherigen Erkenntnissen zu unterstellen ist, dass die Klägerin vor dem Unfallgeschehen völlig beschwerdefrei war, sich bereits am Unfalltag in ärztliche Behandlung begeben hat und im Anschluss hieran eine Vielzahl ärztlicher Behandlungen und Untersuchungen (siehe Aufstellung Anlagen zu Blatt 86 d.A.) erfolgten, die jedenfalls nach den Feststellungen der behandelnden Ärzte Nacken – und Kopfbeschwerden sowie motorische Störungen, später auch psychische Probleme betrafen, die alle als mögliche Folge einer HWS-Verletzung in Betracht kommen. Auf das Gewicht dieser Faktoren hat der Senat schon in seinem Beschluss vom 14.10.2008 unter Ziffer 3 g) hingewiesen (Blatt 220 d.A.). Selbst bei Anwendung des Beweismaßes des § 286 ZPO bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel, dass die Klägerin beim Unfallgeschehen tatsächlich verletzt worden ist.

2.

Mit der unstreitigen (im übrigen auch nachgewiesenen) HWS-Distorsion steht bereits der Haftungsgrund fest, so dass die Frage, ob über diese Primärverletzung hinaus der Unfall auch für weitere körperliche oder psychische (Folge-)Beschwerden der Klägerin ursächlich war, eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität ist, die sich gem. § 287 ZPO beurteilt (BGH VersR 2003, 474 = NJW 2003, 1116 = DAR 2003, 217 [BGH 28.01.2003 – VI ZR 139/02]; NJW 2004, 777 [778]; VersR 2008, 644 [BGH 12.02.2008 – VI ZR 221/06]; NJW-RR 2009, 409 = MDR 2009, 163 = VersR 2009, 69 [BGH 14.10.2008 – VI ZR 7/08] = zfs 2009, 206 = r+s .2009, 127; KG VersR 2004, 1193 [KG Berlin 16.10.2003 – 12 U 58/01] = VRS 106 [2004] 260; Beschl. v. 03.12.2009 – 12 U 232/08 [[…]] = NJW-Spezial 2010, 330 (red. Leitsatz, Kurzwiedergabe); OLG Saarbrücken OLGR 2005, 740 = SP 2006, 134; Senat, Urt. v. 28.07.2006 -10 U 1684/06 [[…]]; OLG Schleswig NZV 2007, 203; OLG Brandenburg, Urt. v. 25.09.2008 – 12 U 17/08 [[…]]; Müller VersR 2003, 137 [142 unter III 1, 2]).

Im Rahmen des § 287 ZPO unterliegt der Tatrichter nicht den strengen Anforderungen des § 286 I 1 ZPO. Zwar kann er auch eine haftungsausfüllende Kausalität nur feststellen, wenn er von diesem Ursachenzusammenhang überzeugt ist; im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 287 I 1 ZPO werden aber geringere Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt – hier genügt je nach Lage des Einzelfalls eine überwiegende (höhere oder deutlich höhere) Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung (BGHZ 4, 192 [196] = NJW 1952, 301 [BGH 13.12.1951 – IV ZR 123/51]; BGH VersR 1968, 850 [851]; 1970, 924 [926 f.]; BGHZ 126, 217 ff. = NJW 1994, 3295 ff.; NJW 2003, 1116 [BGH 28.01.2003 – VI ZR 139/02] [1117]; 2004, 777 [778]; VersR 2005, 945 = NJW-RR 2005, 897 = DAR 2005, 441 [BGH 19.04.2005 – VI ZR 175/04] = SP 2005, 259 = NZV 2005, 461 = MDR 2005, 1108 [BGH 19.04.2005 – VI ZR 175/04] = VRS 109 [2005] 98 = r+s 2006, 38 = BGHReport 2005, 1107; Senat NZV 2006, 261 [OLG München 27.01.2006 – 10 U 4904/05] [262], Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [[…]]; v. 15.09.2006 – 10 U 3622/99 = r+s 2006, 474 546 m. zust. Anm. von Lemcke = NJW-Spezial 2006, 546 m. zust. Anm. von Heß/Burmann, Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschl. v. 08.05.2007 – VI ZR 29/07 [[…]] zurückgewiesen; v. 21.05.2010 – 10 U 2853/06 [[…], Rz. 122] und zuletzt Urt. v. 25.06.2010 – 10 U 1847/10 [[…] = NJW-Spezial 2010, 554 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; OLG Schleswig NZV 2007, 203 [OLG Schleswig 06.07.2006 – 7 U 148/01] [204]). § 287 I 1 ZPO entbindet aber nicht vollständig von der grundsätzlichen Beweislastverteilung und erlaubt es nicht, zugunsten des Beweispflichtigen einen bestimmten Schadensverlauf zu bejahen, wenn nach den festgestellten Einzeltatsachen „alles offen“ bleibt oder sich gar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Gegenteil ergibt (so BGH VersR 1970, 924 [BGH 07.07.1970 – VI ZR 233/69] [927]; Senat NZV 2006, 261 [OLG München 27.01.2006 – 10 U 4904/05]; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [[…]]; v. 15.09.2006 – 10 U 3622/99 = r+s 2006, 474 [m. zust. Anm. von Lemcke ] = NJW-Spezial 2006, 546 [m. zust. Anm. von Heß/Burmann ], Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschl. v. 08.05.2007 – VI ZR 29/07 [[…]] zurückgewiesen; v. 21.05.2010 – 10 U 2853/06 [[…], Rz. 123]).

