OLG Oldenburg – Az.: 2 Ss(OWi) 131/22 – Beschluss vom 29.09.2022
Die Rechtsbeschwerde wird vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Wildeshausen vom 26.4.2022 aufgehoben.
Der Betroffene wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat, freigesprochen.
Gründe
I.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen „wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 4 Niedersächsische Corona-Verordnung (Fassung vom 07.10.2020) dadurch, dass er als Betreiber einer öffentlichen Einrichtung mit Kunden- und Besuchsverkehr jeglicher Art (Praxis für Augenheilkunde) zur Sicherstellung der Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ein schriftliches Hygienekonzept nicht aufgestellt hat und damit auf Verlangen auch nicht vorlegen konnte“ zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG statthaften und auch zulässig begründeten Rechtsbeschwerde. Er macht unter anderem geltend, dass er nicht zur Erstellung eines Hygienekonzeptes verpflichtet gewesen sei.
Der rechtsunterzeichnende Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Klärung dieser Frage, mithin zur Fortbildung des Rechts, auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Betroffene ist freiberuflicher Augenarzt und betreibt -angeschlossen an die Praxisräume seiner ebenfalls als Ärztin praktizierenden Ehefrau- eine Praxis für Augenheilkunde in der er ausschließlich bei privaten Krankenkassen versicherte Patienten nach Absprache betreut. Weitere Mitarbeiter beschäftigt der Betroffene nicht.
Am TT.MM.2020 zwischen 12:15 und 12:30 Uhr erfolgte durch zwei Mitarbeiter des Gesundheitsamtes pp. eine Kontrolle der Einhaltung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in den Praxisräumen des Betroffenen. Hierbei wurde festgestellt, dass der Betroffene kein schriftliches Hygienekonzept vorweisen konnte.
Als weitere Feststellung findet sich in den Urteilsgründen, dass der Betroffene lediglich in einem überschaubaren Umfang „Privatpatienten“, diese lediglich nach vorheriger Absprache, behandelt.
Die Coronaverordnung vom 07.10.2020 galt zum Tatzeitpunkt nicht mehr.
§ 4 Abs. 1 der niedersächsischen Coronaverordnung (im folgenden: Verordnung) vom 30.10.2020 lautete wie folgt:
Der Betrieb einer öffentlich zugänglichen Einrichtung mit Kunden- oder Besuchsverkehr jeglicher Art sowie die Durchführung einer Veranstaltung oder Versammlung setzen ein Hygienekonzept nach den Vorgaben des Abs. 2 voraus.
§ 3 Abs. 1 der Verordnung lautete:
Jede Person hat….in geschlossenen Räumen, die öffentlich oder im Rahmen eines Besuchs- oder Kundenverkehrs zugänglich sind, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen…
Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, dass der Betroffene zur Erstellung eines Hygienekonzepts verpflichtet gewesen sei, da in Anlehnung an die Musterbauordnung öffentlich zugängliche Gebäude unter anderem definiert seien als Einrichtungen des Gesundheitswesens. Darüber hinaus stützt sich das Amtsgericht auf eine „Erläuterung zur Verordnung vom 25.06.2020 über Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus“, die unter einer näher bezeichneten, mit www.llv.li beginnenden Internetadresse, einzusehen sei.
III.
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
Zwar wird sowohl die Verurteilung als auch der Bußgeldbescheid auf eine zum Tatzeitpunkt nicht mehr geltende Coronaverordnung gestützt. Da die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darauf hingewiesen hat, dass zumindest im Rahmen der Anhörung des Betroffenen die zum Tatzeitpunkt geltende Verordnung vom 30.10.2020 zitiert worden ist, sieht der Senat trotz gewisser Bedenken unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes, dass die Regelungen inhaltlich identisch sind, noch keinen Grund zu der Annahme, der Bußgeldbescheid leide an einem derart gravierenden Mangel, dass von dessen Nichtigkeit auszugehen wäre.
IV.
Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen nicht.
Soweit sich das Amtsgericht -insoweit der Verwaltungsbehörde folgend- zur Auslegung der niedersächsischen Verordnung auf die Musterbauordnung und die oben genannten Erläuterungen beruft, ist das für den konkreten Fall nicht zielführend. Grundsätzlich wird es sich bei einer Arztpraxis, deren Räumlichkeiten im Rahmen der Öffnungszeiten allgemein zugänglich sind und die über mehrere Beschäftigte verfügt, um eine öffentlich zugängliche Einrichtung im Sinne von § 4 der Verordnung handeln. Hierzu bedarf es der Heranziehung der Musterbauordnung und – nicht nachvollziehbar – von Internetseiten der Verwaltung des Fürstentums Liechtenstein (!) (llv.li…..) nicht.
Anders ist es aber im vorliegenden Fall.
Der Betroffene betreibt seine Praxis angeschlossen an die Praxis seiner Ehefrau. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der Praxis der Ehefrau des Betroffenen um eine solche handelt, die öffentlich zugänglich ist, wäre Betreiber nicht der Betroffene, sondern dessen Ehefrau. Dass diese nicht über ein Hygienekonzept verfügt hätte, ist wieder festgestellt, noch für die Entscheidung dieses Verfahrens von Relevanz.
So, wie der Betroffene selbst seine Praxis betreibt, handelt es sich nicht um eine öffentlich zugängliche Einrichtung mit Kunden- oder Besuchsverkehr. Zu beachten ist nämlich, dass zwischen § 4 und § 3 der Verordnung differenziert wird:
Während eine Mund-Nasen-Bedeckung in geschlossenen Räumen, die öffentlich (www.duden.de: für die Allgemeinheit zugänglich, benutzbar) oder im Rahmen eines Besuchs- oder Kundenverkehrs zugänglich sind, zu tragen war, war ein Hygienekonzept nur für öffentlich zugängliche Einrichtungen mit Kunden- oder Besuchsverkehr erforderlich. Das bedeutet, dass innerhalb der Verordnung vom 30.10.2020 zwischen den verschiedenen Einrichtungen unterschieden wurde. Bei der Praxis des Betroffenen in ihrer konkreten Ausgestaltung handelte es sich zwar um eine solche mit Kunden- oder Besuchsverkehr, nicht jedoch um eine öffentlich zugängliche Einrichtung. Aus den Feststellungen ergibt sich nämlich, dass der Betroffene zum einen keine Mitarbeiter beschäftigt und zum anderen Patienten lediglich nach vorheriger Absprache behandelt hat. Anhaltspunkte dafür, dass sich hierbei Patienten in der Praxis des Betroffenen begegnet wären oder aber, dass die Praxis des Betroffenen für Terminsabsprachen zumindest jederzeit allgemein zugänglich gewesen wäre, bestehen nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht hierzu, bezogen auf den Tatzeitpunkt im November 2020, weitere Feststellungen würde treffen können.
Ob es sinnvoll gewesen wäre, auch für Praxen, die wie diejenige des Betroffenen organisiert waren, ein Hygienekonzept zu verlangen – die Ausführungen des Amtsgerichtes hierzu sind ohne weiteres nachvollziehbar- kann dahinstehen, da der Verordnungsgeber die Verpflichtung an das Tatbestandsmerkmal öffentlich zugänglich geknüpft hat. Mangels Vorliegens einer öffentlich zugänglichen Einrichtung war der Betroffene aber nicht zur Erstellung und Vorlage eines Hygienekonzepts verpflichtet.
Er ist daher auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat (§ 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG), freizusprechen.