Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 13 B 2078/20 – Beschluss vom 19.02.2021
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 4. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
A. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere liegt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. § 1 Abs. 3 Satz 4 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur vom 30. November 2020 (GV. NRW. 2020 S. 1076a) – im Folgenden CoronaBetrVO a. F. ist zwar zwischenzeitlich außer Kraft getreten. Auf diese Vorschrift hat sich das Verwaltungsgericht gestützt, weil es sich bei dem Ausschluss von der schulischen Nutzung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, mit der Folge, dass für die Prüfung der Begründetheit des Antrags auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Sie wurde jedoch durch die im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. 2021 S. 19b), geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 15. Februar 2021 (GV. NRW. 2021 S. 150) – Coronabetreuungsverordnung (CoronaBetrVO) – ersetzt.
B. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 17. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. November 2020 abgelehnt. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt: Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des verfügten Schulausschlusses überwiege das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung. Die allein mögliche und summarische Prüfung ergebe, dass der Schulausschluss rechtmäßig sei. Die vom Antragsteller vorgelegten Atteste erfüllten nicht die Mindestanforderungen an ein ärztliches Attest zur Befreiung von der sogenannten Maskenpflicht. Die vom Antragsteller hiergegen mit der Beschwerde fristgemäß dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und dem Antrag des Antragstellers stattzugeben.
Soweit der Antragsteller darauf verweist, die Coronabetreuungsverordnung regele keine rechtlichen Folgen bei einer Nichtbeachtung der Pflicht zum Tragen (mindestens) einer Alltagsmaske, ist dies unzutreffend. Nach § 1 Abs. 3 Satz 5 Corona-BetrVO (§ 1 Abs. 3 Satz 4 CoronaBetrVO a. F.) sind Personen, die eine Verpflichtung zum Tragen einer Maske nicht beachten, durch die Schulleiterin oder den Schulleiter von der schulischen Nutzung auszuschließen.
Der Antragsteller zeigt auch nicht auf, dass die Entscheidung über seinen Ausschluss von der schulischen Nutzung ermessensfehlerhaft erfolgt ist. § 1 Abs. 3 Satz 5 CoronaBetrVO räumt dem Schulleiter bei der Entscheidung über den Ausschluss von der schulischen Nutzung bei Personen, die die Verpflichtung zum Tragen einer Alltagsmaske nicht beachten, kein Ermessen ein. Die vom Antragsteller angeführte Vorschrift des § 1 Abs. 4 Satz 1 CoronaBetrVO, die es Lehrkräften ermöglicht, den Schülern zu erlauben, in bestimmten Situationen ihre Alltagsmasken abzunehmen, ermächtigt nicht dazu, einzelne Schüler generell aus medizinischen Gründen von der Maskenpflicht zu befreien. Sie eröffnet vielmehr die Möglichkeit, aus pädagogischen Gründen zeitweise oder in bestimmten Unterrichtseinheiten, insbesondere im Sportunterricht oder bei Prüfungen, die Verpflichtung zum Tragen einer Alltagsmaske auszusetzen. Für diese Fälle schreibt § 1 Abs. 4 Satz 2 CoronaBetrVO vor, dass mit Ausnahme des Sportunterrichts ein Mindestabstand einzuhalten ist.
Auch mit seinem Verweis darauf, mit den von ihm vorgelegten Attesten habe er das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Corona-BetrVO a. F. bzw. gleichlautend § 1 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 CoronaBetrVO n. F. belegt, weil danach nur ein ärztliches Zeugnis vorzulegen sei, die Norm aber keine qualitativen Anforderungen an das ärztliche Zeugnis stelle, zieht der Antragsteller die Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Zweifel. Entgegen der Auffassung des Antragstellers besteht kein Regel-Ausnahmeverhältnis dahingehend, dass ein ärztliches Zeugnis zum Beleg der Befreiungsvoraussetzungen ausreicht und nur bei ernsthaften Zweifeln an der Richtigkeit inhaltliche Anforderungen an das ärztliche Zeugnis zu stellen sind. Vielmehr muss sich aus dem Attest regelmäßig jedenfalls nachvollziehbar ergeben, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf Grund der Verpflichtung zum Tragen einer Alltagsmaske in der Schule alsbald zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren. Soweit relevante Vorerkrankungen vorliegen, sind diese konkret zu bezeichnen. Darüber hinaus muss im Regelfall erkennbar werden, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. September 2020 – 13 B 1368/20 –, juris, Rn. 11 f.
Nur unter diesen Voraussetzungen wird im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 CoronaBetrVO a. F. bzw. § 1 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 CoronaBetrVO n. F. das Vorliegen medizinischer Gründe nicht nur behauptet, sondern – wie erforderlich – auch nachgewiesen. Dem steht anders als der Antragsteller meint auch nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber qualitative Anforderungen an das ärztliche Zeugnis nach Ergehen des oben genannten Beschlusses nicht in die Vorschrift übernommen hat. Insoweit ist maßgeblich, dass durch die Vorlage des ärztlichen Attests ein rechtlicher Vorteil erwirkt werden soll, nämlich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. In derartigen Konstellationen muss die Verwaltung – hier die Schulleitung – bzw. das Gericht, wie auch in anderen Rechtsgebieten, aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. September 2020 – 13 B 1368/20 –, juris, Rn. 12 f., m. w. N.; siehe auch Bay. VGH, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – 20 CE 20.2875 –, juris, Rn. 12; vgl. im Übrigen OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Januar 2021 – 11 S 4/21 –, juris, Rn. 18, wonach es gilt, den Missbrauch von Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht als wesentlichen Baustein der Pandemiebekämpfung zu verhindern.
