VG Greifswald – Az.: 4 B 339/20 HGW – Beschluss vom 08.04.2020
Gesundheit, Hygiene, Lebens- und Arzneimittel (ohne Krankenhausrecht)
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner..
2. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäße Antrag der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen zu gestatten, beliebig zu ihrem Grundstück in …….., Bungalow-Interessengemeinschaft „…., Bungalows .. und …, zu reisen und sich dort – auch dauernd – aufzuhalten, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist unzulässig. Er richtet sich gegen den falschen Antragsgegner.
Für die gerichtliche Prüfung der Zulässigkeit wie auch der Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzantrag der Antragsteller nach § 123 Abs. 1 VwGO ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
Danach ist der Antragsgegner nicht die für die begehrte Entscheidung zuständige Behörde. Die Antragsteller können insofern nicht vom Antragsgegner verlangen, dass dieser ihnen die Einreise nach Mecklenburg-Vorpommern und den Aufenthalt auf ihrem Grundstück in ……… gestattet oder ihren Aufenthalt duldet.
Zwar ist der Antragsgegner gemäß § 2 Abs. 2 Ziffer 8b) des Gesetzes zur Ausführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSAG M-V) zuständige Behörde für die Durchführung von aufgrund des Infektionsschutzgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, doch obliegt ihm nicht der Vollzug von Maßnahmen bei Verstößen gegen das Reiseverbot gemäß § 4 Verordnung der Landesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Mecklenburg-Vorpommern (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung – SARS-CoV-2-BekämpfV) vom 03.04.2020 (GVOBl 2020, S. 130). Dies obliegt vielmehr den örtlichen Ordnungsbehörden bzw. bei unaufschiebbaren Maßnahmen der Vollzugspolizei, vgl. nunmehr ausdrücklich § 6a SARS-CoV-2-BekämpfV.
Die SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung enthält keine Regelung dahingehend, ob von den in ihr getroffenen Regelungen Ausnahmen erlaubt werden können und von welcher Behörde/ öffentlichen Stelle eine solche gegebenenfalls erteilt werden könnte. Das Gericht lässt daher ausdrücklich offen, ob gemäß dem Grundsatz der Einheit der Verwaltung von derjenigen Behörde eine Ausnahmegenehmigung erteilt oder eine verbindliche Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses verlangt werden könnte, die auch für den Vollzug der maßgeblichen Norm zuständig ist, was vorliegend gegebenenfalls der örtlich zuständige Amtsvorsteher wäre, oder ob eine solche nur durch die Landesregierung selbst, möglicherweise handelnd durch den Innenminister, erfolgen könnte.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen würde sich an der Unzulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzantrages wegen einer Unzuständigkeit des Antragsgegners auch dann nichts ändern, wenn man den Antrag dahingehend verstehen wollte, dass inhaltlich nicht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung begehrt wird, sondern dass im Rahmen eines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt wird, gerichtlich festzustellen, dass die SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung einem Aufenthalt der Antragsteller auf ihrem Grundstück in …….. nicht entgegensteht.
Aber auch wenn man den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als zulässig ansehen wollte, hätte er im Übrigen in der Sache keinen Erfolg. Dies ergibt sich aus den folgenden Gründen:
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. An die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit sind erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt. Zielt der Antrag – wie auch hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, kann ihm nur dann stattgegeben werden, wenn dem Antragsteller ohne sofortige Befriedigung des Anspruchs schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Zur Überzeugung der Kammer ist bereits ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich, weil bei der gebotenen summarischen Prüfung das in § 4 SARS-CoV-2-BekämpfV geregelte Einreise- und Aufenthaltsverbot der Einreise und dem Aufenthalt der Antragsteller, die ihren ersten Wohnsitz nicht in Mecklenburg-Vorpommern haben, mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit entgegensteht.