Als Mindestmaß für die Beweisführung ist zu fordern, dass die unfallbedingte Entstehung der behaupteten Beschwerden wahrscheinlicher ist als ihre unfallunabhängige Entstehung (OLG Karlsruhe NZV 2001, 511; OLG Brandenburg VRS 107 [2004] 85; Senat, Urt. v. 21.05.2010 – 10 U 2853/06 [[…], Rz. 125]). Dies gilt insbesondere auch für neurologische Dauerfolgen, deren Eintritt oder Auslösung durch das Unfallgeschehen zunächst nicht zu erwarten war (so BGH VersR 1970, 924 [BGH 07.07.1970 – VI ZR 233/69] [927]; Senat r+s 2006, 474 m. zust. Anm. von Lemcke = NJW-Spezial 2006, 546 m. zust. Anm. von Heß/Burmann [Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschl. v. 08.05.2007 – VI ZR 29/07 zurückgewiesen]).

Vor diesem Hintergrund geht die Beweiswürdigung des Erstrichters bereits im Ansatz fehlt, was allein schon zu einer vollständigen Neubewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme führen muss.

Lediglich über die von der HWS-Distorsion völlig unabhängige Frage, ob die Klägerin beim Unfall zusätzlich ein akutes BWS -Syndrom, ein LWS – Syndrom und eine Thoraxprellung erlitten hat, ist eine Beweiswürdigung unter Beachtung der strengen Anforderungen des § 286 ZPO vorzunehmen.

3.

Die bisherige medizinische Begutachtung durch die Sachverständigen Dr. B. (orthopädisch-chirurgisches Gutachten vom 05.03.2009, Blatt 233 d.A. mit mündlicher Erläuterung am 02.03.2010, Blatt 358/364 d.A.) und Dr. R. (neurochirurgisches Zusatzgutachten vom 26.03.2009, Blatt 240/247 d.A. mit mündlicher Erläuterung am 02.03.2010, Blatt 364/366 d.A. sowie im Parallelverfahren 1 O 1000/08 am 23.02.2010, Anlage zu Blatt 357 d.A.) ist nicht ausreichend, abschließende Erkenntnisse über den Umfang der unfallbedingten Verletzungsfolgen zu gewinnen. Das Verfahren bedarf daher einer weiteren Beweisaufnahme.

a)

Es ist bereits völlig offen, welches Beschwerdebild der Klägerin der rechtlichen Bewertung zu Grunde zu legen ist. Die Klägerin hat ihre Beschwerden in der als Anlage zu Blatt 86 vorgelegten Aufstellung ausführlich zusammengefasst und sich hierüber auch gegenüber den gerichtlichen Gutachtern geäußert. Welche dieser Beschwerden im Einzelnen Grundlage der medizinischen Bewertung und der angefochtenen Entscheidung geworden sind, ist bisher nicht erkennbar.

