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Corona-Verordnung – beschränkte Berufsfreiheit für Autohaus mit Werkstatt

Oberverwaltungsgericht Bremen – Az.: 1 B 97/2 – Beschluss vom 09.04.2020

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/3.

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

i.

Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgen die Antragsteller das Ziel, den Vollzug von § 9 Abs. 2 der „Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz vom 03.04.2020 (Brem.GBl. 2020, S. 168; im Folgenden: Corona-Verordnung) jedenfalls ihnen gegenüber einstweilen auszusetzen.

§ 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung lautet:

„(2) Alle weiteren, nicht an anderer Stelle in dieser Verordnung genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels, insbesondere Einkaufszentren (mit Ausnahme der in Absatz 3 genannten Einrichtungen) dürfen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden.“

Absatz 3 hat folgenden Wortlaut:

„(3) Abweichend von Absatz 1 und 2 werden folgende Einrichtungen nicht für den Publikumsverkehr geschlossen:

1. Lebensmittelgeschäfte,

2. Wochenmärkte nach § 67 Gewerbeordnung,

3. Abhol- und Lieferdienste,

4. Getränkemärkte,

5. Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien,

6. Tankstellen, Kioske, Zeitungsverkaufsstellen,

7. Banken und Sparkassen,

8. Poststellen,

9. Reinigungen, Waschsalons,

10. Bau- und Gartenbaumärkte,

11. Tierbedarfshandel,

12. der Großhandel.“

Corona-Verordnung - beschränkte Berufsfreiheit für Autohaus mit Werkstatt
Symbolfoto: Von Fahroni /Shutterstock.com

Die Corona-Verordnung wurde am 03.04.2020 im Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen bekanntgemacht. Gemäß § 21 Abs. 1 der Corona-Verordnung trat sie am Tag nach der Verkündung in Kraft. Gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift tritt sie mit Ablauf des 19.04.2020 außer Kraft. Absatz 3 normiert eine Evaluierungspflicht. Danach wird die Verordnungsgeberin fortlaufend evaluieren, ob die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der mit dieser Verordnung verbundenen Grundrechtsbeschränkungen weiter Bestand haben.

Die Antragstellerin zu 1. betreibt in Bremerhaven ein angemietetes Autohaus mit dem Verkauf von Neufahrzeugen und Ersatzteilen sowie eine Kfz-Werkstatt. Zudem werden Gebrauchtfahrzeuge aller Marken an- und verkauft. Insgesamt beschäftigt sie 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Antragsteller zu 2. und 3. sind nach eigenen Angaben die Gesellschafter und Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1. Die Antragsteller haben mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 07.04.2020, beim Oberverwaltungsgericht eingegangen am selben Tag, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO beantragt.

Zur Begründung ihres Eilantrags tragen sie vor, der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten. Die durch die Corona-Verordnung beschränkte Berufsfreiheit sowie die damit für sie verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen könnten nicht nachträglich wiederhergestellt werden. Effektiver Rechtsschutz sei daher nur im Eilverfahren zu erlangen. Sie bezweifeln sowohl die Existenz einer tragfähigen Rechtsgrundlage für die angegriffenen Regelungen als auch deren hinreichende Bestimmtheit. Die Corona-Verordnung verletze auch Art. 3, 8 und 40 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (LV).

Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten und trägt zur Begründung vor, die angegriffene Verordnung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, stütze sich auf eine hinreichende gesetzliche Ermächtigung und sei im Rahmen des normativ Möglichen hinreichend bestimmt und verhältnismäßig.

II.

Der Eilantrag der Antragsteller zu 2. und 3. ist bereits unzulässig (1.), der Eilantrag der Antragstellerin zu 1. ist zwar zulässig, aber unbegründet (2.).

1. Der Normenkontrolleilantrag der Antragsteller zu 2. und 3. ist bereits unzulässig.

Zwar ist der Antrag statthaft. Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 7 BremAGVwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit einer landesrechtlichen Verordnung oder einer anderen im Range unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, und damit auch über die von den Antragstellern in der Hauptsache angegriffenen Vorschriften des § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung.

