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Einkommenssteuer – Behandlungskosten als außergewöhnliche Belastung

Finanzgericht Münster

AZ.: 3 K 2845/02 E

Urteil vom 12.01.2005


Das Finanzgericht Münster hat auf die mündliche Verhandlung vom XX für Recht erkannt:

Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2000 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 03.05.2002 wird die Einkommensteuer 2000 auf 24.782 DM herabgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt das Finanzamt.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

Streitig ist, ob Kosten einer Behandlung in der A-Klinik für Psychotherapie in X-Stadt außergewöhnliche Belastungen (agB) darstellen.

Der Kläger (Kl.) war im Streitjahr nichtselbstständig tätig. In seiner Einkommensteuer (ESt-) Erklärung machte er Therapiekosten in Höhe von 12.179 DM, die er im Jahre 2000 an die A-Klinik für Psychotherapie in X-Stadt gezahlt hatte, als agB geltend. Das FA erkannte die Aufwendungen nicht als agB an, weil ihre Notwendigkeit nicht durch eine ärztliche Verordnung nachgewiesen sei. Im Einspruchsverfahren legte der Kl. eine Bescheinigung der Betriebskrankenkasse der H…. Gesellschaften (BKK) vor, wonach diese die Übernahme der Behandlungskosten abgelehnt hatte. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Aufwendungen für alternative Behandlungsmethoden, wie etwa psychotherapeutische Behandlungen, könnten zwar Krankheitskosten darstellen. Dies gelte aber nur dann, wenn sie nach den Erkenntnissen und der Erfahrungen der Heilkunde zur Heilung oder Linderung einer Krankheit vorgenommen würden. Im Streitfall könne die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme nicht festgestellt werden, weil die Krankenversicherung einen Zuschuss nicht gezahlt habe. Zudem handele es sich bei der psychotherapeutischen Behandlung nicht um eine allgemein anerkannte medizinische Heilmethode. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 03.05.2002 hingewiesen.

Mit der Klage begehrt der Kl. die Berücksichtigung der Behandlungskosten als agB. Vor dem Besuch der Klinik sei er zunächst von dem Neurologen Dr. D… zwei Jahre lang ambulant behandelt worden. Herr Dr. D… habe verschiedene schulmedizinische Anwendungen bzw. Therapien durchgeführt, leider ohne Erfolg; wie sich im nachhinein herausgestellt habe, auch auf Grundlage einer falschen Diagnose. Danach habe der Kl. versucht, eine Therapie bei einem kassenzugelassenen Therapeuten zu bekommen. Dieser habe jedoch Wartezeiten von ca. einem Jahr gehabt. Anfang 2000 sei dann die soziale Phobie voll zum Ausbruch gekommen. Eine regelmäßige Erwerbstätigkeit sei nahezu unmöglich gewesen, da der Kl. nicht mehr habe in die Öffentlichkeit gehen können. Für ihn als Mitarbeiter im Außendienst sei dies ein Desaster gewesen. Glücklicherweise habe er Kontakt zu einem Spezialisten für soziale Phobien, Herrn Dr. E…., bekommen. Herr Dr. E…. habe dann eine soziale Phobie diagnostiziert und den Kontakt zur A-Klinik in X-Stadt hergestellt. Die Behandlung in der Klinik sei erfolgreich verlaufen, sodass der Kläger im Jahre 2001 wieder nahezu voll belastbar gewesen sei.

Der Kl. beantragt, Behandlungskosten in Höhe von 12.179 DM als agB zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die EE vertritt das FA die Auffassung, die Therapie in der A-Klinik sei keine schulmedizinische Behandlung gewesen; die Kosten könnten ohne Vorlage eines amtsärztlichen Attestes nicht als agB berücksichtigt werden.

Mit Einverständnis des Kl. hat das Gericht bei der BKK nach den Gründen für die Ablehnung der Erstattung der Behandlungskosten nachgefragt. Auf die richterliche Verfügung vom 22.11.2004 und das Schreiben der BKK vom 16.12.2004 wird Bezug genommen. Außerdem wird hingewiesen auf die von dem Kl. vorgelegten Bescheinigungen der Ärzte Dr. D… und Dr. E…. (Bl. 4, 5 FG Akte), die Schriften zur Sozialphobie und zur Therapie in der A-Klinik (Hefter FG-Akte) sowie auf das von der A-Klinik übersandte Informationsmaterial (BI.42 FG-Akte).

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Aufwendungen des Kl. für die Behandlung in der A-Klinik sind als agB abzuziehen.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die ESt ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen erwachsen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dabei sind alle Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung typisierend als agB zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf.

Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten hält die Rechtsprechung zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphärefürgeboten (vgl. BFH-Urteil vom 01.02.2001 III R 22/00, BStBI. II 2001, 543 m.w.N.).