b)

Beide Sachverständige beschreiben ein Aggravationsverhalten der Klägerin im Rahmen der durchgeführten Untersuchung (Seite 7 Gutachten Dr. R. und Seite 14 Gutachten Dr. B.), legen sich aber nicht fest, inwieweit sie den Angaben der Klägerin Glauben geschenkt haben.

c)

Von welchem Beschwerdebild der Erstrichter ausgegangen ist, ist unklar geblieben. Die vom Erstrichter unter Ziffer 4 des angefochtenen Urteils dargelegte Beweiswürdigung ist schwer nachvollziehbar, weil sie klare Aussagen vermissen lässt. Der Erstrichter stellt zunächst fest, dass zumindest ein Teil der geschilderten Beschwerden nicht zutreffend sei und bezüglich des weiteren Teiles diese nicht objektiv nachgewiesen seien, weil sie ausschließlich auf Darstellungen der Klägerin beruhen (Absätze 2 und 3). Eine Beschreibung, welche Beschwerden er in welche Kategorie eingestuft hat, fehlt. In den weiteren Ausführungen weist er auf verschiedene alternative Ursachen hin und beendet diesen Punkt der Beweiswürdigung mit dem Hinweis, dass es den privatärztlichen Stellungnahmen daran mangelt, dass diese die Beschwerden der Klägerin als glaubhaft angesehen haben, was „wie dargestellt jedoch nicht der Fall sei“. Nach dieser Feststellung scheint der Erstrichter der Klägerin die von ihr geschilderten Beschwerden grundsätzlich nicht geglaubt zu haben.

Eine solche Würdigung wäre jedoch allein schon deswegen wenig überzeugend, weil alle 3 gerichtlichen Sachverständigen davon ausgehen, dass die Klägerin tatsächlich unter Beschwerden leidet. Es liegt auch eine widersprüchliche Urteilsbegründung vor, wenn sich die Entscheidungsgründe in anderen Bereichen des Urteils mit der Frage der Unfallkausalität der Beschwerden befassen und die Beweiswürdigung mit dem Hinweis beginnt, dass unfallbedingte Verletzungen nicht nachgewiesen sind.

d)

Dem erstinstanziellen Verfahren fehlt es auch an der notwendigen Anhörung der Klägerin durch das Gericht. Der Erstrichter hat die Klägerin lediglich im Parallelverfahren 1 O 1000/08 angehört (vergleiche Protokoll vom 23.02.2010, Anlage zu Blatt 357/368 d.A.). Das Protokoll der Verhandlung vom 23.02.2010 wurde im vorliegenden Verfahren nur zum Zwecke der Verwertung der dort enthaltenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht (Blatt 365 d.A.). Über die Verwertung der dort enthaltenen Ausführungen der Klägerin finden sich keine protokollierten Feststellungen. Auch in den schriftlichen Urteilsgründen wurden die Angaben der Klägerin nicht berücksichtigt.

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e)

Die Ansicht des Erstrichters, die medizinischen Sachverständigen seien überzeugend und gründlich, teilt der Senat nicht. Die von der Rechtsprechung geforderte sorgfältige und kritische Würdigung des Gutachtens (vgl. etwa BGH NJW 1986, 1928 [BGH 06.03.1986 – III ZR 245/84] [1930]; NJW-RR 1998, 1117 [BGH 16.09.1997 – X ZR 54/95] [1118 unter II 2]; BGHZ 116, 47, 58; NJW 2001, 1787 [BGH 16.01.2001 – VI ZR 408/99] [unter II 2]; BGHZ 169, 30 = NJW-RR 2007, 106; WM 2007, 1901 [BGH 18.07.2007 – VIII ZR 236/05] = BGHReport 2008, 39; BayObLG NJW-RR 1991, 1098 [1100]; FamRZ 2006, 68; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2007,19 = OLGR 2006, 970; Walter/Küper NJW 1968, 182; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 3. Aufl. 1998, Rz. 686; Jauernig a.a.O. § 54 IV; Bayerlein, Praxis-Handbuch Sachverständigenrecht, 4. Aufl. 2008, § 22 Rz. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2010, § 121 Rz. 66) hat nicht stattgefunden. Der Erstrichter hätte sonst erkannt, dass die Gutachten einige Mängel aufweisen:

aa)