Die vorstehend genannte Verordnung der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, die ihre Rechtsgrundlage in § 28 in Verbindung mit § 32 IfSG in ihrer vom 01.03.2020 geltenden Fassung findet, hat in ihrer ab dem 23.03.2020 bis einschließlich 02.04.2020 – dem Tag der Antragstellung – geltenden Fassung nach § 4 Abs. 1 bestimmt, dass touristische Reisen aus privatem Anlass in das Gebiet des Landes Mecklenburg-Vorpommern untersagt sind. Dies hat insbesondere für Reisen gegolten, die zu Freizeit- und Urlaubszwecken und zu Fortbildungszwecken unternommen werden. Nach Abs. 2 sind Reisen zur Entgegennahme von vermeidbaren oder aufschiebbaren Maßnahmen der medizinischen Versorgung oder Rehabilitation untersagt gewesen. Ausnahmen von Abs. 1 sind für Anlässe in Betracht gekommen, bei denen die Anwesenheit der reisenden Personen zwingend erforderlich ist (z.B. Beisetzungen). Absatz 5 des § 4 hat bestimmt, dass von den Regelungen des Abs. 1 Personen nicht erfasst sind, deren erster Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern liegt, weiter Personen, deren zweiter Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern liegt und dessen Nutzung für die Ausübung einer erwerbsmäßigen bzw. selbstständigen Tätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern zwingend erforderlich ist sowie Personen die ihrer erwerbsmäßigen bzw. selbstständigen Tätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern nachgehen.
Formelle Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Rechtsverordnung bestehen bei summarischer Prüfung nicht. Sie zitiert in gebotener Weise die gesetzliche Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 IfSG, aufgrund deren sie erlassen worden ist. Ein Zitiergebot hinsichtlich der durch die Rechtsverordnung eingeschränkten Grundrechte besteht nicht, weil diesem Zitiergebot bereits in der gesetzlichen Regelung des § 32 Satz 3 IfSG Rechnung getragen ist. Der Wirksamkeit der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung steht nach Auffassung der Kammer auch nicht entgegen, dass die Landesregierung durch die „Landesverordnung zur Anpassung von Rechtsverordnungen an das Infektionsschutzgesetz und zur Übertragung von Ermächtigungen (Infektionsschutzanpassungsverordnung –IfSAnpLVO M-V) vom 12. Juni 2001 in Artikel 6 Abs. 1 die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen – unter anderem – nach § 32 des Infektionsschutzgesetzes auf das Sozialministerium übertragen hatte. Der Erlass der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung als Landesverordnung stellt vielmehr nach Auffassung der Kammer eine – konkludente – Aufhebung der Übertragung der Ermächtigung dar mit der Folge, dass die Landesregierung auch für alle Änderungen der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung zuständig ist.
Aufgrund der in den Ausnahmetatbeständen des § 4 Abs. 4 und 5 SARS-CoV-2-BekämpfV geregelten Fallkonstellationen, die sich insbesondere auch auf eine gewerbliche Tätigkeit beziehen, geht die Kammer davon aus, dass der Begriff „touristische Reisen aus privatem Anlass“ im Sinne von § 4 Abs. 1 bereits in dieser Fassung der Verordnung sehr weit gefasst gewesen ist. Unter den Begriff der „touristischen Reisen“ sollten erkennbar nicht nur solche Reisen gemeint sein, die in der Erholung oder Freizeitgestaltung liegen. Wie sich aus dem Abs. 4 des § 4 ergibt, sind alle Reisen und der Aufenthalt im Land Mecklenburg-Vorpommern untersagt gewesen, die nicht zwingend erforderlich sind. Im Zusammenspiel mit der Regelung in § 4 Abs. 5 ist der Aufenthalt im Land Mecklenburg-Vorpommern damit nur solchen Personen gestattet gewesen, deren erster Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern liegt oder solchen Personen, die im Land Mecklenburg-Vorpommern ihrer erwerbsmäßigen bzw. selbstständigen Tätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern nachgehen, womit solche Personen gemeint sind, die im Land Mecklenburg-Vorpommern ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen und, 2. Teilstrich, solche Personen, die einen zweiten Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern haben und dessen Nutzung für die Ausübung einer erwerbsmäßigen bzw. selbstständigen Tätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern zwingend erforderlich ist.
