Anfechtung des Lebensversicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung über den Gesundheitszustand
BGH, Az.: IV ZR 224/91, Urteil vom 07.10.1992
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte mehrere zwischen ihnen abgeschlossene Versicherungsverträge rechtswirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat.
Aufgrund eines Antrages des Klägers vom 11. Juni 1979 und eines ärztlichen Zeugnisses des Dr. Dr. W. vom 5./7. Juni 1979 ist zwischen den Parteien der Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, Versicherungsscheinnummer … …, zustande gekommen. Vereinbart worden ist dabei eine Laufzeit bis zur Vollendung des 52. Lebensjahres des Klägers.
Gemäß einem undatierten, am 4. Dezember 1981 bei der Beklagten eingegangenen Antrag des Klägers, der einen vorformulierten Fragenkatalog zu Gesundheitsumständen der zu versichernden Person enthält und vom Kläger ausgefüllt worden war, kam es zu einer zeitlichen Verlängerung dieses Vertrages um sechs Jahre.
Ein zweiter Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, Versicherungsscheinnummer … …, war zuvor aufgrund eines Antrages des Klägers vom 15. Juli 1980 zustande gekommen. Dem Antrag war eine persönliche Erklärung des Klägers zu seinem Gesundheitszustand beigefügt.
Zu einem dritten Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, Versicherungsscheinnummer … …, kam es gemäß einem Antrag des Klägers vom 29. September 1983 sowie der Vorlage eines unter dem 4. Oktober 1983 erstellten ärztlichen Zeugnisses des Dr. Dr. W..
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 9. Januar 1988 den Eintritt von Berufsunfähigkeit bei der Beklagten geltend gemacht hatte, holte diese ärztliche Auskünfte ein und erklärte schließlich mit Schreiben vom 20. Dezember 1988 die Anfechtung sämtlicher Verträge wegen arglistiger Täuschung über den jeweiligen Gesundheitszustand des Klägers. Dessen daraufhin erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Anfechtung hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers ist der Klage stattgegeben worden. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Der Senat hat die Revision nicht angenommen, soweit sie gegen die Feststellung gerichtet ist, der erste Versicherungsvertrag mit der ursprünglichen Laufzeit bis zur Vollendung des 52. Lebensjahres des Klägers sei von der Beklagten nicht rechtswirksam angefochten worden.
Entscheidungsgründe
Im Umfang der Annahme führt das Rechtsmittel der Beklagten zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Auf die Behauptung des Klägers, die Anfechtung der Verträge sei jedenfalls nicht fristgerecht von der Beklagten erklärt worden, ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Im Revisionsverfahren ist deshalb zugunsten der Beklagten davon auszugehen, daß die Anfechtungsfrist gewahrt ist.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht für jeden der vier Vertragsabschlüsse gesondert geprüft, ob dem Kläger eine arglistige Täuschung anzulasten ist. Zutreffend ist es davon ausgegangen, daß der dabei zweimal eingeschaltete Arzt Dr. Dr. W. für die Beklagte tätig geworden ist und daß sie sich seine Kenntnis vom jeweiligen Gesundheitszustand des Klägers zurechnen lassen muß (Senatsurteile vom 29. Mai 1980 – IVa ZR 6/80 – VersR 1980, 762 unter II 1 und vom 21. November 1989 – IVa ZR 269/88 – VersR 1990, 77 unter 2.).
Klarzustellen bleibt, daß das von der Beklagten verwendete Formular des ärztlichen Zeugnisses ein Ausfüllen der „Erklärung vor dem Arzt“ durch den künftigen Versicherungsnehmer überhaupt nicht vorsieht, denn der einleitende Satz lautet:
„Der Arzt wird gebeten, die zu versichernde Person zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen zu ermahnen, jede Frage einzeln zu stellen, keine zu übergehen oder gar mit Strichen abzutun. Bezugnahme auf frühere Angaben ist nicht zulässig.“
Der Arzt wurde demnach auf Veranlassung der Beklagten in gleicher Weise tätig wie ein das Antragsformular ausfüllender Versicherungsagent. Formularfragen, die er dem Kläger nicht vorgelesen hat, sind damit auch nicht zur Kenntnis des Klägers gebracht worden. Es kann sich insoweit nur noch die Frage stellen, ob der Kläger gehalten war, auch ungefragt Angaben zu seinem Gesundheitszustand zu machen und ob ein Unterlassen von Angaben auf Arglist beruht.