Beide Gutachten erfüllen bereits nicht die formellen Anforderungen, die an ein überzeugendes Sachverständigengutachten zu stellen sind. Sie beschränken sich auf eine Darstellung der durchgeführten Untersuchung und schließen hieran eine knappe Beantwortung der Beweisfragen ohne überzeugende Argumentation an. Die Gutachter legen letztlich nur eine persönliche Meinung dar, die wissenschaftlich nicht unterlegt wird. Literaturhinweise fehlen und die dem Gutachten zugrundeliegenden juristischen Vorstellungen insbesondere zum Kausalitätsbegriff und Beweismaß (BGHZ 159, 254 = NJW 2004, 2828 = MDR 2004, 1313 [unter II 2 b aa]; OLG Hamm NZV 1994, 189 [190]; OLG Brandenburg, Urt. v. 8.3.2007 – 12 U 48/06 [[…]]; Senat, Urt. v. 14.07.2006 – 10 U 5624/05 [[…]]; Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1441) fehlen.

bb)

Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. R. entbehrt jeglicher Sorgfalt. Es besteht zu großen Teilen aus Kopien des Gutachtens Dr. B., was sogar so weit geht, dass er in seinem neurochirurgischen Zusatzgutachten ausführt, dass dieses auf orthopädischem und chirurgischem Fachgebiet erstellt sei (Seite 2 des Gutachtens). Er stellt die nicht näher begründete Diagnose einer Konversionsstörung (Seite 6 des Gutachtens), beantwortet die Beweisfrage durch eine kopierte Übernahme der Feststellungen des Sachverständigen Dr. B. und ergänzt diese lediglich noch mit dem Vermerk „es ergibt sich kein Hinweis für eine neurologische Störungen“.

Welche Anforderungen der Sachverständige hierbei an einen Nachweis gestellt hat, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Aus seinen Ausführungen auf Seite 7 des Gutachtens „die Befunde sind nicht eindeutig durch einer neurologischen Schädigung zuzuordnen“ lässt sich allerdings schließen, dass er in seiner Abschlussbeurteilung von einem nicht vorliegenden Vollbeweis ausgegangen ist.

Die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen im Parallelverfahren 1 O 1000/08 befassen sich aufgrund der zahlreichen, an ihn gerichteten Fragen zwangsläufig eingehender mit den Erkenntnissen seiner Begutachtung, lassen letztlich aber ebenfalls nur den pauschalen Schluss zu, dass seine Untersuchung „kein eindeutiges objektivierbares neurologisches Defizit“ ergeben hat (Seite 9 des Protokolls).

Die von der Klägerin geklagten Beschwerden sieht aber auch er als mögliche, teils mittelbare Folge einer HWS-Verletzung an (Seite 9 des Protokolls).

cc)

Das Gutachten Dr. B. überzeugt deswegen nicht, weil der Gutachter in seinem schriftlichen Gutachten noch zu dem Ergebnis gelangt, dass bei verdrehter Körperhaltung auch ein BWS- Syndrom ausreichend wahrscheinlich sei (Seite 15 des Gutachtens), dies aber in seiner mündlichen Anhörung am 02.03.2010 verneint hat (Blatt 358 d.A.). Ferner geht er ohne nähere wissenschaftliche Erläuterung oder Bezugnahme davon aus, dass, wenn Beschwerden mehr als 10-14 Tage nach dem Unfall ohne objektivierbaren Schaden auftreten, ein Zusammenhang mit dem Unfall nicht mehr herzustellen sei (Blatt 359 d.A.). Auch die Ausführung, die fehlende Erinnerung der Klägerin resultiere aus einer Aufregung nach dem Unfall, ist wissenschaftlich von ihm nicht belegt.

f)

Die bisherige Beweiserhebung ist auch unvollständig, weil es einer ergänzenden psychiatrischen Begutachtung bedarf.