Berücksichtigungsfähig sind aber nur solche Kosten, die zum Zwecke der Heilung oder mit dem Ziel aufgewendet wurden, die Krankheit erträglich zu machen. Nicht zu den Krankheitskosten gehören daher vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit allgemein dienen. Diese sind den gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen. Unter den Begriff der als agB abziehbaren Krankheitskosten, deren Zwangsläufigkeit für den Regelfall unterstellt werden kann, fallen deshalb nur die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen, die für die Konsultation von Ärzten und anderer zur Ausübung der Heilkunde zugelassener Personen sowie für die von diesen verordneten therapeutischen Maßnahmen entstehen. Therapeutische Maßnahmen in diesem Sinne sind gezielte, medizinisch indizierte Behandlungen zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit (Urteil des FG Köln vom 16.03.1994 12 K 2566/91, Juris).

Die von dem Kl. aufgewendeten Kosten stellen Krankheitskosten im engeren Sinn, nicht Aufwendungen für vorbeugende Maßnahmen dar. Die von dem Kl. durchgeführte Therapie diente nicht allgemein der Persönlichkeitsbildung sondern der Behandlung einer akuten Erkrankung. Der Kl. litt ausweislich der von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen des Dr. E…. und der A-Klink an einer sozialen Phobie, einer psychischen Erkrankung, die es dem Betroffenen zunehmend erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht, sich in die Öffentlichkeit zu begeben und dort zu handeln. Eine derartige psychische Erkrankung kann, wie inzwischen allgemein bekannt ist, kaum allein mit Medikamenten behandelt werden; zur Behandlung sind psychotherapeutische Maßnahmen, wie z.B. Verhaltenstherapien, wie sie von der A-Klinik durchgeführt werden, mindestens ergänzend geeignet und notwendig. Der Senat hat danach keine Zweifel, dass der Kl. die geltend gemachten Behandlungskosten für die Behandlung einer akuten psychischen Erkrankung aufgewendet hat.

Es wurde bei dem Kl. auch keine sogenannte alternative Behandlung mit wissenschaftlich umstrittenen Methoden durchgeführt, deren Kosten nur dann als agB in Betracht käme, wenn ein entsprechendes amtsärztliches Attest vorläge (vgl. BFH-Urteil vom 30.06.1995 III R 52/93, BStBI. II 1995, 614). Die spezielle Therapie in der A-Klinik ist dem Kl. von seinem behandelnden Arzt Dr. E…. empfohlen worden. Die Klinik stand im Streitjahr unter ärztlicher Leitung des Dr. med. F… Die Behandlung erfolgte durch Psychotherapeuten. Dem Senat ist zudem bekannt, dass sich die A-Klinik in X-Stadt auf die Behandlung sozialer und anderer Phobien spezialisiert hat und wegen ihrer Erfolge auf diesem Gebiet überregional anerkannt ist.

Der Anerkennung der Behandlungskosten als agB steht im Streitfall auch nicht entgegen, dass sich die Krankenkasse des Kl. nicht an den Kosten beteiligt hat. Wie dem Schreiben der BKK vom 16.12.2004 zu entnehmen ist, hat diese die Kostenübernahme nicht abgelehnt, weil sie die Behandlungsmethoden der A -Klinik nicht anerkennt oder weil der Kl. nicht zuvor andere Behandlungsmethoden ausprobiert hätte. Die Kostenübernahme ist allein deswegen abgelehnt worden, weil es sich bei der A-Klinik um eine Privatklinik handelt, die nicht Vertragspartner der BKK ist. Da es sich um Streitfall um Aufwendungen für eine Heilbehandlung handelt, sind diese als agB zu berücksichtigen, ohne dass die Zwangsläufigkeit der im konkreten Fall aufgewendeten Kosten zu prüfen wäre. Es muss grundsätzlich dem Steuerpflichtigen überlassen bleiben, welchem Arzt er sich zur Behandlung seiner Krankheit anvertraut. Die Höhe, der Umfang und die Zweckmäßigkeit einer Krankheitsbehandlung gehört zu den höchstpersönlichen Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 17.07.1991 VI R 77/78, BStBI. II 1981, 711). Außerdem ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass der Kl. bereits jahrelang erfolglos verschiedene andere Behandlungen durchlaufen hatte, so dass es ihm nicht zuzumuten gewesen wäre, ein weiteres Jahr auf einen Behandlungsplatz bei einem kassenzugelassenen Therapeuten zu warten.

Die Einkommensteuer 2000 berechnet sich danach wie folgt:

zu versteuerndes Einkommen bisher …DM agB …DM zumutbare Eigenbelastung 4% von …DM …DM abziehbar – …DM zu versteuern …DM Einkommensteuer It. Urteil 24.782 DM.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 27, 708 ZPO i.V.m. §§ 155, 151 FGO.

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