Diese Rechtslage hat sich durch das Inkrafttreten der SARS-CoV-2-Bekämpfungs-verordnung in der Fassung vom 03.04.2020 nicht zugunsten der Antragsteller geändert. Denn nunmehr ist klargestellt, dass alle Reisen in das Gebiet des Landes Mecklenburg-Vorpommern untersagt sind, soweit die Personen nicht einen ersten Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern haben oder in Mecklenburg-Vorpommern eine Schule bzw. Universität besuchen (Abs. 2), die Einreise für die Ausübung beruflicher Tätigkeiten zwingend erforderlich ist (Abs. 3), die Einreise zu Anlässen erfolgen soll, bei denen die Anwesenheit der reisenden Personen zwingend erforderlich ist (Abs. 4) oder die Einreise zu privaten Besuchen bei Familienangehörigen der Kernfamilie erfolgen soll, die ihren ersten Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern haben. Keiner der in § 4 Abs. 2 bis 4 SARS-CoV-2-BekämpfV geregelten Ausnahmefälle trifft auf die Antragsteller zu.
Die Reiseverbote gemäß § 4 SARS-CoV-2-BekämpfV beruhen zur Überzeugung der Kammer auch auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Nach der derzeitigen Einschätzung der Kammer sind die in der Verordnung der Landesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS CoV-2 angeordneten Maßnahmen von den Ermächtigungen in §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG gedeckt. Gemäß § 32 IfSG sind die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen die für Maßnahmen nach den § § 28-31 IfSG maßgebend sind, durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Vorliegend sind die Voraussetzungen gegeben, die auch für Maßnahmen nach § 28 IfSG maßgebend sind. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen insbesondere für den Fall, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
Bei der sich gegenwärtig weltweit verbreitenden Erkrankung COVID-19, die durch den Coronavirus (SARS-CoV-2) verursacht wird, handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 IfSG. Dabei kann im Hinblick auf die exponentielle Steigerung der Infektionszahlen sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in anderen Staaten bislang lediglich festgestellt werden, dass diese Krankheit augenscheinlich sehr leicht übertragbar ist, ohne dass die Übertragungswege im einzelnen geklärt sind. Gesichert erscheinen dabei lediglich Übertragungsmöglichkeiten im Wege der Tröpfcheninfektion bzw. der Schmierinfektion oder eine Ansteckung über die Bindehaut der Augen (vgl. RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief, Stand: 23. März 2020, www.bit.ly/2UGSnkB) (vgl. insofern VG Oldenburg, Beschluss vom 31.03.2020, 7 B 709/20, zit. n. Juris). Andere mögliche Übertragungswege, wie zum Beispiel das Verbreiten der Viren durch Ausatmen von Atemluft gemeinsam mit im Rachenraum befindlichen Viren, werden derzeit noch wissenschaftlich diskutiert, ohne dass abschließende Ergebnisse vorliegen, die eine umfängliche Erklärung für die schnelle Verbreitung des Erregers abgeben könnten.
Aus den von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, der Bundesregierung und dem Robert-Koch-Institut in den Medien tagesaktuell veröffentlichten Fallzahlen hinsichtlich der an dem Coronavirus erkrankten Personen ergibt sich, dass es inzwischen auch im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, gerade auch im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, eine Vielzahl von Personen gibt, die mit dem Virus infiziert sind. Eine weitere Ausbreitung des Virus wird erwartet. In dieser Situation lassen die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes die durch die Landesregierung angeordneten Maßnahmen, die das öffentliche und das private Leben wie auch die Berufsausübungsfreiheit im Land Mecklenburg-Vorpommern beschränken bzw. sogar verbieten, zu.
Die angeordneten Maßnahmen der Landesregierung dienen einer effektiven Gefahrenabwehr und der Vermeidung einer weiteren schnellen Ausbreitung des Coronavirus.
Von der Krankheit COVID-19 geht (vgl. VG Oldenburg, aaO.) sowohl hinsichtlich des Ansteckungsrisikos als auch mit Blick auf die schwerwiegenden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit eine besondere Gefährdung der Bevölkerung aus. In Anbetracht der rasanten weltweiten Ausbreitung von COVID-19 wurde die Krankheit von der Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 als Pandemie eingestuft (Rede des Generaldirektors der WHO v. 11. März 2020, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2UlWpzX). Eine Ansteckung mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) geht dabei – gerade in bestimmten Bevölkerungsteilen – mit ernsthaften Gefahren für Leben und Gesundheit einher. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt hierzu in seiner Risikobewertung aus (RKI, Risikobewertung zu COVID-19, letzter Zugriff: 27. März 2020, www.bit.ly/2QKNOVg):
„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.
Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt. Diese Gefährdung variiert aber von Region zu Region. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu.“
Eine auf Grundlage der §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ergangene Schutzmaßnahme muss sich dabei nicht zwingend gegen den in der Norm genannten Personenkreis (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider) richten, sondern kann auch – soweit erforderlich – gegenüber anderen Personen angeordnet werden (VG Oldenburg, aaO., VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 7 m.w.N.).
Die Kammer hält es demnach für rechtlich naheliegend, auf die Vorschrift der §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch die massiven Einschränkungen der (Ein-)Reisefreiheit und des Aufenthalts in Mecklenburg-Vorpommern, für Personen, die keinen ersten Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern haben, wie sie die SARS-CoV-2-BekämpfV vorsieht, zu stützen, um sich auf diesem Wege um eine ausreichende medizinische (Intensiv-)Versorgung der in dem betroffenen Gebiet lebenden Bevölkerung zu bemühen und dadurch den derzeit noch kaum absehbaren Folgen der aktuell erfolgenden pandemischen Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu begegnen (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 8, VG Oldenburg, aaO). Diese Auslegung von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG entspricht der Systematik und dem Charakter der Norm als Generalklausel.
Die in § 4 SARS-CoV-2-BekämpfV getroffenen Regelungen verstoßen auch nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Für die Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der angeordneten Maßnahmen dürfte dem Verordnungsgeber bei der in weiten Teilen hinsichtlich des Infektionsrisikos noch unklaren Gefahrenlage grundsätzlich ein weiter Einschätzungsspielraum zuzubilligen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 –, BVerwGE 142, 205-219, Rn. 24 zu behördlichen Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG, m.w.N.). Für dessen Überschreitung ist hier nichts ersichtlich. Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 ist von der WHO als Pandemie eingestuft worden. Die Erfahrungen in anderen Staaten zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der persönlichen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann. Dass die hier in Rede stehenden Maßnahmen zur Erreichung des Ziels ungeeignet seien, kann nicht unterstellt werden. Dies zeigen etwa die Verlaufskurven des Ausbreitungsgeschehens in der Volksrepublik China sowie in Südkorea.
Die in der Verordnung der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern enthaltenen Anordnungen dienen zuvörderst der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit der dort lebenden, d.h. mit Erstwohnsitz ansässigen Bevölkerung. Aufgrund der derzeit ungebremsten Ausbreitung der Krankheit COVID-19 durch pandemische Ausbreitung des Infektionsvirus besteht die realistische Befürchtung, dass die medizinische Versorgung an Kapazitätsgrenzen stößt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Gewährleistung der krankenhausärztlichen (Intensiv-)Versorgung, die bei schweren Krankheitsverläufen dringend erforderlich ist.
Das Robert Koch-Institut führt hierzu in seinem Epidemiologischen Bulletin vom 19. März 2020 (www.bit.ly/3drQvoc, S. 3) aus:
„Die Erkrankung ist sehr infektiös, sie verläuft in etwa 4 von 5 Fällen mild, aber insbesondere ältere Menschen und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen sind von schweren Krankheitsverläufen betroffen und können an der Krankheit versterben (SARS-CoV-2-Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019). Bei vielen schwer erkrankten Menschen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) – vermutlich sogar deutlich – längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert (Bericht ARDS-Netzwerk zu Influenza).“ (zit. n. VG Oldenburg, aaO.)