Die Erkenntnis, dass die Beschwerden der Klägerin aus orthopädischer und neurologischer Sicht nicht nachweisbar sind, schließt im Gegensatz zur Annahme des Erstrichters weder das Vorhandensein dieser Beschwerden noch ihre Unfallkausalität aus.

Der Erstrichter hat verkannt, dass die Klägerin Beschwerden behauptet, die auch durch eine neurotische Fehlentwicklung erklärbar sind und als Sekundärfolge eines Unfallgeschehens ohne weiteres denkbar sind. Der Sachverständige Dr. B. hat auf Seite 12 seines Gutachtens (unter Überschreitung seiner Fachkompetenz, aber mit durchaus berechtigtem Anlass) die Diagnose einer Konversionsstörung gestellt. Der Sachverständige Dr. R. ist dem gefolgt (Blatt 245 d.A.) und auch schon der Sachverständige Dr. A., der eine biomechanische Begutachtung durchgeführt hat, hat in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass die Klägerin auch psychische Beeinträchtigungen beklagt, die einer weiteren medizinischen Begutachtung vorbehalten bleiben müssen (Seite 29 des Gutachtens vom 13.11.2007, Blatt 107 d.A.)

Da der Schädiger grundsätzlich auch für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung einzustehen hat, wenn eine hinreichende Gewissheit besteht, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht eingetreten wären (Senat, Urteil vom 21.05.2010 – 10 U 2853/06 – < […]> m.w.N.), bedarf es einer Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet. Die bisher eingeholten Gutachten können diese Begutachtung nicht ersetzen. Der Bundesgerichtshof sieht einen Neurologen im Verhältnis zu einem Psychiater bei der Begutachtung der Entwicklung einer Unfallneurose als nicht ausreichend qualifiziert an (BGH NJW 1996,2425 [BGH 30.04.1996 – VI ZR 55/95]).

g)

Mit der klägerseits behaupteten unfallbedingten BWS-Verletzung befassen sich die Urteilsgründe überhaupt nicht, obwohl der Sachverständige Dr. B. in seinem schriftlichen Gutachten noch zu dem Ergebnis gelangt ist, dass bei verdrehter Körperhaltung auch ein BWS- Syndrom ausreichend wahrscheinlich sei (Seite 15 des Gutachtens). Dass er diese Wahrscheinlichkeit dann in seiner mündlichen Anhörung verneint hat, hätte einer weiteren Erläuterung des Sachverständigen und einer anschließenden Würdigung des Gerichts bedurft.

Einer Klärung bedarf auch der Widerspruch zwischen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. im schriftlichen Gutachten, der nur bei einer verdrehten Körperhaltung eine BWS – Verletzung als ausreichend wahrscheinlich ansieht, und den Ausführungen des Sachverständige Dr. A., der davon ausgeht, dass sich die verdrehte Körperhaltung der Klägerin nicht verschlimmernd ausgewirkt habe (Seite 28 des Gutachtens sowie mündliche Anhörung vom 03.11.2009, Blatt 319 d.A.).

h)

Schließlich hätte es zur Abklärung eventueller vorbestehender Beschwerden der Klägerin auch der Einholung des Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkassen bedurft.

4.

Ohne Erfolg greift dagegen die Berufung die Entscheidung des Erstgerichts an, von der Einholung eines neurootologischen Gutachtens abzusehen, die behandelnden Ärzte nicht anzuhören und auch der PET – Untersuchung durch Dr. H. keine entscheidende Bedeutung beizumessen.

a)