Auch haben die Antragsteller einen fristgerechten Normenkontrollantrag innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegen § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung gestellt (1 D 96/20), über den noch nicht entschieden wurde.

Die Antragsteller zu 2. und 3. sind jedoch nicht antragsbefugt. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffenen Bestimmungen der Verordnung in einem subjektiven Recht verletzt wird (BVerwG, Urt. v. 30.04.2004 – 4 CN 1.03, juris Rn. 9 m.w.N.). Entsprechende Tatsachen sind hier nicht vorgetragen. Die Antragsteller zu 2. und 3. betreiben bereits nach ihrem eigenen Vortrag keine Verkaufsstelle des Einzelhandels i.S.d. § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung. Die Schließung von Verkaufsstellen des Einzelhandels kann sie somit nicht in ihren (Grund-)Rechten verletzen. Soweit sie geltend machen, sie seien die beiden Gesellschafter und Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1. und würden ihre Existenzgrundlage und ihr bisher eingebrachtes Kapital verlieren sowie persönlich für ca. 400.000 Euro haften, wenn die Antragstellerin zu 1. in Insolvenz gehe, vermag dies daran nichts zu ändern. Das Vermögen als solches – und dazu zählen auch Gesellschaftsanteile – unterfällt im Übrigen auch nicht dem Schutzbereich des Art. 14 GG.

Anderes gilt für die Antragstellerin zu 1. Sie betreibt ein Autohaus. Das Autohaus unterfällt hinsichtlich des Verkaufs von Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen der Regelung in § 9 Abs. 2 Corona-Verordnung und darf daher insoweit derzeit nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden. Die Tätigkeiten der Antragstellerin zu 1. in ihren Geschäftsräumen, die den Verkauf von Fahrzeugen betreffen, sind als Einzelhandel zu werten und nicht etwa als Dienstleistungen i.S.d. § 12 der Corona-Verordnung. Einzelhändler ist, wer überwiegend Endverbraucher mit Waren beliefert, wenn nicht ausnahmsweise eine Dienstleistung im Vordergrund steht, wie etwa bei der Zubereitung von Speisen. Der Begriff des Einzelhandels wird üblicherweise funktional verstanden. In diesem Sinne ist der Verkauf von Kraftfahrzeugen Einzelhandel, trotz des regelmäßig nur schmalen Warensortiments. Zwar mag gerade im Autoverkauf der Service und auch der Bereich der Finanzierung eine wesentliche Rolle spielen. Kern der Tätigkeit, der alle anderen Tätigkeiten dienen, ist indes der Verkauf von Fahrzeugen und damit die Tätigkeit als (Einzel-)Händler (dazu bereits ausführlich: VG Bremen, Beschl. v. 30.03.2020 – 5 V 565/29, zur Veröffentlichung bei juris vorgesehen). Für die Antragstellerin zu 1. liegt somit also eine Antragsbefugnis vor, ebenso besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

2. Der Eilantrag der Antragstellerin zu 1. hat aber in der Sache keinen Erfolg. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Der Erlass der von der Antragstellerin zu 1. beantragten einstweiligen Anordnung ist bei summarischer Prüfung jedoch nicht gemäß § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwendung ihr drohender schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten.

a) Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 VR 5.14, juris Rn. 12). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, so dass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte (vgl. BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632, juris Rn. 31).