Anders ist die Situation dagegen, soweit der Kläger ohne Einschaltung einer Mittelsperson der Beklagten Vertragsabschlüsse beantragt und dabei selbst schriftliche Angaben zu schriftlich gestellten Fragen bezüglich seines Gesundheitszustandes gemacht hat.
3. a) Als der Kläger unter dem 15. Juli 1980 bei der Beklagten den Abschluß des zweiten Versicherungsvertrages beantragte, hatte er nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts am 3. Januar und 9. Februar 1978 Dr. K. wegen Angstzuständen beim Autofahren aufgesucht. Ferner hatte er seit 24. Januar 1978 mit Unterbrechungen bei Dr. Dr. W., einem Facharzt für innere Medizin und Dipl.-Psychologen, wegen vegetativer Erscheinungen, Kreislaufbeschwerden und Unruhezuständen in Behandlung gestanden. Die ärztliche Diagnose lautete: Zustand nach phobisch-depressiver Symptomatik. Bis zum 30. Januar 1978 war dem Kläger Valdispert, anschließend bis 9. Februar 1978 Frisium 10 verordnet worden; bis Februar 1979 war der Kläger außerdem auch bei Prof. B. in Behandlung gewesen, ferner war ihm bis 15. Februar 1980 Iasotrom verordnet worden und hatte er sich von Sommer 1979 bis Sommer 1980 von dem Dipl.-Psychologen Dr. Ka. wegen phobischer Zustände behandeln lassen.
Trotzdem gab er unter dem 17. Juli 1980 anstelle der Beantwortung des Fragenkatalogs der Beklagten folgende maschinenschriftliche Erklärung ab:
„Bzgl. der Gesundheitsfragen erkläre ich hiermit, daß sich mein Gesundheitszustand seit der letzten ärztlichen Untersuchung nicht verändert hat.“
Diese Erklärung erweckt den – unzutreffenden – Eindruck, der Gesundheitszustand des Klägers, wie er sich aus dem ersten ärztlichen Zeugnis des Dr. Dr. W. vom 5./7. Juni 1979 ergebe, bestehe unverändert fort.
Diesem ärztlichen Zeugnis waren jedoch nicht nur die von Dr. K., Dr. Dr. W. und Prof. B. behandelten Gesundheitsstörungen nicht zu entnehmen, die Dr. Dr. W. deshalb nicht vermerkt haben will, weil er sie für situationsbedingt entstanden und deshalb für bedeutungslos hielt. Es war in dem ersten ärztlichen Zeugnis auch nicht die vom Kläger schon im Mai 1979 in die Wege geleitete Weiterbehandlung durch Dr. Ka. angegeben. Das Berufungsgericht konnte sich nicht davon überzeugen, daß Dr. Dr. W. etwas von dieser Weiterbehandlung wußte, weil der Kläger sie ihm mitgeteilt hätte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger könne eine im Juli 1980 begangene arglistige Täuschung nicht angelastet werden, basiert vielmehr gerade auf der Annahme, abgesehen von der Weiterbehandlung durch Dr. Ka. wegen anhaltender Angstzustände sei Dr. Dr. W. die Krankheitsgeschichte des Klägers im Juni 1979 bekannt gewesen.
Daß Dr. Dr. W. die Notwendigkeit und die darauf basierende Einleitung der Weiterbehandlung der anhaltenden, eben nicht nur vorübergehenden phobischen/depressiven Zustände nicht bekannt war und er folglich hierzu im ärztlichen Zeugnis vom Juni 1979 auch keine Angaben gemacht haben konnte, wußte der Kläger bei Abgabe seiner individuell gehaltenen Gesundheitserklärung. Da er im Juli 1980 nunmehr schon weit über ein Jahr wegen anhaltender Gesundheitsstörungen die Behandlung von Ärzten und Dipl.-Psychologen in Anspruch genommen, jedoch bislang nicht dafür gesorgt hatte, daß dies lückenlos zur Kenntnis der Beklagten gelangte, ist bislang nicht ersichtlich, weshalb er annehmen durfte, mit seiner Erklärung im Juli 1980 wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Aus den vorgelegten Unterlagen läßt sich allerdings nicht ersehen, wie die Formularfragen der Beklagten tatsächlich lauteten, ob zu ihnen insbesondere die in anderen vorgelegten Formularen unter 13) gestellte Frage zählte:
„Haben Sie gelitten oder leiden Sie …
k) an anderen Gesundheitsstörungen und welchen?“
Selbst ohne diese Frage läßt sich eine arglistige Täuschung jedenfalls nicht, wie geschehen, damit verneinen, daß „die Umstände nicht anders als bei Abschluß des ersten Vertrages“ lagen. Auch die Zusatzbegründung für die Verneinung einer arglistigen Täuschung, der Kläger habe den zweiten Vertrag (wie die übrigen Verträge auch) zu Kreditzwecken abgeschlossen, trägt nicht. Ein Vertragsabschluß zu Kreditzwecken rechtfertigt nämlich nicht den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß, es sei dem Kläger auf den Abschluß der Verträge, so wie von ihm beantragt und für die beabsichtigte Darlehensaufnahme und -rückführung benötigt, in Wahrheit nicht ernsthaft angekommen.