Beweisanträgen auf Erholung eines neurootologischen Zusatzgutachtens muss grundsätzlich nicht entsprochen werden (Senat, Beschl. v. 25.11.2005 – 10 U 2378/05; Urt. v. 04.05.2006 – 10 U 1564/06; v. 15.09.2006 – 10 U 3622/99 = r+s 2006, 474 m. zust. Anm. von Lemcke = NJW-Spezial 2006, 546 m. zust. Anm. von Heß/Burmann [Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschluss v. 08.05.2007 – VI ZR 29/07 zurückgewiesen], weil es sich bei der in Deutschland von Claus Frenz Claussen begründeten Neurootologie (vgl. ders., DAR 2001, 337-343) nicht um eine anerkannte medizinische Fachdisziplin handelt (OVG Münster Urt. v. 11.07.2002 – 6 A 4067/92 [[…]]; OLG Hamm NZV 2003, 2602 m. abl. Anm. Forster NZV 2004, 314 [OLG Hamm 25.02.2003 – 27 U 211/01]; in diesem Sinne auch OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 01.10.2004 – 4 U 26/95 [[…]]; nach der Leitlinie „Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gehört die Neurootologie zu den i.d.R. nicht empfehlenswerten Diagnoseverfahren; a.A. OLG Celle VersR 2002, 1300 [OLG Celle 02.11.2000 – 14 U 277/99] und tw. Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozeß, 25. Aufl. 2008, Kap. 37 Rz. 36 unter völlig unzulänglicher Auswertung der Rechtsprechung), unabhängig davon die Neurootologie keine verlässlichen Aussagen über die Ursachen von Beschwerden liefert (OLG Braunschweig VersR 2001, 653 [OLG Braunschweig 06.03.2000 – 6 U 24/99] – Revision vom BGH durch Beschl. v. 24.10.2000 – VI ZR 126/00 nicht angenommen; OLG Koblenz, Urt. v. 18.04.2005 – 12 U 609/02 [[…]]; im Ergebnis – bei Darlegung der entsprechenden Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung dieser Frage [was inzwischen aufgrund der obigen Rechtsprechung und medizinischen Literatur problemlos möglich ist, vgl. nachstehende Senatsentscheidung r+s 2006, 474] – schon BGH NZV 1993, 346 unter II 1).

b)

Die Vernehmung der behandelnden Ärzte war nicht erforderlich. Die Feststellungen der behandelnden Ärzte sind zwar eine wichtige Erkenntnisquelle (BGH, Urt. v. VersR 2008, 1133 = NZV 2008, 502 [BGH 03.06.2008 – VI ZR 235/07] [503]; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2002 – I – 1 U 142/01 [[…]]), genügen aber nicht zur Beweisführung für die regelmäßig entscheidende Frage des Kausalzusammenhangs (BGH NZV 2000, 121 unter II 1 a.E.; VersR 2008, 1133 = NZV 2008, 502 [BGH 03.06.2008 – VI ZR 235/07] [503]; OLG Hamm NZV 2001, 468 = SP 2002, 11 = VersR 2002, 992 = r+s 2002, 371 [OLG Hamm 02.07.2001 – 13 U 224/00]; Senat SP 2002, 347 f. und NZV 2003, 474 [OLG München 08.02.2002 – 10 U 3448/99] [475] – Revision vom BGH durch Beschl. v. 01.04.2003 – VI ZR 156/02 nicht angenommen; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [[…]] und v. 15.09.2006 – 10 U 3622/99 = r+s 2006, 474 m. zust. Anm. von Lemcke = NJW-Spezial 2006, 546 m. zust. Anm. von Hess/Burmann [Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH durch Beschluss v. 08.05.2007 – VI ZR 29/07 zurückgewiesen]; OLG Düsseldorf a.a.O.; KG VRS 110 [2006] 1 [3]; OLG Frankfurt a.M. zfs 2008, 264; v. Hadeln NZV 2001, 457 [458 f.]; Müller VersR 2003, 137 [146]; aus medizinischer Sicht eingehend Mazzotti/Castro NZV 2008, 113 [114 unter II]; a.A. OLG Bamberg NZV 2001, 470 = DAR 2001, 121; LG Landau i. d. Pfalz NZV 2002, 121 m.w.N.; LG Augsburg NZV 2002, 122).