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 VR 5.14, juris Rn. 12).

b) Nach diesen Maßstäben kommt eine vorläufige Außervollzugssetzung des mit dem Normenkontrollantrag der Antragstellerin zu 1. angegriffenen § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung nicht in Betracht. Bei summarische Prüfung bestehen gegen den mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die angegriffene Norm eine erhebliche Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit begründet, die teilweise massive Einkommenseinbußen mit sich bringt. Dieser Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist aber – soweit im Eilverfahren feststellbar – von einer hinreichend bestimmten, ihrerseits verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage getragen und zur Erreichung eines legitimen Ziels – unmittelbar der befristeten Verhinderung weiterer Infektionsfälle, mittelbar der Gewährleistung einer möglichst umfassenden medizinischen Versorgung von Personen, die an COVID-19 erkrankt sind – geeignet und erforderlich. Auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot ist jedenfalls derzeit nicht festzustellen.

aa) Die in der Hauptsache angegriffene Verordnung findet in § 32 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG (zuletzt geändert durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27.03.2020 [BGBl. 2020 I S. 587 ff.]) ist jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu beanstanden.

Durch § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach Satz 2 der Vorschrift können sie die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG lautet folgendermaßen:

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„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.“

Ein Verstoß der Verordnungsermächtigung nach § 32 Sätze 1, 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG n.F. gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, ist nicht erkennbar. Im Einzelnen:

(1) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. dazu nur BVerfG, Beschl. v. 21.09.2016 – 2 VL 1/15, juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (st. Rspr; vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.09.2016 – 2 VL 1/15, juris Rn. 55).

Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung.

Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.09.2016 – 2 vL 1/15, juris Rn. 57; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632, juris Rn. 43 f.)

(2) Nach diesen Maßstäben ist ein Verstoß von § 32 Sätze 1, 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht festzustellen.

Zwar ist die Befugnisnorm des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 IfSG (u.a.) Bezug nimmt, zumindest in ihrem ersten Halbsatz als offene Generalklausel ausgestaltet, weil sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen könne, nicht im Vorfeld bestimmen lässt (BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 – 3 C 16.11, juris Rn. 24). Das behördliche Ermessen wird dann dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 – 3 C 16.11, juris Rn. 24 m.w.N.).

Außerdem hat der parlamentarische Gesetzgeber mit der Neufassung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum 28. März 2020 durch Einfügung des zweiten Halbsatzes „sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“ die Ermächtigungsgrenzen insoweit hinreichend bestimmt gefasst, dass sogar allgemeine Ausgangs- und Betretungsverbote – die in besonders erheblichem Maß in die Grundrechte der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 8 GG und Art. 11 Abs. 1 GG eingreifen – von der Befugnis umfasst sein können (BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632, juris Rn. 46).

Inhalt, Zweck und Ausmaß der vom Gesetzgeber erteilten Verordnungsermächtigung sind daher als hinreichend bestimmt anzusehen.

(3) Auch für einen Verstoß des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen den Parlamentsvorbehalt („Wesentlichkeitstheorie“) bestehen hier keine Anhaltspunkte.

Aus dem Wortlaut von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ergibt sich nach der erfolgten Gesetzesänderung zum 28.03.2020 nunmehr ausdrücklich, dass sogar allgemeine Ausgangs- und Betretungsverbote auf Grundlage der Vorschrift erlassen werden können. Damit ist klargestellt, dass die Vorschrift auch als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen dient, die in besonders erheblichem Maß in Grundrechte eingreifen. Einer weitergehenden Konkretisierung der Ermächtigungsgrundlage bedarf es – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht. Die Regelungsmaterie „Gefahrenabwehr“, zu der auch das Infektionsschutzgesetz gehört, erfordert einen weiten Gestaltungsspielraum der Verwaltung und eine flexible Handhabung des ordnungsbehördlichen Instrumentariums. Gerade das Recht der Gefahrenabwehr bedarf daher sprachlich offen gefasster Ermächtigungen, deren Beschränkungen insbesondere aus den von Rechtsprechung und Schrifttum konkretisierten Leitlinien des Opportunitäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips resultieren. Liegen – wie vorliegend – neue, in ihrer Entwicklung nur mit erheblichen Unsicherheiten prognostizierbare Bedrohungslagen vor, ist daher jedenfalls für eine Übergangszeit der Rückgriff auf die Generalklausel selbst dann hinzunehmen, wenn es zu wesentlichen Grundrechtseingriffen kommt (vgl. bereits VG Bremen, Beschl. v. 26.03.2020 – 5 V 553/20, juris Rn. 31 f. m.w.N.).

