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Wildschadensersatz: Schadensschätzung bei unmöglicher Schadensfeststellung

AG Lörrach, Az.: 4 C 475/15,nUrteil vom 13.11.2015

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 651,16 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger ist Nebenerwerbslandwirt und bewirtschaftet u.a. Reben auf den Grundstücken mit den Flurstücknummern …, … und … der Gemarkung S..

Der Beklagte ist aufgrund eines Jagdpachtvertrags vom 06.06.2003 Pächter des Jagdbezirks „S. I.“, in dem sich die genannten Grundstücke befinden. In § 7 des Jagdpachtvertrags hat der Beklagte die Haftung für die innerhalb seines Jagdbezirks entstehenden Wildschäden übernommen.

Mit Schreiben vom 21.04.2014 zeigte der Kläger bei der Gemeinde S. einen Wildschaden durch Triebverbiss an den Reben auf den genannten Grundstücken an.

Am 09.05.2014 fand im Beisein der Parteien ein erster Ortstermin mit dem Wildschadenschätzer der Gemeinde S., dem Zeugen O., statt. Bei einem zweiten Ortstermin am 13.05.2014 wurde zusätzlich der Zeuge S. in seiner Eigenschaft als Weinbauberater hinzugezogen.

Im Wildschadensprotokoll des Zeugen O… vom 20.05.2014 wurde die Größe der geschädigten Fläche mit insgesamt 4,9 Ar angegeben. Des Weiteren enthielt das Protokoll u.a. die folgenden Ausführungen:

„[…] bei der Ortsbesichtigung am 09.05.2014 konnte über die Verursachung des Schadens keine Einigung erreicht werden.

Es wurde ein neuer Ortstermin unter Hinzuziehung von Herrn S. vereinbart.

Beim Ortstermin am 13.05.2014 ordnete Herr S. den kompletten Schaden an der Rebanlage dem Verbiss von Rehwild zu.

Ausdrücklich möchte ich festhalten, dass ich bei der Frage der Schadensverursachung mich auf die Begutachtung durch Herrn S. stütze und so auch errechnet habe, obwohl ich aus langjähriger Erfahrung und Teilnahme an mehreren Lehrgängen anderer Meinung bin und ca. 18 % der Schäden anderen Ursachen zugeordnet hätte.

[…]

Die jetzige Schadensaufnahme sagt noch nichts über die Schadenshöhe aus.

Um eine Schadenshöhe zu ermitteln, muss bis zur Weinlese abgewartet werden.

Für die tatsächliche Ermittlung des Schadenshöhe schlage ich zwei gängige Methoden vor:

I. Die geschädigten und die nichtgeschädigten Rebstöcke werden getrennt von Hand gelesen, beide gewogen, die Differenz ermittelt und auf die gelesenen Rebstöcke hochgerechnet.

II. Vor der Weinlese in dem Rebstück werden die gleiche Anzahl von geschädigten wie von nicht geschädigten Rebstöcken gelesen, danach die Gewichtsdifferenz ermittelt und hochgerechnet. Um ein annähernd verlässliches Ergebnis zu erzielen, sollten mindestens 2 bis 3 unterschiedliche Reihen je 22 Rebstöcken von Hand gelesen werden.

Bei beiden Methoden müssen die Parteien anwesend sein.“

Die Parteien kamen in der Folge zu keiner Einigung, wie der Schaden der Höhe nach zu berechnen sei. Schließlich wurden die betroffenen Rebgrundstücke abgeerntet, ohne dass noch ein Termin zur weiteren Schadensfeststeilung stattgefunden hätte. Die Gemeinde S… lehnte später mit Schreiben vom 04.11.2014 den Erlass eines Vorbescheides ab.

Wildschadensersatz: Schadensschätzung bei unmöglicher Schadensfeststellung
Symbolfoto: yhelfman/Bigstock

Der Kläger behauptet, er habe die betroffenen Rebgrundstücke häufig besichtigt und den Schaden sogleich nach der Entdeckung bei der Gemeinde S. gemeldet. Aufgrund des Schadensbildes und aufgrund des von dem Zeugen O. verfassten Wildschadensprotokolls stehe fest, dass der Schaden vollständig auf Rehverbiss zurückzuführen sei. Allerdings seien die von dem Zeugen O. vorgeschlagenen Methoden der Schadensfeststellung nicht praktikabel, da sie mit einem Aufwand verbunden seien, der zu der Schadenssumme in keinem Verhältnis stehe. Die betroffenen Flächen würden nicht von Hand, sondern mit einem automatischen Vollherbster abgeerntet, die Erträge würden auch bei der Winzergenossenschaft A. nicht parzellengenau erfasst. Stattdessen sei die Schadenshöhe auf der Grundlage des Durchschnittsertrags der vergangenen drei Jahre zu berechnen. Dieser betrage für die Anbauflächen des Klägers 137 kg/Ar (2011: 148 kg/Ar; 2012: 164 kg/Ar; 2013: 99 kg/Ar), sodass sich bei einem Preis von 0,97 €/kg der Winzergenossenschaft A… die folgende Berechnung ergebe:

4,9 Ar x 137 kg/Ar x 0,97 € = 651,16 €.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 651,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 147,56 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe bei den Ortsterminen darauf bestanden, dass der Schaden in einem Termin kurz vor der Ernte noch einmal konkret festgestellt werde. Dadurch, dass der Kläger die streitgegenständlichen Rebgrundstücke einfach abgeerntet habe, könne im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden, ob nicht bis zur Ernte durch andere Ursachen eine weitere Ertragsminderung oder durch Nachwuchs eine teilweise Kompensation eingetreten sei. Die Dreijahresmethode könne eine konkrete Schadensfeststellung nicht ersetzen. Im Übrigen stehe wegen der divergierenden Ansichten der hinzugezogenen Experten nicht fest, dass der Schaden vollständig durch Rehverbiss entstanden sei. Schließlich fehle es an dem Nachweis, dass der Kläger die Anmeldefrist des § 34 BJagdG eingehalten habe.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2015 (AS 125-127) und 06.10.2015 (AS 217-227) Bezug genommen.

Das Gericht hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen O. O., H. S. und H. D..

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Der Kläger kann von dem Beklagten nicht Zahlung von 651,16 € als Schadensersatz für den behaupteten Ertragsausfall an den geschädigten Reben verlangen (§ 29 Abs. 1 BJagdG).

Ungeachtet der weiteren Anspruchsvoraussetzungen kann der Kläger jedenfalls deshalb keinen Ersatz verlangen, weil eine verlässliche Feststellung der Schadenshöhe nicht mehr möglich ist.

Nach § 17 Abs. 3 der Durchführungsverordnung zum Landesjagdgesetz Baden-Württemberg (im Folgenden: DVO), der erst am 17.04.2015 außer Kraft getreten ist und damit im vorliegenden Verfahren noch Anwendung fand, kann jeder Beteiligte im Ortstermin beantragen, dass die Höhe des Schadens erst kurz vor der Ernte ermittelt werden soll. In diesem Fall ist der Schaden nur soweit zu ermitteln, als dies möglich und zur endgültigen Feststellung des Schadens erforderlich ist. Ersichtlich vorausgesetzt wird dabei, dass die Höhe des Schadens dann auch tatsächlich in einem späteren Termin kurz vor der Ernte konkret festgestellt wird.

Ein solcher weiterer Termin zur Feststellung der Schadenshöhe war danach auch im vorliegenden Fall geboten. Zwar weichen die Schilderungen der Parteien, was im Einzelnen bei den Ortsterminen besprochen worden ist, voneinander ab. Jedoch hat nicht nur der Beklagte bei seiner persönlichen Anhörung angegeben, er habe von Anfang an auf einer möglichst genauen Schadensfeststellung bestanden. Vielmehr haben auch die Zeugen O… und S… – in diesem Punkt übereinstimmend – bekundet, dass über einen neuen Termin kurz vor oder bei der Ernte gesprochen worden sei bzw. dass man sich auf das „Herbsten“ als Methode zur Schadensfeststellung verständigt habe. Diese Schilderung wird durch den entsprechenden Hinweis im Wildschadensprotokoll vom 20.05.2014 bestätigt. Unerheblich ist demgegenüber, ob auch der Kläger diese Vorgehensweise wünschte, da schon der Antrag eines Beteiligten ausreichend ist.

Die Schadensfeststellung kurz vor oder bei der Ernte war auch nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil durch den damit verbundenen Aufwand weitere Kosten entstanden wären. Vielmehr hätte der Kläger von dem Beklagten nach § 249 BGB auch Erstattung dieser zur Schadensfeststellung erforderlichen Kosten verlangen können (vgl. hierzu auch AG Bingen, Urt. v. 21.02.2013, Az. 22 C 359/11).

Ein erneuter Ortstermin kurz vor der Ernte hat nicht nur unstreitig nicht stattgefunden, vielmehr hat der Kläger nach eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung einen solchen Termin gar nicht angestrebt, da er den damit verbundenen Aufwand als zu groß ansah.

Schließlich kann das Gericht die Höhe des entstandenen Schadens auch nicht nach § 287 ZPO, ggf. unter Rückgriff auf die Dreijahresmethode, schätzen. Zum einen würde durch eine solche Schätzung die Wertung des § 17 Abs. 3 DVO unterlaufen, wonach jeder Beteiligte die konkrete Feststellung des Schadens verlangen kann (vgl. für den Fall eines abredewidrigen Aberntens auch AG Kenzingen, Urt. v. 01.04.2014, Az. 1 C 21/14). Zum anderen aber bietet die Dreijahresmethode keine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Schadensschätzung. Sie übergeht nicht nur die enormen Schwankungen zwischen den Erträgen einzelner Jahre (der Durchschnittsertrag des Klägers für 2013 liegt nur bei rund 60 % des Durchschnittsertrags für 2012), ihre Anwendung würde zudem in rechtlich unzulässiger Weise das Risiko jeder anderweitigen Ertragsminderung an den geschädigten Flächen auf den Schädiger verlagern. In diesem Sinne hat etwa der Zeuge S. anlässlich seiner Vernehmung geäußert, dass eine Begehung kurz vor der Ernte selbst dann erforderlich sei, wenn die Dreijahresmethode angewendet werde, um andere Schadensursachen auszuschließen.

Ist die Klage bereits hinsichtlich der Hauptforderung unbegründet, so kann sie auch hinsichtlich der Nebenforderungen keinen Erfolg haben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11. 711 ZPO.

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