Aus diesem Grund ist einem Beweisantrag auf Einvernahme der Ärzte als sachverständige Zeugen i.d.R. nicht nachzukommen (BGH NZV 2000, 121 unter II 1 a.E.; VersR 2008, 1133 [BGH 03.06.2008 – VI ZR 235/07]; ; KG NZV 2005, 521 = VRS 109 [2005] 88; Senat NZV 2003, 474 [OLG München 08.02.2002 – 10 U 3448/99] [475] – Revision vom BGH durch Beschl. v. 01.04.2003 – VI ZR 156/02 nicht angenommen; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [[…]]; a.A. Eggert VA 2004, 204).

Der BGH hat in der Entscheidung vom 03.06.2008 – Az. VI ZR 235/07 – (VersR 2008, 1133) ausgeführt:

Eine Vernehmung der behandelnden Ärzte als Zeugen oder sachverständige Zeugen ist zudem entbehrlich, wenn das Ergebnis ihrer Befundung schriftlich niedergelegt, vom Sachverständigen gewürdigt und in die Beweiswürdigung einbezogen worden ist, denn bei der Frage nach einem Zusammenhang der geltend gemachten Beschwerden mit dem Unfallgeschehen kommt es allein auf die Beurteilung durch Sachverständige und nicht auf die Aussagen von Zeugen an (Senatsurteile vom 16. November 1999 – VI ZR 257/98 – VersR 2000, 372, 373 und vom 20. März 2007 – VI ZR 254/05 – VersR 2008, 235, 237 f.).

c)

Die von Dr. H. durchgeführte PET- Untersuchung ist auch nach Ansicht des Senats ohne entscheidende Bedeutung, weil nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnose des Beschleunigungstraumas der Halswirbelsäule das PET-Verfahren im Rahmen der Diagnostik nicht empfohlen wird (Internetseite: http://www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08kap_076.pdf ).

5.

Der Senat hat – entgegen seiner sonstigen Praxis – im vorliegenden Falle nicht von der Möglichkeit einer eigenen Sachentscheidung nach § 538 I ZPO Gebrauch gemacht, weil dies hier nicht sachdienlich erscheint.

Eine Beweisaufnahme in dem vorstehend beschriebenen Umfang wäre umfangreich i.S.d. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO und würde den Senat zu einer mit der Neukonzeption der Berufung durch das ZPO-RG unvereinbaren nahezu vollständigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens zwingen ( Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 (VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann ). Eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist angesichts seiner Geschäftsbelastung keinesfalls zu erwarten.

Eine (erheblich) mangelhafte Beweiserhebung stellt einen Zurückweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (OLG Zweibrücken OLGR 2000, 221; OLG Bremen OLGR 2009, 352; Senat, Urt. v. 09.10.2009 – 10 U 2309/09 [[…], dort Rz. 23]; v. 25.06.2010 – 10 U 1847/10 [[…], dort Rz. 13 = NJW-Spezial 2010, 554 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [[…], dort Rz. 28 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]).

Ein schwerwiegender Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts liegt schon darin, dass es die Pflicht zur persönlichen Anhörung der Unfallbeteiligten in Verkehrsunfallsachen verletzt hat (OLG Schleswig OLGR 2008, 314 = NJW-RR 2008, 1525 = MDR 2008, 684 [OLG Schleswig 20.12.2007 – 7 U 45/07] [nur Ls.] = NZV 2009, 79; Senat, Urt. v. 09.10.2009 – 10 U 2309/09 [[…], dort Rz. 23]). Zur Aufklärung der Verletzungsfolgen ist im vorliegenden Verfahren die persönliche Anhörung der Klägerin zwingend erforderlich.

Ferner stellt auch eine erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO berechtigt (BGH NJW 1957, 714 [BGH 19.02.1957 – VIII ZR 206/56] = ZZP 71 [1957] 470; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712; Senat, Urt. v. 14.07.2006 – 10 U 5624/05 [[…]]; v. 01.12.2006 – 10 U 4328/06; v. 04.09.2009 – 10 U 3291/09; v. 06.11.2009 – 10 U 3254/09; v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [[…], dort Rz. 23 = VA 2010, 93 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 25.06.2010 – 10 U 1847/10 [[…], dort Rz. 13 = NJW-Spezial 2010, 554 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann]; OLG Bremen OLGR 2009, 352; Wieczorek/ Rössler, ZPO, 2. Aufl. 1988, § 539 Anm. B III d; Zöller/ Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 538 Rz. 28).