Ferner hätte der Verordnungsgeber, wenn er keine oder weniger strenge Anforderungen an den Inhalt der ärztlichen Zeugnisse zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Maske als ausreichend erachten würde, eine entsprechende Regelung in die nach Ergehen des oben genannten Beschlusses neu erlassene Vorschrift aufnehmen können. Eine solche Klarstellung ist jedoch nicht erfolgt.
Die vom Antragsteller unter Verweis auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Januar 2021 – OVG 11 S 132/20 –, abrufbar bei juris, geltend gemachten datenschutzrechtlichen Bedenken an den vom Senat als erforderlich erachteten Mindestanforderungen für ärztliche Atteste teilt der Senat ungeachtet des Umstands, dass diese erst nach Ablauf der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO geltend gemacht worden sind, nicht. Abgesehen davon, dass die vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vorläufig außer Vollzug gesetzte Vorschrift mit der hier streitgegenständlichen Regelung nicht vergleichbar ist,
diese sah generell – und nicht nur für den schulischen Bereich – bestimmte Mindestanforderungen für ärztliche Zeugnisse zur Befreiung von der Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, vor, u. a. die Nennung einer Diagnose; hierbei handelt es sich um ärztliche Bescheinigungen, die die Betroffenen bei verschiedensten Gelegenheiten auch gegenüber Privaten (Inhabern von Verkaufsstellen, Betreibern bestimmter Einrichtungen, Kontrolleuren in öffentlichen Verkehrsmitteln etc.) vorzeigen müssen,
gelten für die Schulleitung gemäß §§ 120, 122 SchulG NRW strenge datenschutzrechtliche Vorgaben. Schulleiter, wie auch alle übrigen Lehrkräfte der Schule, unterliegen zudem der Pflicht zur Verschwiegenheit (vgl. § 37 BeamtStG, § 3 Abs. 2 TV-L). Insofern ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass – wie der Antragsteller vorträgt – die M1. als Attest für die Befreiung zum Tragen einer medizinischen Schutzmaske ausreichen lässt, dass der Arzt ein Formular unterschreibt, wonach es dem Betroffenen aus medizinischen Gründen unzumutbar sei, eine medizinische Schutzmaske zu tragen.
Das Verwaltungsgericht hat auch richtigerweise angenommen, dass die vom Antragsteller eingereichten Atteste den oben genannten Anforderungen nicht genügen. N. I. weist in seinem Attest vom 10. August 2020 lediglich darauf hin, „aus gravierenden medizinischen Gründen“ sei es dem Antragsteller nicht möglich bzw. nicht zumutbar, eine Maske oder ein Face Shield zu tragen. Auch das Attest von S. G. vom 23. November 2020 versetzt die Verwaltung bzw. das überprüfende Gericht nicht in die Lage selbständig zu prüfen, ob der Antragsteller aus medizinischen Gründen von der Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske zu befreien ist. So wird insbesondere nicht deutlich, ob die von der Ausstellerin des Attests benannten gesundheitsschädlichen Folgen speziell nur den Antragsteller aufgrund einer etwaigen von ihr nicht benannten Vorerkrankung oder besonderen Konstitution treffen oder ob sie allgemein der Auffassung ist, das Tragen von Masken berge für jedermann die Gefahr einer übermäßigen Anreicherung von Kohlendioxid im Blut.
Vgl. dazu, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch Alltagsmasken die Aufnahme von Sauerstoff oder die Abatmung von Kohlendioxid objektiv in gesundheitsgefährdender Weise beeinträchtigt wird: OVG NRW, Beschluss vom 22. Dezember 2020 – 13 B 1609/20.NE –, juris, Rn. 56 ff., m. w. N.
Das Attest von Dr. T. M. vom 1. Dezember 2020 genügt den oben genannten Anforderungen ebenfalls nicht. Auch dieses versetzt die Verwaltung bzw. das überprüfende Gericht nicht in die Lage selbständig zu prüfen, ob der Antragsteller aus medizinischen Gründen von der Maskenpflicht zu befreien ist. Insbesondere lässt es nicht erkennen, worauf die Ausstellerin des Attests ihre Erkenntnis stützt, dass dem Antragsteller durch das Tragen des Mund-Nasenschutzes oft schlecht und so schwindelig werde, dass er krank nach Hause komme, und woraus die genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Einzelnen resultieren.
Gründe für eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht aus der von dem Antragsteller in Bezug genommenen, für Rheinland-Pfalz herausgegebenen „Handreichung zur Maskenpflicht an Schulen“, wonach bei Schülerinnen und Schülern, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen dürfen, die Einhaltung des Mindestabstands etwa dadurch sichergestellt werden könne, dass diese zeitversetzt zu den anderen Schülern den Unterrichtsraum aufsuchen. Denn auch die – ausschließlich für Rheinland-Pfalz geltende – Handreichung geht davon aus, dass derartige alternative Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos, die im Übrigen gerade nicht gleichermaßen effektiv sein dürften, wie das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung, erst dann zur Anwendung kommen, wenn feststeht, dass der betroffene Schüler aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen darf. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall.
Der Vortrag des Antragstellers, die für Hausverbote entwickelten Grundsätze müssten auf den Ausschluss eines Schülers von der schulischen Nutzung übertragen werden, ist erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist, nämlich am 14. Februar 2021, bei Gericht eingegangen. Er ist deswegen nicht zu berücksichtigen. Auch insoweit weist der Senat lediglich ergänzend daraufhin, dass es sich bei der Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 5 CoronaSchVO (§ 1 Abs. 3 Satz 4 CoronaSchVO a. F.) nicht um eine Schulordnungsmaßnahme oder eine Sanktionsmaßnahme anderer Art handelt, sondern um eine infektionsschutzrechtliche Vorschrift, die der Gefahrenabwehr dient.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).