Die Krankenhausplanung und die in diesem Zusammenhang gewährleistete Vorhaltung medizinischer Kapazitäten sind in den einzelnen Bundesländern maßgeblich an der vor Ort mit Erstwohnsitz lebenden Bevölkerung ausgerichtet. Um eine Überlastung der bestehenden medizinischen Infrastruktur zu vermeiden, ist es daher notwendig, den Aufenthalt all derer, die nicht mit Erstwohnsitz im Gebiet des Antragsgegners gemeldet sind, zu verhindern oder zu beenden (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 12, VG Oldenburg, aaO). Die Antragsteller, die ihren Erstwohnsitz außerhalb des Landes Mecklenburg-Vorpommern haben, wären im Ernstfall auf medizinische Kapazitäten angewiesen, die für sie nicht geplant sind und welche der großen Zahl der vor Ort erkrankten Personen aufgrund der möglicherweise notwendigen (intensiv-)medizinischen Behandlung nicht mehr gewachsen wären (vgl. zuvor). Bei der Betrachtung des Einzelfalls mag sich die hieraus folgende Gefahr noch als überschaubar darstellen; jedoch in Ansehung der allgemeinkundigen Tatsache, dass es sich bei dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte mit der Müritzregion und der Feldberger Seenlandschaft um eine stark frequentierte Tourismusregion handelt, gerät der Aufenthalt weiterer Personen schnell zu einem unkalkulierbaren Risiko. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern und auch der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte innerhalb Deutschlands als Ferienregion stark frequentiert ist und dass es im Land eine Vielzahl von Zweit- und Ferienwohnungen gibt.
Eng mit der aus einem steigenden Bedarf an Intensiv- und Beatmungskapazitäten folgenden Gefahr einer Überlastung der (intensiv-)medizinischen Infrastruktur ist zudem die Notwendigkeit zur Reduzierung der Geschwindigkeit von Neuinfektionen verbunden. Hierzu für das Robert Koch-Institut aus (RKI, Epidemiologisches Bulletin, S. 3):
„Da weder eine Impfung in den nächsten Monaten noch eine spezifische Therapie derzeit zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, die Verbreitung der Erkrankung in Deutschland und weltweit so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen.“ (zitiert nach VG Oldenburg, aaO).
Unerheblich ist, ob die Antragsteller (derzeit) selbst infiziert sind oder nicht und ob von ihnen derzeit eine konkrete Gefahr ausgeht, da zu bedenken ist, dass sich mit jeder weiteren Person, die sich gegenwärtig in dem touristisch stark frequentierten Gebiet des Antragsgegners aufhält, die Gefahr einer beschleunigten Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) erhöht. Die gegenwärtig zu beobachtende Dynamik bei der Ausbreitung des Virus ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und dabei unwissentlich infiziert werden bzw. anschließend andere Personen infizieren. Auch die Antragsteller werden sich dem nicht vollends entziehen können, da sie auch auf dem Gebiet des Antragsgegners bei lebensnaher Betrachtung zwangsläufig dem Kontakt mit anderen Menschen – etwa beim Einkaufen – ausgesetzt wären. Eine jede Person, die sich in dem Gebiet des Antragsgegners aufhält, legt somit schon durch ihre Anwesenheit die Ursache für eine potentielle Erhöhung des Infektionsrisikos (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 22. März 2020 – 1 B 17/20 – juris, Rn. 11, VG Oldenburg, aaO.).
Eine rechtswidrige Verletzung der Grundrechte der Antragsteller liegt nicht vor. Die von ihnen angegriffenen Regelungen verletzen sie nicht in ihrem Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG). Es fehlt bereits an einem Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts. Freizügigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG bedeutet das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 –, BVerfGE 134, 242-357, Rn. 253, m.w.N.). Damit erfasst Art. 11 Abs. 1 GG die Ortswahl zwecks Wohnsitzbegründung im Sinne einer Verlagerung des alltäglichen Lebensschwerpunkts. Die Freizügigkeit ist aber nicht im Sinne einer allgemeinen räumlich-körperlichen Bewegungsfreiheit zu verstehen, die durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG speziell geschützt wird (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. März 2008 – 1 BvR 1548/02 –, Rn. 25, juris zum Platzverweis; Antoni in Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl., Art. 11, Rn. 4). Hiervon abgesehen wäre aber selbst ein Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) ebenso wie ein Eingriff in die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) auch Ausdruck der verfassungsrechtlichen Schranken dieser Grundrechte (vgl. Oberverwaltungsgericht A-Stadt-Brandenburg, aaO.). Die Antragsteller sind auch nicht in ihrer Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG im Hinblick auf das in Ihrem Eigentum stehenden Grundstück verletzt. Bereits der Schutzbereich dieses Grundrechts ist nicht betroffen. Die SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung stellt vielmehr eine inhaltliche Beschränkung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Eigentum der Antragsteller in seiner rechtlichen Dimension nicht ansatzweise berührt ist. Es ist vielmehr lediglich aus Gründen des überwiegenden Allgemeinwohls faktisch die Nutzungsmöglichkeit des Eigentums eingeschränkt worden. Dies stellt nicht ansatzweise eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG dar.