Die Frage der Zurückverweisung wurde auch in der mündlichen Verhandlung mit den Parteivertretern ausführlich erörtert. Die Klägerin hat ihren bereits schriftlich gestellten Zurückverweisungsantrag wiederholt.

6.

Nach dem Wortlaut des § 538 II 1 Nr. 1 ZPO ist das erstinstanzliche Verfahren aufzuheben, soweit es durch den Mangel betroffen wird. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, lediglich den von dem Verstoß betroffenen Verfahrensvorgang zu beseitigen, wobei sich die Aufhebung auf mangelbehaftete, eindeutig abtrennbare Verfahrensteile beschränkt werden kann (OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 719 [720]; Senat, Urt. v. 09.10.2009 – 10 U 2309/09 [[…], dort Rz. 33]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann]; v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [[…], dort Rz. 30 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]); Eichele/Hirtz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, 2. Aufl. 2008, Kap. XVIII Rz. 89; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 7. Aufl. 2008, Rz. 670).

Der Senat hat von der Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und von der Verfahrensaufhebung die Begutachtung durch Dr. Christian A. ausgenommen. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. A. überzeugen, so dass – je nach Verlauf der nochmals durchzuführenden Beweiserhebung – allenfalls eine ergänzende Befragung des Sachverständigen in Betracht kommen kann.

7.

Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen:

Um eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine abschließende Entscheidung zu schaffen, bedarf es neben der Wiederholung der bisherigen Beweiserhebung auch einer ergänzenden Tatsachenfeststellung zum Gesundheitszustand der Klägerin vor dem streitgegenständlichen Unfall und einer Feststellung, welchen Einfluss der zweite Unfall auf den Gesundheitszustand der Klägerin hatte. Hierzu gehört die Aufklärung der näheren Umstände des zweiten Unfalls und des Beschwerdebilds der Klägerin zwischen dem ersten und dem zweiten Unfall. Es ist sodann auf Basis der ergänzenden Feststellungen zu prüfen, ob und in welchem Umfang unter Beachtung des Maßstabes des § 287 ZPO eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Beschwerden der Klägerin, soweit sie nachgewiesen sind, insbesondere auch eventuelle neurotische Fehlentwicklungen durch den streitgegenständlichen Unfall verursacht worden sind.

Es erscheint nahe liegend, hierzu zunächst von der Klägerseite eine umfangreiche ergänzende Stellungnahme mit Vorlage eines Vorerkrankungsverzeichnisses einzufordern. Sodann sind strittige Fragen durch Beweiserhebung zu klären, wobei in diesem Rahmen eine Anhörung der Klägerin in Gegenwart der zu beauftragenden medizinischen Sachverständigen zweckmäßig erscheint. Unter Berücksichtigung des bisherigen Vortrags der Klägerin erscheint eine Begutachtung auf orthopädischem, neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet unerlässlich, wobei das Gericht den Sachverständigen im Hinblick auf das aktenkundige Aggravationsverhalten der Klägerin vorzugeben hat, welches Beschwerdebild der Klägerin sie ihrer Begutachtung zugrunde zu legen haben.

II.

Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032 [BGH 06.05.1987 – IVb ZR 54/86]; Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [[…], dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]).

Die Gerichtskosten waren gem. § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel, welcher allein gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung führen kann, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt; dies gilt jedenfalls bei einem – hier gegebenen -offensichtlichen Verstoß gegen eine klare gesetzliche Regelung (BGH NJW 1962, 2107 = MDR 1962, 45; BGHZ 98, 318 [320]; BGH, Beschl. v. 27.01.1994 – V ZR 7/92 [[…]]; NJW-RR 2003, 1294 [BGH 10.03.2003 – IV ZR 306/00]; Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [[…], dort Rz. 34 = VA 2010, 92 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [[…], dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]).

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232 [BGH 24.11.1976 – IV ZR 3/75]; Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [[…], dort Rz. 34 = VA 2010, 93 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [[…], dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (OLG Düsseldorf a.a.O.; Senat a.a.O.).

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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