Bei der neuerlichen Prüfung, ob die Beklagte von dem Kläger arglistig getäuscht worden ist, wird allerdings in allen drei Fällen zu berücksichtigen sein, welche Bedeutung den verheimlichten Umständen für die Willensbildung der Beklagten bezüglich des Abschlusses der Lebensversicherung einerseits und bezüglich des Einschlusses einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung andererseits zukommt.
b) Als der Kläger mit dem am 4. Dezember 1981 bei der Beklagten eingegangenen, von ihm ausgefüllten Formular die Verlängerung des ersten Versicherungsvertrages beantragte, verneinte er die vorstehend zitierte Formularfrage 13) k) und ebenso die Frage:
„Haben Sie gelitten oder leiden Sie an Beschwerden oder Erkrankungen der Herz- und Kreislauforgane? z.B. Herzfehler? Venenentzündung? Bluthochdruck?“
Er gab Dr. Dr. W., bei dem er bis in das Jahr 1984 in Behandlung blieb, zwar an, jedoch nur für den einmaligen Behandlungsanlaß einer leichten Gastritis im Jahre 1980 und für die routinemäßige Erstellung eines EKG ebenfalls im Jahre 1980.
Auch hier erweist sich die bisherige Begründung des Berufungsgerichts als nicht tragfähig, eine arglistige Täuschung komme nicht in Betracht, weil sich der Gesundheitszustand des Klägers zwischen erster Antragstellung und beantragter Vertragsverlängerung nicht verändert habe und die Vertragsverlängerung auch nur zum Zweck einer Krediterhöhung gewünscht worden sei.
c) Im Zuge des Abschlusses des dritten Versicherungsvertrages kam es wieder zur Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses durch Dr. Dr. W.. Nähere Einzelheiten über das Zustandekommen dieses Zeugnisses sind bislang nicht vorgetragen worden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger seit 15. Oktober 1982 die psychotherapeutische Behandlung des Dr. P. in Anspruch genommen. Dies wird im ärztlichen Zeugnis jedoch ebensowenig angegeben wie die ein Jahr währende Behandlung bei Dr. Ka. Das Berufungsgericht hat auch nicht festgestellt, daß der Kläger Dr. Dr. W. im Oktober 1983 über die zwischenzeitlichen Weiterbehandlungen seines Zustandes unterrichtet hätte. Der Kläger behauptet dies nicht einmal.
Das Berufungsgericht hat zwar gesehen, daß sich durch die Entwicklung seit Sommer 1979 die im Februar 1979 noch von Prof. B. vertretene und von Dr. Dr. W. anscheinend übernommene Beurteilung, die phobische Symptomatik sei bei dem Kläger weitgehend abgeklungen, als unzutreffend erwiesen hatte. Es erwähnt auch, daß die tatsächliche Verschlechterung des Zustandes des Klägers zwar diesem selbst, nicht dagegen Dr. Dr. W. bekannt war. Es hat aber nicht gesehen, daß die von ihm erwogene Möglichkeit, der Kläger sei mit Rücksicht auf die Beurteilung seines Zustandes durch Dr. Dr. W. im Sommer 1979 auch noch 1983 der Meinung gewesen, es liege bei ihm eine erhebliche Gesundheitsstörung nicht vor, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt hätte geprüft werden müssen, ob sich der Kläger hiermit nicht sehenden Auges der unabweisbaren Erkenntnis seines Gesundheitszustandes verschlossen hat (vgl. z.B. Senatsurteil vom 8. Mai 1980 – IVa ZR 1/80 – NJW 1980, 2460 unter 2 b).
Auch hier ist das Berufungsgericht wieder die Begründung für seine Annahme schuldig geblieben, die Absicht des Klägers, den abgeschlossenen Vertrag im Rahmen einer Kreditaufnahme einzusetzen, schließe es aus, daß er die Beklagte arglistig habe täuschen wollen.