Ebenfalls liegt ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vor, weil der Gesetzgeber mit der Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG angelegten Ausgestaltungs- und Regelungsauftrag nachkommt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611, juris Rn.18 m.w.N.).

bb) Die Corona-Verordnung ist formell rechtmäßig. Sie ist von der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz erlassen worden. Auf diese hat der Senat (Landesregierung) die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach § 32 Satz 1 IfSG gemäß § 6 Satz 1 der Bremischen Verordnung über die zuständigen Behörden nach dem Infektionsschutzgesetz i.V.m. § 32 Satz 2 IfSG wirksam übertragen. Die Corona-Verordnung ist am 03.04.2020 gemäß § 1 Abs. 2 BremVerkündungsG ordnungsgemäß im Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen bekanntgemacht worden.

cc) Auch in materieller Hinsicht bestehen gegen die hier angegriffene Vorschrift des § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung keine Bedenken. Soweit die Antragstellerin zu 1. § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung mit der Begründung angreift, die Vorschrift verstoße gegen Art. 40 LV, sei im Übrigen nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt und verletze zudem das Gebot der Verhältnismäßigkeit, greift diese Argumentation jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht durch.

Durch § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung hat der Verordnungsgeber bestimmt, dass Verkaufsstellen des Einzelhandels mit Ausnahme der in Absatz 3 genannten Einrichtungen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden dürfen.

(1) § 9 Abs. 2 der Corona-Verordnung verstößt nicht gegen Art. 40 LV. Gemäß Art. 40 LV sind selbständige Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft, Industrie, Handwerk, Handel und Schifffahrt durch Gesetzgebung und Verwaltung zu schützen und zu fördern. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte zeigen, dass die Norm kein subjektives Recht gewährt, schon gar kein Grundrecht. Sie ist also keine Anspruchsgrundlage für eine staatliche Förderung (vgl. Külpmann, in: Fischer-Lescano u.a., Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Art. 40 Rn. 5). Die Vorschrift bindet objektiv-rechtlich Gesetzgebung und Verwaltung, formuliert aber keine konkreten Anforderungen. Gesetzgebung und Verwaltung können daher Regelungen in Abwägung mit anderen, gegenläufigen (Grund-)Rechten treffen.

(2) Die Regelung in § 9 Abs. 2 Corona-Verordnung dürfte im Ergebnis von der Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt sein.

Die Auslegung von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ergibt bereits ihrem Wortsinn nach, dass Geschäftsschließungen als eine Schutzmaßnahme angeordnet werden können. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 – 3 C 16.11, juris Rn. 24; BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611, juris Rn.11).

Dieses Ergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien gestützt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611, juris Rn.12 f.). Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung an die Vorgängerregelungen des § 28 IfSG und damit auch an die Regelung des § 34 BSeuchG anknüpfen (BT-Drucksache 19/18111 S. 25). Im Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. 8/2468, S. 27) heißt es zu der Regelung des § 34 BSeuchG:

„Vielmehr enthält der neue Absatz 1 Satz 1 als wichtigste Änderung ähnlich wie § 10 Absatz 1 für die Verhütung eine allgemeine Ermächtigung, die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Grundsätze der Notwendigkeit, des geringstmöglichen Eingriffs und der Verhältnismäßigkeit des Mittels schränken das Ermessen der zuständigen Behörde in dem gebotenen Maße ein. Die den Behörden bisher zur Verfügung stehenden abschließend aufgezählten Schutzmaßnahmen einschließlich der im bisherigen § 43 vorgesehenen „Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit“ erscheinen für eine sinnvolle und wirksame Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu eng. So war z. B. im Gesetz bisher nicht vorgesehen, dass einem Kranken, Krankheitsverdächtigen usw. neben den ihm obliegenden Handlungs- und Duldungspflichten, wenn er unter Beobachtung gestellt war (§ 36 Abs. 2), auch sonstige Verhaltungsmaßregeln auferlegt werden konnten, etwa das Gebot der persönlichen Desinfektion (Händedesinfektion), das nicht von § 39 bisheriger Fassung erfasst wird oder das Verbot, bestimmte Örtlichkeiten (z. B. eine Gaststätte, Lebensmittelgeschäfte) aufzusuchen, um nicht zu dem harten Mittel der räumlichen Absonderung nach § 37 greifen zu müssen. Die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, lässt sich von vorneherein nicht übersehen. Man muss eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein. Die Maßnahmen können vor allem nicht nur gegen die in Satz 1 (neu) Genannten, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige usw. in Betracht kommen, sondern auch gegenüber „Nichtstörern“. So etwa das Verbot an jemanden, der (noch) nicht ansteckungsverdächtig ist, einen Kranken aufzusuchen. Die bisher in § 43 aufgezählten Schutzmaßnahmen gegenüber der Allgemeinheit können künftig auf Grund der generellen Regelung des Absatzes 1 Satz 1 angeordnet werden. In Absatz 1 Satz 2 werden sie trotzdem beispielhaft ausdrücklich genannt, weil die genannten Maßnahmen einerseits besonders bedeutsam sind und es andererseits durch ihre Nennung ermöglicht wird, dass die in § 65 enthaltene Strafandrohung aufrechterhalten werden kann. Um durch die Neufassung des Absatzes 1 Satz 1 etwa auftretende Zweifel auszuräumen, ob auf Grund dieser allgemeinen Ermächtigung, anders als nach der derzeitigen Rechtslage, eine Heilbehandlung (Zwangsbehandlung) angeordnet werden kann, soll in dem neuen Absatz 1 Satz 3 ausdrücklich eine Klarstellung getroffen werden. Die bisherigen Erfahrungen beim Vollzug des BSeuchG lassen einen so weitgehenden Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit des Betroffenen nicht gerechtfertigt erscheinen. Damit wird gleichzeitig betont, dass auch der Begriff der Absonderung im Sinne des § 37 eine Heilbehandlung nicht miterfasst.“

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 1. regelt § 31 IfSG auch nicht abschließend die zulässigen Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit durch das IfSG. § 31 IfSG schafft für eine regelmäßig erforderliche Maßnahme, nämlich Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten zu untersagen, eine gesetzliche Grundlage. Das bedeutet aber nicht, dass für neue, nicht regelmäßige Gefahrensituationen auch andere Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit zulässig sein können.

(3) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG – d.h. die Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern – ist derzeit im ganzen Bundesgebiet und damit auch in der Freien Hansestadt Bremen nach der Einschätzung des vom Gesetzgeber durch § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu vorrangig berufenen Robert-Koch-Instituts vom 26.03.2020 (vgl. https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html) erfüllt.

Damit sind die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Die Befugnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG n.F. steht damit sowohl inhaltlich („soweit“) als auch zeitlich („solange“) unter einem strengen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt, an den der Verordnungsgeber gebunden ist.

(4) Die in § 9 Abs. 2 Corona-Verordnung geregelte weitgehende Schließung der Ladengeschäfte des Einzelhandels wird den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht.

Nach den Feststellungen des Robert-Koch-Instituts vom 26.03.2020 (https://www.rki.de /De/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html), das nachdrücklich eine Reduzierung von sozialen Kontakten mit dem Ziel der Vermeidung von Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich sowie eine Reduzierung der Reisetätigkeit empfiehlt, ist die weitgehende Schließung der Einzelhandelsgeschäfte geeignet, das Ziel des Verordnungsgebers, die Weiterverbreitung der übertragbaren Krankheit Covid-19 zu verhindern, zu erreichen. Das Verbot der Ladenöffnung dient dazu, eine Interaktion von Kunden und Personal zu verhindern und die Menschen – insbesondere im städtischen Bereich, wo ansonsten eine starke Frequentierung des öffentlichen Raums auftritt – dazu zu bewegen, vermehrt zu Hause zu bleiben und nur notwendige Besorgungen zur Befriedigung des täglichen Bedarfs zu tätigen.

Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der angegriffenen Regelung kann der Senat zumindest im Rahmen des Eilverfahrens nicht feststellen, dass andere zur Erreichung des Ziels der Verhinderung weiterer Infektionen mit COVID-19 möglicherweise ebenfalls geeignete Regelungsmodelle in ihrer Wirkung dem von der Antragsgegnerin gewählten Regelungsmodell der weitgehenden Schließung von Ladengeschäften des Einzelhandels gleichkommen und daher als milderes Mittel vorzuziehen wären. In einer durch zahlreiche Unsicherheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägten epidemischen Lage wie der vorliegenden, ist dem Verordnungsgeber zumindest noch im gegenwärtigen Zeitpunkt der Entwicklung eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit und solange sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 03.04.2020 – 11 S 14/20, juris Rn. 11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.03.2020 – 11 S 12/20, juris Rn. 10 unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 22.02.2012 – 3 C 16.11, juris Rn. 24; BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632, juris Rn. 60). Eine solche Feststellung ist hier (derzeit) nicht möglich. Insbesondere stellt die von der Antragstellerin zu 1. vorgeschlagene Öffnung unter Schutzmaßnahmen kein milderes und ebenso geeignetes Mittel dar. Zwar könnte hierdurch wohl sowohl eine unkontrollierte Interaktion unter Kunden verhindert als auch der empfohlene Mindestabstand zwischen Verkäufer und Kunden eingehalten und damit die Ansteckungsgefahr innerhalb des Ladengeschäfts minimiert werden. Zum einen ist die Einhaltung derartiger Auflagen, wie die Antragstellerin zu 1. sie vorschlägt und wie sie auch notwendig wären (Anbringung eines Hinweisschildes, Abschließen der Türe, nur wenige Kunden im Laden und Einhaltung des Mindestabstands) in einem von der Polizei durchzuführenden, flächendeckenden Massenvollzug, wie er in der gegenwärtigen Situation zu erfolgen hat, kaum überprüfbar. Denn stößt schon die Überwachung des Vollzugs der landesweiten Betriebsuntersagungen an Kapazitätsgrenzen des Staates, so wäre eine auch nur annähernd effektive Überwachung der Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen in den einzelnen Betrieben vollends illusorisch. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass unter Gleichheitsgesichtspunkten Inhaber verschiedener Ladengeschäften – nicht nur von Autohäusern – derartige Ausnahmen, wie die Antragstellerin zu 1. sie vorschlägt, fordern könnten. Dann aber würde das mit der behördlichen Maßnahme verfolgte Ziel, soziale Kontakte unter der Bevölkerung zu verringern, nicht mehr in gleicher Weise erreicht. Denn wie bereits ausgeführt, ist mit dem Verbot der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels auch das Ziel verbunden, die Bevölkerung dazu zu bewegen, mehr zu Hause zu bleiben und nur notwendige Besorgungen zu erledigen. Würde die Zahl der Kunden in Ladengeschäften massiv beschränkt, wäre überdies zu erwarten, dass sich vor den betreffenden Geschäften Schlangen bilden, was zu einer gegenwärtig unerwünschten größeren Ansammlung von Menschen führt, die den empfohlenen Mindestabstand von sich aus nicht immer einhalten. Wenngleich letzteres im Fall des Ladengeschäfts der Antragstellerin zu 1. wegen der generell relativ niedrigen Zahl an Kunden wohl nicht zu erwarten wäre, muss die Antragstellerin als Einzelne die vorübergehende Beschränkung ihrer Berufsausübung im Interesse eines allgemeinen, gleichmäßigen und effektiven Vollzugs der getroffenen Regelung hinnehmen, weil diese nur dann ihre volle Wirksamkeit entfalten kann (vgl. VG München, Beschl. v. 20.03.2020 – M 26 S 20.1222, juris Rn. 22).