Die SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung ist mit höherrangigem Recht vereinbar, obwohl sie keine weiteren Ausnahmemöglichkeiten oder Einzelfallprüfungen ermöglicht. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine Rechtsverordnung, die der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten in einer extremen Gefahrenlage dient, einfach und rechtssicher handhabbar sein muss. Dies schließt rein praktisch die Einarbeitung von Ermessensspielraumräumen und Härtefallregelungen aus, weil diese faktisch den notwendigen stringenten Verwaltungsvollzug aushebeln würden.
Das Abstellen auf das Kriterium des ersten Wohnsitzes ist zudem ein geeignetes Kriterium, weil es sicherstellt, dass nur solche Personen nicht einreisen können, deren Aufenthaltsmöglichkeit an ihrem anderweitig gelegenen ersten Wohnsitz gesichert ist und zudem davon ausgegangen werden kann, dass sie an ihrem Hauptwohnsitz, der bislang ihr Lebensmittelpunkt gewesen ist, auch in angemessener Weise untergebracht sind. Demgegenüber müssen andere – menschlich verständliche – Gesichtspunkte wie das subjektive Gefühl von Personen, an ihrem Zweitwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern vor der Ausbreitung des Virus „sicherer“ zu sein oder sich dort allgemein in einer Umgebung zu befinden, die ihrer Gesundheit förderlicher ist, zurückstehen. Derartige Einzelfallbetrachtungen würden die vorgenannte notwendige Praktikabilität der Rechtsverordnung sprengen. Dies gilt auch in Bezug auf solche Personen, die aufgrund von Vorerkrankungen in Bezug auf den SARS-CoV-2-Erreger als zu einer Risikogruppe zugehörig zu betrachten sind.
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass einreisende Personen schon insoweit eine Gefahr für die Ausbreitung des Erregers darstellen, als Personen bereits zu einem Zeitpunkt infektiös sein können, zu dem sich noch keinerlei erkennbare Symptome des Erregers eingestellt haben. Zudem ist – wie bereits ausgeführt – der Blick auf die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere auf die Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern ein legitimer Gesichtspunkt, die Einreise von Personen zu unterbinden, die nicht ihren ersten Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern haben, damit im Falle einer weiteren Ausbreitung des Erregers das Gesundheitswesen in Mecklenburg-Vorpommern nicht durch zugereiste Personen überlastet wird. Dem steht nicht entgegen, dass Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern derzeit noch aufgrund der vergleichsweise geringen Auslastung und der bereits erfolgten Ausweitung der Kapazitäten Patienten aus anderen Bundesländern oder auch aus anderen Staaten behandeln, die an die Covid-19 erkrankt sind. Es stellt auch keine Verletzung des Gleichheitsgebotes aus Art. 3 GG dar, dass in der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung die Reise zu privaten Besuchen bei Familienangehörigen der Kernfamilie als zulässige Ausnahme geregelt worden ist. Diese Reisen erhöhen zwar auch die Infektions- und Versorgungsrisiken im vorgenannten Sinne, betreffen jedoch eine gut abgrenzbare Personengruppe, die sowohl unter möglichen innerfamiliären Versorgungsgesichtspunkten wie auch dem Gesichtspunkt einer moralischen Verpflichtung eine Ausnahmestellung innehat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 53 Abs. 2 GKG. Aufgrund der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache hält die Kammer den Auffangstreitwert der Hauptsache für angemessen.
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