Die getroffene Regelung erscheint schließlich zumindest derzeit auch als noch angemessen. Zwar müssen die von der Regelung Betroffenen – so auch die Antragstellerin zu 1. – einen empfindlichen Eingriff in ihre Berufsausübung und massive Einkommenseinbußen hinnehmen. Auf der anderen Seite rechtfertigt der Gesundheitsschutz, insbesondere die Verlangsamung der Ausbreitung der hoch infektiösen Viruserkrankung zwecks Gewährleistung ausreichender Kapazitäten des Gesundheitssystems zur Behandlung der schwer Erkrankten, in der gegenwärtigen ernsten Situation auch einschneidende Maßnahmen. Die Verbreitung des Coronavirus ist ohne drastische staatliche Maßnahmen nicht aufzuhalten und führt in diesem Fall möglicherweise binnen weniger Monate zum Kollaps des staatlichen Gesundheitssystems, wie es beispielsweise in anderen europäischen Staaten sowie teilweise in den USA und auch in anderen Ländern bereits der Fall zu sein scheint. Bei der streitgegenständlichen Ladenschließung handelt es sich demgegenüber um eine auf einen überschaubaren Zeitraum befristete Regelung. Besondere Härten, insbesondere Existenzgefährdungen, können insbesondere durch die im Rahmen der unterschiedlichen auch bereits bereitgestellten staatlichen Soforthilfen abgefedert werden (vgl. auch: VG München, Beschl. v. 20.03.2020 – M 26 S 20.1222, juris Rn. 23). Nach alldem überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung gegenüber den privaten, vorwiegend wirtschaftlichen Interessen der Betroffenen einschließlich der Antragstellerin zu 1.

Für die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Regelung in zeitlicher Hinsicht spricht, dass der Verordnungsgeber den Geltungszeitraum der Verordnung bis zum Ablauf des 19.04.2020 von vornherein vergleichsweise kurz befristet hat. Zudem hat er in § 21 Abs. 3 Corona-Verordnung eine fortlaufende Evaluierungspflicht normiert. Der Verordnungsgeber hat für die Dauer der Gültigkeit der angegriffenen Verordnung ständig zu überwachen, ob die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der mit dieser Verordnung verbundenen Grundrechtsbeschränkungen weiter Bestand haben.

3. Selbst wenn der Senat von offenen Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags auszugehen hätte, käme eine Folgenabwägung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Eilantrag abzulehnen ist. Durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Bestimmung kommt es zwar zu Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit, auch hinsichtlich der Antragstellerin zu 1. würde der Vollzug der Verordnung jedoch ausgesetzt, wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit (deutlich) vermehrten Infektionsfällen zu rechnen, die nach der derzeitigen Risikobewertung des nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu berufenen Robert-Koch-Instituts vom 26.03.2020 (vgl. https://www.rki.de/De/Content/InfAZ/NZNeuartiges_ Coronavirus/Risikobewertung.html) zwingend – so weit wie möglich – zu verhindern sind, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern und damit Zeit für die Schaffung von bislang nicht ausreichend vorhandenen Behandlungskapazitäten sowie für die Durchführung und Entwicklung von Schutzmaßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten zu gewinnen.

Bei einer Abwägung zeitlich befristeter (und vom Verordnungsgeber fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit zu evaluierender) Eingriffe in die Berufsfreiheit der Normadressaten mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (vgl. entsprechend auch: BVerfG, Beschl. v. 07.04.2020 – 1 BvR 755/20, veröffentlicht auf der Homepage des BVerfG). Die Einhaltung dieser Verpflichtung ist im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens zu berücksichtigen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von den Antragstellern teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 19.04.2020 außer Kraft tritt (§ 21 Abs. 2 Corona-Verordnung), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Streitwerts für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

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